Tag 12 Cluj
Ein kalter, aber sonniger Tag empfängt uns.
Nachdem wir eine Tageskarte in Form einer Chipkarte gekauft haben, rennen wir auch schon der Tram hinterher, man weiß hier ja nie so genau, wann die nächste kommt, denn es hängt kein Fahrplan aus.
Eingesetzt werden in Cluj ausschließlich Niederflurwagen, wovon die 24 Astra Imperios den größten Teil stellen.
Leider muss man auch die Tageskarte bei jedem Einstieg an das Kartenlesegerät im Fahrzeug halten und es dauert zudem mehrere Sekunden, bis der Lesevorgang abgeschlossen ist und der grüne Haken erscheint - oder auch nicht, immer wieder beobachte ich Fehlermeldungen, die dann bei nochmaligem Dranhalten verschwinden. Den Fahrgastwechsel scheint es aber nicht nennenswert zu verlangsamen, die Fahrgäste sind recht gut darin, schon mal weiter ins Fahrzeug vorzurücken und dann ggf. erst später die Karte einzulesen.
Der Innenraum ist für mich ein eher abschreckendes Beispiel, wie man Platz möglichst ineffizient nutzt und die Zahl an Sitzplätzen minimiert.
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Die extrabreiten Sitze sind eigentlich zu schmal für zwei normale Personen, die Mehrzweckbereiche sind weit entfernt von den Türen und noch irgendwelche Sitze grundlos längs der Fahrtrichtung eingebaut.
Über den Radsätzen reicht es nur für Einzelsitze
Rumänientypisch ist der abgetrennte Eingang zum Führerstand
Auch die kontaktlose Zahlmöglichkeit ist kein Musterbeispiel einer gelungenen Umsetzung, denn sie funktioniert nur mit einer rumänischen Karte.
Traditionell gibt es zwischen Cluj und Paris eine enge Zusammenarbeit seit den 90er Jahren, davon zeugen auch diese Busse…
Die Tram fährt ohne Abtrennung vom IV in der Mitte einer stark befahrenen Straße, hier Fotos zu machen ist also nicht ganz so simpel und muss gut geplant werden.
Ich entdecke eine schöne Stelle am "Kreisverkehr" und mir gelingt die Umsetzung.
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Die Tram hat übrigens generell Vorfahrt, wenn sie z.B. quer durch den Kreisverkehr fährt.
Die Strecke führt durch Industriebrache und führt mit großen Haltestellenabständen schnell aus der Stadt heraus. Plötzlich geht die Tür vom Fahrer auf. "Finish line!" Ups, ich finde es irritierend, dass auf dem Infobildschirm noch eine weitere Haltestelle angezeigt wird.
Gehalten wird grundsätzlich ohne Ampel-Absicherung, aber die Autos halten wirklich sehr zuverlässig an, sodass man gefahrlos aussteigen kann.
Man beachte hier auch die besonders niedrige Bauform der Oberleitungsmasten, damit es nicht zu Interferenzen mit den Hochspannungsleitungen kommt.
Zunächst ein paar grundsätzliche Worte zur Geschichte des städtischen ÖPNV in Rumänien, welche die Einordnung einiger Beobachtungen vereinfacht. Zum Glück habe ich mit Mihai einen absoluten Spezialisten dabei...
Viele elektrische Stadtverkehrsnetze (Trolleybus, v.a. aber Tram) in Rumänien entstanden erst sehr spät, d.h. in den 1980er Jahren, also während der Ceauşescu-Diktatur. Er verfolgte eine strikte Abschottung und völlige Autarkie vom Ausland und so war insbesondere Öl und Benzin sehr knapp und streng rationiert. Daher gab es eine starke Notwendigkeit, elektrisch betriebenen Nahverkehr in Großstädten anzubieten und zahlreiche Netze entstanden innerhalb kürzester Zeit. Eine kleine Nebenbemerkung zu den kuriosen Liniennummern der Tram in einigen Städten (100 und höher): In Rumänien waren (und sind bis heute) die Landkreise für den ÖPNV zuständig, die Finanzierung war bis zur Wende allerdings zentral durch das Verkehrsministerium sichergestellt. Nach der Wende mussten die Landkreise selbst für die Finanzierung aufkommen, was zur Einstellung zahlreicher Linien oder ganzer Netze führte. Die bereits vorhandenen Buslinien waren innerhalb eines Landkreises von 1 durchnummeriert. Als dann die neuen Tramlinien dazukamen, hat man also völlig neue Liniennummern gebraucht. Liniennummern ab 100 deuten darauf hin, dass es sich um einen spät eröffneten Trambetrieb aus den 1980er Jahren handelt.
