Galaxy @ 5 Jun 2015, 20:44 hat geschrieben:andreas @ 5 Jun 2015, 20:29 hat geschrieben:Nö, denn Ampeln kann man abschalten...
Wird oft aber nicht gemacht, und man steht Mitternachts bei Rot vor einer leeren Kreuzung.
Ich habe mir die Frage auch schon oft gestellt, warum manche Ampeln (LSA) nachts nicht abgeschaltet werden, obwohl dort gefühlt nie jemand kommt. Heute habe ich in der Vorlesung Straßenverkehrssicherungstechnik (uff, so was Sperriges) die Antwort erhalten: Kreuzungen, die durch Verkehrszeichen geregelt werden, werden grundsätzlich anders angelegt als Kreuzungen mit LSA. Das betrifft insbesondere die Sicht. Vorgeschrieben ist an verkehrszeichengeregelten Kreuzungen eine ausreichende Sicht von der
Haltelinie auf die vorfahrtberechtigte Straße. (sogenannte Anfahrsicht) Und genau das ist das Problem an den Kreuzungen mit LSA: Durch den Fuß- und Radweg ist die Haltelinie deutlich zurückversetzt, wodurch häufig keine ausreichende Sicht von der Haltelinie aus gegeben ist. Aber selbst wenn man vorsichtig weiterfährt, sieht man immer noch schlecht.
Wunderbares Beispiel ist die
Kreuzung Bajuwaren/St.-Augustinus-Str.
Die LSA dort wird auch nicht abgeschaltet, obwohl dort nachts manchmal minutenlang kein einziges Fahrzeug kommt. Mir ist auch schon aufgefallen, dass die Sicht ziemlich schlecht ist, als ich mit dem Fahrrad bei Rot rüberwollte, weil die Induktionsschleife nicht angesprochen hat.
Mittlerweile sieht es dort zwar bisschen anders aus, aber die Hecke rechts versperrt unverändert die Sicht. Bei nächster Gelegenheit kann ich gerne noch entsprechende Fotos (bei Dunkelheit) nachliefern.
Oder auch St.-Veit/Heinrich-Wieland-Str.
Zum Vergleich: Sicht am
Stopschild Sonnwendjoch/Waldstr. (30er Zone) (Hier wurde die einst viel zu weit zurückliegende Haltelinie vor einigen Jahren vorverlegt, sodass man ausreichend Sicht hat)
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Um mal auf einen etwas älteren Beitrag zurückzukommen, für dessen Klärung ich etwas mehr Zeit und Recherche benötigt habe:
Rohrbacher @ 21 May 2015, 01:00 hat geschrieben:
Angenommen die Reaktionszeit ist immer gleich, welche ausreichende Sichtweite ist gemeint? Die, die für eine ausreichenden Bremsweg für den beladenen 3,5t-Sprinter mit der schmalen Reifen und Minimalbremsanlage reicht, die für einen modernen, sportlichen Mittelklassewagen mit 245er-Reifen, die für einen Mittelklassewagen der 60er Jahre ohne Bremskraftverstärker? Welche?
Ich meine die sogenannte Haltesichtweite, die in den Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA) definiert ist. Da online nicht verfügbar, habe ich mir mal ein Exemplar ausgeliehen.
Ich zitiere, eigene Anmerkungen kursiv. (Hoffentlich ist das kein Verstoß gegen § 2.3)
5.5 Haltesichtweite
5.5.1 Allgemeines
[…] Sie hat die Aufgabe, dem Kraftfahrer jederzeit bei Gefahr das rechtzeitige Anhalten vor Hindernissen (gemeint sind Pannenfahrzeuge, Stauende, Elefantenrennen… also größere Hindernisse) zu ermöglichen. […]
5.5.2 Erforderliche Haltesichtweite
Unter der erforderlichen Haltesichtweite […] wird die Strecke verstanden, die ein Kraftfahrer benötigt, um bei nasser Fahrbahn vor einem unerwartet auftretenden Hindernis (z.B. einem Stauende) anzuhalten. Sie setzt sich aus dem Weg während der Reaktions- und Auswirkzeit (Verzögerung von der Betätigung der Bremse bis zum Eintritt der Bremswirkung, ähnlich wie bei der Bahn) und dem reinen Bremsweg zusammen. Dabei sind die speziellen Bedingungen des Fahrverhaltens auf Autobahnen berücksichtigt. Deshalb sind für die Haltesichtweite größere Werte als die physiologisch begründeten Mindestwerte für die Reaktionszeit und fahrdynamisch mögliche Bremswege bei Gefahrbremsungen zugrunde gelegt.
