SPNV vs. ÖPNV

Alles über Eisenbahn, was woanders nicht passt.
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ICE-T-Fan
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Beitrag von ICE-T-Fan »

Bei DSO bin ich gerade auf eine mal wieder sehr provokant geführte Diskussion zu diesem Thema gestoßen, welches ihren Ausgangspunkt in folgendem Artikel hat:

-> http://www.wiwo.de/unternehmen-maerkte/wie...leisten-440891/

Ich muss sagen, dass ich selbst ein eher unentschiedenes Verhältnis zu beiden Verkehrsträgern habe. Da ich jeden Tag mit dem Linienbus fahre und dort der Kontakt zu den Fahrern deutlich enger als bei der Bahn ist, habe ich mich mit vielen von ihnen angefreundet und wir sind per du. Ich habe es sogar einmal geschafft, so sehr mit einem Fahrer zu quathschen, dass wir mit über 5 min Verspätung losgefahren sind. ;)( Ein persönlicher Pluspunkt für dieses Verkehrsmittel.

Andererseits bin ich leidenschaftlicher Bahnliebhaber und auch die Nebenstrecken haben für mich einen gewissen Reiz. Daher bin ich vom persönlichen Empfinden unentschieden, ob ich lieber Linienbusverkehr oder lieber Nebenstrecke vor der Nase hätte.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt ist die Sache jedoch relativ eindeutig. Ein Bus ist bei gleicher relativer Auslastung wie ein Dieseltriebwagen deutlich umweltfreundlicher und energiesparsamer, weil eben das Grundgewicht deutlich geringer ist.

Bei uns gab es bis 2000 Parallelverkehr zwischen Bad Salzungen und Vacha zwischen DB und VGW(PNG). 2000 wurde dann entschieden die Bahnverbindung einzustellen, obwohl die Auslastung der Züge in der HVZ besser als die der Busse war, vorallem weil die Bahn trotz vmax. 60 km/h durch weniger Halte etwas 10 min schneller war (auf 17 km).

Hier liegt aber auch schon der Hund begraben, der als Hauptgrund für die Einstellung der Bahn angeführt wurde... die Bahn erreicht nur die größeren Ortschaften mit Bahnhof, während die Busse auch Ortschafen wie Kaiserroda, Hämbach usw. angeschlossen haben, welche über keinen Bahnhof verfügen. Also war es für den Kreistag recht einfach die Empfehlung zur Beibehaltung der Buslinie zu geben und gegen die Bahnlinie zu sein.

Die Diskussion bei DSO läuft ja dahingehend, dass Busse den Vorteil genießen, dass die Straßen auf die sie Fahren ja schon da sind und aufgrund des Automobilverkehr die Infrastruktur eh gebaut und gepflegt wird. Eisenbahnstrecken müssen jedoch eigens gewartet und unterhalten werden.

Andererseits ist der Platzverbrauch einer eingleisigen Nebenstrecke in Relation zu einer Kreisstraße und einer zweigleisigen Nebenstrecke in Relation zu einer Bundesstraße und einer zweigleisigen Hauptstrecke zu einer Bundesstraße und einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zu einer vierspurigen Autobahn deutlich besser.

Schienenwege, außer SFS mit fester Fahrbahn, versiegeln nicht den Untergrund, sind sozusagen atmungsaktiv. Auch brauchen sie weit weniger Schneisen in der Landschaft, was sie auch aus Sicht der Umweltschützer attraktiv machen sollten.

Das Problem mit Schienenwegen ist aber die fehlende Flexibilität, da Züge nur an festen Haltepunkten halten können, die nur unter äußerst schwierigem technischen Einsatz verlegt werden können, während Bushaltestellen quasi über Nacht versetzt oder neu gebaut werden könne,

Bei uns wurden z.B. in den letzten drei Jahren mehrere neue Haltstellen an Gehöften von 1-2 Häusern erstellt, weil dort Schulkinder hinzu gekommen sind.
Eine Bahnverbindung mit halt an jedem Gehöft ist wohl ziemlich undenkbar, weil die Bremswege und Geschwindigkeit ganz andere sind.

