rautatie @ 11 Sep 2020, 15:21 hat geschrieben:Die Attraktivität von Zügen wird sicher unterschiedlich bewertet, aber ehrlich gesagt gibt es schon noch Strecken, wo sehr unansehnlich gewordene Dieseltriebwägen der Baureihe 628 im abgewetzten Look und durchaus durchgesessenen und abgewetzten Sitzen nach wie vor unterwegs sind.
Welche Strecken sind denn das?
Die 628 der SOB haben Redesign und sind in der Regel sogar sauberer als so manchner Milleniums-VT aus dem Stillstandsmanagement oder der Fugger-Express. Da gibt's wirklich sehr versiffte Kisten, Baujahr 2008. Aber gut, ds ist der Ausschreibungseffekt. Bei den 628.2, die längst auch zur Marsmännchen-Diskussion gehören, weil die meines Wissens nirgends hierzulande mehr regulär laufen, wüsste ich zudem nicht, wie man deren Sitze überhaupt durchsitzen kann? Das einzige, was die 628.4 der SOB von den zum Teil grad mal zwei Jahre jüngeren Waldbahn-650 unterscheidet, ist das niedrigere Geräuschlevel des 628, die abgetrennten Türbereiche im 628, die Klimaanlage im 650 und die auf unterschiedliche Art fehlende Barrierefreiheit. Beim 628 an den Türen, beim 650 im Fahrzeug. In einem Netz mit überwiegend nicht barrierefreien Bahnsteigen, ist das aber auch schon egal. Und ich wüsste auch nicht, dass ein 628, der mit 80-120 km/h und durch die Infrastruktur vorgegebenen Zwangspunkte begrenzt durch's Netz fährt den Tatbestand des "Tuckerns" mehr erfüllt als ein 650, der mit maximal 50 km/h nach Viechtach fährt. Das würde sich auch mit nagelneuen 622 nicht ändern und wenn der Betrieb ein Sauladen ist, sehen die unabhängig vom Alter bald sehr grauslig aus.
Zwischen 628 und 650 gibt's immerhin als spurbare Evolutionsstufe die Klimaanlage, der potentiell barrierefreie Zustieg und die potentiell nutzbare höhere Fahrdynamik. 628 brauchen uns für die Zukunft nicht mehr interessieren, auch wenn mit solchen Fahrzeugen wie auch dem Ne81 natürlich extrem günstiger Verkehr möglich ist, wo sonst gar keiner wäre, siehe SAB. Am grusligsten ist aber die Frage, wie sich ein alter, sauberer 650 (1997) von einem neuen 622 (2020) aus der Fahrgastsicht unterscheidet? Außer dass letzterer sein unheimlich wichtiges WLAN vielleicht schon ab Werk hat, findet man in Zeiten der Billig-Billig-Ausschreibungen flächendeckend Stillstand und Rückschritt vor. In der Evolution Donnerbüchse (1920) -> VT95/98 (1950, Polstersitze) -> 628 (1974, 2+2 Bestuhlung, Druckbelüftung, Fahrkomfort) -> 650 etc. (1996, Niederflur, Klimaanlage, Fahrdynamik) etc. war tendenziell Fortschritt erkennbar. Seither geht's nur noch um Rationalisierung, während in der Autoflotte seit dem Golf III weiterhin einiges beim Fahrkomfort passiert ist.
Zu Bundesbahnzeiten muss man übrigens auch überlegen, wo die "Rumpelkisten" herkamen. Auf vielen fränkischen und ostbayerischen Nebenbahnen liefen neben den allgegenwärtigen Silberlingen in der alten Tradition, Nebenstrecken günstig mit alten Hauptstreckenmaterial zu bestücken, auch alte Schnellzugwagen wie Bm 232. Das wäre hinsichtlich des Komfortniveaus so als würde man auf heute übertragen die beim ICE1-Refit übrig gebliebenen ICE-Mittelwagen nach Viechtach laufen lassen. Nicht mehr ganz neu, aber wenn ich die Wahl hätte ICE1 oder 622 könnte man sich das mit dem Altwagen schon überlegen. Die Bpmz (und vereinzelt deklassierten Apmz!) auf'm MüNüX haben vermutlich mehr zum Image und zu den Fahrgastzahlen beigetragen als es die heute üblichen tiefergelegten S-Bahnen hätten tun können. Schließlich hat auf'm Land auch so mancher Haushalt statt eines neuen Kleinwagens für's gleiche Geld eine gebrauchte obere Mittelklasse zur Verfügung oder macht die alte zum Zweitwagen, wenn der neue Erstwagen kommt. Der Vergleich mit dem Auto ist da auch in der Hinsicht nochmal eine andere.