Auffällig ist vor allem bei den Straßenbahnen heute die Linienführung durch Industriebrachen - vor der Wende waren das aber natürlich die größten Arbeitgeber der Stadt, ehe dann mit der Öffnung eine regelrechte Deindustrialisierung eingesetzt hat, mit der das Land bis heute kämpft und die auch zur Einstellung diverser Linien geführt hat oder zumindest nicht mehr den heute stärksten Verkehrsströmen entspricht.
Bedingt durch die starke Abschottung herrschte insbesondere Ende der 1980er Jahre ein eklatanter Mangel an Bau- und Ersatzteilen, wodurch die Qualität vieler im Eiltempo errichteten Betriebe mangelhaft war und sie daher - und natürlich aufgrund der politischen Priorität des Autos nach der Wende - teils nur wenige Jahre bestanden und dann wieder verschwanden. Auch die heute noch bestehenden Netze haben immer wieder mit umfangreichen Problemen zu kämpfen, sodass immer wieder Linien eingestellt wurden oder werden.
Vermutlich ebenfalls ein Erbe der entbehrungsreichen Zeit der Ceauşescu-Diktatur ist das Halten von Hühnern, um sich selbst mit Lebensmitteln versorgen zu können.
Wendeschleife Bulevardul Muncii in der Industriebrache
Wir nehmen die nächste Tram für ein paar Haltestellen zurück, wo der Trolleybus wendet. Die Strecke war über 20 Jahre ohne Betrieb, doch die Oberleitung blieb erhalten. Und plötzlich dachte man: "Hey, lasst uns mal den Strom wieder einschalten." Dann wurden ein paar Testfahrten gemacht und wenig später der Regelbetrieb wieder aufgenommen. Auch solch kuriose, aber positive Beispiele gibt es, wenn dann auf einmal ohne große Vorankündigung Tram- oder Trolleybuslinien wieder in Betrieb gehen.
Ab Bulevardul Muncii fahren drei Linien, doch wir warten und warten und warten. Eine Tram nach der anderen kommt und fährt, aber kein Trolleybus.
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Nach fast einer halben Stunde kommt dann endlich die Linie 23. Merke - viele Linien bedeuten noch keine kurze Wartezeit.
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Mit einer Handvoll Fahrgäste geht es Richtung Stadtzentrum. Am zentralen Piaţa Avram Iancu an der Kathedrale fahren die meisten Trolleybuslinien vorbei und viele, viele Autos.
Die gesamte Straße samt Oberleitung wurde vor wenigen Jahren saniert. Seitdem gibt es hier auch Busspuren in beide Richtungen (für den MIV ist es eine Einbahnstraße mit drei Spuren, die Gegenrichtung verläuft durch die Parallelstraße).
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Diese Radwege taugen keinesfalls zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, denn logischerweise überholen die Busse dann mit 5 cm Abstand.
Auf dieser Hauptachse in Ost-West-Ausrichtung fahren Busse und Trolleybusse im dichten Takt, eigentlich schon zu dicht, denn es kommen plötzlich drei oder vier Fahrzeuge auf einmal und blockieren sich dann gegenseitig. Wert auf gute Umsteigebeziehungen wurde jedenfalls nicht gelegt, denn die Haltestellen in Nord-Süd-Richtung befinden sich mehrere Hundert Meter entfernt.
Eine rumänische Entwicklung sind diese DFI, die sich in mehreren Städten befinden. Fahrzeugnummer und Liniennummer werden abwechselnd angezeigt.
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Für die Fahrradträger am Heck einiger Busse gab es bestimmt auch irgendeine EU-Förderung, ob das so sinnvoll ist, sei mal dahingestellt…
Soldatendenkmal mit orthodoxer Kathedrale
Der Platz vor der Kathedrale ist recht hübsch, wenn auch vom Verkehr umtost.
Die Kathedrale ist offenbar nicht mehr ganz standsicher und muss abgestützt werden
Es werde Licht
Gegenüber befinden sich Nationaltheater und Nationaloper in einem Gebäude
Die Schweiz leistet Entwicklungshilfe
323 vor der Kathedrale
Das Stuttgart 21 von Cluj ist diese griechisch-katholische Kathedrale, die seit 1995 in Bau und immer noch nicht fertig ist.
