Reiseerlebnisse mit der Bahn

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
"Lebende Forenlegende"
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Beitrag von Entenfang »

Nachtrag zu meiner Heimfahrt vor Weihnachten: Ein trauernder Schwan wars.


Und das hat die Menschen dieses Jahr bewegt:

Tram 7 Richtung Weixdorf, Dresden, Mi, 13:46

"Wie kann man denn ein Projekt so aufziehen? Das wird doch nie was. Und jetzt haben die auch noch ganz viel in Indonesien investiert. Das ist ja schön, aber ich sag dir, das wird nie und nimmer Gewinn abwerfen...", monologisiert ein BWLer Mitte 30, "...bei den Löhnen dort. Ich wette darauf, dass das nichts wird. Ich würde wirklich viel Geld darauf wetten, dass das nichts wird!"


S1 Richtung Meißen Triebischtal, Mi, 17:54

6 Jungs, um die 15 Jahre alt, steigen trampelnd die Treppe in das Obergeschoss hinauf. "Ey, tu was für die Umwelt!", ruft einer, wobei mir der Zusammenhang unklar ist, "denk an die Thunberg!" "Alder, die Thunberg fickt dich", gibt dieser zurück. Sie laufen noch ein paar Mal auf und ab, offenbar überfordert damit, sich auf den zahlreichen freien Plätzen zu verteilen, denn Sechser gibt es in der S-Bahn Dresden glücklicherweise nicht. Dabei rufen sie immer wieder inhaltslose Kommentare durch den ganzen Wagen. "Ey, da ist ein Vierer frei!", ruft einer, als ein anderer Fahrgast aussteigt. Es dauert noch eine Weile, bis jemand davon Notiz nimmt, weil ja alle mit ihrem Handy beschäftigt sind. Vermutlich will auch keiner aufstehen, weil bereits klar ist, dass sie nicht alle auf dem Vierer platzfinden können. "Ey, da ist ein Sechser!", ruft der Entdecker kichernd. Nach einer Weile erheben sich die Kumpels, um sich im Vierer und der Zweierreihe daneben wieder hinzusetzen. Na welch ein Glück, dass sie die eine Minute Fahrzeit bis zu ihrem Ausstieg zusammensitzen können...


Obus 4 Richtung Pod Strání, Hradec Králové, Do, 20:01

"Guten Abend", sagt die junge Frau zum Busfahrer und versucht vergeblich, ihre Fahrkarte durch das Stecken in den Schlitz des Fahrkartendruckers zu entwerten. "Nene, den Anderen!", ruft ihre Freundin, die schon weiter in den Innenraum vorgedrungen ist. Flugs ist sie wieder zurück und führt die korrekte Bedienung des Lochentwerters vor. "Oh Gott, Entschuldigung vielmals", meint die Erste kichernd zum Mann hinter ihr, der warten musste.
Bereits eine Haltestelle weiter zickt das Fahrzeug. Der Fahrer kann nicht mehr losfahren und drückt ein paar Knöpfe, wodurch aber die Weihnachtsbeleuchtung nicht erlischt. Fluchend schaltet er das Fahrzeug komplett ab und die Innenraumbeleuchtung geht aus. "Ieeekkkks", quietscht die Frau, die vergeblich den Entwerter gesucht hat, irgendwo hinten im Fahrzeug. Inzwischen überholt der Dieselbus-Kollege, während der nächste Obus hinter uns feststeckt. Ein Neustart löst so manches Problem und die Weihnachtsbeleuchtung erlischt. Zwei Stationen weiter muss ich glücklicherweise aussteigen, denn da quittiert das Fahrzeug wieder seinen Dienst. Ob es je seinen Endpunkt erreicht hat, werden wir nie erfahren.


Alex nach München, So, 16:40

"Ist hier bei Ihnen noch frei?" Vier Fahrgäste setzen sich zu mir ins Abteil, ein fünfter läuft weiter nach vorne. "Wo geht der denn hin? Das ist doch schon der erste Wagen", meint einer der Zugestiegenen, "na, der wird schon merken, dass da die Lok kommt." "Vielleicht hat er ein Date mit dem Lokführer?", meint eine ebenfalls zugestiegene Frau lachend.


Kammerspiele, München, Do, 18:49

Ich stehe an der Kreuzung Maximilianstraße/Altstadtring, um die Trambahn im Abendlicht auf den Chip zu bannen. Ich wundere mich über einen jungen Mann, der mit einer Kompaktkamera ein paar Meter entfernt steht und scheinbar wahllos die Umgebung und vermutlich auch mich fotografiert. Irgendwo hinter mir höre ich das Aufheulen eines Motors, was mir an diesem Standort keinen Blick wert ist. Die Trambahn nähert sich vom Maxmonument und urplötzlich kommt ein halbes Dutzend Fotografen angerannt und zwei weitere auf dem Fahrrad. "Jetzt kommt er!", ruft einer ganz aufgeregt. Die sechs würden problemlos als Hobbykollegen durchgehen - alle männlich im Alter von 13 bis 50. Doch sie stellen sich mitten in meine beabsichtigte Fotolinie und interessieren sich weder für den entgegenkommenden R3-Wagen, noch für die Schulungsfahrt von hinten - sondern für den silbernen Ferrari, der mit aufheulendem Motor an der Ampel zum Stehen kommt und sofort von den Fotografen umringt wird. Der Abbiegerpfeil wird grün. "Hey, pass auf", ruft einer dem 13-Jährigen zu, der noch mitten auf der Fahrbahn steht und offenbar nicht wahrgenommen hat, dass die Autos inzwischen grün bekommen haben. Er springt zurück auf den Fußweg, der Ferrari rollt mit aufheulendem Motor bewusst langsam in die Kreuzung, wird begeistert aufgenommen. Der nachfolgende BMW lässt auch schon ungeduldig den Motor aufheulen, doch er klingt wie eine piepsende Maus gegenüber dem Brüllen eines Löwen.


BRB nach Augsburg-Oberhausen, Fr, 17:20

"Die Silvia hatte gestern Sex mit dem roten Auto", erzählt ein Mann am Handy.


Meridian nach Freilassing, So, 11:48

Ein Graffiti an einer Mauer zieht vorbei: Die Angst hält uns am Leben - bis dass der Tod uns tötet


S1 zum Flughafen, München, Di, 12:57

Ein Mann hechtet durch die Tür in die S-Bahn. Er beginnt zu telefonieren. "Boah, ich hab' am Westfriedhof übernachtet und bin grad in der S-Bahn. *Schnaufschnauf* Alter, ich schwör, ich bin grad so gerannt. *Schnaufschnauf* Boah, ich schwör, ich krieg echt keine Luft mehr!"


S1 zum Ostbahnhof, München, Di, 16:16

Ein Mädel um die 17 erzählt ihrer Freundin: "Wir haben die um halb 7 nach Neufahrn bestellt, als wir schon alle zu Hause waren. Und die ist dann tatsächlich gekommen, als wir schon daheim waren. Und dann stand die im Regen und niemand hat sie abgeholt. Also ich würde ja sowas nicht mit mir machen lassen. Aber die kommt trotzdem immer wieder. Wir haben alle gekichert und sie hat gefragt, warum. Wir haben alle nur gedacht: Wenn du wüsstest..."


München Hauptbahnhof, Mi, 12:08

Ein Mann rennt auf uns zu. "Entschuldigung, ich muss ganz dringend mit dem Bayernticket nach Nürnberg fahren." Er hält seinen Geldbeutel mit einem 10er und ein paar Münzen auf. "Mir fehlen aber noch genau 1,60¤. Habt ihr vielleicht etwas für mich?"
Nee.
Dass der nächste RE nach Nürnberg in 50 Minuten fährt, fällt uns erst ein paar Minuten später auf...


U5 Richtung Neuperlach Süd, München, Mi, 12:38

Eine ältere Frau möchte das geöffnete Klappfenster schließen, doch die gegenübersitzende Frau hält sie davon ab. "Nee, lassen Sie das mal offen, wegen der Aerosole..." Also setzt sich die ältere Frau kommentarlos um.


P-Wagen Richtung Großhesseloher Brücke, München, Mi, 13:40

Ein Pärchen knutscht am Fußgängerübergang über die Gleise zwischen den Haltestellen. Rechts brausen die Autos vorbei, links leise bimmelnd und mit vollem Sound der P-Solo.


IC Richtung Emden, Fr, 12:48

"Hurra, erster Zug für heute geschafft", meint die Zugbegleiterin zu einem Kollegen, als wir in Mannheim einfahren, "bleiben noch vier."
"Warum seid ihr denn so früh dran?", wundert sich die Ablöse am Bahnsteig, "ich hab heute schon ordentlich Verspätung gemacht..."

"Ist das hier der IC 2014?", erkundigt sich eine zugestiegene Frau bei einem anderen Fahrgast. "Ja." "Ich habe mich bloß gewundert, weil draußen nichts dransteht." "Achja, die Deutsche Bahn und die Technik", meint der Mann nur, "ich war einmal in einem Regionalzug, in dem keine einzige Steckdose funktioniert hat. Dann war mein Handy leer und ich dachte, ich könnte das ja im Zug aufladen..." "Ja, das ist echt blöd."


S3 Richtung Essen-Steele Ost, Sa, 21:04

Ganz überraschend für mich steht am Bahnsteig eine Ersatzgarnitur aus Taurus und n-Wagen von TRI am Bahnsteig. "Verehrte Reisende, wir begrüßen Sie auf der Fahrt nach Essen-Steele Ost. Genießen Sie die Fahrt mit uns in der Ersatzgarnitur in den Sonnenuntergang."


S1 nach Solingen Hbf, Sa, 21:35

Drei Mädels, um die 17 Jahre alt, setzen sich in den Vierer gegenüber. Eine schmeißt ihre Jacke auf den freien Sitz. "Boah, ich muss pinkeln", bemerkt eine bald, "ich geh gleich im Hauptbahnhof Essen. Mir egal, ob das was kostet. Ich muss wirklich dringend!" Sie drückt irgendwas an ihrem Handy herum. Eine der beiden anderen schnappt es ihr aus der Hand. Wenig später verkündet es den Eingang einer neuen Nachricht. "Wer hat mir denn geschrieben?" "Dennis." "Boah nee, ich will nicht, dass der mir was schreibt. Wieso fahren wir eigentlich so langsam? Ich muss pinkeln. Gibt's hier eigentlich ein WC?" "Nee", meint eine ihrer Freundinnen. "Boah, ich geh dann aber wirklich gleich am Hauptbahnhof. Ich muss wirklich dringend! Ich mach' mir gleich in die Hose."
Der Zug bleibt auf freier Strecke stehen. "Wieso fahren wir denn nicht weiter?" Zwei Minuten vergehen. Ein ICE saust auf einem anderen Gleis vorbei. "Ich mach mir echt gleich in die Hose. Hat jemand einen Becher?" Sehr geehrte Fahrgäste, die Weiterfahrt verzögert sich aufgrund von Bauarbeiten noch um wenige Minuten.
"Wie lange noch?" "Keine Ahnung." "Um 21:45 Uhr fährt unsere Bahn", stellt eine der drei fest. "Und wie viel Uhr ist es jetzt?", will die wissen, die dringend aufs Klo muss. "21:39 Uhr." Die S-Bahn setzt sich wieder in Bewegung. "Na endlich, dann kann ich endlich pinkeln," brummt sie ungeduldig. "Aber dann verpassen wir unsere Bahn um 21:45 Uhr." "Wie viel Uhr ist es jetzt?" "21:42 Uhr. Das sind nur noch drei Minuten." "Das schaffe ich." "Nein, das schaffst du nicht. Ich habe kein Bock, 20 Minuten auf die nächste Bahn zu warten. Du kannst bei mir pissen."


ICE nach Dresden, Mi, 21:16

Drei Frauen zwischen 40 und 60 sitzen in meiner Nähe. Sie sind Kolleginnen, vermutlich auf dem Weg zu irgendeinem Seminar. Die Gespräche drehen sich um Therapien für Autisten und dass irgendeine Kita-Erzieherin einer Mutter vorgeworfen hat, dass sie ihr Kind in die Kita gebracht hat, obwohl sie ja Homeoffice machen würde. "Wer das noch nie gemacht hat, hat ja keine Vorstellung davon, wie das ist!" "Neulich hat mich auch die Erzieherin angerufen. Ich solle meinen Sohn abholen kommen, weil der krank ist. Ich habe gesagt, vor drei schaffe ich es eh nicht und um vier wollten meine Eltern ihn ohnehin abholen. Ich hab dann meine Eltern gefragt, was mit ihm ist. Ach wo, von krank keine Spur. Der saß heulend in irgendeinem separaten Raum und die Erzieherin hat behauptet, er hätte Corona."
[…]
"Sagt mal, wie kommen wir eigentlich nachher dahin? Wie hieß das nochmal, Schillerplatz oder so glaub ich." "Hmm, gabs da nicht eine direkte Bahn von Neustadt? Dann steigen wir schon dort aus." "Ok, ich muss dann schon vorher raus, zum Bischofsweg.“ Dann wird das Thema erstmal wieder fallen gelassen, nur um einige Minuten später wieder aufzutauchen. "Ich versuche mal, rauszufinden, wie wir da hinkommen." Sie drückt irgendwas auf ihrem Handy herum. "Hmm, das lädt nicht. Naja, welche Richtung brauchen wir denn eigentlich?" "Na, Schillerplatz?!" "Jaja, aber die endet ja wahrscheinlich nicht dort." "Eigentlich können wir ja auch zum Hauptbahnhof fahren, oder?" "Bis mein Handy geladen hat, sind wir schon in Neustadt."
Allmählich wird es verwirrend und ich klinke mich ein: Wo wollen Sie denn hin? "Schillerplatz." Linie 6 direkt ab Neustadt. "Oh Mann, wieso haben Sie uns denn so lange auf die Folter gespannt?", meint die Frau neben mir lachend. Man muss auch mal zuhören können. "Wir zerbrechen uns hier den Kopf und dann kommt plötzlich eine Stimme aus dem Off und verkündet die Lösung. Welche Richtung eigentlich?" Niedersedlitz. "Hmm, ich muss dann vorher raus zum Bischofsweg, da war doch so ein Platz in der Nähe, wie hieß der doch gleich?" Albertplatz. "Ja genau!" "Naja, danke dass Sie sich eingemischt haben."


RB nach Garmisch-Partenkirchen, Mi, 10:52

"Wem gehört denn das rote Fahrrad da vorne?", ruft die Zub durch das Untergeschoss des Dosto. Jemand meldet sich. "Sie müssen sich schon um die Fahrräder kümmern, nicht nur hier irgendwie reinstellen. Nehmen Sie mal bitte die Taschen ab." Großes Rumgeschiebe geht los. "Oh Mann, und die Fahrräder sollte man auch nicht auf dem Ständer abstellen. Sonst fallen die um." Eine indische Familie ist im Zug und dafür verantwortlich. Eines der vier Kinder übersetzt für die Mutter, die offenbar nicht so gut Deutsch spricht und nicht verstanden hat, warum die Zub rumgrantelt. Dann zerrt sie an unseren Fahrrädern herum, obwohl die völlig ordnungsgemäß innerhalb der gelben Markierung stehen. "Sie müssen sich schon absprechen!!! Sonst dauert der Ausstieg nachher viel zu lange." Dass die ordnungsgemäße Einsortierung aber auch zu massiven Verzögerungen beim Einstieg geführt hätte, bleibt unerwähnt. Denn in Pasing steigen noch einige zu, darunter auch einer, mit dem ich zusammenfahre. Doch jemand anders war näher an der Tür und hat sich bereits an mein Fahrrad angelehnt, obwohl er vor uns wieder aussteigen wird, wie wir jetzt erfahren. Wir sortieren um. Die Zub zerrt noch an weiteren Fahrrädern herum, obwohl diese ordnungsgemäß verstaut sind. "Boah, wieso sind die Ständer nicht hochgeklappt? Wieso haben Sie sich denn nicht auch auf das vordere Fahrradabteil verteilt?" "Da ist keins," protestiert jemand und das stimmt - ich habe mich in München selbst davon überzeugt. "Hier steht: Fahrradmitnahme begrenzt möglich!", fährt sie in unfreundlichem Tonfall fort. Ich werfe ein, dass zur besten Tagesausflugszeit in den Sommerferien mit erhöhtem Fahrradaufkommen zu rechnen ist und man deswegen ja mehr als zwei von sechs Dostos mit Fahrradabteil in den Zug einreihen könnte. "Sie wissen doch genau, dass kein Anspruch auf Fahrradmitnahme besteht. Und ihre blöden Sprüche können Sie sich sparen!" Dann behauptet sie weiterhin, dass vorne noch ein Fahrradabteil wäre, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht.
Etwa eine halbe Stunde später kommt der Zugchef vorbei und meint zu einem Fahrgast, der sich zuvor über den äußerst unfreundlichen Tonfall der Zub aufgeregt hatte: "Sie haben ein Problem mit meiner Kollegin? Dann erzählen sie mal in Ruhe." "Naja, der Ton war äußerst unfreundlich." "Aha, lassen sie mich raten, es ging um die Fahrräder? Was genau hat sie denn gesagt?" Währenddessen brummt die Zub: "Ja wenn ich es freundlich sage, dann kümmert sich eh keiner darum." "Na eben, Sie sagen doch selbst, dass es nicht freundlich war," meint der Fahrgast. Bevor er überhaupt den Sachverhalt schildern kann, unterbricht ihn der Zugchef. "Also wenn Sie es mir nicht sagen wollen: Hier sind die Kontaktdaten, wo Sie sich beschweren können." Er drückt ihm eine Visitenkarte in die Hand und stampft davon. Alle angeraunzten Fahrgäste schauen sich verdattert an. "Das ist ja echt die Höhe", kommentiert eine Frau.
Ich sage dazu nur: Was sich hinter dem Begriff Dienstleistungsunternehmen verbirgt, haben manche Verkehrsunternehmen und insbesondere die DB noch nicht verstanden. Dafür gibt es den Entenfangschen Preis für das unfreundlichste Zugpersonal. Herzlichen Glückwunsch!


