Vergangenheitsbewältigung bei der Bahn

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Rathgeber
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Beitrag von Rathgeber »

Vergangenheitsbewältigung: "Wir brauchen die Bahnhöfe" (Süddeutsche Zeitung)
Gegenstand dieses Artikels bzw. Interviews mit Verkehrsminister Tiefensee ist der Streit zwischen ihm und Bahnvorstand Hartmut Mehdorn über die die geplante Ausstellung "11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod".
pok

Beitrag von pok »

Also sicherlich ist eine Veranschaulichung an, naja, sagen wir mal, Originalschauplätzen, oftmals bedeutend eindrucksvoller als nur im Museum - insofern finde ich die Idee durchaus interessant. Aber auf der anderen Seite muss ich ehrlich zugeben, hängt mir die ewige Zuweisung der Täterrolle auch langsam zum Hals raus - und nichts anderes will man mit so einer Ausstellung verdeutlichen. Es ist ja nicht so, dass man vom dritten Reich nichts erfährt. Man muss sich ja nurmal das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender genauer ansehen. Man kommt Hitler & Co. ja kaum mehr aus. Das an sich find ich nicht schlimm, das Thema ist ja durchaus interessant - vernünftig aufgearbeitet -.
Es wird auch kaum jemand bezweifeln, dass Schrecklichstes passiert ist zu dieser Zeit, woran ein beachtlicher Teil unserer Vorfahren Schuld hat. Aber irgendwann muss es auch mal gut sein. Bereits Generationen haben mit der Zeit nichts mehr zu tun oder nur soviel zu tun, wie andere Leute aus anderen Ländern auch. Warum braucht's also immer wieder Mahnmale, mit denen man die vermeintliche Schuld eingetrichtert bekommt; wenn auch vielleicht nicht direkt. Insofern wiederum halte ich derartige Aktionen mittlerweile für etwas verfehlt.
Und dass die heutige Bahn mit den Transporten im dritten Reich rein gar nichts mehr zu tun hat, das dürfte wohl auch klar sein - und das sollte es auch bleiben...und so verstehe ich auch die Reaktion von Mehdorn irgendwo.
Warum stellt man nicht einfach einen Zug hin, wie er vor 100 Jahren aussah. Dann lernt man auch etwas Geschichte, und eine, die man nicht ausführlichst in der Schule eingetrichtert bekam. Wie fuhren unsere Urgroßeltern mit der Bahn... ist doch auch was schönes... zwar nichts Schuldzuweisendes und nichts Schockierendes, aber geschichtlich vielleicht noch wertvoller, da der Durchschnittsdeutsche heutiger Zeit darüber, im Gegensatz zur Funktion der Bahn im dritten Reich, wohl kaum etwas wissen dürfte.

pok
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schwaborigine
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Beitrag von schwaborigine »

Hallo,

mir erscheint diese Ausstellung auch als sehr abstruse Idee.
Sie dient unterschwellig auch einem Bedürfnis von Menschen, etwas zu "konsumieren" und dann auch wieder wegzuzappen: Ah ja die Reichsbahn. Soso, wie furchtbar, und dann geht man weiter. Es war die Reichsbahn.

Die Bahn muss eh für vieles als seelischer Mülleimer herhalten, also passt das ganz gut.

Warum nicht solche Ausstellung in einer Kirche zeigen? Die Kirchen haben vor und im 3. Reich katastrophal
versagt!

Warum nicht in einer Schule? Das streng-autoritäre Bildungssystem hatte damals versagt, indem es
zu wenig menschliche Werte vermittelt hat, mit denen im Kopf die Menschen diese Krakeeler nie gewählt hätten (und das würde auch eine Brücke schlagen zur Gegenwart in NPD-Landen....).

Warum nicht in irgend einer netten idyllischen Vorortstrasse, wo damals (wie heute) solche Gesinnungen in Ruhe gedeihen konnten wie die Äpfel auf dem Baum?

Warum nicht auf irgend einem öffentlichen Platz, wo früher mal ein wichtiges NSDAP-Büro war?

Warum nicht in einschlägigen Bierkellern in München, wo "die Bewegung" ihren Anfang nahm?

Warum nicht auf dem Gelände des Senders Mühlacker (oder anderswo)?
Mit den damaligen Mittelwelle- und Langwellesendern wurde die Propaganda verbreitet!

Überall DORT fand der Nationalsozialismus statt!

