Benutzung und Gefahren beim ÖV - wie aufklären?

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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Nachdem es ja in diesem Thread jetzt schon eher darum geht, woran es liegt, dass so etwas vorkommt und mögliche Ideen, das Problem in den Griff zu bekommen, mache ich mal ein offiziellen Thread dazu auf. Besonders die Geschichte von Martin hat mich durchaus etwas geschockt, ich hätte schon erwartet, dass es in jeder Klasse zumindest einen gibt, der informiert genug ist, so etwas nicht zu machen und die anderen davon abhält.
Dass es von Lehrerseite her oftmals zu Pleiten, Pech und Pannen bei der Nutzung des ÖV kommt, ist mir nur allzu gut bekannt...
Um mal einige Beispiele zu nennen:
Meine Erfahrung ist, dass Lehrer meistens ziemlich ahnungslos sind, was Verbindungen angeht. So habe ich bereits in der Grundschule die Lehrerin über die beste Verbindung bei Ausflügen aufgeklärt.
Bei der Rückfahrt von Oberstdorf nach München standen wir am Bahnhof und mussten feststellen, dass der ALEX nur alle 2h und nicht stündlich fährt- dabei hatte die Lehrerin noch am Vortag an ihrem Laptop die Verbindungen rausgesucht. Sie selbst ist übrigens mit dem Auto hingefahren.
In der 6. ist mal eine Schülerin bei der S-Bahn draußen geblieben, weil die Lehrerin besonders gemütlich gegangen ist und wir dann am Rosenheimer Pl. an der Oberfläche festgestellt haben, dass unsere S-Bahn in 1 Min. abfährt.
Bilanz nach 6 Tagen Rom:
-1 Schülerin, die beim Bus draußen geblieben ist
-Beinahe verpasster Zug, weil die Benutzung der Fahrkartenautomaten eine nicht zu bewältigende Herausforderung war
-Beinahe verpasster Regionalbus, weil sich jemand auf dem Weg vom Strand zur Bushaltestelle verlaufen hat
-1x Bus in die falsche Richtung genommen
-1x kollektives Schwarzfahren, weil die Lehrer nicht wussten, dass der Busfahrer keine Fahrkarten verkauft
-15 Min. in einem Zug auf Gleis 1 gesessen und auf die Abfahrt gewartet, obwohl auf dem ZZA "Prossima partenza Bin. 2" stand

Die Liste lässt sich beliebig erweitern...

Interessant fand ich auch, dass selbst in den höheren Klassen (9. aufwärts) das Wissen über ÖPNV-Verbindungen in München offensichtlich bei einigen nicht über den täglichen Weg zur Schule hinausging. So war es für einige eine große Herausforderung, von der Innenstadt nach Hause zu finden.
Besonders bemerkenswert ist vielleicht auch noch, dass ich immer in sehr überraschte Gesichter geblickt habe, wenn ich erklärt habe, dass die ominöse Plastikleiste nicht nur dazu da ist, um draufzukleben, wo der Kurzzug hält...


Was könnte man tun, um die Situation verbessern?
Wenn ich mir die Reaktionen der Eltern so ansehe, weil ihre Kinder nicht in der Tram rumturnen dürfen ist doof der falsche Ausdruck. Arrogant wäre das gesuchte Wort.
Die gibt es leider immer. Vielleicht wäre es hilfreich, in so einer Situation nicht nur zu sagen: "Nicht rumturnen", weil dann heißts wieder, die Trambahnfahrer sind so unfreundlich, sondern kurz zu erklären, warum es gefährlich ist "Wenn ich stark bremsen muss, kann das zu gefährlichen Verletzungen bei deinem Kind führen". Ich könnte mit vorstelllen, dass man sich so eher Gehör bei Eltern verschaffen kann, aber ich kann dich andernseits auch wieder gut verstehen, weil über das Verhalten mancher kann ich auch nur den Kopf schütteln.
oder wenn Kinder und Jugendliche es partout nicht verstehen wollen.
Da hilft natürlich nichts dagegen, aber Gefahren, die man nicht kennt, kann man auch nicht erkennen.

