Berg & Tal, Licht & Schatten – Marokko

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

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Dunkle Hausdurchgänge prägen den Weg in einem Dorf.
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Unser Gastgeber stresst herum und läuft immer weiter vor. Aber ich bin nicht in bester gesundheitlicher Verfassung und nehme es als Kompliment, dass wir die Wanderung zwei Stunden schneller als seine langsamste überhaupt schaffen.

Die Todhra-Schlucht erschlägt einfach durch ihren Anblick, die Bilder können das Gefühl nicht ansatzweise vermitteln...
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Zeit für ein Picknick.
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Als wir fertig sind, kommen zwei Frauen vorbei, eine davon mit Baby auf dem Rücken. Sie haben Hunger und wir verschenken das übrige Essen. In Marokko scheint es leider ziemlich viele Menschen zu geben, die Hunger und Durst leiden müssen.

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Dieses Hotel mitten in der Schlucht wurde durch einen enormen Felssturz regelrecht zermalmt, wobei aber glücklicherweise keine Menschen zu Schaden kamen. Seitdem ist die Nutzung behördlich untersagt. Ich frage mich, wie man bloß auf die Idee kommt, hier eine menschliche Behausung hinzubauen…

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Einige versuchen, den Ort durch Klettern besser zu erfassen.

Leider bleibt uns zum Staunen kaum Zeit, denn unser Gastgeber scheucht uns auch schon in das nächste Sammeltaxi zur Rückfahrt, ein 40 Jahre alter Mercedes 210. Wir sitzen zu dritt auf der Rückbank, bald wird noch jemand auf den Beifahrersitz aufgenommen. Der nächste Fahrgast, der am Straßenrand den Daumen ausstreckt, quetscht sich zu uns auf die Rückbank. Bei jeder der zügig genommenen engen Kurven fürchte ich, erdrückt zu werden. Bald winkt noch jemand und setzt sich auf den Beifahrersitz dazu. Nun erleben wir also auch mal die Gelegenheit, zu siebt in einem Mercedes-Oldtimer auf einer kurvigen Landstraße unterwegs zu sein.
Auf der Straße sind viele Taxis unterwegs, davon auch einige moderne Siebensitzer. Hier könnte man bestimmt eine Buslinie im Stundentakt füllen, die sich auch touristisch vermarkten ließe. Es ist jedenfalls ziemlich ineffizient, die Fahrgäste auf so viele kleine Fahrzeuge zu verteilen. Aber es ist wohl ein typischer Fall von „Haben wir schon immer so gemacht“, sich einfach irgendwo an den Straßenrand zu stellen und den Daumen auszustrecken. Wahrscheinlich würde das Aufsuchen bestimmter Haltestellen zu bestimmten Zeiten manch einen überfordern.
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Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Als unser Gastgeber den Taxifahrer anhalten lässt, sind wir am Azyl gelandet, heute bei schönstem Wetter mit tollem Blick, den ich schon als Aufmacher gezeigt habe.

Von oben wirken die Felder irgendwie viel geordneter…
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Ich bleibe hartnäckig und weigere mich, schon wieder auf die Terrasse gescheucht zu werden. Von hier finden wir den Weg doch alleine und wir müssen auch nicht permanent begleitet werden. Ob das einfach zum guten Ton der (bezahlten) Gastfreundschaft gehört oder einen anderen Grund hat, können wir nicht herausfinden.

Den Rückweg treten wir im schönsten Abendlicht an.
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Die Neugierde siegt schließlich doch und wir werfen einen Blick in das Maison.
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Der Lehm ist durch den Regen ausgewaschen.
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Die verlassenen Häuser wurden überwiegend von Juden bewohnt, die vor rund 20 Jahren nach Israel ausgewandert sind.

Wir schleichen ein wenig durch den Innenhof und hoffen, dass unsere Gastgeberin wieder Tee und Gebäck zubereitet hat. Wir haben wieder Kohldampf.

Erster und zweiter Versuch schlagen fehl, denn sie ist gerade mit Teigkneten beschäftigt. Nach einer Viertelstunde kommt dann die ersehnte Einladung. Fast könnte man sich an die marokkanische Art, Tee zu trinken, gewöhnen. Das könnte man doch auch daheim einführen. Doch da fällt mir ein, dass es in unserer WG-Küche weder kleine Teegläser noch eine geeignete Teekanne gibt.

Zum Abendessen gibt es Spaghetti mit Tomatensoße und weil ein Familienmitglied keine Spaghetti mag (nicht geschmacklich, sondern weil sie ihm zu kompliziert zu essen sind), wird noch Brot mit Gemüse-Hackfleisch-Füllung zubereitet.
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Zuerst schauen wir nur zu, doch als wir vorsichtig fragen, ob wir helfen können (immerhin ist es ein sehr aufwendiges Essen), sagt die Gastgeberin sofort „Oui, oui!“ Nur die beiden Töchter schauen äußerst verwundert, als sie die fremden Männer bei der Küchenarbeit entdecken.

Die gefüllten Brote kommen auf ein Backblech in einen gusseisernen Gasofen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen und schmeckt wunderbar.
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Lobedan
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Beitrag von Lobedan »

Wundervolle Aufnahmen aus der Oase und der Schlucht!
Entenfang @ 10 Aug 2017, 17:36 hat geschrieben:Unser Gastgeber stresst herum und läuft immer weiter vor. Aber ich bin nicht in bester gesundheitlicher Verfassung und nehme es als Kompliment, dass wir die Wanderung zwei Stunden schneller als seine langsamste überhaupt schaffen.

Leider bleibt uns zum Staunen kaum Zeit, denn unser Gastgeber scheucht uns auch schon in das nächste Sammeltaxi zur Rückfahrt, ein 40 Jahre alter Mercedes 210. Wir sitzen zu dritt auf der Rückbank, bald wird noch jemand auf den Beifahrersitz aufgenommen. Der nächste Fahrgast, der am Straßenrand den Daumen ausstreckt, quetscht sich zu uns auf die Rückbank. Bei jeder der zügig genommenen engen Kurven fürchte ich, erdrückt zu werden. Bald winkt noch jemand und setzt sich auf den Beifahrersitz dazu. Nun erleben wir also auch mal die Gelegenheit, zu siebt in einem Mercedes-Oldtimer auf einer kurvigen Landstraße unterwegs zu sein.
Auf der Straße sind viele Taxis unterwegs, davon auch einige moderne Siebensitzer. Hier könnte man bestimmt eine Buslinie im Stundentakt füllen, die sich auch touristisch vermarkten ließe. Es ist jedenfalls ziemlich ineffizient, die Fahrgäste auf so viele kleine Fahrzeuge zu verteilen. Aber es ist wohl ein typischer Fall von „Haben wir schon immer so gemacht“, sich einfach irgendwo an den Straßenrand zu stellen und den Daumen auszustrecken. Wahrscheinlich würde das Aufsuchen bestimmter Haltestellen zu bestimmten Zeiten manch einen überfordern.
Diesen herumscheuchen und schnell-schnell scheint echt ein akutes Problem der marokkansichen Führer zu sein. Das würde mir überhaupt nicht gefallen, ich nehme mir eigentlich immer sehr gerne viel Zeit, um alles genau anzuschauen und aufzunehmen. :(
Entenfang @ 10 Aug 2017, 17:36 hat geschrieben:Dieses Hotel mitten in der Schlucht wurde durch einen enormen Felssturz regelrecht zermalmt, wobei aber glücklicherweise keine Menschen zu Schaden kamen. Seitdem ist die Nutzung behördlich untersagt. Ich frage mich, wie man bloß auf die Idee kommt, hier eine menschliche Behausung hinzubauen…
Also aus touristischer Sicht ist das schon nachvollziehbar, man baut ja auch Hotels an Steilküsten oder würde gern hier eines danebensetzen. :ph34r:
Entenfang @ 10 Aug 2017, 17:36 hat geschrieben:Die gefüllten Brote kommen auf ein Backblech in einen gusseisernen Gasofen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen und schmeckt wunderbar.
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Das ist ja mal eine spannende Kombination omnomnomnomnom!
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 10 Aug 2017, 20:01 hat geschrieben:Wundervolle Aufnahmen aus der Oase und der Schlucht!
Danke. Ich kann dir aber versichern, dass die Wirklichkeit noch schöner war - wenn es ein Paradies auf Erden gibt, dann wohl diese Oase (zumindest, wenn man sie nicht in der Mittagssonne mit Kind auf dem Rücken bearbeiten muss...)
Diesen herumscheuchen und schnell-schnell scheint echt ein akutes Problem der marokkansichen Führer zu sein. Das würde mir überhaupt nicht gefallen, ich nehme mir eigentlich immer sehr gerne viel Zeit, um alles genau anzuschauen und aufzunehmen. :(
Ja, die haben es alle so eilig. Wir waren eigentlich ständig im Dilemma, Führer abzuwimmeln, aber gleichzeitig auch ziellos herumzuirren, wodurch weitere Führer angezogen werden wie die Motten vom Licht. Die sehen sofort, wenn du nicht weißt, wohin. Und sie wissen die Chance zu nutzen (und waren ja auch recht erfolgreich, da wir ja eigentlich keine Führer haben wollten) :ph34r: Auf der anderen Seite kommst du so auch in Ecken, die du ohne sie nicht sehen würdest (z.B. diesen Palast in Rabat mit dem tollen Ausblick von der Dachterrasse).
Das ist ja mal eine spannende Kombination omnomnomnomnom!
Ergänzend dazu: Zu den Spaghetti gab es auch Tomatensoße, die ist bloß nicht im Bild zu sehen.
Ja, war ziemlich lecker und von den Spaghetti haben wir kaum etwas gegessen, da die gefüllten Brote für uns natürlich viiiiiiiel interessanter waren ;)



Tag 15 Tinghir -> Marrakesch

Aus der für den Vormittag eigentlich geplanten Stadtbesichtigung wird leider nichts – der Bus soll schon um 12:15 Uhr - statt wie im Internet verkündet um 13 Uhr – abfahren. Unser Gastgeber lässt uns mal wieder keinen Moment aus den Augen und wir müssen erst mal im Café, in dem er arbeitet, einen Orangensaft trinken. Es bleiben keine 45 Minuten mehr bis zur Abfahrt und wir rechnen damit, jetzt die Rechnung für die Gastfreundschaft präsentiert zu bekommen. Doch weit gefehlt, wir sitzen erstmal eine Viertelstunde alleine und trinken den Orangensaft.
Dann mache ich mich bereit, Reiseproviant einzukaufen. Da taucht unser Gastgeber plötzlich wieder auf und will alles für uns einkaufen. Seufz. Nur noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt und die Chancen auf einen kurzen Blick in die Stadt ohne permanente Begleitung schwinden. Die planmäßige Abfahrtszeit ist erreicht, als er mit Datteln und Baguette wiederkehrt. Jedenfalls ist weit und breit noch kein Bus zu sehen, wir haben aber auch nicht damit gerechnet. Zuerst heißt es, wir besprechen den Preis gleich jetzt, nachdem er uns eine Tüte für den Proviant gesucht hat, heißt es plötzlich, er will es nicht unter den Augen seines Chefs machen und es lieber in seinem geparkten Auto besprechen. Langsam geht mir das Herumeiern ziemlich auf die Nerven. Was soll das Theater?
Wir holen noch Gepäckschildchen, die bei Supratours verpflichtend sind. Die Kosten liegen bei nur 0,50€ pro Stück. Dann präsentiert unser Gastgeber uns doch noch die Rechnung auf einem Schmierzettel, immerhin am unteren Ende der erwarteten Skala.
Auch wenn es drei sehr schöne Tage waren, die uns einen interessanten Einblick ins Familienleben gegeben haben, bin ich froh, dass wir jetzt wieder auf uns alleine gestellt sind, in Ruhe hingehen können, wohin wir wollen und nicht ständig gestresst werden, weil er dringend noch im Café arbeiten muss.
Um 12:40 Uhr kommt der Bus, unsere Koffer werden in den Gepäckraum verladen (besser gesagt reingeschmissen). Der Laderaum ist bereits mit vielen Paketen und sogar einem großen Kopierer gefüllt.
Die Platzreservierungen sind ohne Belang, jeder setzt sich einfach hin, wo er will. Das ist mir sogar lieber, weil wir sonst Plätze auf der Sonnenseite erwischt hätten. In diesem Bus sind auch einige Touristen unterwegs.
So verlassen wir Tinghir, ohne wirklich etwas von der Innenstadt gesehen zu haben.

Bald folgt nur noch endlose Wüste, nur am Horizont sind die schneebedeckten Gipfel des Hohen Atlas zu erkennen.
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Nach einer Stunde wird eine Mittagspause auf einem Parkplatz an einer Tankstelle eingelegt.
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Es ist unschwer zu erkennen, dass die Busgesellschaft Supratours zur ONCF gehört…
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Da wir mit Baguette und La Vache Quirit gut versorgt sind, schauen wir uns ein wenig um, anstatt ein warmes Mittagessen einzunehmen. Doch wirklich viel gibt es hier nicht zu sehen…
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Da sind mir die Pausen an den quirligen Busbahnhöfen in der Stadt schon lieber, auch wenn es hier immerhin erstaunlich saubere Toiletten gibt.
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Ein freundlicher und nicht aufdringlicher Verkäufer bittet uns um ein Bild, da lasse ich mich nicht zweimal bitten.
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Erst nach über einer halben Stunde wird die Fahrt fortgesetzt.
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Ständig klingelt irgendwo ein Handy. Zum Nokia-Klingelton gesellen sich noch weitere dazu. Supratours-Fahrgäste können sich teilweise auch was Besseres leisten…
Ein Mann hinter mir telefoniert fast ununterbrochen ziemlich laut und ich verstehe nur „Inschallah“, das ungefähr jedes zweite Wort seines Gesprächs ist.