Damit kommen wir auch wieder zum Vorteil der Schiene, nämlich der höheren Durchschnittsgeschwindigkeit und der kürzeren Reisezeiten... wie gesagt 10 min Reisezeitverkürzung auf nicht einmal 20 km Fahrstrecke gegenüber dem Linienbusverkehr.

Ich glaube, hier ist einfach das vernünftige Miteinander entscheidend, dass man halt Busse und Bahnen nicht parallel laufen lässt, wo es sich vermeiden lässt. Andererseits stimme ich einer Aussage aus DSO durchaus zu:

> Die vergessen bei solchen Aussagen immer eins, die Bahn, eine Haltepunkt in seinem Ort, das ist das Tor zur Welt, von Portugal bis China. Diesen interkontinentalen Charakter kann ich beim Bus nicht erkennen! Standortvorteil ist keine Buslinie, sondern der Anschluss zur Schiene!

Wobei mit der Einschränkung, das der Bus als Zubringer zur Bahn durchaus auch die Funktion des Tor zur Welt erfüllen kann.

So das war mein Kommentar dazu.. ich hoffe eine etwas weniger populistische Diskussion dazu.

LG Markus aka ICE-T-Fan
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Bayernlover
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Beitrag von Bayernlover »

Nunja, es gibt ja gewisse Untergrenzen, die vom Finanzier der Strecken vorgegeben werden. Genaue Zahlen habe ich nicht im Kopf, aber so 1000 Fahrgäste im Querschnitt pro Linie sollten es in Sachsen schon sein. Davon sind manche RB weit entfernt. Wenn nun die Bahn auch noch abseits der Bebauung verkehrt und der Bus nur ein paar Minuten langsamer ist - nun, da fällt die Wahl nicht schwer. Allerdings kann man eben auch immer mit 50% weniger Fahrgästen rechnen als mit der Bahn, das ist leider so. Da muss man sich als Aufgabenträger entscheiden: 50% der ehemaligen Zugfahrgäste auf's Auto schicken oder eben doch hochdefizitären Zugbetrieb aufrecht erhalten, zum Wohle der Umwelt? Denn ob eine schlecht ausgelastete Strecke umweltfeindlicher ist als wenn diese ganzen Leute jeder mit einem eigenen Auto fahren. Weiterhin sollte man nicht außer Acht lassen, dass diese Leute dem SPNV/ÖPNV dann wohl ganz fernbleiben, denn wer einmal im Auto sitzt...
Nicht überall ist es so stressig mit dem Auto unterwegs zu sein wie in München, gerade im Osten ist es teilweise halb so schnell und doppelt so entspannt. Ist halt immer eine schwierige Entscheidung, doch ich bin dann doch meistens für die Bahn, bin eben eher für schienengebundene Verkehrsmittel :)
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Beitrag von Fichtenmoped »

Hmmm... Das könnte ein schöner Flamewar werden!

Es gibt Studien, wonach die Leute lieber mit dem Zug fahren, als mit dem Bus und dafür weitere Strecken zurücklegen.
In der Studie war die Rede, dass die Leute bereit seien bis zur nächsten Bushaltestelle nur 250m und bis zum nächsten Bahnhaltepunkt 2km zurückzulegen... Ich finde die Studie leider nicht mehr. :(

Endeffekt: Die Bevölkerung sieht die Eisenbahn als das "höherwertige" Beförderungsmittel an, aber der Bus hat auch seine Daseinsberechtigung als "Zubringer".

Früher wurde gerne so ein "Paralellverkehr" von Bus und Schiene durchgeführt, damit die Bahnstrecke unrentabel wird, dazu mit entsprechenden Maßnahmen, wie Fahrplanausdünnung ("Nachfrageoptimierung") und Investitionsstau. Beispiele gibts viele, leider mehr erfolgreiche als erfolglose!
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Beitrag von Bayernlover »

Fichtenmoped @ 16 Sep 2010, 21:59 hat geschrieben: In der Studie war die Rede, dass die Leute bereit seien bis zur nächsten Bushaltestelle nur 250m und bis zum nächsten Bahnhaltepunkt 2km zurückzulegen... Ich finde die Studie leider nicht mehr. :(
Also ich kenne Zahlen aus dem Dresdner Stadtbereich: Bus 300m, Tram 400m und Zug/S-Bahn 1000m. Wobei ich keinen Kilometer zum nächsten Bahnhof laufen würde.
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ICE-T-Fan
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Beitrag von ICE-T-Fan »

Bayernlover @ 16 Sep 2010, 22:02 hat geschrieben: Also ich kenne Zahlen aus dem Dresdner Stadtbereich: Bus 300m, Tram 400m und Zug/S-Bahn 1000m. Wobei ich keinen Kilometer zum nächsten Bahnhof laufen würde.
Was soll ich da erst sagen?

