Entenfang @ 10 May 2017, 19:16 hat geschrieben:Na da muss ich gleich mal antworten, weil im verlinkten Artikel vom Knotenpunkt Bf Mitte (Dresden) die Rede ist.
Bitte gerne
Entenfang @ 10 May 2017, 19:16 hat geschrieben:Auf einer Sonderfahrt zum Thema LSA-Steuerungen der Straßenbahn in Dresden hieß es mal "Bermudadreieck Bahnhof Mitte", weil die Ampel mit 100 Sekunden Umlaufzeit ziemlich lange Standzeiten für den ÖPNV bedeutet, um die Grüne Welle für den MIV nicht zu stören...
Das ist einer der konkreten Punkte, auf die ich rauswollte: Eine Grüne Welle wirkt sich auf die anderen Verkehrsteilnehmer aus, auf ÖPNV, Radler, Fußgänger - und, nicht zu vergessen, auch auf MIV-Teilis, die die Trasse der Grünen Welle queren oder sich auf ihr einfädeln möchten. In der Darstellung im FDP-Programm steht das allerdings nicht, sondern es wird als ein Instrument zur Verhinderung sogenannter "unnötiger" Verkehrsstaus verkauft. Die Anführungszeichen verwende ich übrigens deswegen, weil der Terminus "unnötig" eine starke normative Komponente enthält.
Was ist denn etwa ein "nötiger" Verkehrsstau? Einer, der durch einen Verkehrsunfall verursacht worden wäre? Moralisch ist das bedenklich, spätestens bei Personenschaden. Einer durch Überlastung der verfügbaren Straßenkapazität? Dem könnte man doch durch Aus- oder Neubau beikommen, dieser Stau ist also auch nicht wirklich "nötig". Viel mehr bleibt dann auch nicht über.
Letztlich sollen diese Formulierung und die gewählten Instrumtente also das Primat der freien Fahrt unterfüttern. Auch wenn es nicht explizit im Text genannt wird, es soll im Sinne des Wahlprogramms eine Förderung des MIV stattfinden. Mit dieser Prämisse erklärt sich auch, weshalb zum einen negative Folgewirkungen nicht mal angedeutet werden (dafür wäre Platz im Wahlprogramm!) und zum anderen praktische Umsetzungen ausgeklammert werden (dafür wäre ein Wahlprogramm allerdings auch kaum ein passendes Medium).
Aus der allgemeinen Betrachtung und Formulierung heraus, wurde also die Grüne Welle äußerst positiv dargestellt, fast schon als eine Art Allheilmittel gegen "unnötige" Staus. Diese Betrachtung von Verkehr, der darüber hinaus noch steuerbar sein soll, fiel mir gestern ziemlich negativ auf. Rein vom Sprachlichen her, impliziert "Steuern" die weitgehende bis endgültige Kontrolle eines Vorgangs durch eine Person - man denke an den "Steuermann", der das Ruder des Schiffs fest in seiner Hand hält. Beim Themenfeld Verkehr bzw. genauer im MIV halte ich dieses Bild für gefährlich, weil gerade in der Allgemeinheit des Programms Fähigkeiten suggeriert, die der Staat/die Verkehrsleitzentrale/das Individuum, das steuert, nicht hat. MIV lässt sich mit Sicherheit leiten und dabei bis zu einem gewissen Punkt auch steuern. Ist aber bspw. die Kapazität eine Straße erschöpft, hilft auch die beste Verkehrssteuerung nicht mehr viel. Damit sind wir wieder bei der Frage, was ist ein "nötiger" Verkehrsstau.
Und wir sind bei meinem zweiten, großen Problem, das ich mit dem Wahlprogramm hatte. Unweigerlich führt das auch zum Aus- und Neubau bestehender Straßen, was in diesem Kontext für die FDP auch ein positives Werkzeug zur Verkehrssteuerung ist. Das dieses neue Angebot wiederum MIV induziert, der mittel- bis langfristig wiederum den weiteren Ausbau erfordert, wird nicht mal erwähnt. Diese einseitige Betrachtung von Verkehr fußt in meinen Augen sehr stark noch in der "Planungseuphorie" der 1960er-/70er-Jahre.
Heute sollte ma, wieder meiner bescheiden Meinung nach, Verkehrs-"Steuerung" sehr stark am konkreten Einzelfall planen und vor allem alle Verkehrsteilnehmer, von der Straßenbahn bis runter Rollatornutzer, berücksichtigen.
Da scheint mir ein Primat der Grünen Welle kontraproduktiv. Sie hat sicher und unbestreitbare Vorteile (typische Pro-Argumente: weniger Anfahren und Abbremsen, geringer Spritverbrauch, weniger Feinstaub entsteht, weniger Lärm), und sie hat auch die genannten Nachteile und vor allem ist ihre praktische Umsetzung nicht trivial (was Dir als Verkehrswissenschaftler sicher klar ist
).