Die erforderliche Haltesichtweite variiert in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit und der Längsneigung. (bei 130 km/h in der Ebene etwa 250 m) [Wenn der Abschnitt nicht eh schon mit Tempolimit geplant wird], ist die erforderliche Haltesichtweite für die Richtgeschwindigkeit v=130 km/h einzuhalten.
Aus: Richtlinien für die Anlage von Autobahnen von der FGSV, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, Köln, 2008
Es gibt im Anhang auch eine Formel, mit der die erforderliche Haltesichtweite berechnet wird.
Daraus geht hervor, dass folgende Annahmen getroffen wurden:
Reaktions- und Auswirkdauer: 2s
Bremsung ohne ABS, mittlere Bremsverzögerung von 3,7 m/s^2
Wenn ich 200 km/h einsetze, kommt eine Haltesichtweite von 417 m raus. Und um auf dein
Bild zurückzukommen: Aus der Perspektive vom rechten Fahrstreifen würde ich etwa 350-400 m als Sichtweite angeben. Vom Linken sind es wahrscheinlich schon unter 300 m, also schon ziemlich nah dran an den 260 m der Gefahrbremsung und definitiv über der Haltesichtweite.
Rohrbacher @ 21 May 2015, 01:00 hat geschrieben:
Die Autos, die heute mit Durchschnittsfahrern tausendfach jeden Tag 160, 180, 200, 220 km/h fahren sind völlig andere. Die sind mittlerweile seit Jahrzehnten mit ABS ausgerüstet, mit Bremskraftverstärkern und mit Scheibenbremsen, die auch mehrere Vollbremsungen ohne nennenswertes Fading meistern, die Entwicklung der Reifenprofile ist heute auch deutlich weiter. So kommen moderne Autos auf Bremswege zwischen 34 bis 39 m aus 100 km/h.
Du darfst bei der Bremsverzögerung natürlich nicht vom minimal möglichen Wert eines CLA mit Shooting Brake ausgehen. Denn dann ist es offensichtlich, dass der angesprochene vollbeladene Sprinter und 5 weitere hintenreinfahren. Deswegen kann man auch nicht mit Entfernungen einer Gefahrbremsung rechnen. Im Übrigen ist ein Stauende besonders tückisch, denn es kommt zur Ausbildung einer Schockwelle. Das Stauende kommt quasi entgegen (kann man sich verdeutlichen, indem man annimmt, dass sich von der Zeit, an dem man das Stauende erkennt und den Bremsvorgang durchführt, sich weitere Fahrzeuge aufstauen und damit das Stauende näher liegt als zum Zeitpunkt des ersten Erkennens)
Realistisch dafür sind etwa 10-20 km/h, die zusätzlich auf die eigene Geschwindigkeit addiert werden müssen.
Rohrbacher @ 21 May 2015, 01:00 hat geschrieben:
Wäre es so, dass Schnellfahren über 130 km/h auf deutschen Autobahnen nicht vorgesehen wären, müsste es heute täglich dutzende Hochgeschwindigkeitsunfälle geben, deren Ursache zumindest indirekt in der Geschwindigkeit zusammenhängt, nicht aber damit, dass der Fahrer unerfahren war oder schlicht unvorsichtig war.
Wie bereits gesagt: Dass es nicht unzählige Unfälle bei extrem hohen Geschwindigkeiten gibt, liegt (unter anderem) daran, dass ein Großteil einfach nicht so schnell fährt. Zudem ist in der Regel eben kein Hindernis auf der Fahrbahn oder das Stauende nicht in der Kurve, oder der Kurvenradius größer als der minimal zulässige, oder, oder, oder…
Aus einer gefährlichen Situation (Schneller fahren, als es die Sichtweite zulässt) folgt noch lange kein Unfall.
Rohrbacher @ 21 May 2015, 01:00 hat geschrieben:Trassiert sind deutsche Autobahnen für 200 km/h + x.
Ich habe heute mal dem Prof für Verkehrstechnik dieses Statement angeboten. Seine Antwort war eindeutig: Sind sie nicht.
Ich möchte nicht verschweigen, dass er auch gesagt hat, dass sich ein generelles Tempolimit seiner Meinung nach auf jeden Fall positiv auf die Verkehrssicherheit auswirken würde, das große Sorgenkind sind und bleiben aber die Landstraßen.
So viel zum Thema Tempolimit vonseiten der Sichtweiten. Ich möchte nochmal betonen, dass das nicht bedeutet, dass es fahrdynamisch nicht möglich ist, schneller als 130 zu fahren oder dass es keine Stellen gibt, an denen eine ausreichende Sichtweite für höhere Geschwindigkeiten vorhanden ist.