Trapeztafelfanatiker @ 26 Dec 2017, 12:34 hat geschrieben:Ich denke es liegt, wie z. B. auch bei Erding (das einem wie ein Dorf vorkommt innenstadtmäßig, verglichen z. B. mit Straubing oder Neumarkt), daran, dass die Städte einfach schnell gewachsen sind, die Innenstädte aber nicht mitgewachsen sind.
Inwiefern soll eine Innenstadt wachsen? Von der physischen Größe her ist die Ingolstädter Ludwig- und Theresienstraße auch nicht kleiner als die Kaufingerstraße in München. Das Problem ist, dass das Wachstum der Stadt stets "autogerecht" umgesetzt wurde und man das Stadtzentrum nie wirklich im Fokus hatte, ebenso spielt es nach 1945 keine Rolle mehr, ob irgendwas gut von der Bahn erschlossen ist. Das liegt aber nicht nur an der Stadt selbst. Ingolstadt ist bahnmäßig stark vom "eilzugmäßigen Fahren" betroffen gewesen, im Süden war die Paartalbahn Augsburg - Ingolstadt sogar ein Stillegungskandidat. Als Unsernherrn und Zuchering in den 70ern und 80ern stark gewachsen ist, hat man aufgrund der Zeichen aus Bonn und Frankfurt die Bahn nicht mehr wirklich mitberücksichtigt. Ingolstadt hatte schon früh eine starke Buslobby, weswegen z.B. die Pferde-Straßenbahn vom Hauptbahnhof in die Innenstadt schon 1921 eingestellt und gar nicht mehr elektrifiziert oder ausgebaut wurde. Da kam eins zum anderen, so hat sich die Stadt ein bisschen entwickelt wie eine amerikanische Vorstadt, die Stadt besteht ja zu weiten Teilen quasi nur aus kleinen Häuschen, von wo aus man mit'm Auto überall hinfährt. Dass es seit 1989 irgendwie Großstadt geworden ist, ist halt irgendwie passiert, in den Köpfen ist das aber glaub ich bis heute nicht angekommen. Dass es einen Bahnhalt bei Audi überhaupt erst ab dem Fahrplan 2020 geben soll und man quasi 60 Jahre meinte, sowas nicht zu brauchen, sagt eigentlich schon viel.
Es gibt da auch eine kleine Geschichte von der Eröffnung des elektrischen Bahnbetriebs München - Ingolstadt 1960. Alle hochrangigen Gäste des Eröffnungssonderzugs kamen dafür ja extra nach München, man hat die Schulkinder an den Bahnhöfen antanzen lassen zum Winken und die DB hat wohl an mehreren Bahnhöfen einen Turmtriebwagen geparkt, damit auch ja nix schiefgeht, nur für den damaligen Ingolstädter Bürgermeister war das Ereignis nicht so bedeutend, der kam mit seinem BMW (!) nach Wolnzach Bahnhof und ist dann nur die letzten 15 Minuten bis Ingolstadt mitgefahren. Bekannt ist eine Äußerung in dem Zusammenhang, dass er wohl sonst eher die Autobahn bevorzuge.
Dabei war die Bahn damals noch der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt. Es hat der Verbundenheit des Ortes mit der Bahn aber auch nicht gerade geholfen, dass die Bundesbahn erst das Aw und später auch das Bw geschlossen hat, da waren zusammen mal weit über 2.000 Leute beschäftigt. (Übrigens wollte die Auto-Union das Aw der Bahn samt Leuten sogar übernehmen, nur als dann VW Auto-Union übernommen hat, wurde das wieder abgeblasen!) Dass Ingolstadt war mal eine Militär- und Eisenbahnerstadt war, sieht man aber noch, wenn man genauer hinschaut. Noch heute ist gegenüber dem Hbf der ESV (Eisenbahner-Sportverein) daheim, dessen Fußballabteilung 2004 mit der des MTV (Männer-Turn-Verein) zum FC Ingolstadt 04 zusammengelegt wurde und heute im ganz weit draußen gelegenen Audi-Sportpark spielt. Selbst der "große" Fußballverein hat seine Wurzeln zum Teil bei der Eisenbahn.
spock5407 @ 26 Dec 2017, 14:02 hat geschrieben:Auf der anderen Seite (...) vmtl. der gleiche Ladenketten-Einheitsbrei wie sonst oft auch?
