Bayernlover @ 21 Mar 2016, 14:59 hat geschrieben: aber ich hab ein paar Urteile gefunden
Wir leben nicht in den USA, du hast da sicher die sog. Präzedenzfälle aus US Serien und Filmen mindestens unterbewusst im Hinterkopf. D. h. wenn du die deutsche Rechtslage nachschauen möchtest, dann musst du in Normen schauen, nicht in Gerichtsurteile - diese sind nur Anwendungen der Normen auf Einzelfälle und können maximal bei ähnlich gelagerten Fällen einen ersten Eindruck davon geben, wie Richter dies einschätzen mögen. Aber auch nur bei den höchsten Instanzen und auch nur, wenn zwischendrin keinerlei relevante Normen geändert wurden - das macht das ganze so unüberschaubar, dass du als Laie gut daran tust, gar nicht erst damit anzufangen, Urteile zu lesen. Das kann nur zu gefährlichem Halbwissen führen.
Was hingegen jeder durchschnittlich gebildete Laie durchaus nachlesen kann und auch können soll, man kann sich nur an geltendes Recht halten, das man auch kennt, ist die Verordnung zur Autobahn-Richtgeschwindigkeit.
Daraus der § 1
Den Führern von Personenkraftwagen sowie von anderen Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 3,5 t wird empfohlen, auch bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen
1.
auf Autobahnen (Zeichen 330.1),
2.
außerhalb geschlossener Ortschaften auf anderen Straßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtungen getrennt sind, und
3.
außerhalb geschlossener Ortschaften auf Straßen, die mindestens zwei durch Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) oder durch Leitlinien (Zeichen 340) markierte Fahrstreifen für jede Richtung haben,
nicht schneller als 130 km/h zu fahren (Autobahn-Richtgeschwindigkeit). Das gilt nicht, soweit nach der StVO oder nach deren Zeichen Höchstgeschwindigkeiten (Zeichen 274) bestehen.
Und auch ohne das Studium der Rechtswissenschaften oder sonstige fachliche Schulung in Gesetzesauslegen ist schlichtes, aufmerksames Lesen hier sehr hilfreich, beispielsweise die explizite Formulierung "auch bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen". Die einzige Ausnahme von dieser Empfehlung ist konkret wenn auf der Autobahn ausdrücklich eine andere Höchstgeschwindigkeit beschildert ist. Auch bei diesem Hinweis hat sich der Verordnungsgeber etwas gedacht, er hat ausdrücklich eine Ausnahme von dieser Empfehlung genannt - nämlich lediglich eine andere Rechtsquelle. Während zu Anfangs ausdrücklich die Abweichung aufgrund von besten Straßen(usw.)Verhältnissen abgelehnt wird.
D. h. wertungsmäßig hat der Autofahrer sich also an die Empfehlung zu halten - ansonsten fährt er eben auf eigenes Risiko und er bzw. die Gutachter und Anwälte auf seiner Seite müssen ihn im Einzelfall im Vorwurf entlasten, dass die überhöhte Geschwindigkeit kausal für das Unfallgeschehen war bzw. der Unfall hätte vermieden werden können, wenn man sich an die Richtgeschwindigkeit gehalten hätte (Conditio-sine-qua-non-Formel). Dabei geht es nicht nur um die zivilrechtliche Zurechnung einer Gefahrerhöhung bzw. Gefahrschaffung, es geht dabei auch um strafrechtliche Erwägungen.
Und daher kann sich der Laie, egal was im EINZELFALL geurteilt wurde, in der Tat hinter die Ohren schreiben: sobald ich schneller als mit der Richtgeschwindigkeit unterwegs bin handle ich zunehmend auf eigenes Risiko, selbst wenn ich darüber hinaus keinen Fahrfehler mache. Halte ich mich hingegen an die Richtgeschwindigkeit und mache auch sonst nichts falsch, dann bin ich rechtlich aufjedenfall auf der sicheren Seite. Die Verordnung zur Richtgeschwindigkeit wurde ja nicht eingeführt damit sie nicht beachtet wird, sondern damit sie beachtet wird, darum wird jeder Richter sich immer ganz individuell anschauen und ggf. gutachterlich prüfen lassen, wie es sich mit der Geschwindigkeit konkret verhält.
Auch gilt die Rechtsordnung immer komplett, nie nur einzelne Paragraphen daraus isoliert. Wenn man sich nun dazu noch § 3 der StVO anschaut:
(1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug
ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen [kommt bekannt vor? KEIN ZUFALL! Bei der Richtgeschwindigkeit wird dieser "Ermessensspielraum", der Autofahrern ansonsten mit Verweis auf diese Umstände zugebilligt wird, ausdrücklich NICHT zugestanden, 130 kmh bleiben auch bei besten Verhältnissen 130 kmh!] sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. (...)
Bei einem Unfall wurde es ganz offensichtlich nicht mehr beherrscht, um Schuld geht es dabei noch gar nicht. Und das muss man sich wesentlich schneller persönlich vorwerfen lassen, wenn man dabei die empfohlene Richtgeschwindigkeit ignoriert hat, die gerade Sinn und Zweck hat, dem durchschnittlichen Autofahrer eine für jegliche Straßenverhältnisse Geschwindigkeit zu empfehlen, mit der er sein KFZ im Regelfall dann auch sicher führen kann. Wenn man sich von vorneherein in größeres Risiko begibt, dann muss man sich das tendentiell auch vorwerfen lassen.
Auch das - und noch einiges an Verkehrsrecht mehr, ich will hier ja keinen Aufsatz verfassen ... - bezieht der Richter dann ein und schaut sich ganz genau an, ob die Geschwindigkeit 130 + X irgendwie relevant für das Unfallgeschehen ist und je größer hier das X ist, desto wahrscheinlicher ist dies! Mit jedem km/h mehr steigt das persönliche Risiko selbst als Unfallopfer am Ende noch selbst vor dem Richter zu landen.
ERGO: Wer auf Nummer sicher gehen möchte, der fährt max 130 kmh. Eine ganz einfache Aussage. Alle trommeln doch immer dafür, kein generelles Tempolimit einzuführen, mit der Parole "Freie fahrt für freie Bürger". Das habt ihr alle nach wie vor, freie Fahrt. Aber ein freier Bürger muss sich dann halt auch in die Pflicht nehmen lassen, wenn er Fehler macht. Freiheit kommt immer mit Eigenverantwortung. Dass Raserei die Unfallursache Nr. 1 ist weiss nun wirklich jeder. Wer meint, dass gerade er ein ausgenommen guter Autofahrer ist und ja generell immer nur Glück hat und es dann doch anders kommt, ja, dann muss man halt dafür einstehen. Das und nix anderes steckt politisch hinter der Richtgeschwindigkeit.