RE nach Hamburg-Altona, Mo, 14:24 Uhr

Drei Mädels, davon eins mit Schrankkoffer, sitzen verteilt auf zwei Vierergruppen. "Ich hab dir gleich gesagt, der fährt nicht pünktlich. Wir werden unseren Anschluss nicht schaffen." "Wieso? Wie viel Uhr ist es denn?" "14:24 Uhr. Und um 22 hätte er fahren sollen... Naja, vielleicht hat ja unser Anschluss auch Verspätung."


RE nach Westerland, Do, 11:13 Uhr

Zu meiner großen Überraschung kommt mein Zug pünktlich!
Er ist gut gefüllt und da ein Mann offenbar der Meinung ist, sich unbedingt auf einen Klappsitz vor das WC setzen und sein Fahrrad vor sich halten zu müssen, kommt man fast nicht mehr durch. Er ist mir vom ersten Moment an unsympathisch und brummt, dass er in Keitum rausmüsse. Wir sausen auf den Hindenburgdamm, werden langsamer. Kommen an der Blockstelle zum Stehen. "Sehr geehrte Fahrgäste, derzeit stauen sich noch die Züge auf der Insel. Daher sind wir hier zum Stehen gekommen. Genießen Sie den Ausblick."

Fahrgäste quetschen sich am Fahrrad des Mannes neben mir vorbei, um das WC aufzusuchen. Ein 8-jähriger behinderter Junge sitzt im Rollstuhl und zieht seine drei Jahre jüngere Schwester an den Haaren, die daraufhin zu weinen beginnt. Offenbar hat aber auch sie ihren Spaß daran, denn schon kurz nachdem die Mama sie befreit hat, streckt sie wieder ihre Arme zum Bruder aus und das Spiel geht von vorne los. Wieder muss die Mama sie befreien, was der Junge aber offenbar nicht so gut findet und ihr deshalb die Maske vom Gesicht reißt.
Weitere Fahrgäste quetschen sich am Fahrrad vorbei. Ein Kleinkind geht auf Erkundungstour, dicht gefolgt von der Mama. "So, hier können wir nicht weiter," meint sie, als sie vor dem Fahrrad des Mannes stehen bleibt. Doch die Kleine sieht darin offenbar kein Hindernis, schlüpft unter dem Lenker hindurch und oh - die WC-Tür ist offen, das sieht ja interessant aus! "Nein, auf die Toilette gehen wir jetzt nicht", meint die Mama, natürlich ohne Erfolg. "Neinnein, bäh, pfui!", ruft sie, springt hinterher und stoppt die Kleine, bevor sie allzu ausgiebige Erkundungstouren absolvieren kann. Dafür darf sie dann den Knopf drücken, um den Wasserhahn zu aktivieren.
Inzwischen haben wir es bis Morsum geschafft. 2 Minuten vergehen. Dahinter beginnt der eingleisige Abschnitt und da der Gegenzug planmäßig in 4 Minuten abfahren soll und pünktlich angekündigt ist, werden wir ihn wohl abwarten müssen. "Verehrte Fahrgäste, es gibt mal wieder das Zugfolgeproblem. Wir müssen noch etwas warten." Weitere Minuten vergehen. "Verehrte Fahrgäste, ich habe nun eine Information erhalten. Die gute Nachricht: Wir fahren weiter." Kurze Pause. "Aber erst in 7 Minuten." Ja, man muss es wohl mit Humor nehmen, denn anders ist das tagtägliche Chaos auf der Marschbahn nicht zu ertragen. Ich nutze die Standzeit zum Googlen. Der zweigleisige Ausbau steht im vordringlichen Bedarf des BVWP. Er wird kommen. Aber erst 2030. Vielleicht.
Eine Frau drängt sich aus dem WC und stößt dabei leicht an das Fahrrad des Mannes neben mir. "Kannst dich ruhig mal entschuldigen", knurrt er und, fügt noch hinzu, als die Frau ihn ignoriert und einfach weitergeht: "Trampeltier." Sie geht weiter und zeigt ihm den Stinkefinger. Ich erinnere ihn daran, dass es ja sein Fahrrad wäre, das nicht ordnungsgemäß verstaut ist und daher den gesamten Gang blockiert. "Was willst du denn, du Heini?" Nanana, wer wird denn gleich so ausfällig werden. "Du bist ausfällig. Wo bist du überhaupt eingestiegen???" Klanxbüll. "Na eben, du hast hier keinen Platz mehr. DU bist das Problem!", schnauzt er mich, untermalt mit wilden Gesten, an. Wir sind immer noch per Sie. Und ich hätte sehr viel mehr Platz gehabt, wenn Sie Ihr Fahrrad ordnungsgemäß verstaut hätten. Er brummt irgendetwas wenig Nettes, dann fahren wir weiter. Der behinderte Junge zieht seine Schwester wieder an den Haaren und sie muss wieder von der Mama befreit werden. "Jetzt bleib doch einfach normal hier sitzen", brummt der Papa, "dann kommt er nicht hin." Aber Mamas Maske wird dafür wieder vom Gesicht gerissen, was diese gar nicht lustig findet. "Nächster Halt: Keitum", verkündet Ingo Ruff und eine Frauenstimme fügt noch das friesische Kairem hinzu. "Steigst du denn jetzt hier aus?", schnauzt mich der Mann an. Nein, in Westerland. "Dann mach mal Platz!" Wenn Sie mich nett darum bitten, dann gerne. "Ja steigst du jetzt aus, oder nicht?!" Ich hab doch schon gesagt - nein. "Ich will durch!" Ich will auch Vieles. Der Zug hält. "So, dann wollen wir mal aussteigen." Ich bewege mich nicht. "Ja, was ist denn jetzt? Wollen wir mal aussteigen?" Das müssen Sie schon selbst wissen, ob Sie aussteigen wollen oder nicht... Die Türen sind schon eine Weile offen, ich ziehe meine Beine ein und mache etwas Platz, ohne aufzustehen. "Ich pass nicht durch", grummelt er, obwohl ich genau sehe, dass er durchpasst. Dann müssen Sie sich halt ein bisschen anstrengen. Er schiebt sein Fahrrad also an mir vorbei, die Türen laufen wieder zu, doch die Türfreigabe ist noch da. Er drückt drauf und ruft mir äußerst abfällig nach: "Du deutsches Arschloch! Gleich gibt's was auf die Fresse, du Arsch!" Dann verschwindet er im Gewusel auf dem Bahnsteig, die Türen gehen wieder zu, die gespannte Atmosphäre verfliegt. "Gut, dass Sie dem nicht so leicht nachgegeben haben", meint eine Frau zu mir. Durch die ganzen Masken fällt es mir viel schwerer, andere Menschen einzuschätzen. Ich verleihe jedenfalls den Entenfangschen Preis für die übelste Beleidigung, die ich mir bisher von anderen Fahrgästen anhören musste - herzlichen Glückwunsch!
Mit +19 endet die Fahrt in Westerland und hat für mich fast doppelt so lange gedauert wie im Plan.

Ein Mann, der mit seiner Familie ausgestiegen ist, knipst ebenfalls die ozeanblau-beige 218. "Komm jetzt endlich", ruft die Frau ungeduldig. "Nur noch 1 Foto!"


Tram 1 Richtung Stöckheim, Braunschweig, Mo, 13:33

Ich habe die Schülerspitze erwischt und es wird ziemlich voll. Und weil alle an der ersten Tür einsteigen, geht bald nichts mehr. "Weitergehen, weitergehen!", ruft der Fahrer aus der Kabine und scheucht die Schüler durch den Gang. Drei Jungs, etwa 13 Jahre alt, verteilen sich im Vierer um mich herum, nachdem sie sich erkundigt haben, ob da noch frei wäre. "Digger, schau mal, dieser Nissan-Sportwagen!" Einer hält ein Handy vor sich hin, zu sehen ist irgendein Sportwagen, aus dessen Auspuff Flammen schießen. "Boah, so einen will ich auch haben, wenn ich mal mit 19 oder 20 ausziehe." "Was kostet der denn?" "Digger, der ist echt teuer!" Er scrollt ein wenig und verkündet dann: "104.292,77¤." "Woher kommen denn die 77?" "Überführungskosten", schlägt einer vor. "Vielleicht umgerechnet von Dollar", meint ein anderer. Mehrwertsteuersenkung, denke ich. Aber eine nachträgliche Rechnung kommt zum Ergebnis, dass der vorherige Preis dann genauso krumm gewesen wäre. Leider wird die Frage nicht mehr geklärt, denn alle Rennfahrer in spe müssen aussteigen.


Bothmerstraße, Hannover, Sa, 12:42

Ein übergewichtiger Mann im Jogginganzug mit Hund sitzt neben mir im Wartehäuschen. Er ruft jemanden an. "Ich hab alles bekommen. Nur Porree hab ich nicht gekauft, weil du hast mir nicht gesagt, ob du die schon gekauft hast. Also hab ich keine Porree für 1,08 ¤ gekauft." ... "Und da war dann eine Frau, die wollte die letzten beiden Packungen Karotten kaufen. Ich hab dann gesagt: 'Kauf' mal nur eine, die anderen wollen vielleicht auch noch eine haben', aber die meinte dann: 'Geh doch woanders einkaufen' und ich hab ihr gesagt: 'Geh du doch woanders hin'. Das geht doch wirklich gar nicht! Einfach die beiden letzten Packungen Karotten kaufen. ... Bin jetzt Bothmer, bin in 10 Minuten daheim. Ahh, ich freue mich schon auf die beiden Flaschen auf dem Tisch. ... Ahh, neee, natürlich nicht. Ist ja noch zu früh. Ich hab die Polen und die Russen schon beim Saufen gesehen und hab gesagt: 'Guck mal auf die Uhr!' Man muss ja nicht schon so früh anfangen, sich volllaufen zu lassen. Die sind ja dann um fünf, sechs Uhr besoffen. ... Oh Mann, mich juckts schon wieder..."


Stadtbahn 10 Richtung Ahlem, Hannover, Sa, 14:48

Zwei Jugendliche um die 15 setzen sich in den Vierer hinter mir, in dem schon eine Frau sitzt. Den genauen Auslöser der folgenden Diskussion konnte ich nicht identifizieren. "Abstand halten!", meint die Frau. "Boah, wofür gibt's denn die Masken? Mir geht das Thema Corona so auf den Sack. Immer nur Corona, Corona, Corona. Wir werden alle sterben." Er ereifert sich gegenüber seinem Kumpel noch weiter. "Boah, und die Frau ist nicht mal 50. Die ist nicht mal... wie heißt das? Gefahr?" (Gemeint war vermutlich Risikogruppe) Sein Kumpel brummt nur irgendwas und lässt ihn reden. "So, ich nehm' jetzt extra die Maske ab." Er lässt auf seine Ankündigung Taten folgen und ereifert sich weiter. "Ohne Bildung geht's auch", kommentiert eine andere Frau. Die Frau im Vierer bei den Jugendlichen steht schließlich auf und begibt sich zur Tür. "Guck, jetzt geht sie schon weg!" Die Frau steigt an der nächsten Haltestelle aus.


BRB Richtung Bayrischzell, So, 10:41

"Wir waren bei Alex seinem 50. Wir waren im erlesenen Kreis dabei." "Echt? Der feiert doch sonst so groß." "Nene, der nimmt das alles sehr ernst. Wir haben alle Regeln eingehalten." "Aber ihr wart doch 3 Haushalte?" "Ja, aber das darf man doch, oder bin ich nicht mehr auf dem neuesten Stand?" "Nee, nur 5 Personen oder 2 Haushalte." "Achso, ich dachte, man darf 2 Haushalte zu sich einladen. Naja, Clara war auch dabei, die sieht ja eine riesige Verschwörung hinter Corona. Und Alex das genaue Gegenteil. Der saß sogar etwas abseits am Tisch und hatte auch nur ein Thema." "Echt jetzt? Saß der wirklich mit 2 m Abstand?" "So weit auch wieder nicht. Aber jeder Haushalt hatte eine eigene Schale mit Chips."


Bus 125 Richtung Anderten, Hannover, Fr, 13:02

Drei Kinder, vermutlich Erstklässler, steigen in den Bus ein. Sie verteilen sich auf freie Sitzplätze in meiner Umgebung und schon geht das Geplapper los. "Haben wir eigentlich den früheren oder den späteren Bus erwischt?" "Ich glaube, den früheren. Aber vielleicht hat er auch Verspätung?" "Ja, der frühere Bus. Oder ist es vielleicht der spätere Bus, der früher fährt?" "Neee, ich glaube eher, der hat Verspätung." "Ja, vielleicht ist es der frühere Bus, der Verspätung hat. Oder doch der spätere Bus?" "Aber wir sind doch extra langsam gegangen, damit wir den späteren Bus erwischen. Oder haben wir heute früher Schluss gemacht?" "Ich hab doch den anderen gesagt, die sollen nicht so schnell gehen. Aber dann war es nur noch 1 Minute und wir haben doch den früheren Bus erwischt." "Ich glaube, eher der spätere, aber der fährt früher." "Aber wenn wir später Schluss gemacht hätten, hätten wir erst den in 18 Minuten erwischt." "Wenn gleich an der St. Johanniskirche 1000 Leute einsteigen, wissen wir, dass es der frühere war."
Doch niemand steigt dort ein.
"Es ist keiner gekommen, also ist es der frühere. Wahrscheinlich haben die später aus als wir." "Ja, der frühere. Oder vielleicht ist ja doch der spätere früher gefahren?"
So geht die Diskussion noch ein paar Minuten. Ich finde es wahrlich erstaunlich, wie lange die drei sich mit diesem (vermeintlich) unwichtigen Umstand, ob dies nun der frühere oder der spätere Bus ist, beschäftigen können. Aber, aber, wie ich erfahren sollte, hängen an diesem Umstand ja noch ein paar Folgeentscheidungen. Es ist übrigens der frühere, der aus mir unbekannten Gründen auf seinem langen Laufweg vor meinem Zustieg +8 eingesammelt hat.
"Wartet eigentlich deine Mutter auf uns?" "Ich weiß nicht, ich glaube, die kommt heute später, weil die mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren ist." "Aber dann müssen wir Leas Mutter anrufen!!!" "Nein, noch nicht, erst wenn wir ausgestiegen sind." "Wartet vielleicht deine Mutter?" "Gleich in der Kurve schaue ich." "Ich helfe dir dabei!" Zwei springen auf und schauen gespannt aus dem Fenster. "Ist schon in Ordnung, ich kann auch allein schauen!", meint der dritte. "Nein, sie steht nicht da", rufen sie mehr oder weniger gleichzeitig durcheinander. "Na gut, dann fahren wir weiter. Und rufen dann deine Mutter an." "Mal schauen, vielleicht steht ja Leas Mutter und wartet."
Auch die Diskussion, wann wo wessen Mutter warten könnte, füllt noch ein paar Minuten. Dann kommt offenbar die alles entscheidende Haltestelle, doch auch Leas Mutter wartet nicht. So fahren sie noch eine Haltestelle und steigen dann aus, immer noch wild und laut durcheinanderplappernd.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Kein Reiseerlebnis mit der Bahn

