Moment mal, weil nach 1945 die Menschen scheiße behandelt wurden ist es in Ordnung, sie 2017ff. scheiße zu behandeln? Weil dir mal irgendein Vollhonk zwei Zähne ausgeschlagen hat ist es OK, wenn du jemand anderem eine zwiebelst? Na, hoffentlich nicht.Mühldorfer @ 25 Apr 2017, 16:59 hat geschrieben:Hallo, wo ist das Problem, damit mussten sich nach 1945 auch die Ostvertriebenen abfinden, selten war es daß Leute zusammenblieben, meistens wurden recht schnell neue Bekannten- und Kulturfreundeskreise aufgebaut.
Deine Sozialromantisierung der unmittelbaren Nachkriegszeit sind zum Haare raufen: Die Integration zog sich über Jahre hinweg, die Neuangekommenen wurden überwiegend angefeindet (SpOn: "Badens schrecklichster Schreck, der neue Flüchtlingstreck"), musste doch das Wenige, was im zerbombten Deutschland noch übrig war, mit wildfremden Menschen geteilt werden.
Ob Familien "selten" zusammen blieben, weiß ich nicht; meine Großeltern, die aus Fleißen vertrieben wurden, jedenfalls hatten dieses relative Glück. Die sich zum Ende der 1940er-Jahre entwickelnden Vertriebenverbände organisierten auch Familienzusammenführungen. In ihrem politischen Engagement wird heute vielfach eine gewisse Ambivalenz geschrieben: Sie unterstützten ohne Zweifel die Integration - wobei das bei einem wieder aufzubauenden Land kaum mit der heutigen Wohlstandsgesellschaft zu vergleichen ist: Was soll sich ein Arbeitsloser aufbauen, der in irgendein strukturschwachses Kaff zwangsverlegt wurde? Aber das muss bequemerweise nicht beantwortet werden, wenn man sich auf ehrenamtliches Engagement zurückzieht und das mit dem sozialen Umfeld gleichsetzt.
Gleichzeitig wurden von den Vertriebenverbänden auch Positionen vertreten, die durchaus als "revanchistisch" anzusehen sind. Faulenbach (2002) (bpb.de) schreibt dazu:
Die Forderungen nach Grenzrevisionen, die bereits 1949 illusionär waren, waren also spätestens zum Ende der 1950er-Jahre hin nicht mehr salon-, geschweige denn mehrheitsfähig. Bei den Vertriebenenverbänden wurden sie dagegen bis in 1990er-Jahre hinein postuliert, Stichwort "Recht auf Heimat". Im OME-Lexikon der Uni Oldenburg liest sich das unter Punkt 5 so:Bei den Wahlen zu den Landtagen und zum Bundestag waren die Vertriebenen während der fünfziger Jahre - nicht nur wegen der Existenz des BHE - eine umworbene Gruppe. Alle Parteien - mit Ausnahme der KPD - forderten von einem Friedensvertrag die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937. [...] Maßgebliche Persönlichkeiten der Bundestagsparteien sprachen auf Treffen der Heimatvertriebenen und unterstützten das Recht der Vertriebenen auf Heimat. "Dreigeteilt - niemals" war die Parole eines bekannten Plakates des Kuratoriums "Unteilbares Deutschland".
Kennzeichnend für die fünfziger Jahre waren auf der einen Seite beachtliche Bemühungen um die gesellschaftliche Integration der Vertriebenen, die offensichtlich selbst davon ausgingen, dass mit einer Rückkehr in die verlorenen Gebiete auf absehbare Zeit nicht zu rechnen war; auf der anderen Seite gab es die Unterstützung der Rechte der Vertriebenen und ihrer Forderungen, die eine Verurteilung des Unrechts der Vertreibung selbstverständlich einschloss. Man mag in dieser doppelten Politik einen Mangel an Konsequenz sehen, gleichwohl kann man fragen, ob sie nicht doch zur Integration der Vertriebenen und zur Paralysierung des Heimatvertriebenenproblems beitrug.
Allerdings war dieser Politik doch auch die Förderung von Illusionen bei den Heimatvertriebenen immanent. Diese hatten bemerkenswerterweise in einer Charta, die 1950 in Stuttgart verkündet wurde und Forderungen nach sozialer und wirtschaftlicher Gleichstellung sowie politischer Vertretung der Vertriebenen enthielt, ausdrücklich auf Rache und Vergeltung verzichtet und versprochen, "jedes Beginnen mit allen Kräften zu unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können". Gleichwohl hatten die Forderungen der Vertriebenen selbstverständlich die Revision der faktisch bestehenden Grenzen zum Ziel, weshalb sie in der Propaganda des Ostens als "Revanchisten" bezeichnet wurden.
Diese Ambivalenz war über Jahrzehnte zu hören, bis zum einen die Generation der Vertriebenen langsam den Weg allen Irdisches geht und bis zum anderen sich nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" die jeweiligen Regionen sich mit dieser Geschichte auseinandergesetzt haben. " [R]echt schnell" ein neuer "Kulturfreundeskreis[]" (was auch immer das genau sein soll) ist das nicht. Wohlgemerkt, ohne irgendeine Form der Bewertung damit abgeben zu wollen.Umstritten bleibt bis heute das politische Agieren mancher Vertriebenenorganisationen. Eugen Lemberg fragte schon 1965, ob die Vertriebenen "Mittler oder Störenfriede" seien. Vertriebenenorganisationen nahmen lange revisionistische Positionen ein, lehnten die Oder-Neiße-Grenze ab und stellten sich der Ostpolitik Willy Brandts sowie den Ostverträgen entgegen. 1985 löste das nach der Teilnahmezusage von Bundeskanzler Kohl gewählte Motto des Schlesiertreffens "40 Jahre Vertreibung - Schlesiens bleibt unser" lebhafte Diskussion aus. Verschiedentlich kamen Vertriebenenorganisationen durch Verbindungen zu rechtsextremen Milieus in die Medien. Z. B. erkannte die Landsmannschaft Ostpreußen ihrer 1991 gegründeten Jugendorganisation "Junge LM Ostpreußen" (heute: Junge LM Ostdeutschland) wegen extremistischer Ausrichtung diesen Status ab und gründete 2000 als neue Jugendorganisation den "Bund junges Ostpreußen" (BJO).
Kritisiert wurden wiederholt die lange einem älteren Verständnis verpflichteten, zum Teil von Stereotypen mitgeprägten Geschichtsbilder ("Kulturträgertheorie", Paradigmen der "Ostforschung"), die von manchen Vertriebenenorganisationen verbreitet wurden.
Die zahlreichen Vertriebenenorganisationen lassen sich aber nicht einheitlich charakterisieren oder politisch pauschal zuordnen. Die innerhalb der Vertriebenenorganisationen bestehende politische Meinungsvielfalt und Pluralität war bzw. ist infolge der prägenden Rolle des BdV öffentlich nur eingeschränkt wahrnehmbar.
Das Erleben sind Wunden, die die Kinder- und Enkelgeneration dankenswerterweise nicht durchmachen mussten. Ebenso wie es in den Regionen der Vertriebenen auch Menschen gab und gibt, die andere Wunden erleiden mussten.
Gerade deswegen, sorry für den derben Ausdruck, kotzt mich dieses gedankenlose Ausspielen und Bagatellisieren, nach '45 haben die Menschen das doch auch überlebt, an. Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn's ein anderer schon vollzogen hat.