Der Minister, der Konzern und der Bahnübergang
Der Minister, der Konzern und der Bahnübergang
Zu unser aller Erstaunen veröffentlichte Herr Tiefensee, zur Zeit von
Beruf Bundesverkehrsminister, am 11. Oktober eine Pressemitteilung, in
der er sehr kritisch mit der von seinem Ministerium fachlich betreuten
Firma Deutsche Bahn AG umgeht. Anlaß der Kritik war die Ankündigung
der Firma ihre Preise zu erhöhen. Auch dies erscheint etwas
verwunderlich, da der interessierte Laie eigentlich erwartete, daß
eine solche die Firmenstrategie und darüber hinaus die deutsche
Verkehrspolitik beeinflussende Entscheidung vorab im Aufsichtsrat
angesprochen wird, oder daß der alleinige Eigentümer, der auch Herr
Tiefensee auf seiner Gehaltsliste hat, zumindest solche Absichten
früher erfährt als die Öffentlichkeit.
Wie auch immer - der geänderte Tonfall des Ministers gegenüber der DB
und ihrem Chef ist zumindest interessant. Das kannten wir aus den
Diskussionen über den geplanten DB-Börsengang doch ganz anders. Wie
kam es zu diesem Stimmungsumschwung?
Aus streng vertraulichen Quellen wurde uns zugetragen, daß diese
geistig moralische Wende im Umgang miteinander vom letzten Montag
datiert und sich im Raum München abspielte.
Die Fakten: Die Firma Linde eröffnete am diesem Montag in Lohhof eine
Wasserstofftankstelle. Dazu reiste aus Berlin Herr Tiefensee an. Vom
Flughafen kommend verließ der Dienstwagentross die Autobahn, bog nach
links auf die Bundesstraße 13 - und verpaßte die Ausfahrt ins
Gewerbegebiet. Macht nichts, ein paar hundert Meter weiter geht es ja
nochmal rechts nach Lohhof hinein. Also nimmt man ersatzweise diese
Abfahrt. Leider befindet sich nun zwischen dem Minister und der Firma
Linde die Deutsche Bahn AG in Form der Bahnstrecke München -
Freising.
Zum Glück haben bereits unsere Vorväter just in der Mitte zwischen
Lohhof und Unterschleißheim die kluge Einrichtung eines Bahnübergangs
geschaffen. Leider kann sich die ministerielle Karosse diesem Übergang
nur bis auf einen halben Kilometer nähern. Die restlichen 500 Meter
Straßeninfrastruktur halten andere Autofahrer mit ihren Vehikeln
besetzt, da sie ebenfalls den Bedarf verspüren, von der einen auf die
andere Seite der Bahnstrecke zu wechseln.
Es geht nicht voran. Von links nach rechts fährt eine S-Bahn im
Schleichtempo durchs Bild. Rechts vor dem Bahnübergang parkt
minutenlang ein Güterzug. Der interessierte Laie würde jetzt
Signalstörung oder ähnliches vermuten. Der Minister und seine
Begleitung sind aber nunmal keine Laien. Aber man kann zum Telefon
greifen und hat so sogar eine ansonsten streng geheime Durchwahl
parat:
"Mehdorn."
"Hallo Herr Mehdorn, Tiefensee hier."
"Hallo Herr Minister, keine Sorge, wir arbeiten gerade einen Plan aus,
um unsere Kapitaldecke mit Blick auf den Börsengang nochmals zu
verbessern. Am Mittwoch werden wir ankündigen..."
Der Minister fällt ungeduldig ins Wort: "Ja, ja. Aber darum geht es
jetzt nicht. Ich stehe hier in ... wie heißt das noch ... ah ja,
Lohhof, und einer ihrer Bahnübergänge versperrt mir den Weg zu einem
wichtigen Termin. Sie wissen schon, Presse und so. Wenn die
rauskriegen, daß ich wegen der Bahn zuspät komme ..."
"Selbstverständlich Herr Minister, ich kümmere mich sofort darum -
wir machen das!"
Mehdorn ruft zum im Vorzimmer sitzenden persönlichen Referenten:
"Maier-Himmelfahrt - Bahnübergänge, wer ist dafür nochmal
zuständig?"
"Bahnübergänge, Bahnübergänge - das sind doch diese weiß-roten
Dinger? Weiß-Rot kann eigentlich nur Fernverkehr bedeuten."
Mehdorn greift wieder zum Telefon, und ruft den Unternehmensbereich
Fernverkehr an. "Hören Sie mal, sind sie für den Bahnübergang in
Lohhof zuständig? Da stimmt was nicht."
