Ein Tagesausflug mit dem Zug von München nach Görlitz und zurück – das ist verrückt. Also genau richtig für mich. Zunächst ein paar Fakten:
München Hbf ab 06:09 Uhr, Görlitz an 13:27 Uhr
Görlitz ab 16:25 Uhr, München Hbf an 23:55 Uhr
Dabei habe ich folgende Zeit (gerechnet mit Plan-Zeiten, Ist-Zeiten weichen geringfügig ab) beziehungsweise Strecke in folgenden Fahrzeugbaureihen verbracht:
ICE 1: 2 Stunden 41 Minuten, 340 km (München-Nürnberg, Nürnberg-München)
612: 9 Stunden 49 Minuten, 888 km (Nürnberg-Dresden, Görlitz-Dresden, Dresden-Nürnberg)
642 (Desiro): 1 Stunde 18 Minuten, 106 km (Dresden-Görlitz)
Beim Umsteigen in Nürnberg trabe ich gemütlich durch die Unterführung von Gleis 7 zu Gleis 17. Ja, da steht was von Dresden am Zugzielanzeiger, und da ist ein weißes Text-Laufband. Der Lauftext verkündet die erste Zugteilung in Hersbruck, er verkündet, dass ein Zugteil in Pegnitz stehen bleibt, er verkündet, dass wer von Pegnitz nicht Richtung Dresden, sondern nach Bayreuth will, heute in Pegnitz auf den Bus umsteigen muss, und er verkündet, dass das Ganze heute auf Gleis 21 stattfindet. Man muss sich also etwa zwei Minuten Lauftext wirklich antun, um beiläufig zu erfahren, dass man heute am falschen Gleis steht. Wie viele Leute das wohl bis zur Abfahrt nicht mehr mitbekommen haben?
Bis Görlitz verläuft die Fahrt einschließlich Umsteigen in Dresden unspektakulär. In Hersbruck rechts der Pegnitz ist der Ausstieg laut Durchsage in Fahrtrichtung links; eine kurze Recherche in der Stationsdatenbank der BEG ergibt, in Hersbruck links der Pegnitz wäre der Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Hof mit Oberleitung – ungewohnt, wenn man es nur anders kennt. Die von unten betrachtet imposante Göltzschtalbrücke bei Reichenbach, die größte Ziegelsteinbrücke der Welt, ist wenn man drüber fährt auch nur eine Brücke von vielen.
In Görlitz angekommen mache ich mich zunächst zu Fuß auf den direkten Weg Richtung „Brücke der Freundschaft“ am Stadtpark, rüber über die offene Grenze nach Polen, um entlang des „drüberen“ Neiße-Ufers bis zum Viadukt der Bahnstrecke Dresden-Breslau zu spazieren, das sich majestätisch über der Neiße erhebt, aber ziemlich unfotogen eingewachsen ist. Unterhalb des Viadukts befand sich bis kurz vor Ende des 2. Weltkriegs eine Fußgängerbrücke, deren stählerne Stützen noch heute auf einer Insel in der Neiße zu sehen sind. Mangels weiterer Brücken in der Nähe geht es auf dem selben Weg nach Sachsen zurück, wie ich es kurz zuvor verlassen habe. Statt zum Bahnhof gehe ich in die Innenstadt. Hier sind die Gebäude weitgehend restauriert. Aber sobald man das Zentrum nur ein paar Meter verlässt, steht augenscheinlich durchschnittlich etwa jedes zweite Wohngebäude leer.
Ich habe noch eine Stunde und zwanzig Minuten, bis mein Zug zurück fährt, möchte aber noch zu einem Lost Place am anderen Ende der Stadt in Biesnitz am Fuße eines Hügels, der auf den Namen „Landeskrone“ hört. Da die Trambahn nur alle 20 Minuten fährt, investiere ich ausnahmsweise 13 € in ein Taxi für den Hinweg und nehme nur danach zurück zum Bahnhof einen der CKD Tatra KT4D-C aus DDR-Zeiten, die auf den Strecken der Görlitzer Trambahn ihre Runden drehen. Zu meinem dortigen Ziel nur so viel: Urwaldartiges Gestrüpp, viele Mücken, und zu wenig Zeit, um die Gebäude näher in Augenschein zu nehmen, erwarten mich.
Am Bahnhof ergänze ich meine Getränke- und Essensvorräte. Zu Fuß gelaufen bin ich unterm Strich humane 8 km, was in Anbetracht des Wetters, schwülwarme 34° C, auch schon schweißtreibend genug ist. Glücklicherweise hatte ich in der Früh noch daran gedacht, ein frisches Oberteil einzupacken, und kann so mein nasses T-Shirt im Rucksack versenken. Und sogar eine Waschgelegenheit gibt es in Görlitz am Bahnsteig. Im 612er gewöhne ich mich rasch an die angenehme, um gut 15° C unter der Gewitterluft draußen liegende Temperatur.
Zurück geht es (fast) pünktlich gut voran – bis kurz hinter Hof. Eine wegen Sturmwarnung auf 80 km/h reduzierte Geschwindigkeit zwischen Oberkotzau und Wunsiedel-Holenbrunn sowie eine Bahnübergangsstörung in Kirchenlamitz-Ost führen zu einer Verspätung von 15 Minuten in Marktredwitz. Meinen 16-Minuten-Anschluss in Nürnberg sehe ich schon dahin schwimmen. Doch das Zugpersonal gibt wirklich sein bestes, die Verspätung wird rasch aufgeholt. +13 in Kirchenlaibach, +10 in Pegnitz, +9 in Neuhaus – mein Anschlusszug hat übrigens inzwischen +10, +6 in Hersbruck, und Nürnberg erreiche ich sogar exakt pünktlich. Da der ICE 885 inzwischen mit +12 unterwegs ist, habe ich nun 28 Minuten Zeit für die wenigen Meter von Gleis 17 zu Gleis 9. Ich widerstehe der Verlockung, in den kurz vor meinem Zug am Gleis gegenüber einfahrenden ICE 1615, der ebenfalls nach München fährt und wegen seiner rund 100 Minuten Verspätung erst jetzt in Nürnberg eintrifft, einzusteigen, da ich heute ein Ticket mit Zugbindung habe, und da dieser außerdem nicht den direkten Weg nimmt, sondern den Umweg über Augsburg.
„Mein“ 885, in dessen Bord-Restaurant leider das Essen bereits ausverkauft ist, erkundet auf dem Weg nach München dann einige Male die linke Seite des stählernen Schienenweges, sowohl zwischen Kinding und Ingolstadt als auch noch zwei oder drei Mal in der Baustelle ab Ingolstadt. Trotz der Gleiswechsel ist der Fahrplan derzeit offenbar mit reichlich Luft gestrickt, denn bis München ist auch diese Verspätung herausgefahren und ich erreiche den heimischen Hauptbahnhof pünktlich um 23:55 Uhr. Daheim gibt es dann erst eine warme Dusche und dann ein warmes Essen mit einem schönen Glas Rotwein dazu, bevor es nach diesem schön-verrückten Tagesausflug um 01:36 Uhr ins Bett geht.
28.07.2014, Tagesausflug nach Görlitz/Zgorzelec
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