Rohrbacher @ 27 Dec 2021, 21:44 hat geschrieben:Das ist wahrscheinlich ein ähnliches Gerücht im Ausland, wie dass angeblich Deutschland alle und immer mit 200 km/h über die Autobahn fliegen und alle Finnen ständig in der Sauna hocken. Nur weil etwas geht, weit verbreitet ist oder bei uns gewisse Lobbys mit solchen Storys Meinungsbildung betreiben wollen, würde ich doch nicht ganz so verallgemeinern. Immerhin dürfte sich das Betteln ja noch lohnen, sonst würd's ja keiner mehr machen. Außer die schwedischen Bettler haben mittlerweile mobile Bezahlterminals dabei und sind "moderner" als die ach so "fortschritt"sfeindlichen deutschen.

Ich finde die geringe Anzahl Geldautomaten, der große Anteil an Geschäften mit "No cash"-Schildern, die hohe Akzeptanz von Kartenzahlungen (selbst im kleinsten Dorf in den nordschwedischen Weiten oder z.B. bei Marktständen) sowie in zwei Wochen dreimal Barzahlungen beobachtet zu haben, ein starkes Indiz dafür, dass in Schweden viele bargeldlos unterwegs sind. Klar, vielleicht zahlen auch alle nur mit Karte und schleppen 10000 SEK einfach zum Spaß im Geldbeutel durch die Gegend, aber das halte ich dann doch für sehr unwahrscheinlich.

Und dass Straßenmusiker neben dem Beutel auch noch einen QR-Code für elektronische Überweisungen aufstellen, dürfte in Deutschland wohl eher die Ausnahme denn die Regel sein.
- Sagt der, den alle immer nach Bargeld fragen, wenn in Deutschland/Schweiz/sonstwo "Kartenlesegerät leider defekt" steht.
Ui, das hab ich in Schweden auch mal probiert. Dass es sich bei "Filmjölk" wohl um Vollmilch handeln wird, wenn eh des ganze Kühlregal voll damit ist, hat sich als tragischer Irrtum erwiesen.
Klar, false friends gibt es immer. Aber viele Hinweisschilder konnte ich verstehen, selbst das grobe Thema von z.B. Zeitungsartikeln. Ich finde schon, dass man mit etwas Fantasie einiges verstehen kann.
Tag 7 Gällivare
Besonders gut schlafe ich nicht und wache viel zu früh wieder auf. Der Himmel ist bedeckt, aber es sieht so aus, als würden bald ein paar Sonnenstrahlen durchkommen. Nur noch der junge Mann ist im Abteil und ich meine, das Wetter würde ja ganz passabel aussehen. Er wird allein auf eine 10-tägige Wanderung gehen und meint scherzhaft, er hoffe, dabei nicht verrückt zu werden.
Wir nähern uns Gällivare und es beginnt zu regnen. So viel zu dem Thema. Es schüttet, als ich aussteige.
Wenige Sekunden später sind die Menschen in bunter Funktionskleidung verschwunden, der Schaffner pfeift und es kehrt wieder Ruhe ein.
Für die Wanderer wird es ein regnerischer Start sein.

Wem es in Gällivare noch nicht kaffig genug ist, der kann mit dem Bus (nur im Sommer) noch 200 km weiterfahren.
Ich suche den einzigen Bäcker in der Innenstadt auf und habe Glück, dass ich unter der Woche angekommen bin, denn am Wochenende hat er gar nicht geöffnet. Dort gibt es Kaffeekannen auf Wärmplatten und der wird gut nachgefragt. Die Kundschaft ist sehr gemischt - Rentner, Mütter mit Kinderwagen aber vor allem Männer in Arbeitskleidung. Vermutlich gibt es nur zwei Gründe, in diesen Ort zu kommen: Zum Wandern oder zum Arbeiten. Jetzt kann ich auch den Kommentar meiner Gastgeberin in Stockholm nachvollziehen: "Hmm Gällivare, I think that's boring."
Nachdem ich mich gestärkt habe, ziehe ich meinen Koffer zum Bed & Breakfast, das in einer Wohnsiedlung liegt. Im Hintergrund der Hausberg Dundret
Ich bin der Einzige, der durch den Regen stapft. Vermutlich fährt hier jeder überall mit dem Auto hin. "Are you here by koor?", erkundigt sich die Vermieterin. Ich brauche eine Weile, um zu begreifen, dass sie das englische car bloß sehr schwedisch ausgesprochen hat - ob mit oder ohne Kringel, das a klingt oft eher wie ein o.
Mit kurzen Pausen regnet es den ganzen Tag. Ich gönne mir einen Tag Ruhe, um in Ruhe den Reisebericht zum aktuellen Tag aufzuholen und ein bisschen zu lesen.
Am nördlichen Stadtrand von Gällivare entsteht derzeit eine neue Wohnsiedlung, da ein Teil des Ortes Malmberget der Erzmine weichen muss und abgerissen wird.
Abends klart es etwas auf und ich mache einen kleinen Spaziergang zum Bahnhof. Dort rauschen im Blockabstand drei Güterzüge Richtung Narvik
Blick auf den Vassaraträsket

Leider trügt die Spätsommeridylle - die Stechmücken stürzen sich scharenweise auf mich...