"Lohhof? Moment, ich schaue mal nach." Pause. "Tut mir leid, definitiv
kein ICE-Halt. Ich fürchte für Maßnahmen außerhalb ICE-Netzes haben
wir zur Zeit kein Budget."
Währenddessen klingelt Mehdorns anderes Telefon. Der Minister. "Herr
Mehdorn, es wird etwas dringlich. Sie wissen schon - die Toiletten im
Flieger sind so eng. Und auf dem Flughafen war es dann sehr eilig. Und
eigentlich sollte ich ja längst meine Rede gehalten haben ...."
"Herr Minister, ich werde unter diesen Umständen die Sache natürlich
beschleunigen. Zusätzliche Beschleunigungsmaßnahmen können
allerdings das Preisgefüge ..."
Des Ministers Geduld ist arg begrenzt. "Mehdorn, nun machen Sie schon
..."
Mehdorn ins Vorzimmer: "Maier-Himmelfahrt, verbinden Sie mich mit dem
für Bayern zuständigen Mann!".
Am Telefon: "Josel."
"Guten Tag, Herr Josel. Mehdorn hier. Der Bundesverkehrsminister steht
vor einem ihrer Bahnübergänge und hat es eilig." Mehdorn erläutert
die menschliche Dimension der sich anbahnenden Tragödie.
Josel: "Herr Vorstandsvorsitzender, wir verfolgen zwar ein
zeitgerechtes Convenience-Konzept für Bahnübergänge, um dort die
Aufenthaltsqualität zu verbessern, aber die Konzernstrategie sah
bisher vor, dies ohne Toilettenanlagen zu realisieren."
"So, so."
"Einfachste Möglichkeit, die Probleme mit dem Bahnübergang nachhaltig
zu lösen, wäre die Strecke stillzulegen."
"Herr Josel, den Vorschlag können wir nach dem Börsengang gerne
umsetzen, aber die Probleme des Ministers sind doch etwas
gegenwärtiger."
"Nun, vielleicht ist aus dem Altbestand noch eine Station in der Nähe,
die über entsprechende Einrichtungen verfügt - ich verbinde Sie mal
mit Station&Service."
"Bahnhofsmanagement München."
"Mehdorn hier. Der Bundesverkehrsminister ..."
"Herr Josel hat die Sachlage schon erläutert. Ehrlich gesagt, kenne
ich mich dort nicht so aus. Aber unser Besteller hat zum Glück eine
Stationsdatenbank, schöne Sache. Dort kann ich aber leider die
gewünschte Einrichtung nicht finden. Sie wissen vielleicht, daß wir
die Absicht haben, alle S-Bahnhöfe zu Wohlfühlstationen auszubauen.
Aber wegen den Umstrukturierungen konnten wir uns dem Thema noch nicht
zuwenden. Moment ... ich sehe gerade - Unterschleißheim - nein, auch
keine Toilette. Aber ein Fernverkehrsautomat. Vielleicht könnten die
Kollegen vom Fernverkehr ...."
Mehdorns Gesichtsfarbe ist mittlerweile bei verkehrsrot angelangt.
Bevor er antworten kann, klingelt das Zweittelefon. Der Minister. "Herr
Mehdorn, das dringliche Problem ist gelöst. Aber ich mußte mich der
Unterstützung eines ausländischen Mineralölkonzerns bedienen. Wenn
wir es wenigsten zu dieser Wassertankstelle geschafft hätten - man
will ja innovativ sein. Stattdessen stehen wir immer noch vor ihrem
..."
Mehdorn: "Ich weiß, Herr Minister. Aber wir sind ein integrierter
Konzern. Da sind immer viele Stellen mit der Problemanalyse befasst.
Aber keine Sorge - wir packen das."
"Herr Mehdorn, also das Problem mit dem integrierten Konzern - dafür
gibt es eine Lösung."
Und so kam es, daß ein ministeriellen Bedürfnissen im Wege stehender
Bahnübergang maßgeblichen Einfluß auf die deutsche Verkehrspolitik
ausübte.
Zu unser aller Erstaunen veröffentlichte Herr Tiefensee, zur Zeit von
Beruf Bundesverkehrsminister, am 11. Oktober eine Pressemitteilung, in
der er sehr kritisch mit der von seinem Ministerium fachlich betreuten
Firma Deutsche Bahn AG umgeht. Anlaß der Kritik war die Ankündigung
der Firma ihre Preise zu erhöhen. Auch dies erscheint etwas
verwunderlich, da der interessierte Laie eigentlich erwartete, daß
eine solche die Firmenstrategie und darüber hinaus die deutsche
Verkehrspolitik beeinflussende Entscheidung vorab im Aufsichtsrat
angesprochen wird, oder daß der alleinige Eigentümer, der auch Herr
Tiefensee auf seiner Gehaltsliste hat, zumindest solche Absichten
früher erfährt als die Öffentlichkeit.