In der 5. hatte jede Klasse 3 Tage MobiRace, eine sehr gute Idee, finde ich. Damals hat man einen kurzen Überblick über die verschiedenen Verkehrsmittel bekommen, über Sicherheit und Verhaltensregeln gesprochen und wurde auch in Grundzügen über Tarif aufgeklärt. Am 3. Tag wurde die Klasse dann in Kleingruppen aufgeteilt und hat einige Orte bekommen, zu denen man fahren musste, um diverse Informationen zu bekommen. Dabei musste jede Gruppe ihre Fahrt mit dem ÖPNV planen. Das war wirklich bitter nötig, denn scheinbar hat ein Großteil der Klasse an diesem Tag zum ersten mal in ihrem Leben einen Netzplan benutzt.

So etwas sollte in jeder 5. Klasse bundesweit durchgeführt werden, denn wer noch nie Bahn gefahren ist, weiß natürlich auch nicht, wie man sich zu verhalten hat. Ich würde in den 2 Tagen erläutern, wie finde ich heraus, um wie viel Uhr mein Verkehrsmittel fährt, wie man eine Fahrkarte kauft, welche Gefahren es an Bahnanlagen gibt (z.B. warum darf man nicht über die Gleise laufen, wofür ist die weiße Linie auf dem Bahnsteig), wie funktionieren Sicherheitseinrichtungen und wie verhält man sich im Notfall und auf Konsequenzen von Schwarzfahren oder mutwilliger Beschädigung hinweisen. Am 3. Tag sollte es auf jeden Fall eine praktische Übung geben, damit jeder 5.Klässler zumindest mal einen Zug und Bus von innen gesehen hat.

Ich könnte mir vorstellen, dass solche Informationstage dazu beitragen können, zumindest Unfälle aus Unwissenheit erheblich zu reduzieren. Natürlich kann man damit niemanden abhalten, der unbedingt seine Fotos auf Gleisen machen will, aber es wäre meiner Ansicht nach ein erster Schritt.
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Mark8031
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Beitrag von Mark8031 »

Entenfang @ 30 Jul 2013, 11:23 hat geschrieben: Was könnte man tun, um die Situation verbessern?
Die Benutzung des Hirns gesetzlich vorschreiben.
Diese Menschen, die in einem Eisenbahnforum pro Auto argumentieren und in ihrer Kleinsichtigkeit ständig für das Auto Werbung machen, finde ich hier schon etwas deplaziert.
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TramBahnFreak
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Beitrag von TramBahnFreak »

Entenfang @ 30 Jul 2013, 11:23 hat geschrieben:Die gibt es leider immer. Vielleicht wäre es hilfreich, in so einer Situation nicht nur zu sagen: "Nicht rumturnen", weil dann heißts wieder, die Trambahnfahrer sind so unfreundlich, sondern kurz zu erklären, warum es gefährlich ist "Wenn ich stark bremsen muss, kann das zu gefährlichen Verletzungen bei deinem Kind führen". Ich könnte mit vorstelllen, dass man sich so eher Gehör bei Eltern verschaffen kann, aber ich kann dich andernseits auch wieder gut verstehen, weil über das Verhalten mancher kann ich auch nur den Kopf schütteln.
Bessere Variante: Jeder, der in Bus oder Tram zu Turnen anfängt, hat anscheinend überschüssige Energie, die sinnvoller genutzt werden kann, indem man ihm eine Flasche Glasreiniger und einen Packen Papier-Handtücher in die Hand drückt, mit den Worten "Haste zu viel Energie? Hier! Bis [beliebige Haltestelle einfügen] sind die 3 Fenster hier sauber. :D "
andreas
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Beitrag von andreas »

Im Prinzip hat Smirne schon alles gesagt. Jeder hat (hatte) Eltern, die ihm das beibringen sollten, haben sie das nicht, Pech gehabt, man kann nicht alles auf die Lehrer abschieben.
DumbShitAward
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Beitrag von DumbShitAward »