In Ouarazazate gibt es eine kleinere Pause. Der Kopierer wird entladen…
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…und in ein Geschäft gebracht.
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Auf dem Bild ist übrigens der Wartebereich des „Busbahnhofs“ zu sehen.
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Beitrag von Entenfang »

Weiter geht die Fahrt für mehr als zwei Stunden ohne Halt und durch das Gebirge. Langsam wird die Landschaft wieder grüner.
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Beitrag von Entenfang »

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Wenn es mal nicht so zügig weitergeht, könnte es daran liegen, dass man einige LKW im Fahrradtempo vor der Nase hat.
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Die Straße ist ziemlich schmal und der Verkehr nimmt wieder zu. Neben den Viehtransportern und den mit Nahrungsmitteln überladenen LKW sind die Gasflaschentransporter am häufigsten zu sehen.
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Zahlreiche Baumaschinen sind zu sehen und tatsächlich – die Straße wird derzeit großzügig ausgebaut und dafür sehr große Mengen Geröll bewegt.
Am Nordhang ist der Ausbau auf einen 2+1-Querschnitt bereits abgeschlossen.
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Für Marokko ist das vielleicht nicht ganz das richtige Modell, da selbstverständlich auch unerlaubterweise überholt wird, wenn man hinter einem LKW mit 20 km/h hinterherfährt.

Schließlich wird doch nochmal eine längere Pause eingelegt, leider ist da der spektakulärste Abschnitt längst vorbei und die Dämmerung beginnt.
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Also wer die Kurve nicht sieht…
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Supratours ist zwar zügiger unterwegs, weil der Bus nur an vorgesehenen Stellen und nicht auf Handzeichen hält. Dafür sind die Pausen länger.


Zügig wird der Bus bergauf, bergab durch die Nacht gesteuert und gegen halb neun erreichen wir endlich Marrakesch. Als wir aussteigen, wird uns augenblicklich ein Taxi angeboten, wir nennen unser Ziel und sollen 5€ bezahlen. Der Preis ist eigentlich unverschämt teuer, doch als wir das Fahrzeug sehen – eine Rikscha mit Sitzbank auf der Ladefläche – erscheint er geradezu grotesk. Wir handeln den Preis auf 4€ runter und ignorieren alle Argumente des Fahrers, warum das Berber Taxi doch so toll und die 5€ wert sei.
Und los geht die wilde Fahrt durch die nächtliche Medina, Mopeds folgen uns, es herrscht dichter Verkehr. Unser Vermieter geht nicht ans Telefon. Oh je, wie sollen wir jetzt bloß unsere Unterkunft in den verwinkelten Gassen finden?
Kaum sind wir von der Ladefläche gesprungen, wollen uns auch schon drei Guides irgendwohin führen. Wir lehnen ihre Dienste ab und suchen selbst.
„The hotel you are looking for is here“, sagt ein Mann und deutet in eine Straße, die ziemlich offensichtlich in die falsche Richtung führt. Außerdem muss es wohl hellseherische Fähigkeiten besitzen, um zu wissen, wohin wir wollen, ohne dass wir es ihm gesagt haben.
Wir nennen schließlich doch einem Guide den Namen des Hotels und nach zwei Minuten sind wir eine Parallelgasse weiter am Ziel. Wir geben ihm 0,50€, womit er höchst unzufrieden ist.

Wir werden mit Tee empfangen und bekommen anschließend ein reichhaltiges Drei-Gänge-Menü zum Abendessen. Von den köstlichen Vorspeisen schaffen wir nicht mal die Hälfte und bitten um Aufbewahrung bis morgen.
Außerdem erklärt uns der Vermieter die wichtigsten Wege und warnt uns, bloß auf keinen Guide in dieser Stadt zu hören.
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Beitrag von Entenfang »

Tag 16 Marrakesch

Der Tag startet sonnig, aber nicht unangenehm warm. Unser Frühstück im Innenhof fällt nicht allzu üppig aus, aber die Pfannkuchen (wir verpassen den beiden Sorten die Spitznamen Schwamm-Pfannkuchen und eckige Pfannkuchen) sättigen. Nur den Orangensaft aus der Tüte finde ich unverzeihlich.

Ein junger Mann ist im Hotel angestellt und scheint wohl auch hinter einem Vorhang in der Küche auf etwa 5 qm zu leben und zu schlafen. Er ist jedenfalls während unseres gesamten Aufenthalts immer vor Ort gewesen.
Nachdem wir uns gestärkt haben, will er uns vorschreiben, morgen um 8 Uhr zu frühstücken. Sonst noch was?! Ich bin Student im Urlaub uns bestehe darauf, um 10 zu frühstücken.


Wir laufen durch die Medina. Leider muss man ständig fürchten, in den engen Gassen von Mopeds und Fahrrädern, in den nicht ganz so engen Gassen von Autos, Mopeds, Handwagen, Rikschas, Kleinbussen, Taxis oder Eselskarren über den Haufen gefahren zu werden.
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Das Leben tobt in den quirligen Gassen und wir staunen nicht schlecht über die vielen bunten Eindrücke – fast schon eine Reizüberflutung.
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Am besten sollte man auch hinten Augen haben, um niemandem im Weg zu stehen und keinen Unfall zu bauen…
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Auch Eselskarren sind überall präsent
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Ebenfalls sehr zahlreich sind die Obststände – mmmmhm!
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Stolz präsentiert uns dieser Mann seine 50 Jahre alte Bügelmaschine aus deutscher Qualitätsarbeit.
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Das könnte als Shopping Mall in marokkanischem Stil durchgehen
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Beitrag von Entenfang »

Schließlich setzen wir unseren Weg in die Ville Nouvelle fort. Dort sind die Straßen breiter und ein vielstimmiges Hupkonzert gibt´s gratis dazu.
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Großer Vorteil: Es gibt Fußwege, auf denen man unbesorgt flanieren kann.
Großer Nachteil: Man kommt nur schwer über die breiten Straßen rüber.
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Unser erstes Ziel ist der Jardin Majorelle. Doch als wir die Schlange an der Kasse sehen, machen wir kehrt und suchen die Station des ersten Bikesharing-Systems in Afrika auf und ignorieren die Taxifahrer.
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Eine Seite erläutert die Funktionsweise auf Englisch, die andere auf Französisch.
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Wir laden die benötigte App runter, welche überraschend wenige 6 MB groß ist. Leider klappt die Erstellung eines Benutzerkontos nicht, weil der Enter-Button fehlt. Scheint wohl bei einer App mit 500 Downloads noch niemandem aufgefallen zu sein. Wir versuchen es im Browser und sind erfolgreich. Für 5€ kann man sich einen 24h-Pass kaufen und darauf bis zu vier Fahrräder ausleihen. Das Bikesharing-System ist brandneu Ende 2016 eingeweiht worden. Mit Beleuchtung und einer 3-Gang-Schaltung ausgestattet, sind die Fahrräder verglichen mit den sonst in der Stadt verkehrenden ziemlich luxuriös ausgestattet.
Nach einer knappen halben Stunde halten wir zwei Fahrräder abfahrtbereit in den Händen – Hurra!

Zunächst tasten wir uns vorsichtig über den Fußweg voran, doch angesichts der extrem hohen Bordsteinkanten an Garageneinfahrten ist das absolut keine praktikable Lösung. Also wagen wir uns doch auf die Fahrbahn – zunächst sehr langsam und mit äußerster Vorsicht. Mopeds schießen vorbei, Autos parken in der zweiten Reihe, Busse halten am Straßenrand. Wir kämpfen uns irgendwie durch, die Augen am besten überall zugleich.
Die erste Hürde stellt eine große Kreuzung dar, an der wir links abbiegen wollen. Wenn man drei Fahrstreifen voller Autos mit sich durchschlängelnden Mopeds kreuzen will, um sich richtig einzuordnen, wird es schwierig…
Also nehmen wir lieber die Fußgängerampel. Doch auch deren Schaltung hat so ihre Tücken – zwischen Rot für den MIV und Grün für die Fußgänger gibt es 0 Sekunden Räumzeit. Man muss also erstmal 20 Sekunden vor der grünen Ampel warten, bis die hupende Masse abgeflossen ist. Wenn man Glück hat, ist die Ampel in dieser Zeit auch noch nicht wieder rot geworden.
Kutscher treiben ihre Pferde gewaltsam zu einem regelrechten Galopp durch den dichten Verkehr an.

Da die Stadt völlig flach ist, sind viele Fahrradfahrer unterwegs. Dementsprechend zahlreich sind Fahrradgeschäfte und -werkstätten.
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Den ersten Stop legen wir an der Koutoubia-Moschee ein.
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Nicht nur aufgrund der Pflanzen bekommt sie das Zertifikat Grüne Moschee.
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Ein Keksverkäufer „schenkt“ uns zwei Kekse und will dann plötzlich 2€ dafür, wir geben 40 Cent und er ist damit gar nicht unzufrieden. Probieren kann man es ja mal mit den dummen Touristen…

Wir suchen eine Gelegenheit zum Mittagessen und tappen in eine Tourifalle. Schlechter Service, teure Preise, keine Oliven und Brot erst nach Reklamation. Es kann ja eigentlich nicht gut sein, wenn uns ein Mann mit dem Hinweis „not touristic“ hineinführt. Der Ausblick zum Minarett der Koutoubia-Moschee ist der einzig positive Punkt.
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Plötzlich funktioniert unser Internet nicht mehr, zwei Wochen sind seit der Aufladung vergangen. Doch wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern, denn ich möchte unbedingt noch ein Bahnbild machen. Glücklicherweise bin ich der Empfehlung unseres Vermieters noch heute Morgen gefolgt und habe die Offline-Karte für die App maps.me runtergeladen.


Einige Kilometer außerhalb des Zentrums entdecken wir eine Straßenbrücke über die Bahnstrecke. In wenigen Minuten müsste ein Zug mit Ziel Marrakesch durchkommen. Wir platzieren uns auf dem keinen halben Meter breiten Gehweg an einer stark befahrenen vierstreifigen Straße.
10 Minuten vergehen.
Fußgänger quetschen sich vorbei.
15 Minuten vergehen.
Ein Mann fragt uns, ob die am Fuß der Brücke angesperrten Fahrräder uns gehören würden. Er macht eine Schneidegeste und meint „Attention, attention!“ Vermutlich will er uns vor Fahrraddieben warnen.

Graffiti ist in Marokko wenig verbreitet, die Viehschutzwände dafür kunstvoll verziert.
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Nach weiteren fünf Minuten ohne Zug geben wir auf und folgen der Bahnstrecke noch etwas weiter auswärts. Jugendliche begrüßen uns. „Ca va?“ So oft verirren sich hier wohl keine Touristen hin…

Noch müssen die Menschen ihr Fahrrad über die Gleise tragen, doch die barrierefreie Überführung wird bald eine sichere Querung ermöglichen.
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Niemand beachtet uns, als wir es den Einheimischen gleichtun. Keine zwei Minuten später kommt der Zug in Gegenrichtung pünktlich und überraschend schnell angerauscht.
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Dann können wir uns so langsam auf den Rückweg machen. Wir sind in einer Trabantenstadt im Nordwesten gelandet. Doch auch hier kommen wohl kleine Läden ins Erdgeschoss.
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Entlang einer stark befahrenen Straße fahren wir auf dem Radweg durch die Neustadt (Gueliz) zurück. Leider wird er auch hier häufig zweckentfremdet.
Wir entdecken einen richtigen französischen Bäcker mit westlichem Sortiment und westlichen Preisen und gönnen uns ein Stück Kuchen.
Hier sind zahlreiche Ausländer unterwegs, man sieht auch etliche Kinder. Viele bringen die gekauften Baguettes zu ihrem SUV.
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Beitrag von Entenfang »

Wir pausieren am Platz des 16. November, der eine kleine Grünfläche, eine Shopping Mall mit McDonalds und mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten bietet.
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Die Neustadt mit ihren geraden Straßen öffnet manche Blickbeziehung – hier zur Koutoubia-Moschee.
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Wir fahren zu unserer Unterkunft, denn es wird schnell kühler und wir brauchen eine Jacke.

Ich entdecke eine quirlige Seitenstraße als Fotomotiv, wir halten an und ich packe die Kamera aus. Noch während ich, ohne ein Bild gemacht zu haben, darauf warte, dass sich eine Gelegenheit ohne Passant im Vordergrund ergibt, schimpft eine Verkäuferin auf Arabisch los und stürmt auf mich zu. Sie will die Bilder sehen, die ich gemacht habe. Ich klicke durch das Replay, natürlich ist sie nicht zu sehen, da ich ja noch gar kein Bild gemacht habe. Das macht sie nur noch wütender, ich blättere weiter, natürlich ohne das gewünschte Ergebnis. Sie tobt in einer Höllenlautstärke herum, immer mehr Passanten bleiben stehen und beobachten interessiert das Geschehen.
Als sie endlich abzieht, möchte ich mein Motiv umsetzen. Obwohl sie wieder nicht im Bild ist, kehrt sie mit erhobener Hand und in doppelter Lautstärke brüllend um. Inzwischen schauen ziemlich viele Menschen zu, ich suche schleunigst Abstand und wir machen uns aus dem Staub.