Während mich die Verwandtschaft am Bahnhof absetzt, bemerke ich im Augenwinkel, dass ein Güterzug auf dem Gleis anhält, von dem mein RE planmäßig in etwa 5 Minuten abfahren soll. Aber im DB Navigator war dieser zuletzt ohnehin mit +5 angekündigt.
Ich begebe mich auf den Bahnsteig, der Güterzug steht, das Vorsignal zeigt Fahrt erwarten. Muss wohl seine HLL erstmal wieder auffüllen, denke ich nur. 5 Minuten vergehen, dann 10. Ich höre ein Zischen und das Geräusch ächzenden Metalls. Die Wagen bewegen sich ein paar Zentimeter, doch der Zug bleibt stehen. 11 Minuten Umsteigezeit zum ICE sind natürlich inzwischen knapp, aber da beide Züge aus derselben Richtung kommen, setze ich einfach darauf, dass mein RE vor dem ICE im Stau steht. Auch in Gegenrichtung fährt nichts mehr. Zwei ziemlich angetrunkene Russen unterhalten sich lautstark.
Aus der Ferne höre ich Sirenen, die vor dem Bahnhof anhalten. Zwei Polizisten kommen auf den Bahnsteig und sprechen die Russen an. "Hallo, ist hier jemand ins Gleis gefallen?" Sie bekommen jedoch keine brauchbare Antwort und da wenden sie sich an mich. Ich kann jedoch thematisch nur beitragen, dass sich an der aktuellen Szenerie seit meiner Ankunft vor 15 Minuten nichts geändert hat. Ein Mann in orangener Arbeitskleidung und mit Funkgerät nähert sich, vermutlich ein Tf oder Rangierer. Er lotst die Polizisten und die inzwischen ebenfalls eingetroffenen Notfallsanitäter den Bahnsteig entlang. PU, schießt es mir durch den Kopf. Das kann dauern. Ich überlege schon, sofort abzubrechen und meine Rückfahrt auf morgen zu verschieben, beschließe aber, noch abzuwarten. Die Russen lallen vor sich hin. "Wann kommt Bahn?", plärrt der eine mehrfach über den Bahnsteig und erntet nur genervte Blicke von den anderen Fahrgästen. Ich rufe in der 3S-Zentrale an, doch die können mir auch nicht sagen, ob es sich um einen PU handelt. "Kannstu Zigarette verkaufen?", schreit der eine Russe über den Bahnsteig. "Kannstu Zigarette verkaufen?" Doch alle anwesenden Personen versuchen, den größtmöglichen Abstand zu wahren und das sicher nicht nur wegen Corona...
Eine weitere Polizeistreife trifft ein, dann der Notfallmanager. Ok, das ist schlecht. Sehr schlecht. Ein paar Minuten vergehen, dann wird der RE wegen Personen im Gleis im Ausfall angekündigt. Die erste Polizeistreife kehrt zurück, ich frage nach, ob es sich um einen PU handelt. "Nene, alles gut, geht gleich weiter." Der Notfallmanager sowie die zweite Polizeistreife kehren zurück, mit einem Mann im Schlepptau.
Der Güterzug rumpelt los, ein weiterer folgt. Dann saust mein ICE durch, in den ich umsteigen wollte. Ich müsste zwei Stunden auf den nächsten warten und würde dann mitten in der Nacht ankommen, also verlängere ich meinen Aufenthalt um einen Tag. Ich gehe zur Bushaltestelle auf dem Vorplatz. Dort steht die Polizeistreife mit dem abgeführten Mann. "...halten Sie sich bitte von den Gleisen fern", sagt ein Polizist gerade. "Ihglaub, ihbrauch wassu trinken", lallt der Mann. "Lassen Sie das mal besser", meint der Polizist belustigt. "Aba wo sollih schlafen?" "Sie können hier schlafen, auf der Bank da vorne, aber bitte halten Sie sich von den Gleisen fern. Sonst fliegen Sie wieder in die Gleise. Haben Sie das verstanden?" Sehr überzeugend klingt die Antwort meiner Ansicht nach zwar nicht, doch die Polizisten begeben sich zurück zu ihrem Streifenwagen. Der Besoffene, wegen dem mein Zug ausgefallen ist, nähert sich mir. Er bleibt unangenehm nah stehen, starrt mich an und lallt: "Hallo." Nach drei Sekunden schlürft er davon.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von einen_Benutzernamen »

:o Bum wieso haben SIe den typen ned wenistens auf der Inspektion ausnüchtern lassen das er ned wieder versucht spartieren zu gehen?
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Wenn der Nonius-Effekt 71,75 ¤ kostet

Der Nonius-Effekt ist ein Phänomen, das im Öffentlichen Personennahverkehr auftritt. Durch indirekte Beeinflussung von auf gleicher Strecke verkehrenden Zügen, U-Bahnen, Bussen usw. tendieren Schwankungen der Zugfolgezeit dazu, sich immer weiter zu verstärken (positive Rückkopplung): Das heißt, Fahrzeuge nach verlängerter Zugfolgezeit (bzw. bereits verspätete) sind verspätungsanfälliger, nach verkürzter Zugfolgezeit (bzw. bereits verfrühte) hingegen verfrühungsanfälliger.
- aus Wikipedia

Es ist ein trüber Tag mit Dauerregen in Basel. Denkt jetzt bitte nicht, dass es sich nur um eine Einleitungsfloskel handelt. Wenig später wird dieser Umstand noch von entscheidender Bedeutung sein. Der Tag ist schon davor nicht besonders gut gelaufen und ich freue mich darauf, endlich ins Wochenende und in die Heimat starten zu können. Dafür muss ich mit dem Bus zum Badischen Bahnhof fahren und habe aufgrund der üblichen hohen Zuverlässigkeit 8 min. Umsteigezeit vom Bus zum Zug eingeplant. Ich bin - zugegebenermaßen wie fast immer - zu spät dran und renne das kurze Stück von der Haustür zur Bushaltestelle. Den Aufwand hätte ich mir sparen können, denn das kurze Straßenstück vor der Haltestelle, in der der Bus aufgrund einer Baustellenumleitung keine eigene Busspur hat, ist ein einziger Stau. Das Regenwetter macht sich ganz klar auf der Straße bemerkbar - vom sonst so regen Radverkehr sieht man heute kaum etwas, dafür sind viel mehr Autos unterwegs. Ungeduldig erwarte ich den Bus, der mit +3 auch kommt und das ist angesichts der gerade vorherrschenden Umstände noch ein guter Wert, der sicher nur auf den großen Anteil an Busspuren auf dem vorherigen Streckenabschnitt zurückzuführen ist. Nichtsdestotrotz ist der Bus viel voller, als ich es im letzten Monat je gesehen habe. Die Radfahrer sind nicht nur aufs Auto, sondern auch auf den ÖV umgestiegen.
Die Türen schließen, der Bus blinkt links und wird sofort vom nächsten Auto vorgelassen. Die nächste Ampel steht selbstverständlich auf Grün und lässt den Bus ohne Halt passieren. Weiter geht es auf eine temporär eingerichtete Bus- und Fahrradspur, also kein Stau mehr zu erwarten. Wir fahren 100 m, dann laufen wir auf. Auf dem Gehweg fährt ein Kleinkind auf dem Minifahrrad, eingepackt in Regenklamotten, begleitet von der Mama, die ebenfalls regensicher verpackt auf ihrem Fahrrad nebenher fährt. Und genau da liegt das Problem - sie fährt im Schritttempo auf der Busspur, die Gegenfahrbahn ist komplett dicht, keine Chance, mit dem Gelenkbus zu überholen. Nun weiß ich selbst, dass ich als Radfahrer mit Kapuze viel zu wenig davon mitbekomme, was hinter mir passiert. Wäre der Fall in Tschechien aufgetreten, hätte der Busfahrer nicht lange gezögert, sich mit der Hupe bemerkbar zu machen (falls das Dröhnen des Karosa-Wagens die Radfahrerin nicht eh schon aufgeschreckt hätte). Nun sind wir aber leider in der Schweiz (Moment, habe ich jetzt wirklich leider gesagt?) und selbstverständlich ist es das gute Recht der Radfahrerin, die kombinierte Bus- und Radspur zu nutzen.
Es vergehen wertvolle 30 Sekunden, ehe sie sich als rollendes Verkehrshindernis begreift und im Eiltempo die Busspur freiräumt. Der Busfahrer lächelt nur freundlich, bedankt sich und hält an der nächsten Haltestelle mit einer halben Minute größeren Verspätung an. Wieder wird es voller. Glücklicherweise winken die Fußgänger am nächsten Fußgängerüberweg den Bus durch.
Die Ampel an der nächsten Kreuzung ist rot, doch ich sehe die Fußgängerampel schon Grün blinken und kaum hat der Busfahrer das Bremspedal angetippt, wird es Grün. Es kommt noch eine Kreuzung mit Baustelle, doch der Verkehrsregler hat natürlich den Bus gesehen und hält alle anderen Fahrtrichtungen zurück, sodass der Linksabbiegevorgang völlig verlustfrei vonstattengeht. Nächste Haltestelle, weiter geht’s mit +3,5. An der nächsten Kreuzung ist die Ampel rot, obwohl sich kein feindliches ÖV angemeldet hat. Punktabzug für die Schweizer Vorrangschaltung und 15 Sekunden Zeitverlust. An diesem Umsteigepunkt herrscht generell ein höheres Fahrgastaufkommen, aber das ist ja eine Menschenmasse, die heute im Regen wartet. Schirme werden eingeklappt, Masken herausgekramt. Die Verteilung im Bus ist durch die (wegen Corona) geschlossene 1. Tür und 1. Sitzreihe ungünstig und inzwischen stapeln sich die Fahrgäste im Türbereich, obwohl noch einige Sitzplätze frei sind. Dadurch dauert der Fahrgastwechsel länger und wir stehen bei +4. Die weitere Strecke führt durch eine Seitenstraße, die Einfädelung auf die Hauptstraße ist signalgesichert und geht verlustfrei vonstatten. Ein freier Straßenabschnitt liegt durch den zurückgehaltenen MIV vor uns, die Verspätung geht zurück. Vor dem nächsten Knoten wird der rechte Fahrstreifen zu einer Busspur, was aber angesichts der Rückstaus wohl von zwei Fahrzeuglenkern zu einem gewissen Grad zu ihrem Gunsten ausgenutzt wurde und sie stehen irgendwie schräg links blinkend halb auf der Busspur, halb auf ihrem Fahrstreifen. Der Busfahrer hupt, das hintere Auto schafft es irgendwie noch ein paar Zentimeter vorzufahren und der Bus kommt vorbei. Doch der davorstehende Lieferwagen ist etwas breiter und das geht nicht mehr. Fast eine halbe Minute kostet das, ehe die Ampel grün wird, ein paar Autos die Kreuzung passieren und der Lieferwagen die Busspur räumen kann. Wieder wartet ein beachtliches Fahrgastaufkommen. Der Busfahrer schüttelt schon aus Verzweiflung den Kopf, genau wie ich, der sehenden Auges bei vollem Bewusstsein in die Katastrophe fährt. Ich checke meine Zugabfahrt, steht leider pünktlich drin, was am Startbahnhof nicht verwunderlich ist.

Die Türen schließen nicht mehr richtig, es braucht drei Anläufe, ehe sie endlich zulaufen, weil die Lichtschranken blockiert sind. Immer noch verteilen sich die Fahrgäste nicht gut und nutzen die freien Sitzplätze nicht. Dann kommt eine Frau angerannt und hämmert gegen den Türöffner. Das wäre meiner Ansicht nach ein klarer Fall, die Schweizer Höflichkeit sein zu lassen, doch der Busfahrer gibt nochmal frei. Sie schüttelt den Schirm aus, quetscht sich rein, die Tür braucht wieder zwei Anläufe zum Schließen. Der parallele MIV hatte die ganze Zeit Rot, der Busfahrer drückt die LZA-Freigabetaste und 5 Sekunden später fahren wir als Pulkführer über die Kreuzung - mit +6. Im folgenden Abschnitt gibt es keine Behinderungen. Das hat auch seinen guten Grund, denn während andernorts Busbuchten eingerichtet werden, damit der MIV den haltenden Bus passieren kann, wurden hier neue Parkplätze ausgewiesen, damit der MIV den haltenden Bus nicht überholen kann (!). Trotz des regen Fahrgastwechsels sinkt die Verspätung an den nächsten zwei Haltestellen leicht, denn die HVZ-Fahrzeiten sind sehr großzügig bemessen. Im Zulauf auf den nächsten Knoten gibt es wieder eine Busspur und völlig behinderungsfrei kann der Bus am Stau vorbeirollen. Erste Fahrgäste geben auf und warten auf den nächsten Bus, denn der vordere Bereich wird wegen der geschlossenen Tür immer noch gemieden und einige Plätze bleiben frei. Der Busfahrer schüttelt nur noch in Verzweiflung mit dem Kopf, schafft es nach drei Anläufen, die Türen zu schließen und mit +6 weiterzufahren. Am nächsten Knoten gibt es wieder eine Busspur, doch ich sehe von Weitem, dass die Ampel ausgefallen ist. Zahlreiche Polizisten regeln den Verkehr und zwar so, dass die beiden auf die Kreuzung zufahrenden Busse sofort weiterfahren können. Ich weiß, es wird knapp, aber na los, die letzten zwei Haltestellen darf die Verspätung jetzt nicht mehr wirklich ansteigen, denn am Badischen Bahnhof ist der Umsteigeweg zum Zug recht lange und ich habe einen Koffer dabei.
Ich hätte es wissen müssen, schüttle aber, genau wie der Busfahrer, verzweifelnd lächelnd, den Kopf, als ich das Fahrgastaufkommen an der nächsten Haltestelle sehe. In der Nähe befinden sich diverse Bürogebäude und trotz Homeoffice-Pflicht warten erneut unzählige Menschen auf den Bus. Und im Moment, in dem man denkt, es würde nicht mehr schlimmer gehen, sollte man sich besser den Satz Schlimmer geht immer in Erinnerung rufen.
Der Busfahrer hält an der überfüllten Haltestelle an, schaltet den Motor aus, zieht seine Jacke an, verlässt die Fahrerkabine und meint freundlich lächelnd in den überfüllten Wagen: "Tschau zämme!" Der Kollege übernimmt. "Griezi mitnand!", zieht seine Jacke aus, rückt den Sitz zurecht und startet den Motor. In der Zwischenzeit ist der Fahrgastwechsel immer noch nicht abgeschlossen und viele Fahrgäste haben es aufgegeben und bleiben zurück. Es ist der Moment, in dem ich mir sicher bin, es nicht mehr zu schaffen, wenn kein Wunder passiert. Und Wunder passieren - ich habe schon mal aus dem Bus in Rastatt den einfahrenden Zug gesehen, bin in die Unterführung gerannt mit der Gewissheit, dass es aussichtslos ist und dann in den Zug eingestiegen, der wegen eines kreuzenden Güterzugs fast drei Minuten nicht abfahren konnte.
Ich achte nicht mehr wirklich darauf, ob die Ampel vor uns Rot ist, aber irgendwie schaffen wir die zwei letzten Haltestellen auch noch, als der Bus mit +8 hält, ist die planmäßige Zugabfahrt schon verstrichen, ob der Zug noch dasteht, kann ich aus der Perspektive nicht erkennen. Es dauert nahezu eine Minute, bis ich mich durch die Menschenmenge und die überfüllte Haltestelle gekämpft habe und erreiche den Bahnsteig fast drei Minuten nach der Abfahrt, natürlich sehe ich nicht mal mehr die Schlusslichter. Vielleicht ist es auch Einbildung, aber ich meine, die Abgaswolke des abgedüsten 612er noch wahrnehmen zu können...

Einen Überblick über meine beschissene Lage habe ich mir wenige Minuten später verschafft, entweder Flexpreis über Mannheim für 71,75¤ und eine Stunde später ankommen oder zwei Stunden äh eine Stunde und 50 Minuten warten und Ulm - München für den FV nachlösen. Meine Füße fühlen sich klamm an, es schüttet, ich habe einen Koffer dabei, bin müde und komme in München durch den verpassten Zug in die Ausgangssperre. Ich investiere in eine meiner teuersten Bahnfahrten überhaupt und begebe mich zwei Bahnsteige weiter. Der ICE nach Frankfurt, der zuvor noch mit +45 angekündigt war, ist jetzt im Entfall und wenig später kommt mein ICE eingefahren. Die Grenzpendler, welche sich normalerweise in einen ICE 4 und eine Dotra ICE 3 verteilt hätten, erwartet ein heute nur mit einem Zugteil verkehrenden ICE 3. Und das, bevor ich die Schweiz überhaupt verlassen habe...
Als sich die Türen öffnen, wollen sich die ersten schon reindrängen, ehe die Zub aussteigen kann. "Ja einen schönen guten Tag! So viele Fahrgäste haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Schön, dass Sie alle da sind!" Grummelnd drängen sich die Pendler rein. "Alle bitte rechts abbiegen, das Abteil hinten ist nur für Personal!" Als die Hälfte der Sitzplätze belegt ist, bleiben noch einige Fahrgäste im Vorraum stehen. Mit +2 bleibt die Schweiz zurück.
"Wie hat eigentlich deine Frau die Impfung bekommen?", höre ich zwei Reihen weiter. "Die ist Chemikerin und hat sich die selbst zusammengemischt", lautet die offenbar nicht ernst gemeinte Antwort.

In Freiburg steigen fast alle Fahrgäste aus. Im Vierer gegenüber nimmt eine ältere Frau Platz, legt eine Plastiktüte auf den ihr gegenüberliegenden Sitz und streckt ihre Beine hoch. Der Zug füllt sich wieder, wenn auch nicht ganz so stark wie zuvor. Etwas unschlüssig stehen einige im Vorraum herum. Ein Mann telefoniert. Die ältere Frau steht auf und spricht ihn an. "Entschuldigung, Sie sind hier im Ruhebereich. Handys sind hier nicht erwünscht." Tatsächlich beendet er sein Telefonat kurz darauf.
Die Zub kommt vorbei. "Können Sie bitte die Füße vom Sitz nehmen? Da wollen sich vielleicht andere Fahrgäste hinsetzen." "Neee, vier hier, das ist ja viel zu eng! Außerdem hab ich doch was untergelegt. Und ich habe da eine Entzündung, ich muss die Füße hochlegen." "Außerdem macht man das nicht. Wie sieht das denn aus, die Füße auf dem Sitz?" Doch die Frau ignoriert die Zub und die hat wohl keine Lust, zu streiten. Eine Frau setzt sich in den Vierer dazu und mit etwa 50% Auslastung geht es pünktlich weiter.
Wieder telefoniert jemand ein paar Reihen weiter, wieder steht die alte Frau auf, um ihn zurechtzuweisen. Der Mann setzt das Gespräch in gedämpfter Lautstärke fort.

