So, mal der Versuch hier ein paar Fakten reinzubringen:
RFZ @ 9 Feb 2016, 20:27 hat geschrieben:Demnach hat ein Bahnbediensteter das automatische Signalsystem ausnahmsweise außer Kraft gesetzt, um einen verspäteten Triebwagen noch „quasi von Hand durchzuwinken“. Der Triebwagen hätte, um dem entgegenkommenden Zug auszuweichen, rechtzeitig einen sogenannten Begegnungspunkt erreichen müssen: Dort ist die ansonsten eingleisige Strecke zweigleisig ausgebaut.
Quelle:
http://www.haz.de/Nachrichten/Panorama/Ueb...hen-Bad-Aibling
Das ist völliger Blödsinn. Nicht nur, dass kein Fdl wegen einer Verspätung einen Zug auf Kollisionskurs schicken würde, ergäbe so eine Handlung auch keinen Sinn.
Einen Zug "von Hand durchwinken" (in der Fachsprache heißt das Zugfahrt auf besonderen Auftrag) ist grundsätzlich mehr Arbeit, als einfach die regulär vorgesehene Zugstraße einzustellen. Zur Reduzierung von Verspätungen ist das also definitiv nicht geeignet.
Eine reguläre Fahrstraße (mit voller Sicherung des Fahrweges) einzustellen ist bei der Bauform des Stellwerks eine Sache von vielleicht 5 Sekunden - einen Grund, hier zu schlampen, gibt es also nicht.
Eine Zugfahrt auf besonderen Auftrag wird ein Fahrdienstleiter deswegen nur machen, wenn eine Störung vorliegt (oder er irrtümlich von einer Störung ausgeht).
Von daher: Bitte nicht alles glauben, was die Medien oder deren Möchtegernexperten so erzählen. Was ich da heute schon an Blödsinn gelesen/gehört habe, da dreht es einem den Magen um.
Jean @ 9 Feb 2016, 20:36 hat geschrieben:Der Stellwerk weißt doch wo sich die Züge befinden oder nicht?
Nein. Ein Stellwerk weiß nur, welche Gleise frei und welche besetzt sind. Was sich in dem Gleis befindet weiß es nicht.
Ein dem Fahrdienstleiter als besetzt angezeigtes Gleis kann jetzt bedeuten:
- In diesem ABschnitt befindet sich ein Zug
- In diesem Abschnitt befinden sich mehrere Züge
- Der Abschnitt ist defekt
Es ist also eben nicht erkennbar, dass sich zwei Züge im selben Abschnitt befinden. Und der Fahrdienstleiter kann auch ein besetztes Gleis irrtümlich für frei aber defekt halten. Für diesen Fall gibt es Vorschriften wie vorzugehen ist, um hier die Sicherheit zu gewährleisten - in dem Fall sind wir aber in einem Bereich, wo die Sicherheit ausschließlich auf dem exakten Befolgen der Vorschriften beruht. Das lässt sich leider auch nicht ohne weiteres ändern - die Alternative wäre, bei Ausfall der Technik überhaupt nicht mehr zu fahren, was aber regelmäßige stundenlange Ausfälle bedeuten würde.
Josef55 @ 9 Feb 2016, 19:13 hat geschrieben:Oder kann man das als Lokführer dann auch "ignorieren" und trotzdem weiter fahren? Aber dann müsste man den Zug doch irgendwie bremsen können, oder???
Kann man. War die Ursache bei dem Unfall in Mannheim. Hier hat der Lokführer am haltzeigenden Signal eine Zwangsbremsung erhalten, das für einen technischen Defekt gehalten und ist einfach weitergefahren. Wäre auch in Bad Aibling eine theoretisch mögliche Ursache.
RFZ @ 9 Feb 2016, 20:40 hat geschrieben:Sorry, aber wenn ich Tf wäre und in Kolbermoor wegen eines zu spät kommenden Gegenzuges über ein rotes Signal fahren sollte, würde ich fünf mal bei Fdl nachfragen was das soll.
Ich kann mir das echt nicht vorstellen?! Fehler des Fdl ist hier schon extrem unwahrscheinlich, aber dass der Tf da nicht auch stutzig wird?? Ich mein, welchen validen Grund gäbe es, nur wegen einer Verspätung auf Zuruf entgegen der schon eingestellten Fahrstrasse zu fahren??
Es gibt keinen Grund wegen eines verspäteten Gegenzuges über ein rotes Signal zu fahren. Wenn der Gegenzug verspätet ist, wird das Signal ganz normal auf Fahrt gestellt.
Über ein rotes Signal wird (von wenigen Ausnahmen, die hier nicht zutreffen, abgesehen) nur gefahren, wenn eine technische Störung vorliegt.
Warum sollte also ein Tf stutzig werden? Nehmen wir an, die Fahrt wurde auf besonderen Auftrag zugelassen (also es wurde über ein rotes Signal gefahren), ist das ja passiert, weil der Fdl von einer technischen Störung ausgegangen ist - und das wird der Fdl dem Tf dann auch so gesagt haben. Überprüfen kann der Tf das nicht, er muss sich hier voll auf den Fdl verlassen.