Ein Fotostop in sicherer Entfernung:
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Ein mitleiderregender Esel ist vor einen Karren gespannt und gibt ein krächzendes I-Ah I-Ah von sich. Wir erwarten, dass der Karrenlenker versucht, das arme Tier zu beruhigen. Doch Fehlanzeige, er zerrt gewalttätig an den Seilen herum und bringt es so zum Verstummen.

Zum Abendessen fahren wir nochmal in die Neustadt, ich brauche eine Tajine-Pause und erhalte eine sehr gute Pizza. Im Dunklen ist das Fahrradfahren noch komplizierter, doch immerhin ist jetzt nicht mehr so viel los.
Die Medina mit dem Fahrrad zu erkunden bringt gleich zwei Vorteile: Erstens hat man Ruhe von den ganzen Guides. Zweitens schwimmt man besser im Verkehr mit und wird nicht ständig über den Haufen gefahren. Als nachteilig stellt sich hingegen heraus, dass man keine Zeit hat, die vielen Details zu entdecken und dass nur wenig Fotos entstehen.
Unsere Fahrräder dürfen wir glücklicherweise über Nacht im Innenhof des Hotels parken.
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Beitrag von JeDi »

Danke für den Bericht so weit! Ganz, ganz stark!

Zu den Handy-Offline-Karten: Alles eine Suppe, maps.me (ich bin sicher, es handelt sich um ein montenegrinisches Produkt!) basiert auf Openstreetmaps ;-)
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Beitrag von Entenfang »

JeDi @ 12 Aug 2017, 23:16 hat geschrieben:Danke für den Bericht so weit! Ganz, ganz stark!
Danke für die netten Worte. Es freut mich sehr, auch einem weitgereisten Bahnexperten noch was Neues zeigen zu können. ;)


Tag 17 Marrakesch

Wir müssen mal wieder eine Orange-Boutique aufsuchen, um das Internet wieder in Gang zu bringen. Wir schwingen uns auf den Sattel und fahren zur Eden Mall, in der vorwiegend Ausländer flanieren. Die Suche nach dem Laden innerhalb der Mall dauert länger als das Aufladen des Guthabens.
Für die Fortsetzung der Fahrt wollen wir uns neue Fahrräder ausleihen, da die 24h bald vergangen sind. Ein Mitarbeiter von Medina Bikes ist vor Ort und wir bezahlen dieses Mal insgesamt 10€ für die beiden Fahrräder – warum es jetzt doppelt so viel kostet wie gestern, kann er uns auch nicht erklären.

Über die breite Avenue Mohammed VI. radeln wir stadtauswärts. Kurzer Zwischenstop mit Blick auf das königliche Theater rechts.
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Entlang des Boulevards reiht sich ein Luxushotel an das nächste, dazwischen ein Kongresszentrum. Natürlich gibt es auch hier eine Shopping Mall.
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Unser nächstes Ziel sind die Menaragärten. Wir platzieren unsere Fahrräder in der Verleihstation und betreten den Park.
In der Mitte gibt es einen Pavillon, der dem Sultan im 19. Jahrhundert als Aufenthaltsort diente, um dem Lärm und Trubel der Stadt zu entfliehen.
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Im Wasserbecken absolvierten Soldaten Schwimmübungen, um die Straße von Gibraltar überwinden zu können.

Die vier Blickachsen aus dem Pavillon zeigen zur Einfahrt, zur Moschee…
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…zu den Bergen…
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…und zum damaligen Armeehauptquartier, heute der sehr stadtnahe Flughafen von Marrakesch.
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So, und jetzt bitte eine kleine Gabe für die Erläuterungen des Wachmanns.
Wir geben ihm 1€, nochmal so viel wie der offizielle Eintrittspreis pro Person, er meckert nicht rum.

Nun wollen wir uns wieder ein Fahrrad ausleihen, doch der Bordcomputer vermeldet, wir hätten unser Budget aufgebraucht. Wir rufen die Hotline an, nach wenigen Minuten können wir weiterfahren. Es geht in die Neustadt zum Mittagessen, die Paella ist zwar sehr gut, kostet aber selbst für deutsche Verhältnisse einen stolzen Preis.
Typische Hauptstraße der Neustadt
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Noch einen kleinen Stop bei der Bank, dann stellen wir unsere Fahrräder an der Verleihstation am Jardin Majorelle ab, um einen neuen Versuch am späten Nachmittag zu starten. In der Tat ist die Schlange verschwunden und wir betreten den kleinen, aber sehr gepflegten Garten, eine schattige Oase der Ruhe in der chaotischen Stadt.
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Anschließend möchten wir wieder ein Fahrrad ausleihen, doch angeblich ist unser Guthaben schon wieder aufgebraucht. Der Mitarbeiter vor Ort ruft in den Zentrale an und teilt uns mit, wir hätten um 8€ überzogen. Hä? Haben wir nicht einen 24h-Pass gebucht? Nun klärt sich ein großes Missverständnis auf – denn das von uns erwartete Angebot war dann doch ein bisschen zu gut, um wahr zu sein. Der Kauf eines 24h-Passes gestattet nämlich nicht die Nutzung eines Fahrrads für 24h, sondern für Fahrten zwischen den zwölf Stationen mit maximal 30 Minuten Dauer. Pro überzogene 30 Minuten und Fahrrad wird 1€ fällig. Dementsprechend müssen wir für die Dauer des Mittagessens 8€ bezahlen. Und oh weh, die über Nacht im Hotel untergestellten Fahrräder werden richtig, richtig, richtig teuer… Er entschuldigt sich für das Missverständnis, und meint, dass die Abrechnung per Kreditkarte an ein Subunternehmen ausgelagert sei, welches die fälligen 80€ ohnehin nicht einziehen würde. Wollen wir es hoffen…
Somit werden wir wieder zu Fußgängern. Hätten wir doch bloß einen privaten Fahrradverleih bemüht…

Kurzer Fuzzistop an der zentralen Bushaltestelle in der Nähe des Fernbusbahnhofs, im Hintergrund die Stadtmauer der Medina.
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Beitrag von Entenfang »

Und der Neuzugang von ALSA – ein Solaris im Metrostyle.
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Rikscha am Straßenrand
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Wir legen einen kleinen Zwischenstop beim Bäcker ein, um uns mit süßen Teilchen zu versorgen.
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Anschließend machen wir uns auf den Rückweg zum Hotel.
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Nur eine einzige Buslinie fährt quer durch die Medina – die Linie 2 mit Midibussen.
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Es folgt eine Nachtfototour durch die Gassen der Medina. Wir lehnen sämtliche Angebote, uns in die eine oder andere Richtung zu führen, ab und lassen die Gassen auf uns wirken.
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Beitrag von Entenfang »

Im weiteren Verlauf folgen die ausgedehnten Souks von Marrakesch, in denen man sich äußerst leicht verlaufen kann.
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Auf dem Weg decken wir uns noch mit einer Schachtel Süßkram zum Mitnehmen ein.
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Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass marokkanischer Süßkram wirklich sehr süß und zudem noch ziemlich fettig ist. Außerdem schmeckt fast alles nach Erdnüssen. Kurz gefasst: Die Teile sehen besser aus, als sie schmecken. Ist aber nur meine persönliche Meinung.

Die Zahl der Touristen auf der Straße nimmt stetig zu, als sich der weitläufige Platz öffnet.
2011 ereignete sich hier der letzte große Terroranschlag in Marokko, bei dem 17 Menschen starben.
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Wir sind auf der Suche nach einem unkomplizierten und schnellen Abendessen und suchen die Essensstände auf. Sobald wir uns nähern, stellt sich jemand in den Weg und fuchtelt mit einer Speisekarte herum. „We have Moroccan Salad, Brochette, …“ Wir gehen weiter. Der Nächste blockiert uns zusammen mit seinem Kumpel regelrecht den Weg und hindert uns mit Köpereinsatz am Weitergehen. „Hey, have a look! We have meat, we have fish, we have everything! Special price! Come and have a look!“
Nachdem er seinen Wortschwall beendet hat, bitte ich ihn, aus dem Weg zu gehen, woraufhin er uns ein „Fuck you“ hinterherruft. Auch der nächste, den ich bitte, mir nicht den Weg zu blockieren, beleidigt uns lautstark als arrogante Touristen.
Angewidert vom Verhalten durchqueren wir die Gasse zwischen den Essensständen, nicht ohne dass uns noch weitere Male der Weg blockiert wird und uns Beleidigungen nachgerufen werden. Nur hungrig sind wir immer noch. Eigentlich wollten wir den ersten Laden nehmen, an dem uns keiner anspricht. Wir beraten in sicherer Entfernung über das weitere Vorgehen und werden dann nochmal weniger aggressiv angesprochen. Fatalerweise hören wir nicht auf unser Bauchgefühl und geben nach.

„I will prepare you a mixed plate, Moroccan Salad and this entree and this fruit and this Brochette and fish and…“ Halt Stop. Wie viel kostet der ganze Spaß? „One million per person!“ Im Eiltempo wird eine Karte herbeigezaubert und vor unseren Augen damit herumgefuchtelt.
Nein, kein Fisch, lieber ein bisschen Gemüse, eine Teigtasche und einen Lammspieß. Wir bekommen einen kleinen Vorspeisenteller gefolgt von fünf Lammspießen pro Person – eigentlich wollten wir uns einen teilen. Wir schaffen nicht mal, alles aufzuessen und beobachten weiter das aggressive Treiben. Es ist laut, Rauchschwaden ziehen über den Platz und Zeltplanen flattern im Wind.
Als eine Frau den Stand fotografiert, verlangt jemand 10 Dirham, doch sie schüttelt nur den Kopf und geht weiter.
Das übrige Fleisch haben wir bereits an Bettler verschenkt, als wir die Rechnung verlangen.

Dann folgt die böse Überraschung. Insgesamt sollen wir 30€ bezahlen, für einen Imbiss! Das ist einfach eine Unverschämtheit. Wie kommen eigentlich die auf den Zettel gekritzelten Zahlen zustande?
Nach genauerem Nachrechnen wird der Preis auf 28€ gesenkt. Ich biete 20€ und wir machen Anstalten, zu gehen. Doch er nimmt sie nicht und im Eifer des Gefechts gebe ich sie halt einer anderen Bedienung. Aber der Mann rennt uns hinterher und fordert vehement den Wucherpreis, also beschließen wir, die Sache auf der direkt am Platz gelegenen Polizeiwache zu klären.
Im Gebäude sieht es ein bisschen wie in einer unsanierten Schule aus den 80er Jahren aus. Ein langer Korridor, in dem die Farbe von den Wänden blättert und am Ende ein Büro mit einem nicht uniformierten Polizisten, der an einem Pult aus Holzimitat vor einem PC mit Röhrenbildschirm sitzt. Wenige Minuten später kehrt unsere Bedienung mit der Speisekarte zurück. Nachdem Joachim die Sachlage auf Französisch erläutert hat, wird der Preis nach viel Gezeter und Rechnerei auf 25,50€ gesenkt. Na schön, also noch 5,50€ dazu, und wir schaffen die Sache aus der Welt.
Doch jetzt behauptet er, die 20€ ja nie bekommen zu haben und zieht zur Verdeutlichung seine Jogginghose aus und krempelt seine Taschen nach außen. Ich habe die 20€ aber auch nicht mehr. Ja, was nun? Wir kehren auf den Platz zurück, doch natürlich ist die Bedienung, der ich die Anzahlung gegeben hatte, nicht mehr auffindbar. Während wir weiterhin angebrüllt und beleidigt werden, kehren wir zur Polizeiwache zurück. Inzwischen ist der Preis auf 25€ gerundet worden und wir sehen keine andere Chance, als den vollen Preis nochmal zu bezahlen. Nur für den Appell des Polizisten, wir sollten doch an die armen Kinder des Mannes denken, haben wir absolut kein Verständnis. So korrupt, wie hier alle sind, gehe ich jede Wette ein, dass der Polizist von den 45€ auch seinen Anteil bekommt.
Nachher recherchieren wir und erfahren, dass wir nicht die ersten und nicht die um den höchsten Preis abgezockten Touristen sind. Ich kann nur eine Empfehlung geben: Haltet euch von dem Platz fern, solltet ihr jemals nach Marrakesch kommen.

