Irgendwie überzeugt mich der Artikel nicht so ganz. Was der Autor zu Recht kritisiert, ist die Abschaffung von Direktverbindungen zugunsten von Rennstrecken - man sieht es mal wieder an der Abschaffung des Vindobona zugunsten vom CD-Railjet zwischen Wien und Prag, der auf dieser Strecke die Fahrzeit um weniger als 30 Minuten reduziert. Aber neue HGV-Trassen sind nicht der ausschließliche Grund für Einstellungen von internationalen Verbindungen, denn in Osteuropa (dieser Teil Europas wird im Artikel komplett vernachlässigt) gibt es jedes Jahr weniger internationale Züge ganz ohne HGV. Ich sehe hier eher das Problem in der Zuständigkeit. Wenn ein Schlafwagen von Berlin nach Istanbul fahren soll, müssen DB, CD, ZSSK, MAV, CFR, BDZ und TCDD mitspielen und noch diverse Vorschriften beachtet, Grenzkontrollen und Lokwechsel durchgeführt werden. Wenn ein Busunternehmer oder ein Autofahrer die Strecke fährt, hat er fast durchgehend Autobahn und muss im schlimmsten Fall an der türkischen Grenze einmal anhalten. Klar, dass die Bahn hier keine Chance hat. Hier wäre es an der Zeit, die Prioritäten anders zu setzen und auch die "langsamen" Strecken auszubauen und zu beschleunigen und die Autobahnen etwas hintenanzustellen, zumal der Ausbau abgesehen von Rumänien und Bulgarien eh schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Außerdem ist die Bahnreform begonnen aber nie beendet worden. Das 4. Eisenbahnpaket sollte ja eigentlich den (internationalen) SPFV stärken. Es wäre an der Zeit, hier entsprechende politische Vorgaben zu machen, um einerseits die Zuständigkeit und anderseits die Zulassungen zu vereinfachen.
Dazu kommen noch diverse steuerliche Benachteiligungen. Fernbusse zahlen in Deutschland genau wie PKW (noch) keine Maut, internationale Flugzeugtickets sind EU-weit von der MwSt befreit, während in vielen Ländern (auch Deutschland) auf Bahnfahrkarten MwSt erhoben wird. Außerdem ist Flugzeugtreibstoff für internationale Flüge in Deutschland steuerfrei.
Dass der HGV die Bahn so teuer und damit für Otto Normalverbraucher zu unattraktiv gemacht hat, finde ich schwierig nachzuweisen. Denn wie sich die Preise ohne HGV entwickelt hätten, weiß schließlich niemand. Der Tarifdschungel ist wohl kaum als Folge des HGV zu sehen. Und die Sparpreise können Bahnfahren auch erheblich verbilligen. Im Bahnhof von Sarajevo habe ich mal eine Tabelle gesehen, wie viel eine Bahnfahrt zu verschiedenen Orten kostet. Sarajevo-Hamburg hätte etwa 200€ gekostet (Stand Sommer 2012, grober Erinerungswert), während dieselbe Strecke mit Europaspezial Kroatien und einer weiteren Fahrkarte für Bosnien deutlich günstiger zu bekommen wäre.
Und in Osteuropa, wo es nahezu keinen HGV gibt und Bahnfahren noch richtig günstig ist, unterscheidet sich der Modal Split (bezogen auf die Verkehrsleistung, inkl. Stadtverkehr) kaum von dem in Westeuropa.
(Quelle:
Statistical Pocketbook der EU 2013, S.25)
Anzuprangern, dass der HGV neuen Verkehr induziert und damit schlecht für den Energieverbrauch ist, finde ich nicht richtig. Es stimmt zwar, dass neue HGV-Trassen auch neuen Verkehr induzieren. Aber jedes attraktive Verkehrsangebot hat diese Wirkung. Wie auch an den Fernbussen zu erkennen ist, setzen sich die Fahrgäste aus verschiedenen Gruppen zusammen. Manche sind vorher mit dem Auto gefahren, manche mit der Bahn und manche sind vorher eben gar nicht gefahren. Das ist auch induzierter Verkehr.
Trotz aller berechtigter Kritik am Zustand des europäischen Bahnnetzes finde ich die Entwicklung des HGV gut und richtig. Denn Verkehrsmittelwahlkriterium Nr. 1 ist und bleibt die Reisezeit - und da kann man mit HGV sehr wohl punkten. Entscheidend wäre aber eine Minimierung der komplexen Reisezeit - also inkl. Vor- und Nachlauf. So gut z.B. das französische HGV-Netz ist, finde ich die TGV-Bahnhöfe abseits jeder Bebauung eine absolute Katastrophe. Denn der mit extrem hohem Energieverbrauch erkaufte Zeitgewinn ist durch langen Vor- und Nachlauf zunichte gemacht. Die deutsche Variante mit Zeitverlust durch langsame Bahnhofseinfahrten finde ich da deutlich besser, auch wenn die Fahrzeit im ICE dadurch steigt. Hier wäre aber auch noch viel Luft nach oben, indem man beispielsweise die Zulaufstrecken entsprechend ausbaut, um eine Entmischung von schnellem und langsamen Verkehr zu erzielen. Dann könnte man nämlich auch die Fahrzeitpuffer reduzieren, weil die Strecke nicht mehr so störanfällig ist.
Von der KRM auf diese Art halte ich auch relativ wenig. Ich habe mal aufgeschnappt, dass die Baukosten pro km im Vergleich zu Hannover-Würzburg (ca. 40% Tunnel oder Brücke) etwa ein Drittel niedriger waren. Das halte ich für eine Milchmädchenrechnung, denn der Nutzen ist ja auch wesentlich geringer, wenn man die Streccke nur mit einer einzigen Zuggattung überhaupt benutzen kann. Auf einer KRM mit 12,5%o Längsneigung hätte man statt ICE einen RE analog zur NIM für die Unterwegshalte einführen können und nachts die durch den GV lärmgeplagten Anwohner im Rheintal erheblich entlasten können. Dass neue SFS die Bestandsstrecke vom HGV abhängen, lasse ich so nicht gelten. Denn auf den Bestandsstrecken findet kein HGV statt und Orte wie Lichtenfeld, Saalfeld und Co. sind meiner Meinung nach einfach keine ICE-Halte. Viel besser wäre es, man würde auf den Bestandsstrecken IR oder IC einführen, die dann an den großen Knotenbahnhöfen Anschluss zum HGV hätten.
Insofern würde ich sagen, im Artikel werden einige Probleme des Systems Bahn genannt. Aber die Ursache aller Probleme im HGV zu suchen, halte ich für sehr gewagt.