Um das mal von Lehrerseite zu beschreiben:

Gewiss, es gibt einen Haufen Kollegen, die eine Tram nicht von einem ICE unterscheiden können und viele können außer den Vokabeln "Bayernticket" und vielleicht noch "Gruppenticket" in der Hinsicht rein gar nichts. Lustigerweise lässt sich das nicht an einem bestimmten Typus festmachen (z.B. lebensunfähiger Naturwissenschaftler, nach A15 besoldeter Tattergreis, Referendar, usw.), das zieht sich quer durch alle Fächer und Dienstgrade. Ich frage mich aber ob das im Bevölkerungsquerschnitt so viel anders ist - natürlich sollte man davon ausgehen können, dass man im Laufe seines Lehrerdaseins sich mehr als nur ein Mal mit dem Tarifsystem auseinandergesetzt hat. In der Praxis aber läuft das so, dass es im Kollegium 2-3 Leute gibt, die glauben Ahnung von der Materie zu haben und dann irgendetwas total veraltetes Erzählen, was dann als Evangelikum betrachtet wird. Letztendlich läuft es dann doch so ab, dass die Leute zum Schalter tigern und dort irgendeinen Krampf auf's Auge gedrückt bekommen. Ab und an findet man den einen Lehrer im Kollegium, der wirklich versteht um was es geht, der wird dann aber nicht gefragt, weil der das dann a) einen nach dem Motto: "Bist du zu doof zum Bahnfahren? Wer hat dich denn unangeleint vor die Tür gelassen?" anschaut und b) man nicht verstehen will, was der einem erzählt, auch wenns objektiv korrekt und auch verständlich war.

Sarkasmus bei Seite.

Im alltäglichen Betrieb ist das so eine Sache. Ich maße mir jetzt einfach mal an das Tarifsystem weitestgehend zu verstehen und dennoch passieren in der Praxis teils haarsträubende Fehler. Mit Schülern ÖV zu benutzen ist brutaler Stress, sind denn alle da, macht keiner was total verrücktes, wo sind die Hanswursten mit den Fahrscheinen, steigen alle in den richtigen Zug ein, man wird von allen Seiten bequasselt und Fremdschämen für das Verhalten ist ohnehin immer dabei. Dass man da mal ganz schnell in die falsche Richtung einsteigen kann, dürfte offensichtlich sein. Man will selbstverständlich, dass sich die Schüler vernünftig aufführen, nur wenn man den einen Brandherd gelöscht hat, flammen hinter einem drei neue auf und ich spreche hier nicht von Haupt- und Grundschulen sondern Realschulen und Gymnasien. Sobald man 20-30 Leute dabei hat wirds einfach chaotisch.

Das gilt aber nicht nur für Schülergruppen, das genau gleiche Verhalten kann man bei fast allen Gruppen beobachten, sei es der Betriebsausflug, die Rentnerreisegruppe oder der Sportverein. Sobald der Mensch in einer Gruppe ist, wirds Hirn aus Gründen des Gewichtsersparnis zu Hause gelassen.


Was man in der Schule machen könnte ist eine andere Sache. Was Entenfang da vom "MobiRace" erzählt (hast du da mehr Informationen?) klingt durchaus interessant und sinnvoll. Ist halt eine Frage wie das durchgezogen wird, ich erinnere mich mit Grauen an die 7. Klasse. An meiner Schule gab es einen Lehrer, der in Vertretungsstunden versuchte den Schülern das "Fahrplanlesen" beizubringen - das der Typ sowieso noch etwas "eigen" und kurzum eine arme Sau (retrospektiv, insbesondere nachdem ich ihn vor einigen Wochen beim Klassentreffen wieder gesehen habe aber eigentlich ein echt netter Kerl), hilft also nicht. Wir haben uns damals (vermeintlich) alle gefragt, ob der uns eigentlich auf den Arm nehmen will, wer sei denn so blöd und könne mit 13/14 keinen Fahrplan lesen. Vielleicht wars damals™ anders, wahrscheinlicher ist aber, dass es diejenigen, die es nicht konnten nicht zugeben wollten.