Mit gedrückter Stimmung machen wir uns auf den Rückweg, ein kurzer Fotostop an der Moschee…
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…und am Rande der Medina.
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Der Tag endet mit einem Besuch beim Geldautomaten, heute schon zum zweiten Mal.
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Beitrag von Entenfang »

Tag 18 Marrakesch

Nach dem gestrigen Abend gleich die nächste böse Überraschung – die 80€ für die Fahrräder wurden sehr wohl von der Kreditkarte abgebucht. Wir statten dem Sitz von Medinabikes einen Besuch ab, der erfreulich zentrumsnah liegt. Die Adresse führt uns zu einer Tiefgarageneinfahrt. Mithilfe eines Mannes finden wir die unscheinbare Metalltür im CI-Orange. Dahinter öffnet sich eine Halle, in welcher sich rund 200 Fahrräder, diverse Bauteile sowie ein kleiner Schreibtisch mit Laptop und drei jungen Männern dahinter, befinden. Joachim legt unser Anliegen dar und diskutiert eine Weile herum.
Das größte Problem liegt wohl darin, dass hier vor Ort niemand Entscheidungskompetenz hat und wir uns daher an niemandem mit unserer Bitte um Kulanz wenden können. Wir werden an den französischen Mutterkonzern Smoove. http://www.smoove-bike.com/
Wer sich hier zu den Preisen ein Fahrrad ausleihen soll, wird wohl das Geheimnis der Förderer bleiben. Dazu gehören die UNO und das BMZ, also auch unsere Steuergelder.

Anmerkung: Selbst nach ausgiebigem Schriftverkehr mit Smoove, die uns wieder an Medinabikes verwiesen haben, nur um wieder an Smoove zurückverwiesen zu werden, haben wir leider nichts von dem Geld wiedergesehen. Aber die Preise wurden gesenkt – jetzt sind beim Kauf eines Zugangs jeweils 60 Minuten zwischen den Stationen kostenlos und es kostet nur noch 1€ extra pro überzogenen 60 statt pro 30 Minuten. https://medinabike.ma/en/offers-subscription

Werfen wir einen kurzen Blick auf den Busverkehr.
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Fast alle Linien treffen sich rund um den Fernbusbahnhof am westlichen Rand der Medina.

Farblich ist die Lackierung perfekt auf das Stadtbild abgestimmt. Oh, eine funktionierende LED!
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Gute Platzausnutzung
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Kreisverkehr
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Das hübsche Rathaus
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Als nächstes suchen wir den Cyber-Park auf, mal wieder ein typisches Beispiel für den Zustand des Landes.
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Er ist sehr sauber, die Pflanzen sehr gepflegt und es gibt wilde Rampenkonstruktionen mit wirren Blindenleitstreifen an jeder noch so kleinen Steigung zur Herstellung von Barrierefreiheit. Im ganzen Park sind Touchscreen-Informationspanels verbaut (im Bild hinten rechts mittig), die u.A. Infos über die Geschichte der Stadt, Sehenswürdigkeiten und Bahnfahrpläne bereitstellen. Es gibt außerdem eine Fotoausstellung (im Bild hinten links mittig), vorwiegend zu Themen des Umweltschutzes. Doch offensichtlich wurden schlecht aufgelöste Bilder in Paint großgemacht und anschließend ausgedruckt, denn sie sind eine verpixelte Katastrophe. Die ganze Ausstellung wirkt seltsam dilettantisch, auch wenn die Bilder einige Probleme, wie z.B. Plastikmüll und Elektroschrott, sehr treffend und eindrucksvoll darstellen. An einigen Bildern fehlen schon die Informationen, ein Bild ist sogar falsch herum aufgehängt.
Exemplarisch, weil thematisch passend:
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Denn wie wir alle wissen, bevorzugen die meisten Menschen die Tram, weil sie weder Lärm noch Rauch produziert.

Eine Kindergartengruppe tollt herum, gelegentlich schimpft eine Erzieherin aus unerfindlichen Gründen und zerrt ein Kind irgendwohin. Ein Wachmann macht sich ab und an durch Pfeifen wichtig, doch die Kinder gehen weiter ihrer Beschäftigung nach.

Schließlich nehmen wir ein kleines Mittagessen ein. Der Blick auf die Koutoubia-Moschee schlägt sich auch in den Preisen nieder.
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Wir spazieren Richtung Süden. In der Nähe der Moulay-el-Yazid-Moschee warten Hunderte Taxis. Kutscher peitschen ihre Pferde gnadenlos voran, dennoch ist der Erfolg eher bescheiden. Einige Tiere weisen bereits Wunden auf.
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Beitrag von Entenfang »

Direkt angrenzend befinden sich die Tombeaux Saadiens, ein sehr reich verziertes Mausoleum aus dem 16. Jahrhundert, welches ziemlich überlaufen ist.
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Während wir uns ein paar Minuten auf einer Bank ausruhen, werden wir mal wieder Zeuge des mangelnden Know-Hows in Marokko – die Müllabfuhr kommt. Und so sieht das dann aus:
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Offensichtlich ist die Hebevorrichtung am Müllfahrzeug nicht darauf ausgelegt, die Mülltonne stärker als in eine waagerechte Stellung zu kippen. Folglich bleibt die Hälfte des Mülls in der Tonne, ein Viertel fällt nebendran auf die Straße und ein Viertel landet im Müllwagen. Immerhin muss man den fleißigen Männern zugutehalten, dass sie das nicht alles so liegen lassen. Man könnte also meinen, sie nehmen einen Besen und fegen die Reste zusammen – doch weit gefehlt. Entweder die Müllabfuhr hat keine Besen oder sie sind gerade nicht verfügbar oder was weiß ich, jedenfalls schnappen sich die findigen Müllmänner irgendwelche Kartons aus dem Abfall und schieben den verschütteten Müll damit zusammen, um ihn dann mit den bloßen Händen ohne Handschuhe ins Müllauto zu schmeißen. Milchkartons und Wasserflaschen mögen ja nicht so schlimm sein, aber die ganzen halb vergammelten Orangenschalen sind schon grenzwertig und als dann auch noch ein totes Huhn auftaucht, schaudert es mich schon ein bisschen. Das jedenfalls fasst selbst der Müllmann eher mit spitzen Fingern an…

Im Anschluss verlaufen wir uns mal wieder in irgendwelchen Gassen, lehnen aber alle Guide-Angebote ab und bemühen stattdessen Google Maps.
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Wir landen auf dem Place des Ferblantiers, leider ohne Sitzgelegenheiten.
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Zeit zum Shoppen.
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Wir erwerben Arganöl und bekommen Eukalyptustee zum Probieren – uff, der macht Nase und Rachen frei… Der Geruch ist trotz des winzigen Stückchens im Teeglas so extrem, dass mir die Augen tränen.

Dann treten wir den Rückweg an.
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Den Place Jemaa el Fna überqueren wir im Eilschritt, um auch ja keine Schlange um den Hals gelegt zu bekommen und dafür dann 20€ zahlen zu müssen.
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Beitrag von Entenfang »

Ich möchte noch Datteln und Trockenfrüchte kaufen, doch das aggressive Geschrei der Verkäufer am Hauptplatz kann ich nicht mehr hören und wir gehen sofort weiter. Zum Glück sind sie in ihrem Stand gefangen und können uns nicht nachlaufen.
In einer ruhigeren Seitenstraße, in welcher auch Einheimische einkaufen, entdecken wir einige Dattel- und Nussverkäufer.
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Ich hätte nie gedacht, dass es so viele verschiedene Dattelsorten gibt. Und wo genau ist der Unterschied? „It´s a difference in quality“, klärt uns der Verkäufer auf. Er gibt uns eine Sorte zum Probieren, von der das Kilo 5€ kostet. Joa, ganz lecker. Die für 7€ pro Kilo schmecken wahrhaft himmlisch. Ein gutes Mitbringsel für Daheim.
Nachdem wir noch von diesem und jenen probiert haben, ziehen wir mit gut gefüllten Rucksäcken weiter.

Weit kommen wir nicht, ehe wir einen Bäcker entdecken.
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Der Mandelmuffin sagt uns zu und wir probieren auch noch eine „Sahnetorte“. Der Sahneersatz erinnert uns stark an die Füllung von Schokoküssen.
Die Erdbeergeschmack-Glasur trifft unseren Geschmack aber nicht so.
Wir bezahlen definitiv einen Touri-Preis und spazieren allmählich zurück zu unserer Unterkunft.
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Ein Kleinlaster kämpft sich durch die Souks in einer Gasse, deren Breite mit dem eben gezeigten Bild vergleichbar ist. Selbst mit Hupkonzert der Mofas geht das Rangieren nicht schneller. Unter Mitwirken diverser Passanten und Verkäufer, die dem Fahrer lautstark Anweisungen zurufen und mit den Händeln fuchteln, gelingt schließlich die Weiterfahrt.

Zuletzt wollen wir beide noch jeweils eine Tajine kaufen, was uns im Geschäft des Vertrauens unseres Vermieters gelingt, nachdem wir den Preis um die Hälfte runtergehandelt und trotzdem noch immer viel zu viel gezahlt haben. Aber 5€ kann man sich ein Tongefäß schon mal kosten lassen…

Es ist Freitagabend und wie könnte man den besser als bei einer enormen Portion Couscous ausklingen lassen. Der macht wirklich verdammt schnell satt… Dazu erhalten wir ein Getränk, dass so ähnlich wie Buttermilch schmeckt, aber nicht unbedingt mein Fall ist. In Marokko wird es üblicherweise zum Couscous getrunken, weil er mit Wasser den Bauch sehr stark aufbläht.

Alle Einkäufe sind getätigt, irgendwie müssen die jetzt nur noch im Koffer untergebracht werden, ohne das 20 kg-Limit zu überschreiten. Jedenfalls freue ich mich schon auf die Heimat.
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Beitrag von Entenfang »

Tag 19 Marrakesch -> München

Nachdem wir ganz in gewohnter marokkanischer Gastfreundschaft vom Junge für alles in unserer Unterkunft darauf hingewiesen werden, dass wir doch bitte erst die Koffer packen und das Zimmer räumen sollen, ehe er uns das Frühstück serviert, platzt mir der Kragen. Die unter die Nase gehaltene Buchungsbestätigung von Airbnb mit Check-out um 12 Uhr macht es dann plötzlich doch möglich, in aller Ruhe zu frühstücken.

Womit könnte man eine Marokkoreise besser ausklingen lassen als mit einem Spaziergang durch die Gassen? Ich kann mich an den vielen bunten Details einfach nicht sattsehen…
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Unser Ziel ist die ehemalige Koranschule Medersa Ben Youssef, in welcher Lehrbetrieb vom 14. Jahrhundert bis 1960 stattfand.
„Hey, excuse me, where are you going?“ Geht dich einen Dreck an.
„Sorry, deutsch?“ Und wenn schon.
In der Nähe gibt es wohl einen Gerbereimarkt, den wir unbedingt besuchen sollen. Wollen wir aber nicht.
„Hello! Excuse me, what are you looking for? There is a great market here, just on the left.“ Google Maps sagt aber, dass wir rechts gehen müssen.
„Where are you going?“ Immer noch zur Koranschule. „But it´s closed today. Excuse me, you have to go left here.“ Gar nichts muss ich. Und Google Maps ist immer noch anderer Meinung.
„Hallo!? Hallo!!! Entschuldigung! Einen Moment bitte! Ha, deutsch! Isch geb dir hundert Dirham, wenn die nicht Deutsch sind.“ Eigentlich hätten wir sagen sollen, dass wir aus Österreich sind und die 100 Dirham kassieren…
„Excuse me, this way to the market.“

Schließlich erreichen wir genervt unser Ziel, selbstverständlich ist die Koranschule nicht geschlossen.

Der reich verzierte Innenhof…
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…mit Stuck und Zedernholz.
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Welch immenser Kontrast zu den ärmlichen Schlafräumen der Schüler, die Gefängniszellen ähneln…


Anschließend streifen wir etwas ziellos durch die Gassen, da es noch zu früh zum Mittagessen ist. Dadurch sind wir natürlich leichte Beute für den nächsten Guide. Er versichert uns mehrfach, dass seine Führung kostenlos und er selbstverständlich kein Guide sei.

Jedenfalls ist gleich die erste versteckte Seitengasse, die er uns zeigt, ziemlich interessant. Wir sehen den Heizraum für das nahe Hammam. Es ist wirklich ein riesiger Heizkessel, der zur effizienten Energienutzung auch zum Brotbacken genutzt wird.

Weiter geht´s, er zeigt uns den Eingang zum Hammam und führt uns dann auf die Dachterrasse eines Tuchladens.
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Auf dem Dach vieler Moscheen ist uns der Galgen aufgefallen. Doch tatsächlich dient er nicht dazu, gehenkte Sünder zur Schau zu stellen, sondern dem Hissen einer grünen Flagge vor dem Freitagsgebet. Möglicherweise diente sie dazu, auch tauben Menschen, die den Muezzin nicht hören konnten, die Zeit zum Gebet anzuzeigen.

Wir bekommen einen Turban umgelegt, einmal mit Verhüllung des Gesichts. Alles schön und gut, aber wir haben kein Bedürfnis mehr, irgendetwas zu kaufen. Also lieber schnell weiter ins Kosmetikgeschäft gegenüber. Doch als wir klarmachen, dass wir nichts kaufen wollen, wird auch nichts mehr erklärt und wir werden regelrecht aus dem Geschäft geschoben.
Der Führer rennt durch enge Gassen und allmählich müssen wir an die Zeit denken. Wohin will er eigentlich? Wir haben Hunger…
Na gut, also dann zur Place Jemaa el Fna. WAAAH! Bloß nicht. Wir machen auf der Stelle kehrt. Er jammert herum, wir sollten ihm doch etwas für seine armen Kinder spenden. Also geben wir ihm 1€ für die explizit kostenlose Shopping-Führung und lassen ihn stehen.