In Karlsruhe gibt es wieder regen Fahrgastwechsel, ein mittelalter Mann steigt zu. "Darf ich mich zu dir dazusetzen?" Aber selbstverständlich. Ich packe meinen Laptop ein. "Du packst schon ein?" Ich steige in Mannheim schon aus. Außerdem habe ich heute genug gearbeitet. "Ich arbeite in Karlsruhe und wohne in Köln. Aber ich fahre nicht jeden Tag. Naja, wenn man bedenkt, dass man in Köln mit der Straßenbahn auch fast 2 Stunden fahren kann, dann dauert das gar nicht mal so viel länger. Aber was soll's, die wollten mich haben und ich hatte die Wahl, in Köln zu bleiben, kein Homeoffice zu machen und hätte den veralteten Rechner nehmen müssen, den sie mir angeboten haben. So bekomme ich 20% mehr Lohn, kann meinen privaten Laptop nehmen, alles draufziehen, worauf ich Bock habe und meistens aus dem Homeoffice arbeiten. Ich muss eh bloß ab und zu die Vorgänge starten und dann rattert das vor sich hin. Eigentlich ist das ziemlich langweilig, vielleicht sollte ich das mal meiner Freundin beibringen, damit die das auch mal nebenbei starten kann. In Köln müsste ich extra dafür in Büro fahren... [...] Der Vater eines Mitbewohners meines Kollegen wurde positiv getestet und der hat sich jetzt in Quarantäne begeben. Ich mache jetzt auch erstmal nur noch Homeoffice. [...] Soso, du kommst aus Basel? Muss ich jetzt die Inzidenz dort googlen? [...] Gibt's dort eigentlich auch Ausgangssperren? [...] In Köln ist das ja richtig absurd, du musst dir mal den Verkehr kurz vor 9 anschauen. Die Radfahrer rasen wie die Bekloppten, sogar die Fußgänger rennen, um noch rechtzeitig daheim zu sein. Ich habe mal gesehen, wie ein Radfahrer mit 40 um die Kurve gesaust kam und eine Frau den Zebrastreifen überquert hat. Die hatte Kopfhörer in den Ohren und war mit ihrem Handy beschäftigt. Das war richtig, richtig knapp. Der Radfahrer ist haarscharf an ihr vorbeigerast. [...] Ich glaube ja nicht, dass ich vor Dezember ein Impfangebot bekomme. Es wird ja so viel Impfstoff weggeschmissen. Jedenfalls habe ich meinem Hausarzt gesagt, sollte er jemals eine Impfdosis abends übrighaben, soll er mich bitte anrufen. Ich brauche vier Minuten mit dem Fahrrad hin und bin da völlig flexibel. Ich nehme auch AstraZeneca. Nein, ehrlich, der soll die mir auf dem Weg nach draußen zum Mülleimer einfach irgendwo reinspritzen, bevor er die Spritze wegwirft. [...] Meine Freundin wollte eigentlich nach Holland fahren, aber dort muss man ja 5 Tage an Quarantäne. Also leider nichts mit Strand. Naja, ich muss auch nicht unbedingt in den Urlaub fahren. Wegen mir kann es auch noch ein paar Monate so bleiben."

Es ist okay, aber schön ist es nicht..., kommt mir Silbermond in den Kopf.

Wir quatschen über Gott und wie Welt, die alte Frau gegenüber scheint interessiert zuzuhören, beschwert sich aber nicht. Als wir in Mannheim einfahren und ich meinen Rucksack aufsattle, komme ich mir fast schon unhöflich vor, so als würde ich mitten im Gespräch mit einem Bekannten einfach aufstehen und gehen. Es sind diese kleinen Momente, die mir beim Bahnfahren im letzten Jahr so sehr gefehlt haben, in jenem Jahr, in dem jeder nur den größtmöglichen Abstand zu allen anderen Virenschleudern einhält und seine Maske möglichst unauffällig unter die Nase zieht.

In weiser Voraussicht steige ich in den letzten Wagen des ICE nach München ein, außer mir sind noch zwei Fahrgäste drin.

Sag mir wann, sag mir wann, wann reißt der Himmel auf?

Die Antwort: Auf der SFS, kurz vor Vaihingen. Plötzlich weicht graue Tristesse der Abendsonne.
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Wir erreichen Stuttgart, es regnet wieder. Pünktlich geht es weiter, in Bad Cannstatt leuchtet ein Regenbogen am Himmel. Pechschwarze Wolken verdunkeln den Himmel, die tiefstehende Abendsonne taucht die Weinberge in Theaterlicht. Der Regenbogen begleitet mich fast bis Göppingen in den Abend.
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Immer wieder bremsen wir und rollen langsam dahin. Bis Ulm sind es +7 wegen eines vorausfahrenden Nahverkehrszuges. Die holen wir aber nahezu wieder raus und mit +2 endet meine Reise am Münchner Hbf kurz vor halb elf. Ich begebe mich zur U5, nicht wenige Menschen warten auf dem Bahnsteig. Wenn die alle auf dem Arbeitsweg sind, fresse ich einen Besen.
Ein junger Mann mit Aktivkohlemaske und einem Lautsprecher in der Hand schlendert lässig über den Bahnsteig. Aus diesem dröhnt Musik, wie sie zu einem dystopischen Film nicht besser passen könnte - ein perfektes Spiegelbild der grotesken Maßnahmen.

Psst, Gespräche vermeiden.

"Zurückbleiben bitte." Ditditditrumms.

Bitte versetzt hinsetzen.

Schließlich steige ich in den Bus um. Aufgrund der geöffneten Klappfenster und der geöffneten Notklappe regnet es herein. Und ich begreife endlich, dass die 72 Stunden Höchstaufenthalt zu meinem eigenen Schutz sind. Würde ich länger bleiben, müsste ich wohl mit bleibenden psychischen Schäden rechnen.
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rautatie
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Beitrag von rautatie »

Schöne Geschichten, die mich oft zum Schmunzeln bringen. Außerdem erinnern sie mich an viele ähnliche Begebenheiten, die ich selbst erlebt habe.
Wo ist das Problem?
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Iarn
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Beitrag von Iarn »

Schöne Geschichte, fürchte nur sie wird bald der Forumsadministration zum Opfer fallen.
Autonome Volksfront für die Wiedererrichtung der klassischen 22er Tram in München
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Lobedan
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Beitrag von Lobedan »

Mit dem ICE nach Lindau. Oder auch nicht.

Wurde wahrscheinlich an anderer Stelle schon intensivst diskutiert, mir ist die ganze Misere des Bahnhofs Reutin aber erst an diesem Wochenende bewusst geworden, als ich mich mit einem Freund für einen Tagesausflug in Lindau treffen wollte. Für mich aus Ulm ist die Anreise kein Problem: Hier in den RE einsteigen, auf der Insel wieder aussteigen. Aber wie kommt er (möglichst günstig) hin (und wieder zurück)? Da wir anschließend gemeinsam noch weiter nach Ulm wollten, war das Bayernticket für ihn keine Option. Also kurzfristig in der Auskunft über den neuen ICE 1217 München -> Bregenz gestolpert, der zwar unterirdische Fahrtzeiten hat (53 Minuten später fährt der ECE, der nur 9 Minuten später in Reutin ankommt), aber eben auch deutlich günstiger war. Fährt man mit dem ICE bis Reutin durch, kann man an der Aeschacher Kurve allerdings noch seinem Nichtanschluss der ÖBB zur Insel nachwinken, nächster Anschluss 34 Minuten später, da der REX aus Dornbirn nicht in Reutin hält, diesen Anschluss aber ideal herstellen könnte. Gleiches Desaster übrigens auch beim ECE, der hätte auch auf selbigen REX kurzen Anschluss zur Insel.
Nagut, also ICE nur bis Buchloe und dort den RE aus Nürnberg über Kempten zur Insel gebucht (der trotz Umweg über die Insel planmäßig nur 3 Minuten nach dem ICE in Reutin ankommt). 6-Minuten-Anschluss in Buchloe klappt trotz ICE +3, da RE auch +5. Aus denen werden bis Immenstadt dann +15 und in Hergatz wird schließlich entschieden, dass man heute nicht zur Insel fährt, sondern wegen der Verspätung direkt nach Reutin, da dort Anschluss zum EC(E) in die Schweiz hergestellt werden muss. Nächster Anschluss zur Insel: Im RE sitzen bleiben, der bricht nämlich 31 Minuten später zur Rückfahrt von Reutin nach Augsburg auf, via Insel. Ankunftsverspätung am Ende: +44.
Und mein zwischenzeitlicher Gedanke, dass ich dann eben von der Insel nach Reutin fahre und wir von dort gemeinsam zurück zur Insel laufen, ist ebenso zum Nichtanschluss degradiert worden: Ankunft RE 5 aus Stuttgart/Ulm auf der Insel: 10:55 Uhr. Abfahrt S1 nach Schruns via Reutin: 10:55 Uhr. Natürlich nicht am selben Bahnsteig gegenüber. Obwohl der RE mit +3 ankam, stand die S1 sogar noch mit offenen Türen da, bahnsteiggleich hätte das also funktioniert. Vor Reutin war das mal ein offizieller Anschluss, meine ich.

Danke für nichts, liebe neue Reutin-Fahrplanung. :blink:
Na ja, am Ende war das Wetter genauso durchwachsen wie die Anreise, aber hier habt ihr zwei Gartenschau-Fotos fürs Durchlesen:

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rautatie
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Beitrag von rautatie »

Ich verstehe auch nicht, dass es in Reutin oft keine guten Anschlüsse in Richtung Insel gibt, und dass ein Teil der aus Bregenz kommenden Bahnen ohne Halt durchfährt, obwohl es doch wegen der Anschlüsse mit dem Fernverkehr ein wichtiger Verkehrshalt wäre. Bisher bin ich einmal dort angekommen und dann gleich zu Fuß in Richtung Insel marschiert, was durchaus etwa 20 Minuten in Anspruch nehmen kann. Und da man bislang den Bahnhof nicht in Richtung Seeseite verlassen kann, ist der Fußweg recht unattraktiv entlang einer Straße.
Wo ist das Problem?
einen_Benutzernamen
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Beitrag von einen_Benutzernamen »

@Lobedan
E-Roller kaufen. ;)
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Fahrgastkomprimierung für Fortgeschrittene

Es gibt Tage, an denen scheinen meine Reisen unter keinem guten Stern zu stehen. Durchschnittlich dürfte dies wohl so auf jede zehnte bis fünfzehnte Fahrt zutreffen... Mein Bus kommt pünktlich und dankenswerterweise fährt der Busfahrer an zwei Haltestellen nach einem kurzen Blick in den Spiegel trotz Dauerstop durch, um auch pünktlich zu bleiben. Noch schnell bei Gelb über die Ampel, fix um die Kurve, ein paar Fahrgäste aufnehmen und wieder beschleunigen.
BUMMMS! Ein Plastikteil fliegt in hohem Bogen davon.
Ein leiser Fluch. "Scheiße." Dann halten wir an. Der Spiegel ist an einem am Straßenrand geparkten Wohnmobil hängengeblieben und die Verkleidung abgerissen. Der Fahrer öffnet die Türe, um nachsehen zu gehen. Ich habe 4 min. Umsteigezeit zur U-Bahn und zögere nicht lange - der U-Bahneingang ist zwei Parallelstraßen weiter schon in Sicht, ich schnappe meinen 20 kg schweren Koffer und laufe darauf zu. Problemlos schaffe ich den Umstieg wie geplant - nochmal Glück gehabt.

Auf dem ZZA am Hbf steht der ECE nach Zürich mit Ersatzzug bis Lindau-Reutin drin und dem Hinweis, dass man dort zur Weiterfahrt in einen anderen Zug nach Zürich umsteigen soll. Ich begebe mich zum Gleis 27 und dort steht ein Tw der BR 415. Sieh an, sieh an, um mit dem ICE nach Lindau zu fahren, muss man gar nicht den einmal täglichen Saisonzug der Sommerferien nehmen... Der Zug ist bereits 15 min. vor Abfahrt recht gut gefüllt, ich setze mich zu einem jungen Mann und einer jungen Frau, die sich auf Englisch unterhalten, in den Vierer dazu. Der DB Navigator verkündet nur, dass der ECE ausfällt, weiß aber nichts von der Ersatzfahrt. Als Grund wird Reparatur am Zug genannt. Die SBB-App verkündet ebenfalls einen Ausfall bis St. Margrethen. Sonntagnachmittag ist der Zug Richtung Zürich in normaler Länge mit sieben Wagen bei meinen letzten Fahrten gut ausgelastet gewesen. Die kürzere Zuglänge macht sich schon bald bemerkbar - es werden nahezu alle Sitzplätze belegt und noch vor der Abfahrt bleiben ein paar Fahrgäste im Einstiegsbereich stehen. Pünktlich geht's los.

"Sehr geehrte Fahrgäste, wir begrüßen Sie im Ersatzzug nach Lindau-Reutin. Dieser Zug fährt ohne Sitzplatzreservierungen und nur bis Lindau-Reutin. Dort müssen Sie dann umsteigen. Wir informieren Sie, sobald wir nähere Informationen haben und wünschen trotzdem eine angenehme Reise."

Dann, wenige Minuten später: "Sehr geehrte Fahrgäste, ich werde gerade oft gefragt, warum denn dieser Ersatzzug eingesetzt wurde. Auf der Fahrt nach München gab es einen Personenunfall am vorherigen Zug bei Lindau. Dieser Zug ist defekt. Daher bestand nur die Möglichkeit, diesen Zug einzusetzen oder ihn ganz ausfallen zu lassen. Man hat sich dann entschieden, ihn trotz des geringeren Platzangebots und ohne Reservierungen fahren zu lassen."
Für die klare Kommunikation gibt es von mir einen klaren Pluspunkt - und man merkt, dass dieser Zug von vielen Schweizern oder Deutschen, die in der Schweiz leben, genutzt wird und die einen anderen Standard bei der Eisenbahn gewohnt sind.

Pünktlich rauschen wir Richtung Allgäu, die Mehrheit der stehenden Fahrgäste suchen sich nach einiger Zeit dann doch noch die letzten verbliebenen Sitzplätze heraus und setzen sich dazu. Die beiden jungen Mitreisenden neben mir unterhalten sich weiterhin angeregt auf Englisch mit ein paar eingestreuten deutschen Worten. Ich vermute, dass die beiden Kommilitonen sind und an der Uni in St. Gallen irgendwas mit Wirtschaft studieren. "I'm not doing Makro. Why is everybody urging me to do Makro?" ... "Oh yeah, I have done that one. Have you read the Modulbeschreibung?"
Die Sonne nähert sich dem Horizont, der nahezu volle Mond steigt groß und dezent leuchtend über die Weidelandschaft. Die Alpen kommen ins Blickfeld. "Oh, look there! Is that Nebel?" Nebelschwaden haben sich in einigen Mulden gesammelt. Das Abendrot weicht der blauen Stunde, der Mond steigt höher und der Zug nähert sich immer noch pünktlich Lindau. "So do we have to change trains in Lindau?" "That's what they say." "Hmm, I have asked the other guys if they had to change trains. And they said, that there was a longer stop on the way but they didn't have to change. How do you want to know we have to change? Maybe we just stop somewhere in the middle for a longer time." Ich mische mich ein und gebe zu Bedenken, dass dieser Zug nicht nach Österreich fahren darf. "But why not?" Ich fasse kurz die Problematik des Wildwuchses europäischer Zugbeeinflussungssysteme zusammen. "Hmm, intresting. Makes sense. Do you work for the railways?"

"Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben nun Neuigkeiten zu Ihrer Weiterreise ab Lindau-Reutin und das sind keine guten. Sie müssen den Ersatzbus nach Lochau nehmen, von dort mit dem Zug nach Bregenz, dann mit der S-Bahn nach St. Margrethen und dort besteht dann Anschluss Richtung Zürich. Wir haben versucht, zusätzliche Busse zu organisieren. Das ist uns leider nicht gelungen. Wir bitten um Ihr Verständnis." Die Information kommt nicht überraschend, denn im Gegensatz zum DB Navigator wird in der SBB-App genau diese Verbindung vorgeschlagen. Und ich ahne schon, worauf das hinauslaufen wird und das gefällt mir gar nicht.
"Are you also going to Sankt Gallen?" Nein, nach Basel. "Oh god, that's waaaaay further. How are you gonna make that? Good luck." Schulterzuckend meine ich, dass es ja nicht meine erste Bahnfahrt wäre, die nicht ganz so läuft wie geplant.

