Mühldorfer @ 8 Jan 2017, 22:01 hat geschrieben:durchaus richtig. Es gilt aber auch andernseits daß 9 freistehende Einfamilienhäuser zu je 600m ² Grund auch auf Dörfern höheren Gesamtgrundstücks- und Baupreis haben als eine "bürgerliche Mehrfamilienvilla" mit 9 Wohnungen in einer Klein- oder Mittelstadt auf 1500m² Grund.
Was heißt das jetzt? Spontan bei ImmobilienScout reingehen, das billigste familientaugliche zur Miete ab 4 Zimmer:
1.)
München: 97 m², allerbeste Betonsiedlung, Baujahr 1974, 5. Obergeschoss, 1.121 Euro kalt. Das Wohnzimmer hat gemütliche 23 m² und die Kinderzimmer sind zwischen 7,5 und nicht ganz 12 m² groß. Dafür kann man mal 13.452 Euro im Jahr ausgeben. Die Wohnung ist höchstens die Hälfte wert, den Rest zahlst du für den Ortsnamen deiner neuen Adresse.
2.) Pfaffenhofen plus 10 km, ein Haus soll's sein:
Pörnbach, Niedrigenergiehaus, Neubau (!), Toskanastil, ja mei... Wohnzimmer 31 m², Kinderzimmer zwischen 15 und nicht ganz 24 m², ein bisserl Garten, Garage, Keller. Gibt zwar keinen Bahnhof, ein Bus fährt eher selten, aber man kann nicht alles haben.
Welche der beiden Wohngelegenheiten fändest du jetzt für deinen Familie besser, der Preis ist zufälligerweise fast gleich? Und was meinst du auch, wo du eher die Chance hast, die Wohnung überhaupt zu bekommen? Stichwort Massenbesichtigung, Kinderfreundlichkeit und so.
Fahrzeit übrigens zum Marienplatz aus Perlach etwa 30 Minuten, aus Pörnbach inkl. Autofahrt bis Pfaffenhofen ziemlich genau 1 Stunde. Das tolle ist jetzt aber, man braucht München gar nicht: Deine Frau kann genauso in Ingolstadt arbeiten und deine Tochter in Augsburg, Regensburg oder Eichstätt studieren oder du kannst, wenn du willst jedes Jahr in einer anderen Stadt arbeiten. Damit ist man so flexibel wie es der Arbeitsmarkt heute verlangt und hast alle Optionen. Auch die Unternehmen nutzen die zentrale Lage, die Fachkräfte wohnen eh schon hier oder haben vor dem 1.400-Euro-Plattenbau zu entkommen. Unsere neusten Errungenschaften im "Dorf" sind eine 60 Millionen Euro teure
Verpackungsfabrik und nebenan eine
Firma mit u.a. einer 2.500-t-Presse zur Herstellung von Prototypenteilen und Werkzeugen für Auto- und Maschinenbau. Es ist nicht so, dass die Dörfer hinter München reine Schlafstädte wären, auch aus München pendeln übrigens Leute weg, u.a. zu Firmen wie diesen.
Mühldorfer @ 8 Jan 2017, 22:11 hat geschrieben:Der Unterschied ist aber in Klein- und Mittelestädten ist daß das Kultur- und Familienleben ohne PKW stattfinden kann, ob Gymnasium, Kinderchor, Hallenbad, Zahnarzt, Apotheke, Nähbedarfsgeschäft, Schachlhub und eben auch viele gute Arbeitsplätze zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind.
Deswegen gibt's in München oder Stuttgart ja auch keine Autos, nur von Auswärtigen, und auch keine Leute, die im Verschwinden von ein paar Parkplätzen/Fahrspurmetern auf der Fürstenrieder Straße den Untergang des Abendlands erkennen wollen.