Nun ausgerechnet von der Verantwortung des Verkehrsmittels zu sprechen ist typische Haltung, den Sack zu hauen und den Esel zu meinen.
Rohrbacher
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Beitrag von Rohrbacher »

Warum soll man das in einem Museum zeigen dürfen und nicht im Alltag?
Ganz einfach. Bahn und Holokaust in Verbindung zu bringen wäre schlecht für's Geschäft, genauso wie die Geschichte mit den Graffitis. Es geht um's Image. Das einzige Problem, das Leute wie Herr Mehdorn haben.
Warum nicht auf irgend einem öffentlichen Platz, wo früher mal ein wichtiges NSDAP-Büro war?
Warum redet ihr jetzt drum rum? Wie der Titel "11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod" schon verrät, soll's um die Rolle der Reichsbahn dabei gehen und nicht um irgendwas anderes!

Ich unterstelle euch mal nicht, dass ihr das Thema wegschieben und verdrängen wollt' wie die Leute vor 60-70 Jahren, aber vielleicht solltet ihr euch mal eine solche Austellung ansehen, scheinbar haben einige noch nicht begriffen, was damals abgegangen ist. Beispielsweise hat sich die Reichsbahn diese Transporte schön brav und korrekt abrechnen lassen, insofern beruht einiges an Kapital/Material auf dem Holokaust, auf das die Deutsche Bahn heute noch zugreift... Also nix mit war die Reichsbahn, ist heute alles anders!
Aber auf der anderen Seite muss ich ehrlich zugeben, hängt mir die ewige Zuweisung der Täterrolle auch langsam zum Hals raus - und nichts anderes will man mit so einer Ausstellung verdeutlichen.
Wenn man die Zahl der Neonazi-Straftaten und die Tatsache, dass die NPD in mehreren Landtagen sitzt so ansieht, kann man's nicht oft genug zeigen. Vielleicht muss man es einigen sogar außerhalb von eine Museum zeigen, damit erreicht man viel mehr Leute... <_<
Rathgeber
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Beitrag von Rathgeber »

Rohrbacher @ 25 Oct 2006, 14:41 hat geschrieben:Wenn man die Zahl der Neonazi-Straftaten und die Tatsache, dass die NPD in mehreren Landtagen sitzt so ansieht, kann man's nicht oft genug zeigen. Vielleicht muss man es einigen sogar außerhalb von eine Museum zeigen, damit erreicht man viel mehr Leute...  <_<
Das ist für mich der Hauptpunkt, der Argumentation Tiefensees zu folgen. Ich denke auch, daß sich einem Museum jeder entziehen kann, aber im öffentlichen Raum kann man sich nicht so einfach entziehen.

Im Gegensatz zu den Stolpersteinen ist die Ausstellung auch nicht als Daueraustelleung angelegt.
pok

Beitrag von pok »

Rohrbacher @ 25 Oct 2006, 14:41 hat geschrieben:beruht einiges an Kapital/Material auf dem Holokaust, auf das die Deutsche Bahn heute noch zugreift... Also nix mit war die Reichsbahn, ist heute alles anders!
Und was willste jetzt machen? Willst denen ne Rechnung schicken? Wo soll das Kapital hin? Soll es vernichtet werden? Was meinst Du wieviele Unternehmen es in Deutschland noch gibt, die in irgendeiner Weise vom Nationalsolzialismus und dessen Vorgängen irgendwann mal profitiert haben. Oder auch der Staat an sich...schau Dir doch an, wieviel Gebäude heute noch genutzt werden aus dieser Zeit. Ja und? Das ist nunmal unsere Geschichte! Vielleicht haben auch Deine Urgroßeltern davon profitiert. Willste Dich jetzt nun an den Pranger stellen lassen für den Vorteil, den Deine Urgroßeltern daraus gezogen haben? Soll ich Dir vielleicht auch ne Rechnung schicken?
Fakt ist, dass niemand der Bahner heute auch nur irgendwas mit den Vebrechen der Nazizeit zu tun hat. Es ist Geschichte! Die sollte zwar jeder kennen, muss sie aber nicht ständig vor Augen geführt bekommen. Und darum gehört so eine Ausstellung auch nicht in einen Bahnhof, sondern in ein Museum.

pok
Rohrbacher
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Beitrag von Rohrbacher »