Ganz plausibel finde ich es außerdem nicht, denn sowohl der Folgezug in zwei Stunden als auch der Gegenzug sollen planmäßig verkehren, jedoch alle Regionalzüge im SEV gefahren werden. Höchstwahrscheinlich gibt es also keinen Zusammenhang zum vorherigen PU. Der rappelvolle 415 hält am Bahnsteig und ein Menschenstrom begibt sich auf den Bahnhofsvorplatz. Ungefähr zehn Menschen stehen schon um das einzige Taxi herum, während der Rest zur Bushaltestelle läuft.
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Ein paar Autos kommen und holen Fahrgäste ab. Jemand telefoniert. "Können Sie mir ein Taxi zum Bahnhof Lindau schicken, das mich nach Bregenz bringt?"
Der Gegenzug aus Zürich fährt ein und setzt seine Fahrt mit wenigen Minuten Verspätung Richtung München fort.
Ein Bus in Gegenrichtung taucht auf. Auf der Anzeige steht SEV Lindau Insel. Ich habe so eine Vermutung, dass dieser Gelenker bald wieder vor der wartenden Menschenmenge auftauchen wird. Immerhin, es ist ein Gelenkbus. Ich denke zu spät daran, den Umlauf zu erraten und in die Gegenrichtung einzusteigen. Dann verschwindet der Bus, auf der Rückscheibe mit dem Plakat "Mobilität ohne Maske? Impfen hilft!" geschmückt.
Wider besseres Wissen hoffe ich darauf, dass der Bus doch nicht alleine zurückkommt. Doch genau das passiert etwa zehn Minuten später. Während sich die meisten irgendwo auf halbem Wege zwischen Bahnhof und Haltestellenschild verteilt haben, positioniere ich mich exakt drei Meter hinter dem Haltestellenmast. Die Busfahrerin versteht ihren Job, hält genau so an, wie ich gehofft habe und direkt vor mir öffnet sich die zweite Tür. Ich ergattere einen Sitzplatz, 30 Sekunden später passt keine Ameise mehr in das Fahrzeug. "Halt Stop, wollen Sie wirklich alle nach Lochau?", ruft die völlig überrumpelte Busfahrerin. "Ja", rufen ein paar. Fünf Anläufe braucht sie, um die Türen zu schließen. Draußen stehen noch immer eine Menschenmenge, Kinderwagen und Fahrräder. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten, dann spuckt der Bus die Menschenmenge aus. Die Busfahrerin steckt sich eine Zigarette an. "Du liebe Güte, was ist denn hier los...", meint sie zu einem Kollegen. Ich fasse kurz zusammen, dass die soeben den Versuch beobachten konnte, einen vollbesetzten Fünfwagenzug in einen Gelenkbus zu pressen. "Na da hätten die mal mehr Busse bestellen sollen, wenn hier so viel los ist." Sie bezweifelt die Aussage des Zubs, dass versucht wurde, zusätzliche Busse zu organisieren. "Da hat keiner gefragt." Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich ihre Aussage nicht auf den geplanten SEV bezogen hat, wobei dieser ja offenbar auch nicht so geplant war, denn davon wussten weder die Anzeigen in München noch der DB Navigator.
Gemütlich gehe ich auf den Bahnsteig, ein paar rennen schon, obwohl es noch 10 Minuten bis zur Zugabfahrt sind. Der ankommende Zug aus Bregenz wird gewendet, ich setze mich rein.

Schon nach wenigen Minuten steige ich in Bregenz in die S-Bahn um.
Kurz vor der Abfahrt kommen zwei Männer um die 40 dazu, einer davon schwer atmend ohne Maske. Er wirkt mitgenommen und seine Hände sind dreckverschmiert. "Oh man, we made it...", bringt er heraus. Die beiden waren offenbar auf einer 20 km langen Wanderung und dann etwas spät dran. Ich kann der Beschreibung nicht ganz folgen, doch offenbar sind sie irgendwo über ein dunkles Feld gerannt und einer der beiden ist dabei gestürzt. "I was just about to switch on the light. The moment I turned around I saw you flying." Dass er sich nicht nur ein wenig darüber amüsiert, sehe ich ihm trotz Maske an. "Sorry", meint er, immer noch grinsend. "Do you have a paper tissue?", meint der Gestürzte immer noch schwer schnaufend. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, immerhin läuft nirgendwo Blut herunter. Er begutachtet seine Jacke an beiden Ellbogen, seinen Rucksack und betastet seinen Kopf. "I was so afraid that my jacket got damaged...", presst er hervor. Doch abgesehen von seinen erdigen Händen scheint er in Ordnung zu sein. "I was so lucky that I fell on the grass. If that was pavement..." Er erzählt außerdem ungefragt allen Mitreisenden in der näheren Umgebung, worüber er gestolpert ist. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, was er meint, muss es sich um irgendeine runde Abdeckung gehandelt haben, von denen drei aufeinander gefolgt sind und während er sich beim Stolpern über die erste und zweite noch fangen konnte, hat ihn die dritte dann zu Fall gebracht. Vielleicht hätte ich nachfragen sollen, ob es sich um Folientunnels gehandelt hat...

Schon bald bin ich in St. Margrethen und die letzten dreieinhalb Stunden verlaufen völlig unspektakulär - alle Züge fahren in voller Stärke ihren planmäßigen Weg und sind pünktlich. Die letzten Kilometer bis Basel geht es auf Abwegen durch den Gbf, da die Hauptstrecke an den Wochenenden teilweise wegen einer Großbaustelle zwischen Basel und Liestal gesperrt ist. Ok, vielleicht doch nicht ganz den Regelweg... Mit -1, also eigentlich +49, komme ich an meinem Ziel an und bin nochmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
AK1
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Beitrag von AK1 »

Interessante Geschichte, danke!
PS: ich denke, Du bist mit +59 angekommen, es sei denn es gibt in der Schweiz neuerdings einen 50-Minuten-Takt...
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Beitrag von Entenfang »

AK1 @ 14 Nov 2021, 19:46 hat geschrieben:PS: ich denke, Du bist mit +59 angekommen, es sei denn es gibt in der Schweiz neuerdings einen 50-Minuten-Takt...
Nein, waren +49.

Planmäßig wäre gewesen:

München Hbf..........ECE 98........ab 16:52

Zürich HB..................................an 20:57
.............................IR 37............ab 21:08

Liestal......................................an 22:01
..............................S3...............ab 22:11

Basel SBB.................................an 22:32

Grund für den Zusatzumstieg in Liestal sind die dortigen Bauarbeiten zum viergleisigen Ausbau.

Stattdessen wurde daraus:

Lindau-Reutin..........................an 18:50
.............................SEV.............ab 19:17

Lochau.....................................an 19:27
..............................RE 5595.....ab 19:34

Bregenz...................................an 19:39
............................S3................ab 19:47

St. Margrethen........................an 20:04
............................IR 13...........ab 20:13

Zürich HB.................................an 21:51
............................IR 37............ab 22:08

Basel SBB.................................an 23:22
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Beitrag von AK1 »

Ah, ok, hat nach einem Versehen ausgeschaut...
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Beitrag von Rohrbacher »

"Wir haben versucht, zusätzliche Busse zu organisieren. Das ist uns leider nicht gelungen. Wir bitten um Ihr Verständnis."

Keine Ahnung wie ich jetzt drauf komme und was das jetzt wieder mit dem Thema zu tun hat, aber mir fällt spontan ein, dass der als Konzern größte Busbetreiber Deutschlands seine auch im Bereich Lindau tätige Regionalbus Augsburg GmbH (RBA) 1992 verkauft hat und die Privatisierung und die derzeit wieder diskutierte Zerschlagung der DB in noch mehr Unternehmen, die immer noch weniger miteinander zu tun haben, immer schon richtig gute Ideen waren. ;)
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Jojo423
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Beitrag von Jojo423 »

Wieso ist der ICE-T nicht einfach bis St. Margrethen, oder zumindest bis Bregenz gefahren?
Viele Grüße
Jojo423
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Beitrag von Rohrbacher »

Jojo423 @ 14 Nov 2021, 20:54 hat geschrieben:Wieso ist der ICE-T nicht einfach bis St. Margrethen, oder zumindest bis Bregenz gefahren?
Darf der 415 das denn noch? Wenn ja, hätte das Personal einfach so gedurft?
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Beitrag von AK1 »

Ich zitiere mal Entenfang, der sich dazu schon geäußert hat:
Ich mische mich ein und gebe zu Bedenken, dass dieser Zug nicht nach Österreich fahren darf.
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Beitrag von NIM rocks »

Eine Glanzleistung vom Fernverkehr gabs letztens auch auf der Linie 91, der 415er vorne dran am 411er. Das obligatorische Rangiermanöver in Passau machte aus den +50 dann +65, was vielleicht gar nicht so schlecht war. Wir waren auf der Weststrecke ab Wels quasi wieder im Takt, haben einige Minuten gut gemacht, die wir dank DB-FV-Kurzwende aber vor dem Wiener Hauptbahnhof wieder abstanden. Mir tat der spürbar engagierte Tf durchaus leid.
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Jojo423
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Beitrag von Jojo423 »

AK1 @ 14 Nov 2021, 21:19 hat geschrieben: Ich zitiere mal Entenfang, der sich dazu schon geäußert hat:
Laut Wikipedia haben sie dafür eine Schweiz Zulassung. Wer hätte auch jemals ahnen können, dass man ICEs auch mal über Österreich schicken würde. :ph34r:
Viele Grüße
Jojo423
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Beitrag von Jojo423 »

Rohrbacher @ 14 Nov 2021, 21:15 hat geschrieben: Darf der 415 das denn noch? Wenn ja, hätte das Personal einfach so gedurft?
Würde ich in einem modernen Eisenbahnbetrieb wichtiger finden, als über irgendwelche ehemaligen Busbetriebe zu fantasieren. :-)
Viele Grüße
Jojo423
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Beitrag von Rohrbacher »

Jojo423 @ 14 Nov 2021, 22:52 hat geschrieben:Laut Wikipedia haben sie dafür eine Schweiz Zulassung.
Jojo423 @ 14 Nov 2021, 22:54 hat geschrieben:Würde ich in einem modernen Eisenbahnbetrieb wichtiger finden, als über irgendwelche ehemaligen Busbetriebe zu fantasieren. :-)
Den ex-DB-Busbetrieb gibt's noch. Und mutmaßlich würde er (wie immer) auch in diesem Fall mehr als einen einzigen Gelenkbus schicken, wenn der moderne Eisenbahnbetrieb es bestellen würde. Zeit wäre gewesen. Du solltest außerdem den Wikipedia-Artikel zu Ende lesen, dann hättest du nicht über ehemalige Features umgebauter ICE-Einheiten fastasieren müssen, die der moderne Eisenbahnbetrieb zu anderen Anlässen auch deswegen nicht einsetzt, weil der moderne Eisenbahnbetrieb die "Schweiz-Ausstattung inklusive zusätzliche Stromabnehmer beim Redesign entfernt" hat. Das war 2014 und die Züge da bereits seit acht Jahren nicht mehr fünfteilig. Sagt Wikipedia. Merkste selber. ;)
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Beitrag von Entenfang »

Das war 2021

ICE nach Wien, Fr, 9:30

"So, hier noch Systemrelevante zugestiegen?", erkundigt sich der Zub.


Hannover Hbf, Mi, 0:04

Die zweiminütige Standzeit wird von den Rauchern gern genutzt. An mehreren Türen stehen Menschen auf den Stufen und ziehen hastig an ihrer Zigarette. Pfeeeeeeeif! Dietdietdiet... Schnell ein letzter Zug in der sich schließenden Tür... Die Hälfte der Rauchwolke dringt noch nach draußen, die andere Hälfte bleibt wohl im Einstiegsbereich des Wagens. Rumms. Ein weißes Licht wird geschwenkt. Auch die beiden Zub weiter hinten haben die Gelegenheit genutzt. Etwas widerwillig werfen sie ihre Zigarette ins Gleisbett, ziehen die Masken wieder an und schließen die Tür. Dann verschwindet der ICE in die Nacht.


Stadtbahn 1 Richtung Sarstedt, Hannover, Sa, 11:55

Die Ablöse für den Fahrer wartet mit einer Maske mit Aktivkohlefilter und einer überdimensionierten Brille, sodass vom Gesicht gar nichts mehr zu erkennen ist. Er lässt diese Montur während der gesamten Fahrt an, bis ich an der Endstation aussteige.


Stadtbahn 1 Richtung Langenhagen, Hannover, Sa, 14:59

Wie immer schaue ich dem Fahrer über die Schulter. Also wenn die drei wartenden Männer am Bahnsteig keine Kontrolleure sind, dann weiß ich auch nicht...
Die Türen schließen. "Guten Tag, die Fahrkarten bitte." Einer zeigt offenbar eine Monatskarte vom Februar letzten Jahres vor, findet dann aber doch die Richtige. Einen Schwarzfahrer scheinen sie erwischt zu haben und steigen an der nächsten Haltestelle mit ihm aus. Plötzlich springt er stuntmanartig über das Geländer des Hochbahnsteigs, über die dreispurige Hauptstraße und sprintet davon. Ein Kontrolleur versucht noch, ihm nachzusetzen, doch er ist chancenlos. Der Schwarzfahrer verschwindet in einer Seitenstraße.


Hannover Hbf, Do, 14:48

Dodong. Information zu Ih-Ce-Eh 1587 nach München Hbf, Abfahrt 14:54, heute ca. 25 Minuten später. Grund hierfür sind Verzögerungen im Betriebsablauf. Information on ICE 1587 to Munich main station, departure 14:54, today delayed by about 25 minutes due to delays in operation.
Auf Englisch klingt die Begründung wenigstens ehrlich - wir haben Verspätung, weil wir Verspätung haben.


RB nach Buchholz, Fr, 9:48

Zwei Mädels, etwa 17 Jahre alt, steigen ein paar Minuten vor Abfahrt ein. Wenig später startet der Tf den Motor und wir fahren ab. "Oh Gott, guck mal, wie knapp das war!!!", ruft die eine ganz aufgeregt, "stell dir vor, wir hätten den verpasst! Dann hätten wir eine Stunde warten müssen und hätten unsere ganzen Termine verpasst!" Sie überlegen während der Fahrt, wie sie ihre Shoppingtour am besten in den sozialen Netzwerken in Szene setzen können. Eine der beiden ruft eine Freundin an oder schickt ihr eine Sprachnachricht - das ist nicht eindeutig erkennbar. "Ja, hey, wir sind gerade im Zug nach Hamburg zum Shoppen!" Das letzte Wort betont sie mit größter Freude. "Dort sind die Geschäfte ja wieder offen, zwar nur mit Termin, aber die haben wir schon letzte Woche ausgemacht. Wir haben ein straffes Programm, jede halbe Stunde ein Termin. Ich brauch dringend eine neue Hose und neue Oberteile, naja, vor allem eine Hose."


Metzingen, Mi, 16:24

Hurra, eine Altwagengarnitur von TRI, juble ich, als diese einfährt.
"Boah nee", höre ich zwei andere Fahrgäste stöhnen.


IR Richtung Brig, Fr, 14:56

Während ich im Vorraum auf den Halt warte, spricht mich ein Mann an. "Können Sie das vielleicht mit dem Finger halten?" Eine Sekunde der Verwirrung, dann ist die Sache klar. "Na hier." Er verpackt gerade ein Geschenk und ich soll das Bändchen festhalten. "Meine Tochter feiert ihren Geburtstag. Das Schokofondue ist für sie." Ah, davon hätte ich auch gern was...


Tram 6 Richtung Riehen Grenze, Basel, Mo, 18:41

Die Fahrerin überlässt die Vorfahrt einem Kollegen. Dieser bedankt sich mit einer Kusshand.


ECE Richtung Zürich, So, 17:03

"Entschuldigung, dürfen wir uns zu Ihnen setzen?" Klar. Drei Männer um die 50 setzen sich zu mir an den Tisch. "Ich hoffe, wir stören Sie nicht allzu sehr. Wir wollten eigentlich in den Speisewagen, aber dort durften wir uns nicht hinsetzen. Ich habe den Herrn X zwar gefragt, auf Basis welcher Grundlage das ist und habe einen Blick auf die Weisung bekommen: Da steht nichts von Sitzverbot im Speisewagen, nur, dass man nicht bedient werden darf. Auf der Hinfahrt war das auch so - bis an die deutsche Grenze wurden wir am Tisch bedient, danach konnten wir zwar sitzen bleiben, mussten unsere Getränke aber selbst vom Tresen holen. Keine Ahnung, welchen Unterschied das macht, ob wir dort ohne Maske sitzen oder hier, außer dass dann die ganzen Sitzplätze im Speisewagen ungenutzt bleiben..."
"Irgendwie fahren wir wie mit angezogener Handbremse", kommentiert einer der drei, während wir gemächlich auf Halt erwarten einer S-Bahn hinterherschleichen.

Etwas später kommt der Zub zur Fahrkartenkontrolle. "Ok, dann bitte noch das GA dazu", meint er zum Mann, der sich über das Sitzverbot im Speisewagen beschwert hat. "Aber wofür denn? Ich habe doch den vollen Tarif bezahlt." "Auf Ihrer Fahrkarte steht: Ermäßigung GA. Also zeigen Sie bitte Ihr GA vor." "Verstehen Sie das denn nicht, Herr X? Ich habe doch den ganz normalen Tarif gezahlt. Das steht doch auch drauf." "Herr Y, Sie unterstellen mir jetzt schon zum zweiten Mal, dass ich meinen Job nicht richtig machen würde. Wir können das auch gerne eskalieren. Auf Ihrer Fahrkarte steht: Ermäßigung GA. Also zeigen Sie bitte Ihr GA vor. Und wenn Sie mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden sind, dann müssen Sie in die Politik gehen. Wir sind nämlich auch die Leidtragenden davon." Missmutig steht der Mann auf und kramt es aus seinem Rucksack heraus.


