Oliver-BergamLaim @ 7 Aug 2020, 15:33 hat geschrieben:Finde ich Wahnsinn, so eine Reise zu planen und durchzuziehen.
Wars auch.
Im Ernst - die Planungen waren außerordentlich schwierig. Obwohl ich zeitlich quasi völlig flexibel war, gab es zahlreiche planerische Hürden. Der erste Haken war, dass ich so früh wie möglich im Jahr losfahren wollte, weil es im März schon wesentlich heißer und im April mit verbreitet Temperaturen an der 40°-Marke (für mich) absolut unerträglich wird. Die nächste Schwierigkeit war, die Interessen eines Eisenbahnfans mit denen eines Luftverkehrsfans unter einen Hut zu bekommen. Da ich davon ausgegangen war, nach Kalkutta wieder zurück nach Jaipur zu fahren, wollte ich eigentlich lieber Jaipur - Varanasi - Kalkutta - Agra - Jaipur fahren. Dadurch wären alle Etappen ähnlich lang geworden, während mit der "Perlenschnur" der geografischen Abarbeitung die Etappe Kalkutta - Jaipur mit über 36h Bahnfahrzeit abartig lang geworden wäre. Doch das konnte ich nicht durchsetzen, weil zwischen Jaipur und Agra irgendein besonderes Flugzeug fliegt (Freakproblematik halt

) und Paul 20h Bahnfahrt von Kalkutta nach Agra zu lange empfand, während ich wiederum Inlandsflüge unter allen Umständen vermeiden wollte. Allahabad kam dann noch auf seinen Wunsch dazu und so sind wir bei der tatsächlich umgesetzten Variante gelandet. Mich hätte auch Chandigarh interessiert, wo er Auslandssemester gemacht hat, nur wollte er verständlicherweise die 3 freien Wochen nutzen, um weitere Ecken Indiens zu erkunden. Von Chandigarh ist es auch nur noch ein Katzensprung bis Kalka, wo die Schmalspurbahn nach Shimla im Himalaya startet. Das war noch eine weitere Idee, die ich anfangs hatte, aber später rausgeflogen ist.
Als wir uns dann auf eine Route geeinigt hatten, habe ich zwei ganze Tage mit der Fahrplanauskunft herumgespielt. Welche Züge fahren wo, welche sind noch nicht ausgebucht, wo fahren besonders interessante Zugleistungen, welche Züge haben keine derben Durchschnittsverspätungen von mehreren Stunden? Dabei gilt bei mir immer das Ausschlusskriterium von Nachtfahrten im Sitzwagen sowie Abfahrt/Ankunft/Umstieg mitten in der Nacht, was sich in Indien durchaus auch als Problem herausgestellt hat.
Diese "heiße" Phase der Reiseplanung ist zwar immer anstrengend, aber irgendwie hat es für mich auch seinen besonderen Reiz. Ganz klar, Reisen, wie ich sie mache, bietet kein Reisebüro an, aber es würde was fehlen, wenn ich nicht selbst planen würde.
Vor allem den Teil, wo Ihr wirklich durch absolut untouristische Gegenden streift.
Und da ist tatsächlich das Gegenteil der Erwartung der Fall. Je untouristischer, desto besser. Denn je touristischer eine Gegend, desto schlimmer die Belästigung, Abzockversuche etc. Damit meine ich jetzt weniger Rikschas, denn die zocken selbst Einheimische ab, wie mir meine Bekannte immer wieder erzählt hat. Das ist mit ein Grund, warum Uber in Indien so wahnsinnig beliebt ist.
Dieselbe Erfahrung habe ich übrigens auch in Marokko gemacht. Marrakesch war eine absolute Katastrophe, während Casablanca ganz ok war.
Wie war denn eigentlich Euer Sicherheitsgefühl während der Reise? Mal abgesehen von hungrigen Affen, den üblichen Guides (die Du ja schon aus Marokko kennst) und dem angestarrt werden - wahrscheinlich ist das mit Abstand gefährlichste der Straßenverkehr, oder?
Ein Sicherungstechniker würde jetzt vielleicht nachhaken, ob du mit Sicherheit Safety oder Security meinst.

