Hochbrücker @ 16 Mar 2017, 07:30 hat geschrieben:Da es ja nicht in jedem kleinsten Dorf
An dieser Stelle sollte man übrigens mal mit einem Mythos aufräumen und zwar zum einen, dass "jedes Dorf" per Bus angebunden werden kann und auch, dass das "früher" so gewesen sei.

Auch um 1960 haben die Bahn- und Postbusse im Prinzip nur die Hauptorte einer Gemeinde häufiger bedient und das was zufällig am Linienweg lag. Der Rest hatte und hat auch heute allenfalls öffentlichen oder freigestellten Schülerverkehr, wenn überhaupt.
In einer städtischen Struktur sollte man es anstreben jedes Viertel gut zu schließen, das heißt, dass möglichst viele Bewohner fußläufig eine Bushaltestelle haben, um nach Möglichkeit auch einen autofreien Alltag zu ermöglichen. Selbst bei einer durchschnittlichen Stadtbuslinie in München, der typischen Quartierslinie als Zubringer zur U- oder S-Bahn) dürften auf eine Haltestelle in Wohnlagen um die 1.000 Einwohner kommen. Es möchte sich niemand vorstellen, die sich daraus ergebenden vielleicht 200 Nutzer pro Tag (20-Minutentakt = ca. 100 Abfahrten täglich mit im Schnitt zwei Ein- oder Aussteigern pro Fahrt) würden alle per (Zweit)Wagen durch die Gegend fahren. Der ÖPNV in der Stadt hat daher einen ganz anderen Anspruch.
In ländlichen Strukturen gibt es ganz andere Herausforderungen. Neben der immensen Transportleistung im Schülerverkehr, wo auf einen Schlag hunderte Schüler über teilweise bis zu 40 km gefahren werden müssen, geht es im sonstigen Verkehr, selbst bei einem busfreundlichen Publikum ähnlich wie in der Stadt, auch einfach darum einfach nur genug Nachfragemasse zu generieren. Um pro Haltestelle auf die gleichen zwei Nutzer pro Fahrt zu kommen, braucht es bei einem Stundentakt dann entsprechend 67 ein- oder aussteigende Nutzer pro Tag. Bei statistisch gleicher Nutzung wie in der Stadt müsste die Haltestelle als mindestens einen Einzugsbereich von im Schnitt 335 Einwohnern haben. Will sagen: Selbst wenn das gleiche Nutzungsverhalten wie in der Stadt vorläge, würden die meisten Ortsteile auf dem Land schon an der Einwohnerzahl scheitern. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Regionalbus natürlich sehr viel mehr Kilometer fahren muss, um die gleiche Zahl Leute zu erreichen als ein (Münchner) Stadtbus. Wenn man sich das jetzt einfach alles mal vor Augen führt, dann sollte klar sein, dass ein Regionalbus im Stundentakt fast nur als Querverbindung im Bahnnetz oder zur Erschließung größerer Siedlungsstrukturen, also möglichst kompakt gebauten Gemeindehauptorten oder Kleinstädten funktionieren kann, die an einem möglichst nicht allzu langen Linienweg (= Nutzwagenkilometer, Fahrzeit) möglichst viele größere Ortsteile und "Points of interest" haben, z.B. Bahnhöfe, Krankenhäuser, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Behörden, Hotels, Ausflugsziele etc. Auch klar ist, mehr als ein Stundentakt wird in den meisten Fällen nicht drin sein und ist schon sehr gut. Der Regionalbus kann nicht den Anspruch haben, "jedes Dorf" potentiell autofrei machen zu können. Bei einem Regionalbus mit halbwegs hoher Bedienhäufigkeit geht es im besten Fall "nur" darum, die Reiseketten von Bahnnutzern (im besten Fall hat man viele Pendler!) eben auch in Orte verlängern zu können, die nicht direkt an einem Bahnhalt liegen und eine grundsätzliche Mobilitätsmöglichkeit NEBEN dem Auto für Schüler/Azubis/Studenten (auch im Freizeitverkehr) und Senioren zu schaffen, womit dann vielleicht das eine oder andere Zwei-, Dritt- oder Viertauto eines Haushalts (zeitweise) in den Gemeindehauptorten und Kleinstädten nicht notwendig wäre. Dennoch reden wir hier pro Landkreis meist nur über eine Hand voll Linien, die sich aus meiner Sicht durchaus sinnvoll mit mehr als ein paar schülerlastigen Einzelfahrten betreiben lassen könnten.
Es ist auch nicht so, dass die Landkreise nur von autogeilen Bauern regiert werden. Eine Fläche, die doppelt oder dreifach so groß ist wie die Landeshauptstadt, aber nur 5-10% der Einwohner hat und die oft auch weit verstreut, bietet für Linienverkehr einfach sehr viel schlechtere Grundlagen.
218217-8 @ 16 Mar 2017, 02:31 hat geschrieben:Aber darauf wolltest du wahrscheinlich hinaus
Ich wollte darauf hinaus, dass viele nicht in einem Linienbus steigen, "weil man das einfach nicht macht". So wie man nicht öffentlich auf den Dorfplatz pinkelt, fährt man nicht Bus, wenn man selbst mit dem Auto fahren könnte oder jemanden hat, der einen fährt. Nur Assis fahren Bus. Bei den Nichtpendlern zählt im Prinzip auch die Bahn dazu. Gestern habe ich auch in einem Laden wieder ein Gespräch mitgehört, wo einer ein Erlebnis beim Zugfahren geschildert hat, sich aber gleich unaufgefordert gerechtfertigt hat: "Normalerweise fahr ich nicht mit dem Zug nach München, nur zur Wiesn, sonst nehm ich das Auto." So nach dem Motto, hey, nicht dass du ein falsches Bild von mir hast, NATÜRLICH fahr ich normalerweise nicht Zug. Ganz typisch, das läuft ungefähr so wie wenn sich jemand, der nicht fahren muss, nach 17 Uhr oder am Wochenende in Gesellschaft ein alkoholfreies Getränk bestellt. Die Leute meinen immer, sie müssten sich rechtfertigen und allein deswegen ist ihnen das schon unangenehm. Busfahren hat ungefähr das Image von kein Geld zu haben, ins Heim ziehen müssen oder irgendwie sein Leben nicht mehr im Griff zu haben.