IC Richtung Interlaken Ost, Fr, 10:05

Ein älteres Ehepaar steigt in Bern ein. Ich überlege, ob sie wohl Deutsch sprechen. Oder doch Französisch? Chinesisch vielleicht? Ich komme zum Schluss, dass es sich um Berndeutsch handeln muss, ein ziemlich schwer verständlicher Dialekt.
Eine Frau kommt ohne Maske durch den Wagen. "Entschuldigung, darf ich die Zeitung nehmen? Mein Bus hatte Verspätung und ich bin heute noch nicht dazugekommen." Jemand hat eine Zeitung auf meinem Tisch liegen gelassen und ich überlasse sie gerne der Frau. Sie führt einige Selbstgespräche, während der Zug weiterfährt. Als die Zub zur Kontrolle kommt, hält die Frau sich die Zeitung vor das Gesicht. Außerdem trägt sie noch eine Sonnenbrille. "Ähm, könnten Sie vielleicht mal die Sonnenbrille runternehmen? Ich kann Sie so nicht erkennen. Oh, haben Sie keine Maske?" "Ja, ich hab sie vergessen und mein Bus hatte Verspätung." "Ich gebe Ihnen eine. Und nächstes Mal melden Sie sich bitte vor dem Einstieg, wenn Sie Ihre Maske vergessen haben."


Zahnradbahn Richtung Lauterbrunnen, Fr, 18:42

"Ja, deren Jüngster ist jetzt 19", erzählt ein Deutscher um die 50 seinen beiden Begleitern, die im ähnlichen Alter sind und sich jeweils in einem eigenen Vierer breit machen, "und der macht nichts, einfach nichts. Die haben ihn jetzt rausgeworfen und zahlen ihm 600¤ für eine Zweizimmerwohnung. Sechshundert Euro! Stellt euch das mal vor Sechs Hundert Euro!!!!!" Er betont jede Silbe und der ganze Waggon kann mit Sicherheit problemlos mithören. "Ich finde das echt schlecht, dass die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Jeder Mann und jede Frau sollten das machen müssen, entweder Militär oder Zivi. Mal Rettungssanitäter machen oder irgendwas. Der sollte sich über Jobs informieren und hat nach zwei Wochen gesagt, er ist noch nicht dazugekommen. Er musste Computer spielen. Also ich habe damals schon mit 15 einen Ferienjob gehabt. Aber das scheint ja jetzt normal zu sein, einfach rumzusitzen und nichts zu machen."


Trudering, München, Do, 21:36

Die S-Bahn kommt mit +2 an, also bleibt mir nur 1 min. zum Umstieg in den Bus. Wie so oft ignoriere ich geflissentlich das Gehverbot auf der Rolltreppe zum S-Bahnsteig, sprinte durch die Unterführung und die Treppe zum Busbahnhof hoch. Mein Bus steht bereits an der roten Ampel (was bedeutet, dass der Busfahrer mal wieder ohne Abfahrtssignal losgefahren ist). Ich werfe einen Blick auf meine Uhr - 21:36:43. Meine Uhr geht nie nach, der Bus ist also auch zu früh abgefahren. Ich klopfe an die Tür. Der Busfahrer schaut mich etwas abschätzig an - und macht nochmal auf. Also kein Fall für die MVG-Garantie (die ich eingereicht hätte, weil der nächste Bus erst in 20 min. gekommen wäre).


Tram 5 Richtung Länsmansgaarden, Göteborg, Di, 12:29

Der Fahrer kommt aus dem Führerstand und spricht einen Fahrgast an, der im Wagen sitzengeblieben ist. Doch der schläft und antwortet nicht. Der Fahrer probiert es nochmal, lauter. Keine Reaktion. Dann geht er schulterzuckend Richtung Führerstand und meint zu mir: "He's breathing, so he must be ok. Took too many drugs..." Dann geht es los, nach ein paar Stationen wirft der Fahrer nochmal einen kritischen Blick nach hinten - der Mann schläft weiter, schnarcht leise vor sich hin, während sein Kopf gegen das Fenster gelehnt ist.
Driiiiiing! Klingelingeling! Driiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiing! Scharfe Bremsung. Klingeling! Im Schritttempo geht es weiter. Driiing! Ein Reh hoppelt gemütlich zur Seite - zwar auf einer Grünfläche, aber doch in der Stadt.
Ein weiterer kritischer Blick aus dem Führerstand, dann höre ich einen Funkspruch. Gerade als ich aussteige, kommt das Sicherheitspersonal. Nur noch aus den Augenwinkeln bekomme ich mit, dass sie den schlafenden Mann wecken, aus der Bahn führen und die Tram kurz darauf ihre Fahrt fortsetzt.


Nightjet Richtung Zürich, So, 20:57

In mein Abteil gesellt sich bald ein Paar mit der dreijährigen Tochter dazu. "Wie heißt du?", fragt mich die Kleine. Sie hat sichtlich Freude daran, das Abteil zu erkunden. Hoch die Leiter und auf die oberen Liegen und wieder runter. "Ihhh, du hast ja ganz eklige Bapphände", meint die Mama. "Komm, wir gehen mal Händewaschen", meint der Papa und sie verschwinden im Gang.
"Ja, das ist eine ganz schöne Reizüberflutung. Erst die Großstadt und jetzt im Zug schlafen... Naja, wir wohnen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen." Später stellt sich heraus, dass damit Interlaken gemeint ist.
Etwas später ertönt lautes Geschrei. Heulend kommt das kleine Mädchen wieder. "RABÄÄÄÄH!!!! ICH WILL ABER NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" Dabei schlägt sie auf eines der Gepäckstücke, dass die Eltern geschleppt haben. "Ist jetzt eh schon passiert. Ist schon vorbei", meint der Papa. Doch das besänftigt sie überhaupt nicht, eher im Gegenteil. "KREEEEEEEIIIIIISCH!!!!! ICH WILL NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" "Ella, du kannst jetzt so ins Bett gehen oder noch einen Nachtisch essen. Das geht aber nur mit sauberen Händen." "RABÄHHHHHH! Ich will aber nicht mit sauberen Händen essen! Ich will mit dreckigen Händen Nachtisch essen!" "Nicht so laut, Ella", versucht die Mama sie zu beruhigen, "hör mal, hat nicht eine Frau draußen im Gang gesagt, du sollst nicht so schreien?" Die Kleine überlegt einen Moment, schreit dann aber weiter. "Ach Ella. Schau doch mal. Wenn Entenfang je dachte, er könnte mal Kinder bekommen, dann überlegt der sich das jetzt bestimmt anders. Das wäre doch schade, oder?" Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und nach einer Weile beruhigt sich das Mädchen doch. Na Gott sei Dank, denke ich nur, wenn das jetzt die ganze Nacht so geht... Der Schaffner kommt vorbei, sammelt die Reservierungen ein und holt die Frühstückswünsche ab. Die Mama erklärt, dass sie entgegen der Fahrkarte mit der Tochter bereits in Frankfurt aussteigen würde, weil sich die Pläne geändert haben. Zu mir meint sie: "Ich entschuldige mich jetzt schon mal dafür." Sie verzichtet auf ihr Frühstück und der Schaffner fragt etwas verwundert nochmal nach. "Naja, um halb vier..." In Frankfurt kommen wir um 3:59 Uhr an. Der Mann fährt wie ich bis Basel und der Schaffner wird ihm das Frühstück eine Stunde vor der Ankunft vorbeibringen. Außerdem informiert er uns noch darüber, dass in Hannover noch jemand zusteigen würde, der bis Zürich drinbleibt. Da habe ich aber wirklich den Jackpot geknackt - da der Nightjet südwärts mangels freier Trassen via Bremen nach Hannover fährt, sind das über zwei Stunden Fahrzeit. Also steigt um halb zwölf noch jemand ein, um kurz vor vier wieder jemand aus und um halb sieben gibt es Frühstück. Und ich sollte morgen arbeiten... Vielleicht muss ich nächstes Mal doch in den Schlafwagen investieren.
"Möchtest du noch ein Puzzle machen, bevor wir Schlafen gehen?" Es gibt keine eindeutige Antwort, Ella lutscht lieber an einem Bändchen der Tasche herum. "Möchtest du nun Puzzlen oder sollen wir doch gleich schlafen gehen?" Auch ohne Antwort kramt die Frau in einer der Taschen herum und meint zu mir nur: "Boah, mit einem Kind Zug zu fahren ist echt eine Challenge..." Tja, wie schade, dass mir das Vergnügen als Kind nie vergönnt war. Ich glaube, das hätte mir auch Spaß gemacht.
Sie wird fündig und stellt das Puzzle auf der Liege bereit. "Wie viel Teile sind das?", fragt der Mann. "24, eigentlich viel zu viele." Ella sitzt etwas ratlos vor den Teilen, während sie Hilfestellungen bekommt. "Versuch mal, mit den Ecken anzufangen. Schau mal, hier ist eine Ecke." Doch wie herum und in welche Ecke des Schachteldeckels müssen die Teile? Zur Unterstützung gibt es das fertige Motiv als Unterlage. Doch Ella ist nicht so recht bei der Sache und lässt sich schnell vom übrigen Inhalt des Kartons ablenken. "Willst du lieber was anderes spielen?" "Ja, das hier."
Es sind runde Pappscheiben mit jeweils einem Bild drauf. Diese werden dann mit drei Holzscheiben abgedeckt. Oder? "Kannst du das nochmal erklären?" "Tja, ich weiß auch nicht mehr so genau, wie das geht", meint die Mama etwas ratlos, "und die Anleitung haben wir nicht dabei." Irgendwie deckt man drei Motive ab und muss dann raten, was drunter ist. Oder so ähnlich. Jedenfalls ist Ella auch hier nicht bei der Sache und die Mama erzählt schließlich lieber spontan eine Geschichte. "Guck mal, hier: Das Segelboot. Ein Mann ist damit auf Reisen gegangen. Und schließlich hat er in einem Hafen angelegt. Dann ist er auf den Elefanten gestiegen und weil der sooo groß ist, konnte er die Birnen direkt vom Baum essen. Vor der Weiterfahrt wollte er noch in eine Kneipe ein Bier trinken." "Aha. Und dann? Kannst du zur Katze auch was sagen?" "Ja, natürlich. Also, er wollte ein Bier trinken. Aber er hat dann Fliegenpilze gegessen und weil die giftig sind, hat er komische Träume gehabt und plötzlich nur noch rollende Katzen gesehen." Sie verdeutlicht das, indem sie die Pappscheibe über die Liege rollt. "Und das Auto?" "Sein Boot war dann kaputt und er musste per Anhalter nach Hause fahren. Das ist, wenn man bei jemandem fragt, ob man im Auto mitfahren kann. So, das war die Gute-Nacht-Geschichte. Morgen erzählst du Oma eine." "Aber ich kann doch gar keine Geschichte erzählen." "Natürlich. Dann denkst du dir zusammen mit Oma eine aus." "So, jetzt putzen wir noch Zähne und dann legen wir uns hin. Morgen musst du ganz früh aufstehen", meint Papa. Mama kramt in der Tasche und zieht eine Zahnbürste heraus. Ella steckt sie sich direkt in den Mund. "Warte, da muss noch Zahnpasta drauf", meint Papa und drückt ein bisschen was aus der Tube. Ella lutscht an der Zahnbürste. "Hey, putz deine Zähne ordentlich. Du hast doch gute Zähne und das soll auch so bleiben, oder?" Wenig später nimmt er es selbst in die Hand.
"So, fertig. Komm, wir gehen nochmal raus in einen anderen Raum, dort kannst du dann ausspucken."
Als sie wiederkehren, biete ich an, meine Liege zu beziehen und das Feld zu räumen. In weiser Voraussicht des erst in über einer Stunde zusteigenden letzten Fahrgasts beziehe ich auch gleich die vierte Liege - nicht, dass ich dann plötzlich wieder in die helle Deckenlampe starre...
Ella legt sich neben Papa, die Augen zu. Mama kramt aus dem Rucksack einen Schokoriegel heraus und beißt davon ab. "Mama, was isst du da?" "Nichts." "Mama?!?! Was isst du da???" "Nichts." "Zeig mal, was das ist." "Das ist ein Erwachsenen-Bonbon." "Wo hast du das her?" "Der Schaffner hat es mir gegeben." Damit gibt sich Ella zufrieden und schließt die Augen wieder.
Und dann heißt es - ungewöhnlich früh für mich - Licht aus. Wirklich bequem sitzen kann ich oben nicht und im Liegen am Handy rumpfuschen mag mein Magen nicht. Eigentlich bin ich eh müde, muss morgen um kurz nach sieben raus und habe eine Arbeitswoche vor mir. Bald fallen mir die Augen zu.


R nach Glovelier, So, 16:56

Drei ältere Frauen waren beim Langlaufen im Jura und verstauen ihr Gepäck unter, über und auf den Sitzen. Eine zieht eine Schachtel Toblerone heraus. "Hmm, ich mag die eigentlich gar nicht. Die sind viel zu süß", sagt eine der Frauen, bricht sich aber trotzdem ein Stück ab. "Ja, eigentlich hast du Recht." Nachdem sich alle trotz der übermäßigen Süße bedient haben, will eine der Frauen die Toblerone wieder im Rucksack verstauen. "Nee, lass mal," meint eine andere, "dann müssen wir keine Maske tragen."
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Beitrag von einen_Benutzernamen »

Vielleicht muss ich nächstes Mal doch in den Schlafwagen investieren.
:D Genau deswegen gibt es für mich eigentlich nur 3 optionen.
Single Schlafwagen
Tag Zug
oder wenn es nicht anders geht der Direkt Übernacht Bus. ;)
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Entenfang »

Anschluss-Roulette Horb-Edition

Spielteilnahme ab 18. Glückspiel kann süchtig machen. Infos und Aufklärung unter der DB-Hotline. Vielleicht.

1. Spielrunde
Der Donnerstag vor Ostern macht sich bemerkbar – der IC 3 nach Zürich ist sehr stark nachgefragt, aber nicht überfüllt. Wir kommen auf der Strecke zum Halten und erreichen Zürich mit +5, was aber noch für den Umstieg zum IC 4 reicht. Da ich für den deutschen Teil 2. Klasse gebucht habe, setze ich mich gleich in den entsprechenden Wagen, in dem fast alle Sitzplätze belegt sind. Da es in Zürich mehrere Zugänge gibt, verteilen sich die Fahrgäste ziemlich gleichmässig im gesamten Zug, was einerseits gut ist, mich andererseits meines Lieblings-Tricks beraubt, in den Wagen ganz weit weg vom Prellbock einzusteigen und (fast) immer freie Platzwahl vorzufinden.
Auch wenn in Schaffhausen viele aussteigen, bleibt der Zug bis Singen gut gefüllt. Nun sollte es mit kurzem Umstieg im IC weitergehen, der kommt mit +5 aus Konstanz wegen Reparatur am Zug. Die neuen Verspätungsbegründungen sagen mir irgendwie nicht zu – sie klingen fast so, als wären das geplante Massnahmen.
Ich nehme den Wagen, der am weitesten von der Treppe weg ist, wo aber auch schon gut die Hälfte der Plätze belegt sind. Oha, auf einmal sind die Züge wieder so voll. Das bin ich ja gar nicht mehr gewohnt nach zwei Jahren Corona.
An den nächsten Bahnhöfen füllt sich der Zug weiter und bald sind fast alle Sitzplätze belegt. Die Verspätung steigt leicht an, was sich schlecht mit meinem 9-min-Umstieg in Horb verträgt. Sulz verlassen wir mit +8 und ich arbeite mich 2 Wagen nach vorne, ein mühsames Unterfangen angesichts der überall auf den Treppen und im Einstiegsbereich sitzenden Fahrgäste.
Im Einstiegsbereich lungern ein paar Zürcher Jungs herum, zu cool für diese Welt und mit Bier in der Hand sowie reichlich Vorräten in einer Tragtasche. "Warum stohn die scho alli do? Das verstohn ich nööd."
"Ein Hinweis für ihre Anschlüsse in Horb. Die RB nach Tübingen kann leider nicht warten."
Es bleibt spannend bis zum Schluss, der Zug rollt aus und kommt zum Halten. Unendlich langsam fährt die Trittstufe aus und die Türen gehen auf. Ich stehe perfekt am Treppenabgang und sprinte los. Weniger als 30 Sekunden bis zur planmässigen Abfahrt. Zwei Sprinter überholen mich, wenig später ist der Anschluss durch blockierte Tür gesichert. Eine wahre Menschenmasse strömt gehetzt aus der Unterführung und in den einzelnen Regioshuttle. "Meine Damen und Herrren, bitte ermöglichen Sie auch Ihren Mitreisenden einen Sitzplatz und nehmen Sie alle Gepäckstücke von den Sitzen", ermahnt der Tf. Jeder, der will, bekommt auch einen Platz. Und dann passiert erstmal nichts. Ahso, der Gegenzug hat +5. Die Frau neben mir ruft erfolglos jemanden an und flucht leise. Nach einem weiteren Versuch probiert sie es wohl woanders. "Du, ich hab den Zug doch erreicht. Schau mal, ob du ihn noch siehst, vielleicht in der Garage oder so. Er geht nicht mehr ans Handy. Aber wir fahren nicht ab, ich schau mal, ob ich noch aussteigen kann." Der RS aus Tübingen fährt ein. Dochdoch, wir fahren gleich.
Sie unternimmt auch keine Anstalten, auszusteigen und keine Minute später geht es los. Sie unternimmt, stets leise fluchend, noch mindestens fünf weitere erfolglose Versuche, ihren Abholdienst zu stornieren und ich frage mich schon, ob sie ernsthaft glaubt, dass die Person nach drei nicht angenommenen Anrufen den vierten plötzlich annimmt. Entenfangsche Regel #7 – keine Verspätungsmeldung, bevor der Anschluss nicht wirklich weg ist. Trotzdem verdient die DB mal wieder einen Preis für Fahrgastdesinformation – da der Gegenzug Verspätung hatte, war doch mehr als klar, dass der Anschluss erreicht wird.
Ein kleiner Junge, vielleicht vier Jahre alt, quengelt herum. Er möchte eine Geschichte vorgelesen bekommen. "Wir sind doch gleich in Tübingen. Daheim lese ich dir dann eine Gute-Nacht-Geschichte vor", versucht der Papa zu beschwichtigen.
Doch glücklich ist der Kleine damit nicht und zieht plötzlich seine Schuhe und Socken aus. "Was machst du denn?", tadelt der Papa. "Ich mache den Dreck raus." Dabei entfernt er Fusseln zwischen seinen Zehen. "Na, das kannst du zu Hause machen. Komm, zieh wieder deine Socken an." Das tut er erst nach mehrmaliger Aufforderung und widerwillig.