Ich weiß ja nicht, welche Klein- und Mittelestädte und welche Dörfer du kennst. Mein Dorf hat jetzt 6.000 Einwohner. Grund- und Mittelschule sind am Ort, ebenso mehrere Kindergärten. Ins Gymnasium im Nachbarort bin ich mit'm Bus gefahren. Zum Kirchenchor, wenn ich gewollt hätte, hätte ich keine 10 Minuten zu Fuß gebraucht. Ins Hallenbad fährt hier keiner, man geht zum Weiher (und grillt). Zahnärzte haben wir zwei am Ort, sind zu Fuß auch keine 10 Minuten, die Apotheke (und der Allgemeinarzt) sind drei bis fünf Häuser weiter. Ob du's glaubst oder nicht, am Weg liegt sogar ein Wollladen. *lol* Einen Schachclub gibt's glaube ich auch, ich vermute mal, die treffen sich wie andere in einem der Gasthäuser, geht auch in 10 Minuten zu Fuß. Wir hatten bis zur Pleite sogar zwei Schlecker-Läden! Noch da sind ein Optiker, ein Elektroladen, vier oder fünf unterschiedliche Bäcker, zwei Metzger, mehrere Friseure, Volksbank und Sparkasse, ein Getränkemarkt, ein Buchladen mit Onlineshop, ein Blumengeschäft, einen Deko- und Bastelladen, eine Fotografin, zwei Tankstellen, eine davon mit Shop, eine Musik- und zwei Fahrschulen und ob's den Zoo-Laden noch gibt, müsste ich nachschauen. Das liegt alles mehr oder weniger an der (frisch sanierten) Hauptstraße. In gefühlt jedem zweiten Laden kann man auch Pakete aller gängigen Versender abgeben. Im Gewerbegebiet draußen gibt's u.a. autofreundlich einen Penny, einen Edeka mit Tchibozeugs und Post, einen weiteren Getränkemarkt und eine Reinigung. Auf der anderen Seite des Ortes, direkt in ein neues Wohngebiet, baut demnächst REWE. Einen Bahnhof mit RE-Halt gibt's, eine Pizzaria, eine Dönerbude, einen Italo-Inder-Türken-Lieferdienst mit Imbiss und zwei bayerische Wirtshäuser. Eins davon betreibt sogar eine Kleinkunstbühne, wo mehrmals im Jahr Leute wie Günter Grünwald, Luise Kinseher, Constanze Lindner, Helmut Schleich oder Michael Lerchenberg auftreten. Martina Schwarzmann war auch schon da, die hat aber in der Mehrzweckhalle gespielt, wo ab und an auch mal ein Flohmarkt oder sowas stattfindet, wenn nicht grad Yoga oder Gymnasik oder sowas da drin stattfindet. Auch Vereine gibt's von Feuerwehr, Blaskapelle, Angelsport, Hundeschule, Theatergruppe, Gartenbauverein bis hin zum Sportverein mit Fußball-, Tennis- und Bolzplatz. Die Vereine organisieren dann auch so Sachen wie das Wein- und das Bierfest. Bis auf ein Kino fehlt mir im Alltag eigentlich nichts, was nicht binnen höchstens 15 Minuten zu Fuß erreichbar wäre. Handwerker gibt's nahezu alle, eine Taxifirma und sogar einen, der VW Käfer und Bullys restauriert. Sogar einen Modellbauladen gibt's. Der hat aufgrund der Nachfrage zwar vor 20 Jahren die Eisenbahn rausgeworfen, veranstaltet aber dafür Wettkämpfe im Modellautofahren auf einer eigens dafür gebauten Rennbahn. Ein Rathaus haben wir auch, da gehst du einfach unten rein und sagst, was du brauchst, alles das gleiche Zimmer, ohne Anstehen und Nummerziehen. Was sollte mir jetzt fehlen, wo muss ich mit dem Auto hinfahren, wo natürlich alle Städter zu Fuß hinlaufen?
Der Witz ist: Es ist in einem funktionierenden bayerischen Dorf alles da, relativ kompakt sogar, warscheinlich kompakter als in den meisten Stadtvierteln der Landeshauptstadt. In einer Stadt wie München nehmen die Leute im Alltag im Schnitt längere Wege auf sich, man ist ja schnell und bequem mal mit der S-Bahn von Laim in der Altstadt. Das sind aber die gleichen 5 km, wie wenn ich in den Nachbarort fahre. Von Aubing zum Marienplatz sind's an die 12 km! Und ich wage sogar zu behaupten, da wo ich wohne, fahren mehr Leute mit'm Fahrrad zum Einkaufen oder zur Schule als in München, wo sich viele wegen der vielen Autos oder aus Angst vor Diebstahl nicht trauen. Und ich traue mich auch wetten, trotz "Urban Gardening" haben die wenigsten Städter ihre eigenen Pflaumen, Kirschen, Äpfel mit einen Transportweg von 0,0 km. Kostet nichts, spendet Schatten, reinigt die Luft, schluckt Schall, sieht schön aus und ist Lebensraum für Vögel, Spinnen, Bienen, Käfer und Nachbarskatzen, den mir keine Stadtverwaltung zubetonieren kann. Man kann auch Kartoffeln, Gurken, Erdbeeren, ... wenn man will, ich denke, es wird klar, was ich meine. Freilich, man kann natürlich für's gleiche Geld auch in einer 70er-Jahre Betonhölle im 5. Stock neben der vierspurigen Straße mit vermutlich seltsamen Nachbarn wohnen. Über 4.000 Leute pro Quadratkilometer, für mich wäre das nix.
Mühldorfer @ 8 Jan 2017, 22:11 hat geschrieben:Nichtmals KAT und bluetec wäre nötig.
Warum nicht? Kämen dann bei den Autos auf der Fürstenrieder oder der Dachauer Straße nur Seifenblasen aus'm Auspuff? Umweltzonen werden aufgrund der hohen Belastung ja bekanntlich am häufigsten auf Dörfern und Kleinstädten eingerichtet. Die Traktoristen vom übernächsten Ort hatten letztens auch wieder ganz fiesen Feinstaubalarm. Ach ne, das war Stuttgart. :rolleyes:
Aber ich stell' die Frage nochmal: Was hat das alles noch mit IC und ICE zu tun?