Die vorgesehene Gaststätte hat gerade keinen freien Tisch und da wir den marokkanischen Zeitspannen (in 5 bis 10 Minuten wird einer frei) nicht mehr trauen, suchen wir eine Alternative. Wir ignorieren aggressive Speisekarten-in-die-Hand-Drücker und finden einen kleinen Laden an einer lauten Straße. Mittlerweile lässt sich nicht mehr feststellen, ob mein Husten noch von der Erkältung oder von der üblen Luft verursacht wird.
Eine Katze schleicht um den Tisch und hofft auf eine Gabe. Ein Tisch wird frei und sie klettert über einen Stuhl hinauf, schnappt sich einen Knochen aus dem Teller und nagt ihn in aller Ruhe unter den neidischen Blicken weiterer Katzen ab.

Auf dem Rückweg zur Unterkunft legen wir noch einen Halt an einem Sandwichstand ein, um uns Verpflegung für den Rückflug zu besorgen. Da die schon frisch ziemlich lätschigen Pommes wohl kalt nicht mehr so gut schmecken, verschenken wir sie gleich an die ersten bettelnden Kinder.


Wir sammeln unser Gepäck ein und laufen Richtung Busbahnhof, wo der 19er zum Flughafen abfährt. Da es ein guter Kilometer Fußweg ist und wir schwer bepackt sind, denken wir über die Nutzung eines Taxis für die Teilstrecke nach. Da wir aber reichlich Zeit haben und die Strecke auch zu Fuß überwinden können, legen wir intern als Maximalwert 2€ fest.
Der erste Taxifahrer will 50 Dirham, wir gehen sofort weiter. Später purzeln die Preise auf 40, dann auf 30. Wir gehen lächelnd weiter. Jetzt wird es langsam spannend.
Wieviel wären wir denn bereit zu bezahlen? 20.
Also für 20 plus 10 für das Gepäck würde er uns fahren. Wir gehen weiter.
Der nächste Taxifahrer fragt. Wir sind immer noch bereit, 20 zu bezahlen. „Für 30…“ Wir gehen weiter und er willigt augenblicklich ein. „Okokok, 20.“
Tja, welch niedrige Preise auf einmal möglich sind, wenn man die Sache ganz entspannt angeht…

Wohin wir denn mit dem Bus fahren wollten, möchte der Taxifahrer wissen. Zum Flughafen. Aha, soso. Er könne uns „good price“ machen, für nur 50 die ganze Strecke. Aber wir sind noch nicht ein einziges Mal in Marrakesch dazugekommen, mit dem Bus zu fahren und wittern unsere letzte Chance. Da er wirklich interessiert scheint, erklären wir ihm, dass es nichts mit dem Preis zu tun hat, sondern wir einfach mal Bus fahren wollen.
Trotz erheblicher Skepsis angesichts unseres Plans lässt er uns dann sogar an der richtigen Halteposition aussteigen.
Und schon sind wir wieder mittendrin im Trubel, zwei Bettler kommen auf uns zu, einer rutscht auf dem Boden herum. Es dauert nicht lange, bis der nächste Taxifahrer kommt.
Nur 70 zum Flughafen. Nö, wir fahren Bus.
Na gut, der Bus kostet 30 + 30, er würde uns auch für 60 fahren.
Doch wie wir wissen, ist der an der Haltestelle angegebene Preis für die Busfahrt zum Flughafen nicht mehr aktuell - auf der LED-Anzeige des Flughafenbusses wechselt sich das Ziel mit dem Schriftzug 2€ - 20 Dirham ab.
Der Nächste probiert es mit 50 und geht dann auf den tatsächlichen Buspreis von 40 runter. Und als wir dann immer noch ablehnen, schlägt er die Hände vor dem Kopf zusammen und versteht die Welt nicht mehr.
Wer bevorzugt es denn bitte, in einer ungemütlichen, stinkenden Haltestelle zwischen Bettlern auf einen Bus zu warten, wenn er dieselbe Strecke auch zum selben Preis sofort mit dem Taxi fahren kann?

Zwei weitere Taxifahrer versuchen erfolglos, uns für 40 zu ködern, dann kommt nach etwa zehn Minuten Wartezeit der Bus. Er ist ziemlich leer und das verwundert mich bei den Taxipreisen auch nicht. Jedenfalls ist er speziell auf die Anforderungen der Linie zugeschnitten.
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Auch wenn es kein echtes Erlebnis ist, da sich kein einziger Einheimischer im Bus befindet, ist es eine entspannte, knapp halbstündige Fahrt.
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Zum Schluss haben wir uns also nochmal prächtig amüsiert – wer zuletzt lacht, lacht am besten.
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Beitrag von Entenfang »

Fazit

Es gibt nicht nur abwechslungsreiche Landschaften zu bestaunen, auch der Verkehr ist immer für neue Eindrücke gut. Zunächst fällt auf, dass auf dem Land generell viel weniger Verkehr als bei uns stattfindet. Selbst auf den Landstraßen, die einer wichtigen Fernverkehrsfunktion dienen, sind große LKW eine Seltenheit. Der geringe Querschnitt ist aber auch nicht darauf ausgelegt.

In den Großstädten mit hoher Motorisierung ergeben sich die üblichen Verkehrsprobleme, die durch die kaum darauf ausgelegte Infrastruktur sowie den schlechten ÖPNV verstärkt werden. Das Verkehrschaos war aber deutlich geringer als befürchtet und in Casablanca am schlimmsten.
Der Fortschritt beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist im ganzen Land sichtbar. Auch wenn der Bau einer U-Bahn in Casablanca wohl verworfen wurde, ist immerhin die Tramlinie 2 in Bau und es gibt Planungen für zwei weitere Linien. Nachdem die Inbetriebnahme mehrmals verschoben wurde, sollen die ersten TGV 2018 zwischen Tanger und Casablanca fahren und die Reisezeit von etwa fünf auf zwei Stunden verkürzen. https://en.wikipedia.org/wiki/ONCF#/media/F...e:850_trace.jpg Außerdem ist das Autobahnnetz in den letzten Jahren stark gewachsen, unter anderem durch die Freigabe des topografisch anspruchsvollen Abschnitts nach Agadir. Auch an der Landstraße von Marrakesch nach Ourazazate tut sich mit Begradigung und einem deutlich vergrößerten Querschnitt einiges.

Selbst in den Großstädten gibt es erstaunlich wenig „klassischen“ ÖPNV in Form von Bussen. Als Ersatz gibt es eine enorme Zahl Stadttaxis (Petit Taxi) sowie Überlandtaxis (Grand Taxi). Durch die niedrigen Taxipreise, insbesondere bei Sammeltaxen, dürfte sich die Nachfrage stark in Grenzen halten. Auf einigen Buslinien übersteigt die Nachfrage allerdings ganz eindeutig das Angebot – dies macht sich in Form von Menschentrauben auf den Trittstufen der offenen Türen bemerkbar.
Abseits der Buslinien sind vor allem in ländlichen Regionen unzählige Sammeltaxen unterwegs. Selbst wenn die Mehrheit der Flotte noch immer durch 40 Jahre alte Mercedes geprägt wird, ist die laufende Modernisierung unübersehbar. Nach und nach ersetzen klimatisierte Siebensitzer die Altfahrzeuge und sorgen für einen enormen Komfortgewinn.
Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um eine sonderlich effiziente Art des Transportes von Fahrgästen. Ich vermute allerdings, dass es viele Menschen vor eine große Herausforderung stellt, eine bestimmte Haltestellenposition zu einer bestimmten Abfahrtszeit aufzusuchen, wenn man es gewohnt ist, zur nächsten Hauptstraße zu gehen und bei jedem vorbeifahrenden Bus oder Taxi die Hand auszustrecken. Dies wird auch bei der Abfahrt der Eisenbahn deutlich, die extrem chaotisch verläuft. Während in Deutschland die Fahrgäste 5 Minuten vor Abfahrt angerannt kommen, ist man in Marokko erst wirklich spät dran, wenn man 5 Minuten nach der planmäßigen Abfahrt des Zuges ankommt. Da erscheint der wie in Frankreich auf der Fahrkarte vermerkte Hinweis, dass die Türen 2 Minuten vor Abfahrt schließen, nahezu lächerlich. In Wirklichkeit schließen die Türen nämlich überhaupt nicht – angesichts der teilweise nicht klimatisierten Wagen mit Klappfenstern ist die Frischluftzufuhr zwingend erforderlich.

Öffentliche Verkehrsmittel, vor allem Stadtbusse in Casablanca, befinden sich überwiegend in einem erbärmlichen Zustand. Es gibt kaum ein Fahrzeug, in dem alle Scheiben intakt sind. In Extremfällen sind mehrere Fenster komplett aus dem Rahmen entfernt. Obwohl es sich bei den Volvobussen um recht neue Fahrzeuge handelt, sind sie heruntergewirtschaftet und in schlechtem Zustand.
Nutzerfreundlich sind dagegen die beiden Straßenbahnbetriebe in Casablanca und Rabat. Beide wurden allerdings schlüsselfertig inklusive Wartung in Frankreich eingekauft. Aufgrund weiterer Beobachtungen, unter anderem auch der Müllabfuhr in Marrakesch sowie der Busse in Casablanca, nehme ich an, dass es in Marokko massiv an Know-How mangelt.

Eine Kunst für sich ist wohl das Handeln. Manchmal hört oder liest man, über welche Verkaufsobjekte angeblich nicht verhandelt wird – wir sind unter anderem auf Lebensmittel, Kosmetik und Pflanzen gestoßen. Doch in anderen Geschäften wurde darüber selbstverständlich gehandelt. Ein Versuch kostet nichts und kann im Erfolgsfall die absurd hohen Anfangspreise auf ein deutlich niedrigeres Niveau senken. Die Verhandlungsbereitschaft hat je nach Verkäufer extrem stark variiert. Während manche überhaupt nicht handeln wollten, konnte bei anderen der Preis auf ein Drittel des ursprünglichen Betrages gesenkt werden.
Verkäufer wollen ihre Kunden immer dazu nötigen, zu irgendwelchen teuren Gegenständen ein Gebot abzugeben. „Na los, sag mal, was ist dein absolut maximaler Preis, den du dafür bezahlen würdest?“ Man tut gut daran, den Mund geschlossen zu halten. Wenn man einen Preis genannt hat oder sich geeinigt hat, muss man diesen auch bezahlen. Ein spontaner Rückzieher gilt als extrem unverschämt.
Diese Tatsache ist insbesondere daher interessant, dass unser Eindruck in allen anderen Fällen eher ein völlig anderer war: Worte sind Schall und Rauch. Man kann sich erst sicher sein, wenn man das Versprochene wirklich in den Händen hält. Egal ob das im Preis inbegriffene Frühstück, das aufbewahrte Essen*, die scheinbar kostenlose Führung – letztlich gilt immer, lieber den Spatz auf der Hand als die Taube auf dem Dach.

*Da fällt mir ein, dass ich euch diese Geschichte bisher noch vorenthalten habe. Am nächsten Morgen nach unserer Ankunft in Marrakesch bitten wir nach dem Frühstück darum, die aufbewahrten Reste der Vorspeisen vom Abend zuvor wieder zu bekommen. Der Für-alles-Zuständige teilt uns daraufhin mit, dass sie in der Zwischenzeit verdorben wären. Was genau an fünf verschiedenen Salaten, von denen vier aus gekochten Zutaten bestanden, über Nacht verderben kann, wird wohl nie geklärt werden. Aber ich gehe sehr stark davon aus, dass er sie einfach aufgegessen hat.


Marokkanische Großstädte bestehen aus zwei Welten – der Medina und der Ville Nouvelle.

Die Medina, bei der es sich in der Regel um den historischen Stadtkern handelt, oft schon 1000 Jahre alt, ist die Orientierung außerordentlich schwierig. Ohne GPS oder ortskundigen Führer ist man hoffnungslos verloren. Alternativ zu Google Maps bietet sich auch die Offline-Karte maps.me an. Ein herkömmlicher Stadtplan dagegen ist wenig hilfreich, weil nicht alle Gassen eingetragen sind und diese entweder keinen Namen besitzen oder er nicht an jeder Kreuzung ausgeschildert ist.
Das Straßenlayout kann man getrost als Labyrinth bezeichnen. Die engen Gassen sind so angelegt, dass Schutz vor der brennenden Sonne besteht. In einigen Souk-Bereichen sind die Gassen sogar abgedeckt. Die Bausubstanz der alten Häuser ist oftmals weniger gut, es laufen aber einige Sanierungsmaßnahmen, welche die Situation verbessern sollen.
Das Leben spielt sich draußen in den Gassen ab, Kinder spielen Fußball, Händler schieben ihre Ware auf Handwagen herum und in den Hauptgassen reiht sich ein kleiner Laden an den nächsten. Verkehr findet hier vorwiegend zu Fuß statt, durch die starke Mischnutzung lassen sich innerhalb weniger Minuten alle Dinge des täglichen Bedarfs beschaffen.