Ab Tübingen geht es im SEV weiter, denn wegen Baustelle fahren über 2 Wochen keine Züge zwischen Tübingen und Nürtingen. Ein Servicemensch gibt den ratlosen Fahrgästen Auskunft, dass in wenigen Minuten ein Bus kommen würde, auf dem SEV steht. Zwei ältere Männer sind aus unerfindlichen Gründen in Streit geraten und brüllen sich gegenseitig durch den einsetzenden Regen an. "Halts Maul! Halts Maul!!!!" "Du Hurensohn! Halts Maul!!!" Ein kräftiger Typ geht dazwischen, trennt die beiden Streithähne, die sich weiter aus Leibeskräften anbrüllen. Die planmässige Abfahrtszeit verstreicht, nichts passiert. Die Servicekraft ist inzwischen verschwunden, der Streit beginnt von Neuem. Dann kommt mit +5 ein Bus, auf dem SEV Metzingen steht. Fast alle Fahrgäste steigen in den Solobus ein, ein paar wenige müssen stehen. Jemand erkundigt sich beim Busfahrer, ob er nach Reutlingen fahren würde, was dieser bestätigt.
Wenig später geht es los und als hinten ein zweiter Bus mit Ziel Nürtingen auftaucht, ahne ich meinen Fehler. Auch anderen Fahrgästen fällt es auf. "Aber der fährt schon nach Nürtingen?" "Wissen Sie, ob der nach Reutlingen fährt?" "Why can't they tell us on Google Maps or Apple that our fucking train is not running?"
Genau wie es bei Normalbetrieb eine RB und einen RE gibt, gibt es auch zwei unterschiedliche Busse. Einer fährt Tübingen – Nürtingen mit Halt nur in Reutlingen, Metzingen und Bempflingen, der andere nur Tübingen – Metzingen und hält überall. In Letzterem sind die meisten Fahrgäste gelandet, weil der RE-Bus Verspätung hat und deswegen hinter dem pünktlich eingetroffenen RB-Bus ist. Jetzt ist es Zeit, meine Verspätungsmeldung abzusetzen, denn das Gebummel durch die Dörfer dauert planmässig 22 min länger. Insgesamt verlängert sich die Reisezeit durch den SEV um fast eine Stunde, weswegen auch ein Solobus statt eines 200 m langen Zuges ausreichend ist. Von Tübingen nach Stuttgart dürften die meisten wohl ohnehin die wesentlich schnellere Variante über Herrenberg nehmen. So oder so ist das heute schon das zweite Negativbeispiel für Fahrgastinformation – ein Hinweis "Express" oder "hält überall" wäre klar verständlich und noch besser wäre natürlich Servicepersonal, das an der Haltestelle informiert.
Die meisten Fahrgäste steigen in Reutlingen aus und mit der erwarteten Verspätung treffe ich schliesslich in Metzingen ein.

Weder am Ostersonntag noch am Ostermontag wird auf der Baustelle gearbeitet – wenn man schon eine Totalsperrung macht, könnte man ja wenigstens auch was machen…
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2. Spielrunde

Auf der Rückfahrt kommt der Bus pünktlich aus Nürtingen in Metzingen an, geschmückt mit veralteten Zetteln zur 3G-Regel im ÖV und zur inzidenzabhängigen Maskenpflicht. Leicht vor Plan wird Reutlingen erreicht und Tübingen mit -18. Der Feiertagsfahrplan hat dieselben Fahrzeiten wie der Wochentagsfahrplan, aber die Verkehrsbehinderungen sind nur ein Bruchteil davon. Ich muss also über eine halbe Stunde warten. Die RB aus Herrenberg ist in Vierfachtraktion 650 unterwegs und rappelvoll und die 5 min Wendezeit sind nicht üppig bemessen.
Schliesslich kommt auch der einzelne RS aus Horb, um wenige Minuten später ebenfalls gut gefüllt zurückzufahren. Mein IC Richtung Zürich hat bereits ein paar Minuten Verspätung, um den Umstieg brauche ich mir also keine Sorgen zu machen.

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Nach der Kreuzung mit Sicherung des Übergangs durch den Tf ist auch schon bald Horb erreicht, der IC hat inzwischen +10, der in Gegenrichtung gar +50 wegen Unterstützung beim Ein- und Ausstieg. Was soll ich mir darunter vorstellen?
Dann rollt der Zug herbei, der DB Navigator verkündet die rot durchgestrichenen Männchen zur Auslastung. Ich platziere mich am vordersten Wagen der 2. Klasse, wie schade, dass ich in Deutschland keine 1. Klasse fahren kann, denn der Panoramawagen sieht sehr attraktiv aus.
Ohje, ohje. Die Auslastung ist wirklich hoch. Der Zub steigt aus und sagt gleich gegenüber einem Fahrgast in genervtem Tonfall: "Fahrräder verboten!" "Hä, wieso?" "Haben Sie eine Reservierung?" "Ja, klar." Wie sie sich einigen, weiss ich nicht. Den Kinderwagen will er auch nicht akzeptieren. Tatsächlich stehen die Menschen bereits dicht gedrängt im Vorraum, ich quetsche mich durch in den Wagen. Und siehe da, es findet sich noch ein Sitzplatz, der als Gepäckablage missbraucht wird.
"Verehrte Reisende, dieser Zug ist überfüllt! Wir können so nicht weiterfahren. Reisende nach Rottweil nutzen bitte den Regionalzug, der in 5 Minuten kommt!"
Der Tonfall des Zub ist überzeugend, an die 20 Fahrgäste verlassen den Wagen. Aber noch immer müssen einige stehen. Mit +15 können wir endlich weiterfahren. Als Begründung nennt der DB Navigator Unterstützung bei Ein- und Ausstieg. Das also versteht die DB darunter, eine wirklich interessante Definition…

Die Kreuzungen hauen halbwegs hin, die Verspätung dümpelt um die 18 min dahin. Der RE in Gegenrichtung ist ebenfalls komplett überfüllt. Ich plane, meinen Umstieg von Schaffhausen nach Singen zu verlegen, wo es 20 min sind, weil dort ein paar Minuten Aufenthalt zum Lokwechsel eingeplant sind.
Mit +17 erreiche ich schliesslich Singen, der IRE nach Basel fährt von Gleis 6 ab. Ich stürme in die Unterführung, doch die hört bei Gleis 5 auf. Hä? Eine Frau sucht ebenfalls Gleis 6, also habe ich mich schon mal nicht verhört. Und da vernehme ich eine Durchsage: "Der IRE nach Basel fährt von Gleis 6. Gleis 6 ist neben Gleis 1." Aha, die DB-Zahlen in Singen sind also 6, 1, 2, 3, 4, 5. Und rauf, durch die Menge schlängeln und in den 612er. Oh, im hinteren Tw stehen ja auch schon einige Fahrgäste. Das Esig ist noch zu, also riskiere ich den kurzen Sprint in den vorderen Tw, der etwa zur Hälfte ausgelastet ist. "Verehrte Fahrgäste, unsere Abfahrt verzögert sich noch um wenige Minuten. Grund dafür ist der Vorrang des IC nach Zürich." Und da rollt er auch schon los, das war ein ziemlich schneller Lokwechsel. Mit +5 setzt sich dann der 612er in Bewegung und mein nächster Umstieg ist schon wieder in Gefahr, zumal in Waldshut der Umsteigeweg zu den Schweizer Zügen recht lange ist.
Doch ich fürchte mich zu Unrecht – die Verspätung wird stetig weniger und bis Waldshut sind wir fast wieder pünktlich.

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Sicher an die 20 Fahrgäste steigen hier um, der NPZ ist angenehm leer, nicht nur in der 1. Klasse herrscht freie Platzwahl. Ohne weitere Überraschungen komme ich doch noch wie geplant in Basel an, was ich wirklich nicht mehr erwartet habe.

3. Spielrunde
Eines Donnerstagnachmittags sollte es aus Basel ins Schwabenland gehen. Kurz bevor ich die Wohnung verlasse, kommt die Wetterwarnung auf mein Handy. Gewitter Stufe 4. Auf dem Radar sieht es aber eher so aus, als ob das schlimmste vorbeizieht. Ich gehe an diesem warmen Sommertag zur Tramhaltestelle. Sie kommt pünktlich. Als ich drinsitze, kommen bereits erste Windböen auf. Etwa eine Minute später fällt durch den Wind am Tellplatz ein ganze Reihe Blumenkübel einer Restaurantterrasse um und Stühle rutschen über den Asphalt. Einer prallt gegen ein wartendes Auto und anschliessend leicht gegen die Tram. Wenig später bin ich schon am Bahnhof.
Basel SBB EC 9 ab 16:02

Zürich HB an 17:00
S 12 ab 17:16

Schaffhausen an 18:13
IC 4 ab 18:16

Singen an 18:30
IC 2382 ab 18:35

Horb an 19:50
RB 74 ab 19:59

Tübingen Hbf an 20:29
RB 18 ab 20:33

Metzingen an 20:48

Eigentlich habe ich den EC 9 wegen des Aussichtswagens ausgewählt, doch er wird mit +60 aus Hamburg erwartet, unter anderem wegen Warten auf Anschlussreisende, irgendeiner Umleitung bei Mannheim mit Ersatzhalt und einem medizinischen Notfall. Dankenswerterweise stellt die SBB eine Ersatzgarnitur und weil diese nur aus 4 Wagen 2. Klasse und 1 Wagen 1. Klasse besteht, sind sie alle gut besetzt. Auch der ICE davor und danach sind mit über +20 angekommen. Mit +3 geht es los, Basel und die sich auftürmenden Gewitterwolken bleiben zurück und bisher ist noch kein Regen gefallen. Die sicher über 80-jährige Frau mir gegenüber liest ein Buch, ein paar tippen noch geschäftig auf ihren Laptops. Ein mittelalter Mann hängt an seinem Handy, das immer wieder einen nervtötenden, quäkenden Benachrichtigungston von sich gibt. Wuähwoh. Wuähwoh. Ein Mann im nächsten Vierer beginnt bald, den Ton nachzuäffen. Wuähwoh.
Ansonsten bleibt die Fahrt ereignisarm und endet pünktlich im noch sonnigen Zürich, doch auch hier ziehen bereits Wolken auf. Ich schaue dem Treiben im Bahnhof zu, angemerkt sei noch, dass auf den drei riesigen Abfahrtstafeln für etwa die nächste halbe Stunde in der HVZ genau ein einziger Zug Verspätung hat – eine S-Bahn mit +4.
Dann gehe ich in den Tiefbahnhof, um von dort die S-Bahn zu nehmen, die mich via Winterthur nach Schaffhausen bringen wird, da mir diese Strecke noch in der Sammlung fehlt. Zürich bleibt im Tunnel zurück, dann folgen Felder mit Getreide und Sonnenblumen. Wir sind etwa ein bis zwei Minuten hinter Plan, überqueren schliesslich den Rheinfall und ich positioniere mich sicherheitshalber taktisch günstig an der ersten Türe. Ich habe Glück, der Zug kommt tatsächlich so zum Halten, wie ich gehofft habe, sodass die verbleibenden zwei Minuten Umsteigezeit zum IC völlig ausreichend sind. Während ich die Treppe nach oben laufe, fährt er ein. Fast alle steigen aus und das dauert annähernd zwei Minuten, der Zug muss rappelvoll mit Pendlern gewesen sein. Und schon geht es mit einer Handvoll Fahrgästen weiter. Der Schaffner kontrolliert die Fahrkarten. «Das 9€-Ticket gilt im IC4 nööd. Erschd ab Singen. Nur fürs nächschte Mol», ermahnt er eine Frau. Tatsächlich war mir das eher zufällig aufgefallen und ganz logisch ist es auch nicht, denn die parallel fahrende RB darf man nutzen. Also wenn sie nicht gerade ausfällt, wie heute die nächste Abfahrt.
Einige Minuten später bin ich auch schon pünktlich in Singen, oh Wunder, der IC zur Weiterfahrt ist inzwischen mit +5 wegen Verspätung aus vorheriger Fahrt angekündigt. Das ist dann wohl meine fünfte Fahrt auf dieser Strecke und bisher war immerhin eine pünktlich.
Der DB Navigator verkündet geringe Auslastung, als der IC aus Konstanz einfährt, finde ich noch eine Handvoll freie Plätze vor. Es ist furchtbar warm und stickig im Wagen – einen Zug pünktlich und mit funktionierender Klimaanlage bereitzustellen, wird für DB FV wohl eine unlösbare Herausforderung bleiben. Bei weniger als 32°, wohlgemerkt!
Ich setze mich zu drei Jungs, 15 Jahre alt, an den Tisch, die Sporttasche vom freien Sitz wird mit etwas Mühe unter dem Tisch verstaut. «Hey, ich leg mal meine Füsse auf deine Tasche drauf, ok?!», erklärt der mir schräg gegenübersitzende. Es gibt keine Einwände seitens des Tascheninhabers, der neben mir sitzt. «Puh, die Klimaanlage im Zug auf der Hinfahrt hat irgendwie besser funktioniert», kommentiert der schräg gegenübersitzende, nimmt seine FFP2-Maske nun endgültig ab und nutzt sie, um sich Luft zuzufächeln. «Ja, die Hinfahrt war mega chillig», meint der mir direkt gegenübersitzende. Der Junge neben mir beginnt bald, auf seinem iPad einen Film zu schauen, der schräg gegenübersitzende hört Musik und der direkt gegenübersitzende starrt einfach in die Luft. So eine krasse Unterbeschäftigung tut ihm offenbar nicht gut, denn er beschwert sich ständig über irgendwas. «Uff, noch immer zwei Stunden.» «Der Zug ist wirklich sehr voll und es ist ja einfach nur Donnerstagabend. Klar, Pendlerverkehr und so, aber trotzdem…» Guter Punkt, nachdem ich an Ostermontag in Horb nur noch mit Mühe einsteigen konnte, habe ich für die Rückfahrt am Sonntag tatsächlich mal reserviert. «Ach, das wäre gut, hier mal ein Fenster aufzumachen», sagt der schräg Gegenübersitzende, «hmm, und wenn ich das jetzt mit einem von diesen roten Nothammern einschlage, muss ich das dann eigentlich bezahlen?» Zustimmendes Murmeln von den beiden anderen. «Aber hier sind ja gar keine roten Nothammer», bemerkt er dann, «ach, wenn mir einfach jeder hier im Zug 2 € dafür geben würde…» «Gleich halten wir ja, dann kommt ja ein bisschen frische Luft durch die Türen rein.» «Naja, ich glaube nicht, dass hier genug aussteigen, dass es durchzieht.»
«Du hörst aber auch immer dasselbe», stellt der mir Gegenübersitzende fest. «Naja, irgendwie muss ich ja die Stimmung verbessern. Und das ist einfach ein geiler Song.»
«Warum fahren wir denn nicht weiter? Boah, ab wann, macht es Sinn, sich abholen zu lassen?» «Vielleicht ab Horb.» «Das ist ja immer noch über eine Stunde! Boah, die Luft ist hier wirklich sooo schlecht», beschwert sich der direkt Gegenübersitzende. Und sie wird bald noch viel schlechter, denn auf einmal zieht übler Toilettengeruch durch den Wagen. «Boah, was ist das denn? Hat das Klo denn keine Tür?» Auch andere Fahrgäste bemerken den schlechten Geruch und eine Frau setzt deswegen sogar freiwillig kurzzeitig ihre Maske wieder auf, die sie während der ganzen Fahrt beiseitegelegt hatte. Nach ein paar Minuten verzieht sich der üble Gestank, oder aber… «Ich glaube, ich habe mich an den Geruch inzwischen gewöhnt», stellt der schräg Gegenübersitzende fest. Der Junge neben mir hält sich aus den «Gesprächen» weitgehend raus, er ist in den Film vertieft.
«Wo sind wir denn jetzt?» «Steht neben dir», sagt der direkt Gegenübersitzende und deutet nach draussen. «Spaichingen. Ich finde das erschreckend, dass wir in Orten halten, von denen ich noch nie gehört habe.» Tja, dann musst du wohl deine Geografiekenntnisse verbessern, denke ich nur. Es bleibt bei unveränderten +5. «Boah, ich will einfach nur schlafen», erklärt der schräg Gegenübersitzende, «ich bin total müde gerade.» «Naja, bei mir geht’s eigentlich.» «Ach, du wirst schon sehen, wenn du dich hinlegst, kommt die Müdigkeit sofort.» «Nee, aber ich will vorher noch duschen. Duschen und schlafen.» «Naja, aber dann bist du wieder wach.» «Oh ja, so will ich nicht schlafen gehen», klinkt sich mein Sitznachbar ein, «aber das Problem ist, dass bei uns das Wasser immer so warm ist. Und auf warmes Wasser habe ich gerade überhaupt keinen Bock. Auf eiskaltes allerdings auch nicht. Und bei uns gibt es irgendwie nur eiskaltes oder warmes Wasser.» «Spring doch einfach in euren Pool.» «Naja, der hat aber auch sicher 27°. Und dann muss ich ja trotzdem duschen, um das Chlor abzuspülen.» «Und morgen müssen wir ja wieder so früh aufstehen. Oder ich mache einfach krank.» «Naja, kannst du dir ja überlegen. Ich gehe morgen hin, vielleicht schaffe ich in Ethik noch eine 1!» «Ach, ich stehe da auf einer guten 2, aber eine 1 schaffe ich nicht mehr.» «Ich stehe in BK (Anm.: Kunst) auf 1,3 oder 1,4!» Wir halten in Rottweil. «Boah, wieso fahren wir denn nicht weiter? Ich schwör, wenn wir jetzt einen Motorschaden oder sowas haben, dann lass ich mich abholen. Könnten wir uns denn in Horb abholen lassen?» «Aber das dauert ganz schön lange bis dorthin, glaube ich.» «Ist doch egal, Hauptsache frische Luft.» Mit +7 geht es weiter. Kein einziger Zug auf der Gäubahn fährt heute Nachmittag pünktlich. «Hey, sagt mal, in welche Richtung fliesst dieser Bach eigentlich?» «Ich glaube, runter.» Was damit gemeint ist, bleibt aber offenbar nicht nur mir unklar, auch wenn es sicher physikalisch richtig ist. «Also, in diese Richtung, meinst du?» «Nee, dortrunter.» «Nein, guck mal hier. Die Stromschnellen. Der fliesst in unsere Fahrtrichtung.»
Jetzt beginnt der landschaftlich reizvollste Abschnitt der Strecke, immer am Neckar entlang. Ein paar Wolkenschwaden schweben im dunstigen Tal.
Halt in Oberndorf, +8. Ok, das Roulette dreht sich, wie befürchtet, nicht zu meinem Gunsten.
«Boah, das sind ja immer noch 30 Minuten. Die Zeit vergeht ja wirklich gar nicht», beschwert sich der direkt Gegenübersitzende. «40 Minuten», korrigiert sein Sitznachbar.
Der mir schräg Gegenübersitzende macht plötzlich merkwürdige Bewegungen mit Händen und Füssen. «Boah, ich habe gerade so einen Krampf!» «Kann man das überhaupt im Sitzen bekommen? Ich dachte, das gibt’s nur bei zu viel Bewegung. Und Magnesium kann dir helfen.» «Ahhh, ich würde meine Beine sooo gerne mal ausstrecken. Einfach mal geradeaus…» «Ja, ich auch.» «Boah, ich schwör, ich hab da so einen Knoten am Bein…»
Vr2. Das Döööt ergänzt mein Kopf automatisch, ohne dass ich es hören kann.
Hp2 Vr0. Wieder macht es in meinem Kopf Döööt. Wenig später kommt die Weiche, der Dosto kommt ordentlich ins Wanken. «Oh, ich habe gerade gedacht, wir kippen um!» «Ja, ich auch.» «Alder, was ist denn das für ein Bahnhof? Warum halten wir hier?» Ein Kreuzungsbahnhof in der Botanik. «Boah, bitte kein Motorschaden oder irgendwas mit den Rädern», hofft der Jammerlappen mir gegenüber. Ein Hamster kommt entgegen, dann geht es weiter. Der Kreuzungsaufenthalt war zu viel des Guten, inzwischen haben wir +10.
Mein Sitznachbar kriegt plötzlich auch einen Krampf und massiert sich die Beine. «Boah, ich konnte einen Krampf gerade noch verhindern…»
Der Gegenzug aus Tübingen steht mit +2 drin, ich arbeite mich zwei Wagen nach vorne, um an einer für die Unterführung günstigen Position starten zu können. «Wir haben leider keine Informationen erhalten, ob die RB 74 nach Tübingen auf uns wartet. Wenn sie es tut, fährt sie von Gleis 5. Sie werden es dann sehen.»
Zu allem Überfluss bekommen wir eine langsame Einfahrt auf Gleis 2, denn das durchgehende Hauptgleis 3 ist inzwischen von der aus Tübingen angekommenen RB blockiert. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster Richtung Gleis 5 und sehe noch, wie der Signalflügel nach unten fällt. Dann brauche ich wohl nicht mehr zu rennen. Andere Fahrgäste haben offenbar nicht aus dem Fenster geschaut und rennen durch die Unterführung.
Nachdem ich den Anschluss hier schon dreimal mit viel Glück erwischt habe, war ein Verlust nur überfällig.
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So komme ich mal dazu, auf das angrenzende Parkhaus zu gehen und einen Blick über das hübsche Tal zu werfen.