Frei übertragen auf die Reise würde ich Gefahren im Straßenverkehr und durch offene Kanalschächte unter die Kategorie Safety, die Gefahr von Übergriffen unter Security verbuchen. Dabei würde ich klar sagen, Safety ist eine Katastrophe, Security kaum ein Problem. Es gab nur eine einzige Situation, in der ich mich wirklich unwohl gefühlt habe, dazu kommt dann zu gegebener Zeit noch was und einen (kleinen) körperlichen Übergriff gab es auch, aber den hätte ich eigentlich vorhersehen und vermeiden können, auch dazu kommt noch was.
Guides und Händler sind ja eigentlich nur nervig, aber kein Problem der Sicherheit. Angestarrt werden ist vielleicht unangenehm, aber auch nicht gefährlich. Ein Unterschied zu Marokko ist mir doch recht deutlich geworden (und Paul, der auch schon in Marokko war, hat das ähnlich gesehen): Die Inder sind einfach schamlos dreist-frech und lügen dir freundlich lächelnd ins Gesicht, um Geld zu verdienen. Die Marokkaner sind dagegen deutlich körperlich aggressiver und sehr beleidigend, was ich als wesentlich "gefährlicher" und unangenehmer empfunden habe. Aber vielleicht ist das einfach eine Typsache, und so habe ich dann in Indien irgendwann auch einfach freundlich-lächelnd gelogen, um zum Ziel zu kommen, während ich in Marokko ganz sicher keine Schlägerei angezettelt hätte.

Dass der Straßenverkehr die größte Gefahr in Indien darstellt, würde ich sofort unterschreiben.
Und vielleicht willst Du Dir die Antwort eher bis zum Ende des Reiseberichts aufsparen, aber: würdest Du wieder hin?
Kurze Frage, kurze Antwort: JA!!!