In der Ville Nouvelle, vorwiegend aus der Kolonialzeit, sind die Häuser höher, die Straßen breiter und die Geschäfte größer. Endlose Blechlawinen quälen sich durch den alltäglichen Stau. Hier gibt es Neubauten, große Hotels, Supermärkte und französische Bäcker. Kleine Stände und Läden sind dagegen eher selten. Das Auto ist hier das dominierende Verkehrsmittel, die Wege weiter. Es gibt mehr Platz und es herrscht weniger quirliges Treiben. In der Gueliz in Marrakesch ist man von Frankreich teilweise nicht allzu weit entfernt.

Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Marokko sind beträchtlich. Natürlich sorgt es für große Verwunderung, dass wir mit Mitte 20 noch nicht verheiratet sind, wenn man selbst mit 14 in zweiter Generation zwischen Cousin und Cousine verheiratet ist. In Marokko werden fast alle Ehen vor der Volljährigkeit geschlossen, außereheliche Kinder sind immer noch verboten. Trotz des sehr traditionellen Rollenbildes war die Frau unseres Gastgebers in Tinghir bereit, erstaunlich offen über dieses Thema zu sprechen, wofür ihr definitiv von meiner Seite Respekt gebührt. Für die beiden Töchter sind ebenfalls bereits Cousins zum Heiraten ausgesucht, der Kinderarzt hat jedoch von einer Heirat in dritter Generation abgeraten.
Daher stellt sich die Frage, ob es in Marokko nicht viele behinderte Kinder gibt. Auf der Straße sind sie mir nur einige wenige Male aufgefallen, daher vermute ich, dass das Thema in irgendeiner Form totgeschwiegen werden muss.
Frauen stehen im Marokko am Herd und kümmern sich um die Kinder. Doch in den modernen Metropolen des Landes ist der Umschwung selbst für Außenstehende eindeutig sichtbar. In Casablanca und Rabat tragen schätzungsweise 2/3 der Frauen ein Kopftuch, vollverschleierte Frauen sind seltene Ausnahmen. In anderen Teilen des Landes tragen dagegen nahezu alle Frauen ein Kopftuch und auch Vollverschleierungen kommen etwas häufiger vor. Außerdem waren in den Küstenstädten auch Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz und Frauen am Steuer der Autos - auch das stellt in anderen Landesteilen die absolute Ausnahme dar.
Im Bekanntenkreis der Gastfamilie in Tinghir gibt es ebenfalls einen Fall, in welchem der Umbruch zu spüren ist. Eine junge Frau, die in Rabat studiert, wehrt sich jetzt gegen die Zwangsheirat mit einem Mann, welcher unter ihrem Niveau ist. Bessere Bildung der Frauen dürfte ein wesentlicher Faktor zu mehr Selbstbestimmung darstellen, denn eine Frau mit Uniabschluss wird sich im Gegensatz zu einer, die mit 14 die Schule verlassen hat, um den Cousin zu heiraten, kaum mit einem Leben hinter dem Herd zufriedengeben.
Auch Scheidungen sind nicht vorgesehen – damit die Kinder nicht in zerrütteten Verhältnissen aufwachsen, erläutert unser Gastgeber. Es hat mich beeindruckt und auch überrascht, dass er seine Meinung sachlich begründet und nicht etwa mit „Gott will es so“. Genauso erläutert uns auch seine Frau den Grund für das Tragen ihres Kopftuchs – die Nachbarn würden andernfalls schlecht über die reden. Für die Dauer des Urlaubs in Frankreich hat sie es nicht getragen (was übrigens auch hundertprozentig der Wahrheit entspricht, da sie uns stolz ihre Urlaubsfotos gezeigt haben).

Für überraschte Blicke haben auch unsere Erläuterungen geführt, dass in Deutschland Teppiche nicht so wichtig wie in Marokko sind, weil der Fußboden bei uns oft aus Holz besteht und in modernen Häusern eine Heizung drunter hat (auch wenn ich bezweifle, dass sie das Prinzip Fußbodenheizung wirklich verstanden haben). Außerdem gab es große Augen auf unsere Nachfrage, dass wir eine Tajine kaufen wollen und dass in Deutschland kaum jemand einen Gasherd hat.
„Wie? In Deutschland kocht niemand in einer Tajine???“
„Was??? In Deutschland gibt es keinen Gasherd? Womit kocht ihr dann?“
Ob Tajine auf einem Ceran-Kochfeld funktioniert, muss also der Praxistest zeigen.

Und tatsächlich, es funktioniert.
Bild

Bild
Auch wenn das Ergebnis leider nicht ansatzweise an den marokkanischen Geschmack herankommt (vor allem das wunderbare Miteinander von Süß und Herzhaft ist mir irgendwie nicht gelungen), ist eine Tajine selbst unter anderen Voraussetzungen erfolgreich einsetzbar.


Wenn es die sprichwörtliche marokkanische Gastfreundschaft gibt, so haben wir sie nicht finden können – leider. Best friends waren wir nur, solange die Menschen die Chance gesehen haben, uns irgendetwas zu verkaufen oder bis es ums Bezahlen ging. Sobald wir klar zu erkennen gegeben haben, dass wir an den Angeboten nicht interessiert sind, waren viele Gespräche sehr schnell vorbei, die gewohnte Aggressivität beim Bezahlen wieder da und das Fuck you den arroganten Touristen unverblümt hinterhergeworfen. Die Mehrheit der Menschen ist mir gegenüber unsympathisch aufgetreten und es macht keine rechte Freude, Kontakt mit Einheimischen aufzunehmen, wenn man bei jedem Gespräch im Hinterkopf behalten muss, dass man am Ende in 95% der Fälle irgendetwas aufgeschwatzt bekommt oder nach Geld verlangt wird.

Die immer gleiche Masche mit den armen Kindern ging uns irgendwann gewaltig auf die Nerven, vor allem angesichts der Tatsache, dass uns hungernde Menschen und insbesondere hungernde Kinder ziemlich häufig begegnet sind und kein Bettler und kein One-Dirham-Kind auch nur einen Moment gezögert hat, wenn wir statt Geld etwas zum Essen angeboten haben.
Seit unser Gastgeber in Marrakesch von seiner Begegnung mit der Polizei berichtet hat, bin ich mir ziemlich sicher, dass das Verhalten der Menschen nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass sie ihre armen Kinder nur ernähren können, wenn sie Touristen aggressiv abzocken. Es ist ein Problem der Einstellung und der Mentalität.
Außerdem haben wir festgestellt, dass der Irrglaube offensichtlich weit verbreitet ist, in Europa und in Deutschland würde das Geld vom Himmel regnen. Hierzulande würde wohl kaum ein Verkäufer auf die Idee kommen, einem Kunden, welcher nach einem kleinen Mitbringsel fragt, etwas für über 100€ anzubieten. Diese Einstellung ist uns mehrfach begegnet und ich vermute, dass dieser Umstand auch eine wesentliche Ursache für die Flüchtlingskrise darstellt.

Dass den Menschen insgesamt weniger Geld zur Verfügung steht, ist nicht nur an den alten Autos zu erkennen. In Marokko besitzt niemand eine Spiegelreflexkamera. Zum Knipsen wird entweder das Handy oder eine Kompaktkamera genutzt. Mit unseren großkalibrigen Kameras und dem Stativ wurden wir mehrfach für Profifotografen oder Journalisten gehalten.
Auch ist die Verbreitung von Smartphones erstaunlich gering. Tastenhandys sind dagegen sehr weit verbreitet und werden rege genutzt. Es kommt auch niemand auf die Idee, dass das Dauergebimmel anderen Menschen auf die Nerven gehen könnte und man Handys auch lautlos schalten kann. Längst vergessen geglaubte Klingeltöne sind wieder zu hören, mit Abstand am häufigsten der klassische Nokia-Klingelton, von dem ich nach der Reise einen regelrechten Ohrwurm bekommen habe.

Im Gegensatz zur Heimat hat sich Ignorieren von Bettlern, Händlern und Guides noirs als wenig geeignete Strategie herausgestellt. Es ist zweckmäßiger, klipp und klar abzulehnen. Ein Verhalten, welches in Deutschland als extrem abweisend herüberkommen würde, ist in Marokko durchaus angebracht. Ignorieren oder gar Freundlichkeit wird oftmals als Zustimmung, Aufforderung oder Schwäche interpretiert. Gleichwohl können bei welcher Verhaltensweise auch immer ganz schnell verbale Beleidigungen fliegen – das wiederum würde in Deutschland äußerst aggressiv und völlig unangemessen wirken.
Wirklich unsicher gefühlt haben wir uns aber nie, wenngleich es einige unangenehme Situationen, vor allem abends in Casablanca, gab. Auch vor Diebstahl haben wir uns nicht gefürchtet. Das könnte auch daran liegen, dass wir unser Geld immer sicher verstaut haben und keine Wertsachen offen… oh, Moment, womit sind die ganzen Bilder entstanden?

Trotz aller Abzocke muss es aber auch eine gewisse Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Menschen geben. Wenn Verkäufer, die meistens den ganzen Tag von morgens bis abends in ihrem Laden stehen, mal einige Minuten ihren Posten verlassen, wird das Geschäft unbeaufsichtigt gelassen. Bei etwas längerer Abwesenheit wird die Ware in Greifweite mit einer Plane zugedeckt und der Zugang mit einem Besenstiel geschlossen, nur nachts wird die Ware eingeräumt und die Tür verschlossen.
Eines jedenfalls funktioniert in Marokko offensichtlich im Gegensatz zu Deutschland völlig problemlos. Take-away-Becher sind in Marokko weitgehend unbekannt. Den Tee oder Kaffee trinkt man entweder vor Ort im Sitzen – oder als Ladenbesitzer geht man in das nächste Café, bestellt sich einen Tee und nimmt das Glas mit ins Geschäft. Wenn es geleert ist, wird das Gefäß selbstverständlich wieder zurückgebracht. Dass dieses Verhalten beispielsweise in den Dresdner Mensen nicht funktioniert, ist an den großen Plakaten, die zur Rückgabe des verschwundenen Geschirrs aufrufen, erkennbar. Seit Herbst 2016 gibt es eine To-Go-Gebühr von 20 Cent pro Einweggeschirr – die Anzahl der verschwundenen Kaffeetassen ist in diesem Zeitraum stark gestiegen.

Das erwartete Budget für die Reise wurde deutlich überschritten. Die Gründe dafür sind äußerst vielfältig. Erstens ist das Preisniveau in Marokko nicht so niedrig wie gedacht. Zweitens ist es sehr schwierig, Preise zu verhandeln, wenn man sich nicht so gut auskennt. Daher haben wir wohl des Öfteren bemerkt oder auch unbemerkt deutlich überhöhte Preise gezahlt. Drittens gab es einige unerwartete Ausgaben wie zum Beispiel den Ausflug von Meknes nach Volubilis. Viertens waren zahlreiche Taxifahrten aufgrund des miserablen ÖPNV erforderlich, die zwar nicht so teuer sind, sich aber summiert haben. Fünftens haben die häufigen Restaurantbesuche zu Buche geschlagen. Da es kaum Wurstwaren oder Käse gibt, blieb uns keine andere Wahl, als zweimal täglich warm zu essen, wenn es nicht Baguette mit La Vache Quirit zum Abendbrot geben sollte. Deutlich ausgewirkt haben sich natürlich auch böse Überraschungen wie der vorletzte Tag in Marrakesch.

Es waren anstrengende, abwechslungsreiche und eindrucksvolle drei Wochen, nur schwer im Voraus planbar, voller guter wie schlechter Überraschungen. Ohne Joachims Französischkenntnisse wäre es wohl um ein Vielfaches komplizierter gewesen. Die Reisedauer hätte nicht länger sein brauchen, nach so viel Aufregung und Stress habe ich mich sehr auf mein eigenes Bett im warmen Zimmer gefreut und hatte die Schnauze voll von der permanenten Abzocke.
Am besten hat mir die Gegend um Tinghir gefallen. Auch wenn mir die Reise trotz (oder wegen) aller Umstände Freude bereitet hat und die Abenteuer durchaus willkommen waren, besteht erstmal kein Bedarf, nochmal nach Marokko zu reisen. Inschallah.


Statistik

2630 Bilder, davon 800 beim Sichten gelöscht

Zurückgelegte Strecke
Bahn ................850 km
Bus..................990 km

Fahrtkosten p.P.
Flug.................267€
Bahn...............30€
Fernbus...........25€
Stadtverkehr....13€
Taxi..................35€
Fahrrad.............51€
_______________
........................421€

Gesamtfahrzeit
Bahn ...............10h 57 min
Bus..................23h 15 min

Gesamtverspätung Bahn (analog FGR)
13 min.