Was meinst Du wieviele Unternehmen es in Deutschland noch gibt, die in irgendeiner Weise vom Nationalsolzialismus und dessen Vorgängen irgendwann mal profitiert haben. Oder auch der Staat an sich...schau Dir doch an, wieviel Gebäude heute noch genutzt werden aus dieser Zeit. Ja und? Das ist nunmal unsere Geschichte!
Genau und warum wehrt ihr und Mehdorn euch dagegen diese unsere Geschichte in Bahnhöfen zu zeigen?
ropix
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Beitrag von ropix »

@Pok - unsere Generationmag kann nichts für das was vor 60 Jahren geschehen ist - aber sehr wohl etwas für das aktuelle. Und genau da muss angesetzt werden - Mit aktuellen Themen die aktuelle Gesellschaft zu erreichen - und es ist nd bleibt aktuell, solange die Braunen in den Landtagsparlamenten hocken, die Deportation geleugnet usw... wird.

Und keiner beschäftigt sih gerne mit seiner unangenehmen Vergangenheit, im Verkehrszentrum hat man z.B. die Stolperschwellen verlegt und mit einer kleinen Tafel versehen - und kein Wort dazu gesagt.

Und was die Unternehmen betrifft - sie sollten daraus lernen, heutzutage keine Rechten mehr zu unterstützen - was man auch nicht von allen behaupten kann.

Allerdings gibts auch Länder um uns herum, die die Vergangenheitsbewältigung nur so erledigen was man alles gegen die Deutschen getan hat - und dabei ganz still heimlich und leise verschweigt, was manche von ihnen für Deutschland getan haben. Besinnen sollten sich endlich mal alle und zu ihren Fehlern stehen - nicht "nur" die Deutschen
-
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schwaborigine
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Beitrag von schwaborigine »

Rohrbacher @ 25 Oct 2006, 14:41 hat geschrieben: Ganz einfach. Bahn und Holokaust in Verbindung zu bringen wäre schlecht für's Geschäft, genauso wie die Geschichte mit den Graffitis. Es geht um's Image. Das einzige Problem, das Leute wie Herr Mehdorn haben.
.....

Warum redet ihr jetzt drum rum? Wie der Titel "11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod" schon verrät, soll's um die Rolle der Reichsbahn dabei gehen und nicht um irgendwas anderes!

Bei aller berechtiger Würdigung des Themas halte ich es dennoch für bedenklich, wenn nun ein Baustein aus der Diktaturmaschinerie herausgenommen und separat angeleuchtet wird. Es hinterlässt in der Tat sicher beim
Publikum Emotionen, die einfach unpassend sind.

Und so ein Detail herauszupicken erscheint mir als dem Thema wirklich nicht sachdienliche Leichenfledderei.

( So könnte man gerade so eine Ausstellung machen über die Post, weil die ja die Kommunikation zur
Aufrechterhaltung der Diktatur abgewickelt hat. )

Meine Ablehung dieser Ausstellung hat nichts mit Verdrängung zu tun, sondern im Gegenteil! Eine Ausstellung,
die so ein Detail herauspickt, begünstigt m.E. eine Einstellung im Sinne von "ooch, davon haben wir ja
aber gar nichts gewusst".

Wenn schon, warum dann nicht Ausstellungen machen, in denen gezeigt wird, wie eine ganze Stadt im Dienst
der Diktatur war, also vom Bahnhof, ab dem Menschen in die Vernichtungslager transportiert wurden,
bis zu lokalen Rüstungsbetrieben, Propagandadruckereien, Gestapo-Schulungshäusern,
Himmler- und Goering-Auftritten und und und.

Also nicht zeigen "damals wurden ab Bahnhof X Menschen zum Vernichten abtransportiert", sondern, wenn schon: "so war damals die ganze Stadt tätig für dieses Diktatur", denn DAS ist die bittere Realität, nicht so ein
herausgeriffenes Teil.
Catracho
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Beitrag von Catracho »

ropix @ 25 Oct 2006, 15:36 hat geschrieben: Allerdings gibts auch Länder um uns herum, ...
"Auch" ist gut. Das sind ohne Außnahme alle. Wobei einige (Frankreich, Schweiz, Rumänien) mit Sicherheit besonders negativ hervorstechen. Aber in fast allen Ländern steht es halt mit der Bewältigung der Schattenseiten ihrer Geschichte allgemein nicht sehr gut.
Mfg
Catracho
Theirs not to reason why, theirs but to do and die. - Alfred Tennyson
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