RFZ @ 9 Feb 2016, 20:40 hat geschrieben:Ich bin da echt skeptisch... Aber wenn das so ist, zeigt es eben auch wie gefährlich notorische Verspätungen sein können...
Verspätungen sind nicht gefährlich. Die Ursache dieses Unfalls war definitiv nicht die Verspätung.
Das einzig mögliche ist, dass der Unfall ohne Verspätung
zufällig nicht passiert wäre.
RFZ @ 9 Feb 2016, 21:01 hat geschrieben:Ander anders... Frägt der Tf irgendwann mal beim Fdl an wanns weiter geht und dann sagt ihm der, dass er ja jetzt eigentlich trotz rot schon fahren könnte? Und dann wird das nicht hinterfragt bzw. abgesprochen dass in Aibling gekreuzt wird?
Ganz sicher nicht. Entweder die Zugfahrt wird über Ersatzsignal zugelassen (drei weiße Lichter am Hauptsignal), oder es wird ein schriftlicher Befehl diktiert (oder persönlich vorbeigebracht). Dafür gibt es strenge Regeln, und die Maßnahmen müssen durch den Fdl auch schriftlich festgehalten werden. Diese schriftlichen Aufzeichnungen werden auch regelmäßig durch den Vorgesetzten im Rahmen der Kontrollbesuche kontrolliert, außerdem auch jeweils durch die Ablöse.
Der Fdl hat mit so etwas also nur Arbeit, einen Zeitvorteil gibt es nicht, selbst dann nicht wenn geschlampt wird.
Ich dachte immer das geht nur mit doppelter rückfrage (auch bei db regio leitstelle) und Fahrt auf Sicht bis zum nächsten Abschnitt...
Was soll da eine wo auch immer sitzende Leitstelle machen? Diese hat keine Chance zu überprüfen, ob die Strecke frei ist oder nicht.
Genauso wenig kann der Tf da irgendwas beurteilen - es ist ja nicht so dass eine auf einen anderen Bahnhof verlegte Kreuzung nicht regelmäßig vorkommen würde.
Ob bei einer Störung auf Sicht oder mit Streckenhöchstgeschwindigkeit gefahren wird hängt von den Umständen ab. Mit Streckenhöchstgeschwindigkeit wird nur gefahren, wenn mit absoluter Sicherheit garantiert werden kann, dass die Strecke frei ist. Dazu gibt es als Rückfallebene das Zugmeldebuch, in dem alle gefahrenen Züge schriftlich festgehalten sind. Wenn mit Hilfe des Zugmeldebuches sowie der betrieblichen Regeln (in dem Fall Räumungsprüfung) nicht eindeutig festgestellt werden kann, dass die Strecke frei ist, wird auf Sicht gefahren.
Diese Prüfungen nimmt der Fahrdienstleiter vor, der Lokführer kann hier nichts dazu beitragen (außer den eigenen Zugschluß auf Anfrage kontrollieren).
Mühldorfer @ 9 Feb 2016, 21:28 hat geschrieben:manchmal habe ich den Eindruck daß die elektromechanische Streckenblocksicherung ( Siemens Kurbelinduktor) ) mit Drahtzughebeltechnik und mechanischen Verschlussregstern wie noch in Weidenbach und Schwindegg unübertroffen zuverlässig ist....
Blödsinn. Bei der alten Technik ist ja schon der Regelbetrieb gefährlich (weil die Sicherheitsverantwortung auch im Regelbetrieb zu einem guten Teil beim Menschen liegt), bei der Technik von Bad Aibling wenigstens nur der Störfall.
RFZ @ 9 Feb 2016, 21:46 hat geschrieben:Das "Problem" ist, dass ich als Laie nicht verstehe wie es dem Fdl möglich sein darf eine Ausfahrt zu erlauben, ohne dies vorher an anderer Stelle gemeldet zu haben.
Natürlich muss der Fdl das melden - u.a. muss der Fdl natürlich einen Techniker anfordern, sofern das Problem nicht nur einmalig auftritt. Nur - man kann nicht bei jeder Störung stundenlang den Verkehr einstellen. Und es ist halt nunmal so, dass nur der Fahrdienstleiter in der Lage ist zu beurteilen, ob die Strecke frei ist.
Die Alternative wäre den Zugbetrieb so lange einzustellen, bis jemand zu Fuß die Strecke abgelaufen hat. Das würde aber u.U. Stunden dauern.
Bis zur vollzogenen Anbringung von ausreichenden Sandstreuapparaten an allen Maschinen haben die Bahnwärter bei aufwärtsgehenden Zügen auf stärkeren Steigungen die Schienen ausgiebig mit trockenem Sand zu bestreuen und für die Bereithaltung eines entsprechenden Vorrathes zu sorgen.
Fahrdienstvorschrift bayerische Staatsbahnen 1876