Hier (dvr.de) liest es sich beispielsweise so:
Richtig gut läuft eine Grüne Welle aber immer nur auf einer Straße und in eine Richtung. Im komplexen Netz der Stadtstraßen wollen aber viele Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, Busse und Straßenbahnen vorankommen. Bei der Koordinierung der Ampeln gilt es deshalb, viele Wünsche und Faktoren zu berücksichtigen. So ist selbst eine gut geplante Grüne Welle oft nur ein Kompromiss, denn sie kann nicht auf sich ändernde Verkehrsverhältnisse, wie z.B. dem Ende eines Fußballspiels oder einer anderen Großveranstaltung, reagieren. Eine Bus- oder Straßenbahnbevorrechtigung zerstört die Grüne Welle und auch Fußgängerampeln können die Welle zum erliegen bringen. Eine komplette Grüne Welle in beiden Fahrtrichtungen kann nur geschaltet werden, wenn alle Ampeln im Idealabstand voneinander entfernt liegen. Das ist in vielen historisch gewachsenen städtischen Straßennetzen nicht der Fall. Im Lauf des Tages ändert das Verkehrsaufkommen seine Richtung. Deshalb werden häufig die Grünen Wellen für die Straßenzüge entsprechend der Tageszeit verändert. Wer morgens Richtung Innenstadt unterwegs ist, hat häufiger Grün, als der, der stadtauswärts fährt. Nachmittags ist es dafür umgekehrt.
Sprich, Grüne Welle kann durchaus ein positives Mittel sein, um fließenden Verkehr zu erreichen. Ein Allheilmittel, wie von der Bundes-FDP implizit propagiert, ist sie trotz möglicher Fortschritte nicht. Ein Aufeinandertreffen verschiedener Belange an Verkehrsknoten führt ab einer gewissen Belastung immer zu Konflikten. Diese überwiegend den Verkehrs-Teilis zuzuschustern, die nicht individualmotorisiert unterwegs sind, halte ich für falsch, antiquiert und mit dem modernen Verständnis von Verkehr nicht wirklich kompatibel. Mehr wollte ich gestern nicht sagen.
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Galaxy @ 10 May 2017, 19:30 hat geschrieben:Uhm, aber wenn die Tramnutzer das gleiche machen ist es ok? :unsure:
Gegenfrage zur Gegenfrage, warum müssen ausgerechnet, je nach Tramtyp, 30 bis 50 Tonnen Leergewicht plus ein bis zehn Tonnen Fleischbeilage ausgebremst werden? Wenn ich das beispielsweise auf den
Berliner Platz in Stuttgart (bahnbilder.de) exemplifiziere, dauert die Querung der Kreuzung durch eine Stadtbahn je nach Richtung ca. 15 bis ca. 20 Sekunden. Für die gleiche Beförderungskapazität im MIV sind, anhand der durchschnittlichen Besetzung von wimre 1,2 Passagieren je KFZ überschlagen, ergibt das Fahrzeugzahlen im hohen zwei- bis rein in den dreistelligen Bereich.
Davon losgelöst, genau darauf wollte ich gestern auch raus. Eine Diskussion über Verkehrslenkung läuft ratzfatz darauf raus, die verschiedenen Teilnehmer gegeneinander auszuspielen: Straßenbahn oder Bus haben Bevorrechtigung, warum aber das Auto nicht? Warum darf mit dem Auto gefühlt überall geparkt werden, mein Fahrrad muss ich aber wahlweise an einen Laternenpfahl ("Ey, was soll das?!?!") oder an so einen Fahrradständern aus den 1970er-Jahre, der zwar fünf Abstelltaschen, effektiv aber nur Platz für drei Räder, hat anketten? Warum muss der Fußgänger über drei Minuten warten, um zwei getrennte Fahrbahnen zu überqueren und von der mittleren Verkehrsinsel seinem Bus hinterherwinken? Warum ist es für manche MIV-Teilis ein Sakrileg, wenn eine Fahrradstraße ausgewiesen wird, warum müssen markierte Radstreifen genutzt werden?
Gibt sicher noch mehr Beispiele - aber der Knackpunkt ist doch, dass es im (Stat-)Verkehr praktisch immer zu Konflikten kommen kann und wird, weil auf dem verfügbaren Platz, nach den gewachsenen Strukturen, durch die gestiegene Verkehrsbelastung mehr Verkehrsteilnehmer aufeinandertreffen, die ihrerseits verschiedene Bedürfnisse haben. Das ist schwer, alles unter einen Hut zu kriegen.
Mit dem Finger auf andere zu zeigen und sinngemäß zu sagen, Mensch, sind die blöd und Mönsch, was die alles in den Hintern geschoben bekommen, ist dabei keine Lösung.