Ich und meine Mutter/Oma wohnen in einem Dorf von 15 Häusern und 90 Einwohner und der nächste (mittlerweile stillgelegte) Bahnhof liegt über 5 km entfernt. Der nächstgelegene noch aktive Bahnhof liegt 23 km entfernt.

Ich würde nicht 5 km zu Fuß laufen oder mit dem Fahrrad fahren, nur um dann die Eisenbahn zu benutzen, schon gar nicht, wenn ich eine weite Strecke zurücklegen muss und es auf die Reisezeit ankommt. Da bin ich ja bald länger zu Fuß unterwegs als mit der Bahn ;)

Nee, auf dem Land ist der Buslinienverkehr nahezu alternativlos. Über Sinn oder Unsinn von Bus- gegen Bahnverkehr ließe sich nur auf Relationen zwischen größeren Gemeinden und Kleinstädten wie Vacha-Bad Salzungen, Friedrichroda-Fröttstädt, Baad Hersfeld-Philppsthal streiten.
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Taschenschieber

Beitrag von Taschenschieber »

ÖPNV, SPNV, wo ist der Unterschied? Bei der U-Bahn ist ein persönlicher Kontakt halt genauso wenig normal wie bei der "großen" Bahn.

Den meisten Fahrgästen dürfte es einfach egal sein.

Zum Bahnhof in einem Kilometer Entfernung kann man aber auch die Straßenbahn oder den Bus nehmen (zumindest im Normalfall). Ich bin früher™ auf dem Dorf aber auch (laut Google Maps) 2 Kilometer zum Bahnhof gelatscht, jedes Mal, wenn ich wo hin wollte. Das sind vielleicht zwanzig bis dreißig Minuten zu Fuß, weniger dramatisch als es klingt also - zum täglichen Pendeln kommt man ums Auto damit aber leider nicht mehr drumrum.
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Beitrag von ruhri »

Eine vernünftige Mischung aus Bus, Straßen-/Stadtbahn, S-Bahn, Regional- und Fernschienenverkehr muss Ziel der Stadtplaner sein. Busse sollten daher Haltepunkte anlaufen, und zwar sowohl des kommunalen Schienenverkehrs wie der "großen" Eisenbahn. Parallelverkehr kann dabei insofern sinnvoll sein, als der Bus für eine Feinerschließung sorgt. Wenn eine Regionalbahn und ein Regionalbus beide von A nach B fahren und die Bahn vielleicht 10 Minuten braucht und der Bus 40-50, dabei aber jede Menge Ortschaften und Haltestellen abklappert, so erscheint mir das absolut sinnvoll. Wer über diese Strecke hinaus zur Stadt C fahren will, wird mit dem Bus zum nächstgelegenen Bahnhof fahren und dort in den Zug wechseln.

Übrigens muss man ja in manchen Gegenden sogar noch weiter hinunterbrechen. In meinem aktuellen Autoclubmagazin gab es einen Artikel über Bürgerbusse. Dieses werden ehrenamtlich dort betrieben, wo sich ein regulärer Busverkehr nicht lohnt. Er nimmt aber (in der Regel) keinem Verkehrsunternehmen Kundschaft und Einnahmen weg, sondern sorgt gerade im Gegenteil für vollere Linienbusse und höhere Fahrgeldeinnahmen, da der Bürgerbus eben als Zubringer dient.
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Beitrag von ICE-T-Fan »

Taschenschieber @ 16 Sep 2010, 23:08 hat geschrieben: ÖPNV, SPNV, wo ist der Unterschied? Bei der U-Bahn ist ein persönlicher Kontakt halt genauso wenig normal wie bei der "großen" Bahn.

Den meisten Fahrgästen dürfte es einfach egal sein.