In der Fußgängerzone gibt's u.a. Kaufhof, C&A, Esprit, h&m, K&L Ruppert, Kik, Woolworth, Foot Locker, Jack Wolfskin, Christ, O2, Vodafone, Telekom, Apollo, Hugendubel, Fielmann, Nordsee, McDonald's (macht zu), Hans im Glück (ab demnächst) - fehlt was?
Wie Trapeztafelfanatiker schon sagte, die Leute wollen diese Ketten ja offensichtlich, sonst gäb es sie nicht überall. Das Beispiel McDonald's vs. Hans im Glück zeigt, dass Läden auch wieder verschwinden, wenn die Leute was anderes wollen. Eigentlich ist bis auf eine Elektrokette fast das gleiche da wie in der Kaufingerstraße in München, nur verkraftet die Innenstadt einer Millionenstadt mit hundertausenden Einpendlern und Besuchern zusätzliche Einkaufszentren eher als eine kleine Großstadt, die eigentlich nur als Vorort von München oder Nürnberg gesehen wird. Deswegen muss man aufpassen mit Aussagen, dass andere Städte die Einkaufszentren ja auch hätten. Bei denen hat die Innenstadt ja dann auch meistens das eine oder andere Problem.
Dadurch dass Ingolstadt so schnell gewachsen ist, hat man natürlich jetzt auch nicht direkt größere Leerstände wie vielleicht anderswo, das muss man auch sagen. Jedenfalls wollte ich nur sagen, es ist nicht das Internet oder der Ladenschluss, der Innenstädten zu schaffen macht, wie oft behauptet wird. Wenn nicht gerade massenweise Leute aus der Gegend wegziehen, ist halt oft einfach die eigene Stadtpolitik.
Trapeztafelfanatiker @ 26 Dec 2017, 15:20 hat geschrieben:Erding fehlt ein Regionalzug nach München, der nicht überall hält oder eben eine Express-S-Bahn.
spock5407 @ 26 Dec 2017, 14:02 hat geschrieben:ich war noch nicht in Ingolstadt
Aber eben fast jeder Ingolstädter ist mindestens einmal im Jahr in München, mit dem ICE sind's ca. 45 Minuten in die Kaufingerstraße.
Erding wollte ja noch nicht einmal die S-Bahn wirklich, damit die Leute nicht nach München abhauen. Deswegen gibt's den MVV zwischen Markt Schwaben und Dorfen ja bis heute lustigerweise nur im Bus. Ich glaube, die meisten Städte im Umland sehen es mittlerweile sogar als nervig an, dass einerseits die Kaufkraft abfließt und andererseits auf die Orte so ein Siedlungsdruck entsteht, dass sich selbst die Pfaffenhofener und Erdinger halt fragen, ob sie das überhaupt wollen. Umso schlechter München zu erreichen ist, umso weniger MVV man hat, umso bezahlbarer bleiben die Immobilienpreise und umso attraktiver bleiben die eigenen Läden. Jetzt ratet mal, was der MVV im Gegensatz zum VGN in den letzten 30 Jahren quasi nicht gewachsen ist.
Übrigens muss ja nicht jede Stadt total aufregend und total spannend sein und ein bisschen auf New York oder sonstwas machen wollen. Jede Stadt hat ihren eigenen Charakter. So hat es vielleicht in Berlin oder Dresden Tradition, dass man sich nachts um 1 Uhr billig Bier kaufen kann, in München hat es Tradition, dass man um diese Zeit seinen Rausch vom Tag ausschläft.