Zum Thema Sicherheit: ich glaube den meisten Leuten ist durchaus klar, dass ein Zug nicht wie ein Auto anhalten kann. Man geht aber bei den Harakiriaktionen auf den Gleisen grundsätzlich davon aus, dass einfach kein Zug kommt... und um das aus den Köpfen zu bringen braucht es mehr als nur mantraartiges Wiederholen der potenziellen Gefahr. Das ist wie beim Grillanzünden mit Alkohol: bei korrekter Handhabung völlig harmlos, wenn man aber einen kleinen Fehler macht sind die Konsequenzen höllisch.
Lektion 73 in unserer Serie "Rechtsstaat für Anfänger", heute: §81 StGB

Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Mit Schülern ÖV zu benutzen ist brutaler Stress
Das will ich gar nicht bestreiten. Nur wenn man sich dann als Lehrer auch noch nicht auskennt, wirds halt wirklich problematisch.
Was man in der Schule machen könnte ist eine andere Sache.  Was Entenfang da vom "MobiRace" erzählt (hast du da mehr Informationen?) klingt durchaus interessant und sinnvoll
Das wird nicht von den Lehrern geleitet, da kommen Leute von der MVG. Jeder bekommt ein Heft (erhältlich unter Materialien > MobiRace Schulheft) Da kannst du ziemlich genau nachvollziehen, was man in den 2 Tagen bespricht. Zusätzlich dazu gibt es noch Arbeitsblätter. Am 3. Tag hat jede Kleingruppe einen Zettel bekommen, wo Fragen zu bestimmten Orten in Zentrumsnähe draufstanden (*grübel erinner* z.B. hatte unsere Gruppe eine Frage zum Nationaltheater und zu irgendwelchen Piktogrammen in der Tram) Jede Gruppe bekommt einen Verkehrslinienplan Stadt und muss dann die Route mit dem ÖPNV planen. Das wird dann von einem Mitarbeiter der MVG überprüft und wenn für gut befunden, darf die Gruppe losfahren. Ich erinnere mich heute noch an den Blick der Mitarbeiterin, als ich die fertige Route unserer Gruppe nach weniger als 5 Min. präsentiert habe...
Mehr Informationen bei der MVG
Ist halt eine Frage wie das durchgezogen wird, ich erinnere mich mit Grauen an die 7. Klasse.  An meiner Schule gab es einen Lehrer, der in Vertretungsstunden versuchte den Schülern das "Fahrplanlesen" beizubringen
Natürlich gab es auch Leute, die nicht zugehört haben und die nur Blödsinn gemacht haben, wie halt im normalen Unterricht auch. Aber wenigstens diejenigen, die es interessiert, nehmen bestimmt etwas davon mit.
Wir haben uns damals (vermeintlich) alle gefragt, ob der uns eigentlich auf den Arm nehmen will, wer sei denn so blöd und könne mit 13/14 keinen Fahrplan lesen.  Vielleicht wars damals™ anders, wahrscheinlicher ist aber, dass es diejenigen, die es nicht konnten nicht zugeben wollten.
Also meine Erfahrung in der 5. Klasse war, dass die meisten noch nie einen Netzplan benutzt haben und viele Informationen neu waren.
Bessere Variante: Jeder, der in Bus oder Tram zu Turnen anfängt, hat anscheinend überschüssige Energie, die sinnvoller genutzt werden kann, indem man ihm eine Flasche Glasreiniger und einen Packen Papier-Handtücher in die Hand drückt, mit den Worten "Haste zu viel Energie? Hier! Bis [beliebige Haltestelle einfügen] sind die 3 Fenster hier sauber. :D
Das gefällt mir. :D
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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TramBahnFreak
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Beitrag von TramBahnFreak »

Entenfang @ 1 Aug 2013, 14:28 hat geschrieben: Das gefällt mir. :D
Schade, dass der betreffende Fahrer den Beruf gewechselt hat... :(
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