Bei allem Chaos gibt es auf der Reise auch sehr viele schöne Momente und als so knapp 5 Wochen vergangen waren und ich noch ein paar Tipps bekommen hatte, welche interessanten Eisenbahnstrecken ich alle
nicht gesehen habe, war für mich klar, dass es einen 3. Besuch in Indien geben muss. Und ich habe ja immer noch nicht den Süden gesehen, der kulturell und kulinarisch durchaus anders als der Norden ist (z.B. wird dort Rindfleisch gegessen) und Indien hat auch herrliche Natur zu bieten und das ist dann auch nicht so anstrengend wie die Metropolen. Das Land fasziniert mich einfach - die Kultur, das Essen, die Eisenbahn und alles ist so anders als bei uns. Gelegentlich muss mal ein großes Abenteuer her.
Oder reicht es dann nach 6 Wochen Chaos auch, und man ist froh, wieder im ruhig-geordneten Europa zu sein?
Ich würde es anders formulieren - 6 Wochen waren deutlich zu lang. Gar ein Auslandssemester dort zu verbringen, wäre absolut nichts für mich. Ich denke, 4 bis 5 Wochen wären das Optimum gewesen und ein guter Kompromiss aus langer Anreise, großem Land und was man noch ertragen kann. Um hier keine Illusion zu erzeugen - die Reise war unfassbar anstrengend. Ich habe 2 Wochen eine verschleppte Erkältung gehabt, anschließend Durchfall, am schlimmsten aber war die psychische Belastung. Die ganzen Anekdoten lesen sich jetzt vielleicht hinterher (auch für mich) ganz lustig, aber wenn du selbst drinstehst, von allen Seiten angehupt wirst, die Affen auf dem Baum rumspringen und dich der 27. Typ anquatscht und du einschätzen musst, ob er dir wirklich nur helfen will oder doch eher ins Geschäft seines Cousins führen will, dann bist du einfach nur ständig maximal angespannt. Ich war jeden Abend nicht nur körperlich müde von der Hitze und vom Rumlaufen, sondern habe mich gefühlt wie nach einer mehrstündigen Klausur an der Uni. Man muss ständig 120% geistesgegenwärtig sein, wenn man auf der Straße unterwegs ist. Die Mofas kommen von allen Seiten, man sollte die Augen also am besten vorne, hinten, links und rechts gleichzeitig haben. Ach, und unten nicht vergessen, sonst tappst du in irgendeine Pfütze undefinierbarer Flüssigkeit, in einen ekligen Müllhaufen, stolperst über irgendeinen Stein oder fällst in einen offenen Kanalschacht. Dazu kommt, immer vor Abzocken auf der Hut zu sein, ständig mit unfassbarer Armut, Menschen ohne Beinen, hungernden Kindern etc. konfrontiert zu sein und permanent in Gespräche verwickelt zu werden, bei denen ich natürlich nicht unhöflich-abweisend sein wollte, wenn wirklich nur ein Einheimischer neugierig war und Smalltalk machen wollte, während man bestimmt-abweisend sein muss, wenn es sich um einen Guide handelt.
Es gab durchaus Momente nach rund 3 Wochen, wo es mir wirklich gereicht hat, ich am liebsten einfach nur 2 Tage in meinem Bett daheim in einem sauberen, ruhigen und wohltemperierten Zimmer gelegen hätte, um den Husten endlich loszuwerden. Denn wann immer ich gedacht habe, mal einen Ort zum Entspannen gefunden zu haben, kam ein pfeifender Wachmann zum Rauswurf, ein Bettler, der nicht mehr verschwinden wollte... Gegen Ende der Reise kam dann noch ein weiterer Faktor dazu - Corona. Lange habe ich davon gar nichts mitbekommen, weil ich einfach gar keine Zeit hatte, deutsche Nachrichten zu verfolgen. Während in Deutschland schon die Supermärkte leergekauft wurden, lief in Indien alles ganz normal. Und ganz zum Schluss stand dann ganz akut das Risiko im Raum, nicht mehr heimfliegen zu können.
Also ja, ich war heilfroh, als ich nach 6 Wochen wieder in der Heimat war, es war nicht alles angenehm, aber trotzdem eine tolle Reise und die wirklich bösen Überraschungen sind ganz ausgeblieben. Keiner musste ins Krankenhaus, uns wurde nichts geklaut, wir wurden nicht übel abgezockt oder betrogen wie in Marrakesch, es gab keine Streiks, großen politischen Proteste (noch im Dezember war das durchaus ein Faktor, der zum Problem hätte werden können), keinen Nebel und keine derbe verspäteten oder ausgefallenen Züge. Nichts musste spontan umdisponiert werden (habe ich dann aber ohne Not aus freiwilliger Entscheidung trotzdem gemacht, auch dazu später mehr) und alles in allem ist es wirklich ein mittelgroßes Wunder, dass die Reise so gut gelaufen ist, wie sie gelaufen ist und ich bin sehr froh, dass ich sie geplant und dann auch bis zum Ende durchziehen konnte.
Tag 9 Allahabad -> Varanasi
Wie groß Service in unserem Hotel geschrieben wird, erfahren wir um halb 7, als einfach an allen Türen geklopft wird, obwohl wir gar keinen Weckdienst beantragt haben. Hier erkennt man die Wünsche der Gäste, bevor diese sich selbst darüber bewusstwerden. Grmpf.
Und weil das noch nicht reicht, klingelt um halb 10 dann auch noch das Telefon. Frühstück wäre fertig. Aha, gibt doch Buffet...
Die Klimaanlage dagegen hat - oh Wunder - natürlich nicht funktioniert und tut es immer noch nicht.
Wir nutzen die verbleibende Stunde, um der nahegelegenen All Saints' Cathedral einen Besuch abzustatten. Natürlich wollen uns wieder alle Rikschafahrer irgendwohin fahren und wir müssen sie abwehren. Oh, kommt man da überhaupt durch?
Die Antwort lautet ja.
Fragt nicht nach dem Sinn...
Die hübsche Deko auf vielen Fahrzeugen finde ich immer wieder beeindruckend. So eine Mühe würde sich in Deutschland wohl niemand machen.
Die Kirche ist von einem geschlossenen Zaun umgeben und der Zugangsweg zugewuchert. Lost Place trifft es ganz gut.

Auch dieser klapprige Bus wirbt wie viele deutsche Verkehrsbetriebe großflächig für die Konkurrenz - an die Idee eines Mofa-Taxis muss ich mich erst gewöhnen und den Fahrstil der Fahrer will ich mir lieber nicht vorstellen.

Schulbusse sind in Indien grundsätzlich nicht klimatisiert.
Ein verwunschener Garten am Straßenrand
Als wir unser Gepäck im Hotel abholen, bitten uns die Rezeptionisten, selbstverständlich dieselben wie gestern Morgen, gestern Abend und heute Morgen, um ein Selfie.
Wo geht's hier lang?

Und was genau darf ich mir unter einer Deluxe Toilet vorstellen?
Oftmals heißt es doch, dass indisches Essen in Deutschland an den deutschen Geschmack angepasst wäre. Umgekehrt geht das jedenfalls auch - wie wäre es mal mit einer Pizza Paneer mit extra Chili?
Das hübsche Asig mit Richtungssignalisierung und Rangiersignal