Vielleicht wundert ihr euch, dass ich Joachim gar nicht zu Wort kommen habe lassen. Wie ich mich selbst überzeugen konnte, ist das auf eine nervige Hausarbeit zurückzuführen... ;)

Danke, dass du dich auf das Abenteuer eingelassen hast und uns mit deinen Französischkenntnissen aus der Patsche geholfen hast! :D
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
146225
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Beitrag von 146225 »

Und mein Fazit: Vielen Dank für einen weiteren "echten Entenfang", der mit viel Mühe gestaltet absolut eine Bereicherung war und den ich gerne gelesen habe. Sind schon interessante Eindrücke, die da mitgebracht wurden, aus der ganzen Skala des Lebens. Mein Reiseland wäre es vermutlich aber auch eher nicht.
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Lobedan
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Beitrag von Lobedan »

Das war toll. Übers Wochenende kamen jetzt noch ein paar Bilder oder Geschichten, zu denen ich noch was geschrieben hätte, aber ich war nicht da und will den Post jetzt nicht mit ganz vielen Kurzkommentaren fluten.
Vielen Dank für viele tolle Fotos und Eindrücke. Für ein ehrliches Bild von Marokko, das einerseits nachdenklich macht und andererseits auch Lust auf das Land. Für die Natur und die Stimmung auf den Märkten, für ein bisschen von dem Essen und das Klima würde ich gern mal dorthin fahren. Aber einiges aus deinem Bericht hat mich auch sehr abgeschreckt. Das Nachtleben. Die Eile der Führer. Die Aufdringlichkeit und dass es immer ums Geld gehen muss. Ich denke nicht, dass ich der richtige Mensch für solch eine Reise wäre. Auch nicht in Begleitung. Vielleicht stumpft man ab, wenn man häufiger solche Fahrten macht oder es schon von anderswo kennt. Vielleicht braucht man dafür auch eine andere Grundeinstellung als ich sie habe.
Oliver-BergamLaim
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Beitrag von Oliver-BergamLaim »

Mit einem Wort: wow. So eine Achterbahnfahrt als Reisebericht habe ich bisher noch nicht erlebt.

Ein ganz großes Danke für die unglaubliche Mühe und Detailverliebtheit, die in diesem Reisebericht steckt! :) ich fand es wahnsinnig spannend, mit Euch durch Marokko zu reisen - durch die ausführlichen Situationsschilderungen fühlt man sich wie selbst dabei!

Unglaublich, was Ihr alles - im positiven wie auch negativen Sinne - erlebt habt.

Marokko ist ein Land, das mich wegen Landschaft, Vegetation, Kultur, Essen und Architektur/Medinas durchaus mal reizen würde. Allerdings habe ich mir schon seit Jahren gedacht, dass es aus mehreren Gründen vermutlich einfach nicht mein Reiseland wäre. Letztlich habt Ihr das durch Euren Bericht eindrucksvoll und umfangreich bestätigt. Ihr wart zu zweit unterwegs - wie sich Bettler, Guides, Taxifahrer und allerhand andere Gesellen erst auf einen Alleinreisenden wie mich stürzen würden, will ich mir gar nicht erst ausmalen. Mit dem ständigen Chaos, dem ständigen angesprochen- und ausgefragt werden, mit den verbalen Beschimpfungen und dem Status als offensichtlicher Ausländer, den es abzuzocken gilt, würde ich einfach nicht zurecht kommen. Dazu noch Verkehrschaos etc. - kurzum, ich bin mit 33 vermutlich einfach zu alt bzw. nicht mehr streßtolerant genug für so etwas, sondern will mich auf Reisen mittlerweile eher entspannen und vor allem meine Ruhe haben, ohne groß aufzufallen oder permanent angesprochen zu werden. Mit 20 oder 25 hätte ich es vielleicht gemacht - aber de facto habe ich nach Eurem Bericht Marokko als Reiseziel jetzt gedanklich endgültig ad acta gelegt.

Das ruft mir auch in Erinnerung, warum ich so wahnsinnig gerne Tschechien und die Ukraine bereise - dort wird man einfach in Ruhe gelassen. Ich kann mich auch nach zusammen mittlerweile 50 Reisen in meine beiden Lieblingsländer an keine einzige Beschimpfung oder blöde Anmache dort erinnern, weil ich Ausländer bzw. Tourist war - und abgezockt wurde ich dort auch kein einziges Mal, alles war immer korrekt. Das mag aber vielleicht zum Teil auch daran liegen, dass man dort als "Weißer" einfach erstmal nicht als Ausländer per se auffällt.

Marokko ist in dem Sinne schon starker Tobak, und daher gilt mein Respekt nicht nur Deinem stilistisch einmalig guten Reisebericht, sondern auch ganz deutlich Deinem Mut, dieses Land zu zweit im Rahmen einer selbst geplanten Individualreise zu besuchen. Ich hätte diesen Mut ganz ehrlich gesagt nicht.
Bayernlover
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Beitrag von Bayernlover »

Ich möchte mich auch herzlich für diesen Bericht bedanken, extrem beeindruckend!

Vor allem die Unterschiede zum Oman sind mir hier deutlich geworden, dort wird man nirgendwo so aggressiv angemacht und/oder verfolgt, alles läuft sehr gesittet ab. Gut, nun waren wir dort auch mit einem Omani unterwegs und haben zum Beispiel in den Restaurants immer nur Spottpreise bezahlt. Vielleicht ist das der Trick: Mit einem Einheimischen herumreisen, den wird man auf jeden Fall in Ruhe gelassen ;)

Generell gibt es wohl deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen dem mittleren Osten und Nordafrika - wie hier im Bericht eindeutig herausgekommen ist.
Für mehr Administration. Gegen Sittenverfall. Für den Ausschluss nerviger Weiber.
Catracho
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Beitrag von Catracho »

Bayernlover @ 15 Aug 2017, 22:05 hat geschrieben: Generell gibt es wohl deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen dem mittleren Osten und Nordafrika - wie hier im Bericht eindeutig herausgekommen ist.
Wieso auch nicht? Gibt ja auch deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen Japan und Sri Lanka. Oder Nordamerika und Südafrika.

Mfg
Catracho
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karhu
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Beitrag von karhu »

Vielen Dank für deinen hoch interesanten Bericht. Hat mich sehr nachdenklich gemacht und leider negativ überrascht.

Eure Erfahrungen von der Unfreundlichkeit und Gier der Leute schreckt mich auch ab dorthin zu reisen. Doch ich will den Leuten eigentlich da nicht so einen großen Vorwurf machen. Denn es ist das ungerechte monarchistische, kapitalistische und korrupte System dort das die Bevölkerung dazu zwingt jeden auszuquetschen der irgendwie danach aussieht Geld zu haben: Quantara Aber das dürfte nicht der einzige Grund sein gibt es doch ärmere Staaten wo die Bevölkerung sich nicht so gierig verhält, vermutlich hat das auch mit der Erziehung dort zu tun: Deutschlandfunk
Persönlich würde ich dort einfach total überfodert sein in dieser Gesellschaft dort. Es wird sehr deutlich wie wichtig soziale Absicherung und gleichmäßige Verteilung ist.

Auf der postiven Seite ist durchaus die faszinierende Landschaft dort zu sehen und das immerhin hat Marokko zu bieten.

Noch mal vielen Dank für den super Bericht :)
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Galaxy
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Beitrag von Galaxy »

Lobedan @ 9 Aug 2017, 17:20 hat geschrieben:Gab es in den Städten auch sowas wie Villenviertel?

In den Altstädten kann man Villen von Außen eigentlich nicht erkennen, da es zur Straße hin meistens nur eine Wand mit einer Tür gibt. Der Marmor wird innen getragen. Man achtet eher penibelst darauf das an der Wand zur Straße der Putz abbröckelt. In den Vororten von Marrakesch gibt es Neubaugebiete wo der Marmor außen getragen wird.
Entenfang @ 15 Aug 2017, 14:33 hat geschrieben: In Marokko werden fast alle Ehen vor der Volljährigkeit geschlossen, außereheliche Kinder sind immer noch verboten.
Was auch ein Problem bei den Flüchtlingen ist. Es gibt in Nord Afrika, oder Nahost keine Dating Kultur. Die haben keine Ahnung wie man eine Frau anspricht. Ein durchaus schwieriges Dilemma. Kannst Du mir genau definieren wo die Grenze zwischen Flirten und sexuelle Belästigung liegt? Das ist eher etwas was man von Kindheit an als eine Art Sub-Sprache erlernt. Und dann kommen noch Sprach Barrieren hinzu. Tricky.
Daher stellt sich die Frage, ob es in Marokko nicht viele behinderte Kinder gibt. Auf der Straße sind sie mir nur einige wenige Male aufgefallen, daher vermute ich, dass das Thema in irgendeiner Form totgeschwiegen werden muss.
Wahrscheinlich buchstäblich tot.
Bessere Bildung der Frauen dürfte ein wesentlicher Faktor zu mehr Selbstbestimmung darstellen, denn eine Frau mit Uniabschluss wird sich im Gegensatz zu einer, die mit 14 die Schule verlassen hat, um den Cousin zu heiraten, kaum mit einem Leben hinter dem Herd zufriedengeben.
Na ja. Was dieses Thema angeht bin ich vor allem mit Frauen aus Indien berührt. Ich arbeite mit einer Inderin zusammen die eine promovierte Chemikerin ist. Als die Familie des Mannes. mit der sie zur Kindheit verlobt wurde, Sie auf die Ehe ansprach hat sie ihnen gesagt sie sollen sich zum Teufel scheren. Anderseits hatte ich eine excellente Laborassistentin die zurück nach Indien gegangen ist um den verlobten zu heiraten, und die hatte genug verdient um alleine zu leben. Sie kam mit ihrem Mann in die USA zurück. Es wurde ihr angeboten mit jemandem aus der Rechtsabteilung zum FBI zu gehen.
Auch Scheidungen sind nicht vorgesehen
Die Scharia erlaubt durchaus Scheidungen, und man kann durchaus das Argument bringen das Frauen bei der Scheidung nach der Scharia besser geschützt waren als Frauen in westlichen Länder bis in der 60er, 70er Jahre. Bei einigen durchaus später. Der Grund warum es de jure wenige Scheidungen gibt ist weil der Mann es sich nicht leisten kann.

Außerdem haben wir festgestellt, dass der Irrglaube offensichtlich weit verbreitet ist, in Europa und in Deutschland würde das Geld vom Himmel regnen.
In gewisser Weise stimmt das. Global betrachtet zählt man ab US $ 32.400 pro Jahr zu den top 1%. 50% der Bevölkerung in Deutschland sollten dazu zählen. Selbst ein Hartz4 Empfänger hat für viele Menschen ein beneidenswerte Absicherung. Du hast als Student wahrscheinlich mehr disposable income als die meisten Menschen in Marokko.
ich vermute, dass dieser Umstand auch eine wesentliche Ursache für die Flüchtlingskrise darstellt.
Yup. Die verstehen nur nicht das sie nicht die nötigen Skill Sets habe,
Es kommt auch niemand auf die Idee, dass das Dauergebimmel anderen Menschen auf die Nerven gehen könnte und man Handys auch lautlos schalten kann.
Ist Relative. Deutschland ist im internationalem Vergleich ein recht leises Land im öffentlichem Raum (wobei auch in Deutschland die Unsitte sich ausbreitet Musik aus dem Handy zu spielen), nicht so leise wie Tokyo (was bemerkenswert leise ist) aber Deutsche Städte sind viel leiser als z.B. amerikanische Städte. Am anderen Ende der Skala ist Indien wo eine permanente Kakophonie in den Städten herrscht. In lauten Ländern interessiert es die Mensche einerseits nicht das man andere Menschen beschallt, anderseits stört es die auch nicht wenn sie selber beschallt werden. Andere Länder, andere Sitten. Ich habe nur die Angst (obwohl eher ein Fan der Globalisierung) das sich die Schreihälse international durchsetzten werden.
Ein Verhalten, welches in Deutschland als extrem abweisend herüberkommen würde, ist in Marokko durchaus angebracht. Ignorieren oder gar Freundlichkeit wird oftmals als Zustimmung, Aufforderung oder Schwäche interpretiert. Gleichwohl können bei welcher Verhaltensweise auch immer ganz schnell verbale Beleidigungen fliegen – das wiederum würde in Deutschland äußerst aggressiv und völlig unangemessen wirken.
Ist auch wieder Relativ. Italien ist schon deutlich aggressiver als Deutschland. Der Ton in deutschen Unternehmen ist im Vergleich zu den USA viel aggressiver, was Mitarbeiter untereinander angeht, und vor allem Vorgesetzte gegenüber ihnen Unterstellte .
Trotz aller Abzocke muss es aber auch eine gewisse Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Menschen geben. Wenn Verkäufer, die meistens den ganzen Tag von morgens bis abends in ihrem Laden stehen, mal einige Minuten ihren Posten verlassen, wird das Geschäft unbeaufsichtigt gelassen. Bei etwas längerer Abwesenheit wird die Ware in Greifweite mit einer Plane zugedeckt und der Zugang mit einem Besenstiel geschlossen, nur nachts wird die Ware eingeräumt und die Tür verschlossen.
Anders als Du sind die Händler keine "Infidels" :P
Bayernlover @ 15 Aug 2017, 22:05 hat geschrieben:
Vor allem die Unterschiede zum Oman sind mir hier deutlich geworden, dort wird man nirgendwo so aggressiv angemacht und/oder verfolgt, alles läuft sehr gesittet ab.

Generell gibt es wohl deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen dem mittleren Osten und Nordafrika - wie hier im Bericht eindeutig herausgekommen ist.
Sicherlich, aber Oman ist auch noch nicht so sehr Massentourismus wie mittlerweile Marokko, das spielt auch eine Rolle.
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Beitrag von Bayernlover »

Catracho @ 16 Aug 2017, 00:03 hat geschrieben: Wieso auch nicht? Gibt ja auch deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen Japan und Sri Lanka. Oder Nordamerika und Südafrika.
Völlig richtig, aber du weißt ja, für bestimmte Individuen ist das ja alles das gleiche...
Für mehr Administration. Gegen Sittenverfall. Für den Ausschluss nerviger Weiber.
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Beitrag von Elch »

Danke für den tollen Bericht.