Wie auch immer - der geänderte Tonfall des Ministers gegenüber der DB
und ihrem Chef ist zumindest interessant. Das kannten wir aus den
Diskussionen über den geplanten DB-Börsengang doch ganz anders. Wie
kam es zu diesem Stimmungsumschwung?
Aus streng vertraulichen Quellen wurde uns zugetragen, daß diese
geistig moralische Wende im Umgang miteinander vom letzten Montag
datiert und sich im Raum München abspielte.
Die Fakten: Die Firma Linde eröffnete am diesem Montag in Lohhof eine
Wasserstofftankstelle. Dazu reiste aus Berlin Herr Tiefensee an. Vom
Flughafen kommend verließ der Dienstwagentross die Autobahn, bog nach
links auf die Bundesstraße 13 - und verpaßte die Ausfahrt ins
Gewerbegebiet. Macht nichts, ein paar hundert Meter weiter geht es ja
nochmal rechts nach Lohhof hinein. Also nimmt man ersatzweise diese
Abfahrt. Leider befindet sich nun zwischen dem Minister und der Firma
Linde die Deutsche Bahn AG in Form der Bahnstrecke München -
Freising.
Zum Glück haben bereits unsere Vorväter just in der Mitte zwischen
Lohhof und Unterschleißheim die kluge Einrichtung eines Bahnübergangs
geschaffen. Leider kann sich die ministerielle Karosse diesem Übergang
nur bis auf einen halben Kilometer nähern. Die restlichen 500 Meter
Straßeninfrastruktur halten andere Autofahrer mit ihren Vehikeln
besetzt, da sie ebenfalls den Bedarf verspüren, von der einen auf die
andere Seite der Bahnstrecke zu wechseln.
Es geht nicht voran. Von links nach rechts fährt eine S-Bahn im
Schleichtempo durchs Bild. Rechts vor dem Bahnübergang parkt
minutenlang ein Güterzug. Der interessierte Laie würde jetzt
Signalstörung oder ähnliches vermuten. Der Minister und seine
Begleitung sind aber nunmal keine Laien. Aber man kann zum Telefon
greifen und hat so sogar eine ansonsten streng geheime Durchwahl
parat:
"Mehdorn."
"Hallo Herr Mehdorn, Tiefensee hier."
"Hallo Herr Minister, keine Sorge, wir arbeiten gerade einen Plan aus,
um unsere Kapitaldecke mit Blick auf den Börsengang nochmals zu
verbessern. Am Mittwoch werden wir ankündigen..."
Der Minister fällt ungeduldig ins Wort: "Ja, ja. Aber darum geht es
jetzt nicht. Ich stehe hier in ... wie heißt das noch ... ah ja,
Lohhof, und einer ihrer Bahnübergänge versperrt mir den Weg zu einem
wichtigen Termin. Sie wissen schon, Presse und so. Wenn die
rauskriegen, daß ich wegen der Bahn zuspät komme ..."
"Selbstverständlich Herr Minister, ich kümmere mich sofort darum -
wir machen das!"
Mehdorn ruft zum im Vorzimmer sitzenden persönlichen Referenten:
"Maier-Himmelfahrt - Bahnübergänge, wer ist dafür nochmal
zuständig?"
"Bahnübergänge, Bahnübergänge - das sind doch diese weiß-roten
Dinger? Weiß-Rot kann eigentlich nur Fernverkehr bedeuten."
Mehdorn greift wieder zum Telefon, und ruft den Unternehmensbereich
Fernverkehr an. "Hören Sie mal, sind sie für den Bahnübergang in
Lohhof zuständig? Da stimmt was nicht."
"Lohhof? Moment, ich schaue mal nach." Pause. "Tut mir leid, definitiv
kein ICE-Halt. Ich fürchte für Maßnahmen außerhalb ICE-Netzes haben
wir zur Zeit kein Budget."
Währenddessen klingelt Mehdorns anderes Telefon. Der Minister. "Herr
Mehdorn, es wird etwas dringlich. Sie wissen schon - die Toiletten im
Flieger sind so eng. Und auf dem Flughafen war es dann sehr eilig. Und
eigentlich sollte ich ja längst meine Rede gehalten haben ...."