Wir nehmen einen Trolleybus der Linie 25 zur Iulius Mall und während Mihai einen Einkauf erledigt, versuche ich mich an einigen Fotos, was angesichts des unfassbar dichten Autoverkehrs fast unmöglich ist.
521 als Vertreter der Pariser Fahrzeuge zwischen modernen Bürogebäuden
Immerhin ist die Mall hier gut an das Busnetz angebunden, an das Trolleybusnetz nur in eine Richtung, denn die Linie 25 wendet in einer riesigen Schleife, die Gegenrichtung wird seit dem Bau einer neuen Straßenbrücke ohne Oberleitung nicht mehr genutzt.
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Die Werbung von Bosch ist übrigens insofern interessant, als dass Cluj auch als Someş Valley bezeichnet wird, weil es das Zentrum der IT-Industrie in Rumänien ist.
Wer plant bitte so eine Busbucht?
Ich beobachte eine große Lücke, dann kommen mehrere Busse und gleich drei Trolleybusse direkt hintereinander und sind dementsprechend voll.
Wir fahren weiter bis zum Betriebshof. Cluj hat derzeit einen großen Trolleybusüberschuss, weil 50 nagelneue Trollinos angekommen sind. Irgendwie scheint Fahrzeugkauf hier ein bisschen wie ein spontaner Besuch im Supermarkt zu funktionieren - kaufe ich ein oder zwei Pack Nudeln? Ach, am besten gleich zehn, dann habe ich auf jeden Fall genug. Und wenn ich vergessen habe, dass ich Nudeln kaufen wollte, gibt es halt nichts zu essen - bzw. es müssen zwei Trolleybuslinien eingestellt werden, weil es gerade keine Fahrzeuge dafür gibt. Und wenn man dann plötzlich wieder Fahrzeuge hat, werden sie überraschend über Nacht wieder in Betrieb genommen, wie z.B. die Linie 8, welche selbst für den perfekt informierten Mihai eine Überraschung war, als da plötzlich ein Trollino vorbeifährt.
Neben den Trollinos sind auch noch 20 Astra-Iveco unterwegs. Hier 103 an der Strada Unirii
323, 229 und 903 in der Wendeschleife Strada Unirii
Die Infrastruktur ist oft veraltet und störanfällig.
Mit einem ausrückenden Kurs der Linie 4 kehren wir in die Innenstadt zurück, wo derzeit die Fußwege saniert und nett gestaltet werden, nur Grünflächen fehlen mir völlig, die Stadt ist eine Betonwüste. Und natürlich werden Baustellenabsperrungen auch total überbewertet, neben diversen Stolperfallen durch noch nicht verlegte Steine gibt es sogar offene Kanalschächte (!), immerhin meistens mit Holzlatten zugedeckt.
Zeit für eine Stärkung - wir müssen eine Weile warten, ehe uns jemand die Speisekarte bringt. Die Siebenbürger gelten als gemütlich und es fällt mir noch einige Male auf, dass man es nicht so eilig hat und z.B. im Straßenverkehr auch recht wenig gehupt wird.
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Nach deftiger Hausmannskost sind wir fit für die weitere Erkundung der Stadt. Abgesehen vom Zentrum sind weite Teile der Stadt durch Wohnblocks geprägt, wenn auch nicht überall so dicht wie hier bei Crinului.
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Ein falsch geparktes Auto behindert die Abfahrt aus der Busbucht und so wie die Fahrerin geparkt hat - nämlich mit besonders großem Abstand zum Bordstein - und ihr gemächliches Verhalten beim Wiederauftauchen wirkt es auf mich ziemlich deutlich, dass es ihr bewusst und völlig egal ist, Hunderte andere damit zu behindern.
Nun nehmen wir die Trolleybuslinie 6, die am stärksten belastete der Stadt, für die der Einsatz von Doppelgelenkwagen geplant ist, und fahren damit bis an den westlichen Endpunkt Strada Bucium. Auf gleicher Route ist auch eine U-Bahn geplant und man darf gespannt sein, welche Planung am Ende umgesetzt wird und ob überhaupt oder einfach beide gleichzeitig nach dem Prinzip "ich geh mal in den Supermarkt und kaufe spontan, worauf ich Lust habe".