Ich finde es sehr interessant wie unterschiedlich man Marokko wahrnehmen kann. Wir (meine Frau, 8-monatiger Nachwuchs & Ich) waren 2013 in Marokko und auch für zwei Wochen individuell unterwegs und haben eigentlich nur positive Erfahrungen gesammelt.
Daß man an touristischen Hot-Spots möglichst nichts konsumiert oder auf hohe Preise/Beschiss eingestellt ist ist leider nicht nur in Marokkko so (Markusplatz Venedig geht auch in die Richtung).
Besonders interessant finde ich immer das Empfinden der Marktverkäufer und "Reinschmeisser". Vielleicht liegt es dran daß ich 2 Jahre in der Türkei gelebt habe, aber irgendwie haben wir es noch immer hinbekommen nicht übermäßig von denen "belästigt" zu werden. Es gibt hier glaube ich viele kleine "Gesten" zu zeigen daß man (definitiv) kein Interesse hat. Die "türkischen" scheinen da auch in Marokko funktioert zu haben. Auch wenn ich alleine war - Als Familie wird man ohnehin anders wahrgenommen.

Komischerweise habe ich mit airbnb auch schon oft schlechte Erfahrungen gemacht. In Marokko hatten wir immer über Booking gebucht - und tolle Unterkünfte zum günstigen Preis bekommen, bzw. Couchsurfing genutzt. Auf dem Land sind wir dann mal für 5 Tage von einer Familie zur anderen "weitergereicht" worden ;)
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Zunächst danke euch allen für die Rückmeldung - es freut mich, dass es euch offensichtlich ebenso viel Freude gemacht hat, die virtuelle Reise mitzumachen, wie mir die echte Reise und das Festhalten der Eindrücke!
Das ruft mir auch in Erinnerung, warum ich so wahnsinnig gerne Tschechien und die Ukraine bereise - dort wird man einfach in Ruhe gelassen. Ich kann mich auch nach zusammen mittlerweile 50 Reisen in meine beiden Lieblingsländer an keine einzige Beschimpfung oder blöde Anmache dort erinnern, weil ich Ausländer bzw. Tourist war - und abgezockt wurde ich dort auch kein einziges Mal, alles war immer korrekt.
Im großen und Ganzen kann ich dir zustimmen. Wobei ich die Ecke rund im die Karlsbrücke in Prag nicht unbedingt in guter Erinnerung habe. Ich denke da an Bungabunga-Angebote und Thai-"Massagen"... Was aber am durchaus touristischen Prag definitiv das Faszinierende ist, dass man drei Gassen weiter seine Ruhe hat. Und das ist in Marokko definitiv nicht der Fall.

Von der Ukraine - letztes Jahr mein erster und bisher einziger Beusch dort - waren wir überaus positiv überrascht, was das Verhalten der Menschen uns gegenüber angeht.

Das mag aber vielleicht zum Teil auch daran liegen, dass man dort als "Weißer" einfach erstmal nicht als Ausländer per se auffällt.
Das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt. Ich finde es ziemlich spannend, offensichtlichen "Rassismus" mal selbst zu erleben. Denn als Weißer kann ich mir das irgendwie gar nicht vorstellen, wie sich ein Schwarzer oder Araber bei uns fühlt. Vor knapp 5 Jahren in Indien ist mir das zum ersten Mal vor Augen geführt worden, wie es sich anfühlt, sofort als irgendwie "anders" wahrgenommen zu werden. Und in Indien wie auch in Marokko gilt man immerhin als Geldsack, an dessem Wohlwollen man als Ladenbesitzer oder Taxifahrer ein wirtschaftliches Interesse hat. Wenn ich daran denke, wie in unserer Gesellschaft pauschal über arabischstämmige Menschen geurteilt wird und an die Banner von Pegida denke, da schauderts mich...
Marokko ist in dem Sinne schon starker Tobak, und daher gilt mein Respekt nicht nur Deinem stilistisch einmalig guten Reisebericht, sondern auch ganz deutlich Deinem Mut, dieses Land zu zweit im Rahmen einer selbst geplanten Individualreise zu besuchen. Ich hätte diesen Mut ganz ehrlich gesagt nicht.
Nun, ich kann nicht sagen, dass ich nicht gewarnt gewesen wäre. Ich habe mich bewusst entschieden, in die Höhle des Löwen zu springen, darf mich also auch nicht beschweren, ein paar Federn gelassen zu haben. Frei nach dem Motto: Du wolltest Abenteuer - kannst du haben.
Vielleicht ist das der Trick: Mit einem Einheimischen herumreisen, den wird man auf jeden Fall in Ruhe gelassen
Absolut. Es gibt nichts Wertvolleres, ganz egal ob man in Eberswalde oder Tinghir ist. Übrigens ist es tatsächlich so, dass man absolute Ruhe von allen Anmachversuchen hat, wenn man mit einem Guide unterwegs ist.
Auf der postiven Seite ist durchaus die faszinierende Landschaft dort zu sehen und das immerhin hat Marokko zu bieten.
Um mal meine ganz persönliche Meinung kurz und knapp darzulegen: Landschaft Top, Menschen Flop.

@ Galaxy
Zum Thema Frauen:
Sicher gibt es auch viele Beispiele, in denen gebildete Frauen zwangsverheiratet sind. Aber die Anzahl der ungebildeten Frauen, die sich dagegen wehren, dürfte deutlich geringer sein als die der Gebildeten. Insofern sehe ich Bildung sehr wohl als essentiell für eine Verbesserung.

Zum Thema Geld:
Selbstverständlich ist ein Hartz IV-Empfänger beneidenswert für jemanden, der in Marokko in einer Wellblechhütte wohnt. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt.
Ich hatte den Eindruck, dass die Vorstellung weit verbreitet ist, Europa wäre das Schlaraffenland, in dem es Geld im Überfluss, keinen Hunger und keine Sorgen gibt. Und dem ist definitiv nicht so. Auch in Europa gibt es viele Menschen, denen es schlecht geht.
Es gibt aber wohl noch einen weiteren Aspekt, der zum Irrglauben beiträgt. Denn wer streift als Tourist durch die Gassen von Marrakesch? Nicht die alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die irgendwie über die Runden kommen muss. Nicht der Tagelöhner, der seine letzte Stromrechnung mangels Arbeit nicht bezahlen kann. Und erst recht nicht der Obdachlose, der in der Berliner U-Bahn seine Lebensgeschichte erzählt. Also liegt in der Wahrnehmung auch ein ganz klarer Stichprobenfehler vor - um es mal wissenschaftlich verklausuliert auszudrücken.
Deutschland ist im internationalem Vergleich ein recht leises Land im öffentlichem Raum (wobei auch in Deutschland die Unsitte sich ausbreitet Musik aus dem Handy zu spielen), nicht so leise wie Tokyo (was bemerkenswert leise ist) aber Deutsche Städte sind viel leiser als z.B. amerikanische Städte. Am anderen Ende der Skala ist Indien wo eine permanente Kakophonie in den Städten herrscht.
Guter Punkt, da habe ich mein Urteil aufgrund der in Deutschland gewohnten Situation gebildet.
Ich finde es sehr interessant wie unterschiedlich man Marokko wahrnehmen kann
Danke für deine Gegendarstellung - das finde ich immer besonders wichtig. Wodurch die unterschiedlichen Erfahrungen zustande kommen, kann viele Gründe haben. Ich habe mich auch im Vorfeld der Reiseplanung mit Bekannten unterhalten, die schon in Marokko waren. Und auch da gingen die Meinungen weit auseinander - von sehr lieben Menschen bis maximal nervig war alles dabei. Sicher spielen da verschiedene Faktoren rein (jungen Männern dreht man wohl eher Cannabis an als einer Familie oder Seniorengruppe) oder dein Verhalten hat sich in irgendeiner Form deutlich von unserem unterschieden. Wobei Abzocke ohnehin kein rein touristisches Problem ist.

Dazu fällt mir gerade noch eine tolle Geschichte ein. Unser Vermieter in Marrakesch hat zwar marokkanische Wurzeln, ist aber in Frankreich aufgewachsen und lebt jetzt seit wenigen Jahren zusammen mit seiner marokkanischen Frau wieder in Marokko. Sie hatte ihn mal gebeten, irgendwas aus der Apotheke zu holen. Als er dann mit dem gewünschten Produkt wiederkam, hat sie ihn gefragt, wie viel er dafür gezahlt hat. Als er den Preis genannt hat, ist sie wutentbrannt zusammen mit ihm zurück in den Laden und hat tatsächlich fast 3/4 des Geldes zurückbekommen.
Oder andere Geschichte: Er wird in seinem Auto (keine Ahnung welches, aber ich würde vermuten, eher ein teures) von der Polizei angehalten. Sein Blinker ist kaputt und der Polizei fordert einen absurd hohen Betrag als Strafe, natürlich grotesk, angesichts der Dinge, die an marokkanischen Autos sonst noch so kaputt sind. Er fordert den Polizisten also auf, ihm konkret das Gesetz zu nennen, in dem diese Strafe drinsteht. Daraufhin wird der Betrag um die Hälfte gesenkt. Als er immer noch standhaft bleibt, lässt der Polizist ihn einfach so weiterfahren.
Komischerweise habe ich mit airbnb auch schon oft schlechte Erfahrungen gemacht. In Marokko hatten wir immer über Booking gebucht - und tolle Unterkünfte zum günstigen Preis bekommen, bzw. Couchsurfing genutzt. Auf dem Land sind wir dann mal für 5 Tage von einer Familie zur anderen "weitergereicht" worden
Wie bei jeder Buchung einer Unterkunft kann man Glück haben oder auch nicht - ich denke, dass das relativ unabhängig vom Anbieter ist. Casablanca, Fés, Tinghir und Marrakesch haben wir über Airbnb gebucht. In Casablanca hatten wir überhaupt keinen Kontakt mit der Vermieterin, Fés lief gelinde gesagt nicht so ganz rund, Tinghir war top - solche Eindrücke aus dem Familienleben kann natürlich kein Hotel bieten - und Marrakesch war auch ganz gut. Merzouga hatten wir durch Zufall beim Googlen entdeckt und direkt per Mail gebucht und das supergünstige 4*-Hotel in Erfoud war über Booking.

Airbnb habe ich erst kürzlich als für mich interessant entdeckt und finde es eigentlich ganz gut. Ich schätze den oft vorhandenen Kontakt zum Vermieter bei der Ankunft und die Führung zum 24h-Supermarkt, wenn man um 23 Uhr in Lemberg ankommt, ist einfach unbezahlbar. Außerdem finde ich einen Kühlschrank sehr hilfreich. Beides hat man üblicherweise in Hotels nicht. Wenn möglich buche ich Hotels lieber direkt, weil Booking extrem hohe Provisionen von den Betreibern verlangt (Airbnb aber natürlich auch). Couchsurfing habe ich noch nie ausprobiert, denke aber, dass mir da die Privatsphäre etwas zu kurz kommen würde. Letzten Endes ist es immer eine Abwägung vieler Kriterien - da hat natürlich jeder andere Prioritäten.
Daß man an touristischen Hot-Spots möglichst nichts konsumiert oder auf hohe Preise/Beschiss eingestellt ist ist leider nicht nur in Marokkko so (Markusplatz Venedig geht auch in die Richtung).
Das ist völlig klar, deswegen versuche ich auch, die möglichst zu umgehen. Ich sehe aber einen kleinen Unterschied zwischen der Place Jemaa-el-Fna und dem Markusplatz. Bei ersterem wird man im Vorbeigehen massiv bedrängt und es ging offensichtlich darum, die horrenden Preise zu verschleiern. Am Markusplatz kann ich mich an ersteres nicht erinnern (ist aber auch schon wieder einige Jahre her, dass ich dort war) und wenn ich sehe, dass der Kaffee auf der Speisekarte 20€ kostet, dann setze ich mich halt nicht hin. Allerdings gab es damals keine einzige Bank auf dem ganzen Platz und auf jeder Stufe und jedem Brunnen waren große Verbotsschilder angebracht: Sitzen verboten, liegen verboten, alles verboten. Keine Ahnung, ob das immer noch so ist und ja, mangels Alternativen ist der Kaffee für 20€ dann wirklich blanke Abzocke.
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Re: Berg & Tal, Licht & Schatten – Marokko

Beitrag von Entenfang »

Was man nicht alles findet, wenn man nicht danach sucht...

https://www.bls.ch/de/freizeit-und-feri ... se-marokko

Die bls bietet im März 2023 eine Gruppenreise an, bei der grob unsere Reiseroute gefahren wird, dabei aber noch zwei Bahnhighlights mitgenommen werden - nämlich der inzwischen eröffnete TGV Rabat - Tanger sowie der privat für touristische Zwecke betriebene Zug Oujda - Bouarfa. Falls jemand 5000 Franken übrig hat, sicher eine spannende Strecke.

Dass man den Train du Désert überhaupt nutzen kann, geht auf die Initiative eines Schweizers zurück. Einen alten Reisebericht dazu gibts bei der NZZ.
https://www.nzz.ch/sand-auf-den-schienen-ld.657901
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