"Herr Minister, ich werde unter diesen Umständen die Sache natürlich
beschleunigen. Zusätzliche Beschleunigungsmaßnahmen können
allerdings das Preisgefüge ..."
Des Ministers Geduld ist arg begrenzt. "Mehdorn, nun machen Sie schon
..."
Mehdorn ins Vorzimmer: "Maier-Himmelfahrt, verbinden Sie mich mit dem
für Bayern zuständigen Mann!".
Am Telefon: "Josel."
"Guten Tag, Herr Josel. Mehdorn hier. Der Bundesverkehrsminister steht
vor einem ihrer Bahnübergänge und hat es eilig." Mehdorn erläutert
die menschliche Dimension der sich anbahnenden Tragödie.
Josel: "Herr Vorstandsvorsitzender, wir verfolgen zwar ein
zeitgerechtes Convenience-Konzept für Bahnübergänge, um dort die
Aufenthaltsqualität zu verbessern, aber die Konzernstrategie sah
bisher vor, dies ohne Toilettenanlagen zu realisieren."
"So, so."
"Einfachste Möglichkeit, die Probleme mit dem Bahnübergang nachhaltig
zu lösen, wäre die Strecke stillzulegen."
"Herr Josel, den Vorschlag können wir nach dem Börsengang gerne
umsetzen, aber die Probleme des Ministers sind doch etwas
gegenwärtiger."
"Nun, vielleicht ist aus dem Altbestand noch eine Station in der Nähe,
die über entsprechende Einrichtungen verfügt - ich verbinde Sie mal
mit Station&Service."
"Bahnhofsmanagement München."
"Mehdorn hier. Der Bundesverkehrsminister ..."
"Herr Josel hat die Sachlage schon erläutert. Ehrlich gesagt, kenne
ich mich dort nicht so aus. Aber unser Besteller hat zum Glück eine
Stationsdatenbank, schöne Sache. Dort kann ich aber leider die
gewünschte Einrichtung nicht finden. Sie wissen vielleicht, daß wir
die Absicht haben, alle S-Bahnhöfe zu Wohlfühlstationen auszubauen.
Aber wegen den Umstrukturierungen konnten wir uns dem Thema noch nicht
zuwenden. Moment ... ich sehe gerade - Unterschleißheim - nein, auch
keine Toilette. Aber ein Fernverkehrsautomat. Vielleicht könnten die
Kollegen vom Fernverkehr ...."
Mehdorns Gesichtsfarbe ist mittlerweile bei verkehrsrot angelangt.
Bevor er antworten kann, klingelt das Zweittelefon. Der Minister. "Herr
Mehdorn, das dringliche Problem ist gelöst. Aber ich mußte mich der
Unterstützung eines ausländischen Mineralölkonzerns bedienen. Wenn
wir es wenigsten zu dieser Wassertankstelle geschafft hätten - man
will ja innovativ sein. Stattdessen stehen wir immer noch vor ihrem
..."
Mehdorn: "Ich weiß, Herr Minister. Aber wir sind ein integrierter
Konzern. Da sind immer viele Stellen mit der Problemanalyse befasst.
Aber keine Sorge - wir packen das."
"Herr Mehdorn, also das Problem mit dem integrierten Konzern - dafür
gibt es eine Lösung."
Und so kam es, daß ein ministeriellen Bedürfnissen im Wege stehender
Bahnübergang maßgeblichen Einfluß auf die deutsche Verkehrspolitik
ausübte.
-
- Kaiser
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- Registriert: 26 Dez 2005, 13:52
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- Registriert: 14 Aug 2006, 12:43
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Als kleine Ergänzung zu der am 12.10. erzählten Geschichte, die man auf http://home.arcor.de/e.lauterbach/edit/edit-zwei.html nachlesen kann, gibt es jetzt auch eine Fotosequenz – http://home.arcor.de/e-lauterbach/ushbue/.elba @ 12 Oct 2006, 13:30 hat geschrieben:Der Minister, der Konzern und der Bahnübergang
Zu unser aller Erstaunen ... sind aber nunmal keine Laien ...
Maier-Himmelfahrt ... man will ja innovativ sein ...
"Herr Mehdorn, also das Problem mit dem integrierten Konzern
– dafür gibt es eine Lösung."
Und so kam es, daß ein Bahnübergang maßgeblichen Einfluß auf
die deutsche Verkehrspolitik ausübte.
Schönen Gruß,
Edmund Lauterbach