Zum Bahnhof in einem Kilometer Entfernung kann man aber auch die Straßenbahn oder den Bus nehmen (zumindest im Normalfall). Ich bin früher™ auf dem Dorf aber auch (laut Google Maps) 2 Kilometer zum Bahnhof gelatscht, jedes Mal, wenn ich wo hin wollte. Das sind vielleicht zwanzig bis dreißig Minuten zu Fuß, weniger dramatisch als es klingt also - zum täglichen Pendeln kommt man ums Auto damit aber leider nicht mehr drumrum.
Bei mir sind es halt aktuell nicht mehr Minimum 5 km sondern schon 23, weil halt die Strecke nach Vacha still gelegt wurde.

Wenn ich schon 23 km mit dem Bus fahre, kann ich auch gleich mit dem Bus nach Fulda oder Eisenach fahren (beides dauert etwa 1 1/4 Stunden). Einziger Nachteil des Busverkehr ist halt die geringe Anzahl an Fahrten pro Tag.
Nach Fulda oder Eisenach gibt es nur eine Direktverbindung, Vacha ab 6:55 Uhr (nach Eisenach) und ab 7:40 Uhr (nach Fulda).
Darüber hinaus gibt es keine weitere direkte Anbindung.

Zur Kreisstadt Bad Salzungen komme ich von mir aus in einem annähernden 2h-Takt, aber mit verschiedenen Laufwegen.

Ich würde mich sicherlich über die Reaktivierung der Bahnstrecke Vacha-Bad Salzungen freuen, aber die Auslastung wäre dank der parallelen und kostengünstigeren Bus-Linie 100 aber ziemlich gering. Und der Landkreis wird sich unterstehen diese Busverbindung abzubestellen, weil sie auch Dörfer anbindet, die sonst gar keinen Verkehr mehr hätten.
Gruß Markus aus Eisenach,
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Autobahn
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Beitrag von Autobahn »

Ich bin da eigentlich sehr pragmatisch. In dicht besiedelten Gebieten dient der Bus der Feinerschließung und als Zubringer zur Bahn. In ländlichen Gegenden muss er sie bis zu einem gewissen Grad komplett ersetzen, wenn man nicht nur heiße Luft transportieren will.

Man muss schon weit in die Geschichte des Verkehrswesens in Deutschland zurück blicken, will man die einst gebauten Nebenstrecken im ländlichen Raum verstehen. Damals waren sie die einzige Möglichkeit, größere Enfternungen zurück zu legen. Und damals nahm man auch längere Fußwege zu den Bahnhöfen in Kauf – es gab ja keine anderen Möglichkeiten. Ob aber die oben genannten Entfernungen von 1.000 bzw. 2.000 Metern als Fußweg zum Bahnhof tatsächlich in der heutigen Zeit noch akzeptiert werden, kann ich mir nicht vorstellen, erst Recht, wenn die Wege länger sind. Da wird man wohl mindestens das Fahrrad als Zubringer nutzen. Ober man setzt sich gleich ins Auto und fährt durch. Dies düfte der Hauptgrund für den Niedergang der Bahn auf den Nebenstrecken gewesen sein.

Interessant ist sind auch die in dem verlinkten Artikel aufgeführten Zahlen zum Bau und Unterhalt von Eisenbahnstrecken und Straßen. So kostet der Unterhalt eines Kilometers Schiene 312.000 € pro Jahr, ein Kilometer Fernstraße hingegen nur 203.000 €. Den Ausgaben für die Schiene stehen aber weniger als 150.000 € an Einnahmen gegenüber, während ein Kilometer Fernstraße Einnahmen von fast 1.300.000 generiert.

Allerdings sind in diesen Zahlen die Kosten für Unfälle und Staus etc. nicht enthalten. Diese gehen aber auch nicht zu Lasten der Etats für die Infrastruktur und werden in der Regel von Dritten getragen.

Viel wichtiger und daher interessanter halte ich die Fehlentwicklung bei der Infrastrukturplanung im Bereich des Güterverkehrs. Aber das ist ja hier nicht das Thema.
Der Kapitalismus ist so alt wie die Menschheit, der Sozialismus ist nur Siebzig geworden. Er hatte keine Krise, er hatte kein Kapital.
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