Die Busspur endet zwar etwas westlich der Innenstadt, die Behinderungen durch den MIV halten sich aber trotz des dichten Verkehrs in Grenzen und wir kommen gut voran. Es gibt zwar keine LSA-Bevorzugung und gelegentlich blockierte Kreuzungen, weil Autos bei Stau in die Kreuzung eingefahren sind und nicht weiterkönnen, aber auch hier läuft der Verkehr halbwegs flüssig. Die Busspur im Zentrum ist aber auf jeden Fall sehr nützlich und ich beobachte kein einziges Mal einen PKW darauf, meine starke Vermutung ist, dass sie kameraüberwacht sind und man dann direkt einen Strafzettel zugeschickt bekommt, denn sonst sind die rumänischen Autofahrer nicht unbedingt für regelkonformes Fahren bekannt.
Nach 24 Minuten sind wir am anderen Ende der Stadt (Reisegeschwindigkeit: 15 km/h) und wieder weist uns eine Frau darauf hin, dass hier Endstation ist. Ich finde es irritierend, dass die letzte Haltestelle in Cluj oftmals hundert bis mehrere hundert Meter von der Wendeschleife entfernt liegt, in die man nicht mitfahren kann.
Die Haltestellen wirken auf mich, als hätte man sie irgendwo reingequetscht, wo es gerade gepasst hat oder den Autoverkehr am wenigsten behindert, anders kann ich mir nicht erklären, warum man Haltestellen teilweise nur in eine Richtung oder nicht gegenüberliegend hat. Jedenfalls sind die Busbuchten oft sinnlos, weil sie so gestaltet sind, dass der Bus ohnehin nicht reinpasst.
Oberleitungsarbeiten unter laufendem Betrieb
90 erreicht die Endstation Strada Bucium
Die Fahrzeuge wirken auf mich recht sauber und werden an den Endstationen während des Aufenthalts durch Putzkräfte gereinigt - eine Tradition ausschließlich in Cluj.
Zurück geht es mit der Tram, die Imperios rattern einfach furchtbar laut, man kann sich kaum unterhalten. Da die Gleise vollständig saniert sind und sich augenscheinlich in gutem Zustand befinden, vermute ich, dass es nicht an der Infrastruktur liegt. Neben den Imperios sind auch vier PESA Swing in Cluj vorhanden, einer ist zwei Kurse hinter uns und wir warten ihn ab. Auch wenn ich die Swing nicht besonders mag, sie sind auf jeden Fall besser als die Imperios, viel laufruhiger und besser in der Innenraumaufteilung. Angesichts dieser merkwürdig schräg angeordneten Sitze muss das was heißen… Leider sind nur vier Wagen gekauft worden, die Option auf weitere acht hat sich aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen zerschlagen und stattdessen wurden später die Imperios gekauft.
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Laut Aussage der ctp liegt das laute Rattern an zu harten Stoßdämpfern zwischen Wagenkasten und Drehgestell, aber daran könne man leider nichts ändern. Also rattern die Imperios weiter durch Cluj.
Die Imperios sind etwas breiter als die Swing, sodass an mehreren Stellen Bordsteinkanten abgefräst werden mussten. Für die Swing sind allerdings die Bahnsteige zu kurz, deren Errichtung bereits vor deren Beschaffung noch zu Tatra-Zeiten stattgefunden hat.
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Noch eine Bemerkung am Rande – auch Trambahnen brauchen in Rumänien ein normales Kennzeichen.
Ein Spiegel hilft beim Abfertigen
Hier bei Minerva hätte man ein schönes Bild von Tram neben Trolleybus machen können, doch leider kommt es trotz längerer Wartezeit nie dazu, dass beide nebeneinander sind.
Wir kommen in eine Fahrkartenkontrolle, ein Halbstarker hat kein Ticket und versucht sich herauszureden. Er habe leider kein Geld und keinen Ausweis, doch die Kontrolleure kennen keine Gnade, steigen schließlich mit ihm aus. Wir wissen also nicht, wie die Geschichte endet.
Ungarische Oper
Herbstlicher Park
Sonnenuntergangsstimmung über dem Someş-Kanal
Wir erklimmen den Cetăţuia-Hügel. Der Wegzustand ist katastrophal…
…der Ausblick aber genial.
Blick zum nicht enden wollenden Bau der griechisch-katholischen Kathedrale
Abenddämmerung
![Bild](https://live.staticflickr.com/65535/53652636606_4e530c18cb_b.jpg)
Generell kann man sagen, dass Cluj wohl ein positives Beispiel für ÖPNV einer rumänischen Großstadt ist, einen modernen, ausschließlich niederflurigen Fahrzeugpark aufweist und deren Infrastruktur sich in recht gutem Zustand befindet. 2004 war Cluj die erste rumänische Stadt, in der Niederflurbusse und -trolleybusse eingesetzt wurden.