«Information zum IC 2289 nach Singen, Abfahrt 20:07, heute circa 15 Minuten später. Grund hierfür ist verspätetes Personal aus vorheriger Fahrt», verkündet Blechelse. Wenig später kommt dieselbe Ansage nochmal durch die neue Ansagestimme, wie alle Ansagen. Doppelt hält besser.

«Information zu RE 14 nach Stuttgart Hbf, Abfahrt 20:37, heute circa 5 Minuten später.»
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«Information zu IC 182 nach Stuttgart Hbf, Abfahrt 20:46, heute circa 10 Minuten später. Grund hierfür ist eine Reparatur an der Strecke.» Und auch die Fahrgäste des nächsten Zuges haben das Anschlussroulette in der Horb-Edition verloren.

Unnötig zu erwähnen, dass auch der nächste IC nach Zürich +10 hat und zwar wegen Verspätung eines vorausfahrenden Zuges.

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Also steige ich in den inzwischen aus Pforzheim angekommenen RS ein und setze die Fahrt durch das wolkenverhangene Tal in den Abend fort. Eine Frau mit Fahrrad beginnt laut zu telefonieren. «Ach, ich bin gerade im Zug, irgendwo vor Tübingen. Ich war heute am Bodensee, weischd? Eigentlich wollte ich bis Singen fahren und von dort mit dem Fahrrad nach Rhein am Stein, äh, was sag ich da, nach Stein am Rhein und dann weiter nach Radolfzell. Aber natürlich waren alle Züge verspätet, also bin lieber gleich bis Radolfzell dringeblieben. Ich wollte heute schon noch an den Bodensee, weischd? Naja, von Radolfzell bis Konschtanz ist ja nicht so weit, weischd? Moment, warte mal kurz, ich höre dich gerade schlecht. Bin wohl im Funkloch.» Ja, das kommt mir sehr bekannt vor. Woran merke ich, dass ich die Grenze von der Schweiz nach Deutschland überquert habe? An der E-Verbindung.
Gelegentlich lacht sie laut vor sich hin. «Und als ich kürzlich von Augsburg nach Hause gefahren bin, da hat ein 22-Jähriger mit mir geflirtet, weischd? Naja, wie auch immer, ich bin definitiv über seiner Altersklasse gewesen.»

Sie telefoniert ununterbrochen in diesem Stil weiter und klemmt sich beim Ausstieg in Tübingen das Handy zwischen Ohr und Schulter, um die Hände für ihr Fahrrad freizuhaben. Die RB aus Stuttgart ist zwar mit +5 angekommen, kann aber wieder mehr oder weniger pünktlich in die Gegenrichtung starten, ganz im Gegensatz zum IRE 6 aus Stuttgart, mit satten +35 angekündigt.
Bald fallen die ersten Regentropfen und als ich in Metzingen mit +61 mein Ziel erreiche, entlädt sich gerade ein kräftiges Sommergewitter. Dementsprechend dicht gedrängt stehen alle wartenden Fahrgäste unter der kleinen Überdachung und quetschen sich alle bei einer Türe in den Zug. Auch das ist mir aufgefallen – in der Schweiz sind Bahnsteigdächer viel grosszügiger als in Deutschland. Der Bahnhof Metzingen wird aktuell umgebaut und bekommt Aufzüge, denn seit vor einigen Jahren der alte Karrenübergang entfernt wurde, können Rollstuhlfahrer gar nicht mehr in die am Inselbahnsteig haltenden Züge nach Stuttgart einsteigen, sondern müssen die am Hausbahnsteig haltenden Züge nach Reutlingen nehmen und dort in die Gegenrichtung umsteigen. Doch auch wer gut zu Fuss ist, hat an diesem Abend eine kleine Herausforderung zu meistern, denn die Treppe ist nicht beleuchtet oder die Beleuchtung funktioniert nicht und muss deswegen im Dunklen überwunden werden.

Eine Reise mit deutschen Zügen ist ein richtiges Erlebnis – vom Anschlussroulette über Gepäcktetris bis zum Jump’n’run für Fortgeschrittene ist alles dabei…


4. Spielrunde

Ich bin ein paar Minuten vor der planmäßigen Abfahrt am Bahnsteig und noch ist die RB 18 Richtung Tübingen pünktlich angekündigt. Der Bahnhof in Metzingen hat 3 Gleise, davon die beiden durchgehenden Hauptgleise 1 und 2 der Neckar-Alb-Bahn Stuttgart <> Tübingen und Gleis 3, wo die RS aus Herrenberg – Tübingen Fahrtrichtungswechsel machen und die Stichstrecke nach Bad Urach bedienen. Diese Strecke kann nur von Gleis 3 erreicht werden.
https://goo.gl/maps/YfhTekiZEWx32F6a6
Eben kommt die Dotra RS aus Bad Urach (planmäßig 15:46) mit +14 wegen technischer Störung am Zug eingefahren. Meine RB 18 nach Tübingen soll planmäßig um 16:05 abfahren und da das Signal bereits auf Fahrt steht, gehe ich davon aus, dass sie vorgelassen wird. Zunächst erscheint das nicht dumm, denn die RB 18 bedient zwar mehr Halte als der frühere RE, aber zwischen Metzingen und Tübingen hält die RB 18 viel seltener als die RB 63. Vielleicht hätte es manchem Fahrgast mehr Klarheit gebracht, wenn sich mal jemand die Mühe gemacht hätte, das auch so zu kommunizieren. Jedenfalls scheint es so, dass manche Fahrgäste unentschlossen sind, ob sie nun in die verspätete RB 63 einsteigen oder auf die pünktliche RB 18 warten sollen.
Doch es stellt sich heraus, dass die RB 18 auch +3 hat und damit hat sich der Fdl ein ziemliches Ei gelegt, denn als ich das Esig der Gegenrichtung passiere, wartet dort bereits die RB 63 Richtung Bad Urach, denn Gleis 3 ist ja immer noch durch die RB 63 aus Bad Urach blockiert. Jedenfalls wäre es in meinen Augen klüger gewesen, die verspätete RB 63 noch vor der RB 18 abfahren zu lassen und die Überholung in Reutlingen durchzuführen. Aber ich unterstelle dem Fdl keine böse Absicht, vielleicht hat die RB 18 die Verspätung erst auf den letzten Metern eingefahren und die RB 63 mehr abgebaut als erwartet.

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So erreiche ich halbwegs pünktlich Tübingen, außerplanmäßig auf Gleis 1, denn Gleis 2 ist durch einen leeren Hamster blockiert. Das ist zumindest für die Fahrgäste aus Horb unschön, weil sie nur 4 Min. Umsteigezeit haben und vom Zungenbahnsteig Gleis 12 nun bis zur Unterführung, durch diese zu Gleis 1 müssen.
https://www.openrailwaymap.org/?style=s ... 14&zoom=19
Und dass Gleis 11 zwischen den Gleisen 5 und 6, Gleis 12 zwischen den Gleisen 2 und 3, Gleis 13 neben Gleis 1 liegt ist mal wieder ein Fall für ein neues Spiel – Gleisnummernsudoku. In keinem Bahnhof darf die Nummerierung von Zungenbahnsteigen einem anderen Bahnhof gleichen. In keiner Spalte und in keiner Zeile darf je ein Zusammenhang zwischen den durchgehenden und den Kopfgleisen bestehen.

Die RB aus Horb wird mit +5 angekündigt und bei nur 5 min Wendezeit ist von einer ebenso großen Verspätung der Rückfahrt auszugehen. Was mich bei der Rückverfolgung der ankommenden Fahrt wundert, ist dass sie mit +2 in Horb wegen Warten auf Anschluss gestartet ist und dann unterwegs plötzlich auf +5 aufgebaut hat. Der einzelne RS fährt schließlich genau in dem Moment ein, als die RB18 von Gleis 1 ausfährt. Allein der Fahrgastwechsel dauert etwa 4 min, doch bis der Tf bereit zur Abfahrt ist, vergeht noch eine weitere Minute. Natürlich ist auch die Rückfahrt ziemlich voll und fast jeder Sitzplatz zusätzlich zu einigen stehenden Fahrgästen belegt. Der Tf fährt mit Handschuhen, die Maske legt er dann aber ab, als er im Führerstand ist. Im Fahrgastraum ist es ziemlich warm und ein Fahrgast stöhnt und versucht dann, das Klappfenster zu öffnen. Wahrscheinlich wäre es sogar aufgegangen, hätte er gleichzeitig beide Griffe angefasst – aber so bleibt es beim Versuch und da es draußen annähernd 30° hat, ist die Frischluftzufuhr nicht besonders vielversprechend. Ein 10-jähriger Junge quengelt wegen irgendwas, das ich nicht genau mitbekomme. Wenig später hält er ein Smartphone in den Händen und ist so vertieft in der virtuellen Welt, dass er sich kaum noch bewegt. Der stöhnende Fahrgast klopft an die Tür zum Führerstand. Es braucht drei Anläufe, bis der Tf reagiert, seine FFP2-Maske aufsetzt und die Tür öffnet. «Entschuldigung, kann man hier vielleicht ein Fenster öffnen?» «Nein, das ist leider nicht möglich.» «Können Sie wenigstens die Klimaanlage einschalten?» «Die ist schon eingeschaltet.» Dabei bleibt es, der Tf schließt wieder die Tür, setzt die Maske ab. Blick in den Spiegel, Türschalter zurücknehmen und Bruöööööööh, der Triebwagen setzt sich wieder in Bewegung. In Bieringen bleibt das Asig auf Halt. Ich erwarte zunächst, dass die Kreuzung von Eyach vorverlegt wurde, was meine 4. Spielrunde ganz entschieden zu meinem Nachteil drehen würde. Der Tf telefoniert, zieht einen Zettel heraus. Wenn ich raten müsste, ist es wohl ein Befehlsvordruck. Nach 2 min legt er auf, schließt die Türen und fährt los. Kurzer Blick meinerseits, das Asig ist auf Fahrt.
Doch weit kommen wir nicht, halten auf freier Strecke. «Verehrte Fahrgäste, wir sind aufgrund einer Bahnübergangsstörung zum Halten gekommen. Bitte halten Sie sich von den Türen fern.» Er öffnet die Tür, steigt aus, ich kann aber nicht erkennen, was passiert. Wenig später klettert der Tf wieder in den Zug und weiter geht’s. Wenn ich richtig gesehen habe, ist eine der Fußgängerschranken offen. Der Gegenzug wartet in Eyach bereits abfahrtbereit, die Reisendenübergangssicherung durch den Tf entfällt, da die Gleise getauscht wurden.
In Eyach hat der Zug dankenswerterweise planmäßig 5 min Aufenthalt und so bleibt es bei den +5 vom Start. In Horb sind es zwar nur 4 min Umsteigezeit, aber der IC ist mit +3 angekündigt. Ich positioniere mich im Türbereich. Ein glatzköpfiger Mann im Muskelshirt mit kräftigem Sonnenbrand am gesamten Oberkörper sagt zu seinem 12-jährigen Sohn: «War ein langer Tag heute und wir waren lang in der Sonne. Aber jetzt sind wir gleich da und zum Glück ist es nicht weit bis zum Auto.» In einer länglichen schwarzen Tasche verbirgt sich mutmaßlich das Sportgerät, welches sie genutzt haben, ich kann es aber nicht bestimmen. In Mühlen steigen sie dann aus.
«Entschuldigung, weißt du, wie viel Verspätung wir haben?», fragt mich eine ältere Frau. Da kann ich selbstverständlich Auskunft geben und beschwichtige sogleich, dass der Anschluss ja auch ein paar Minuten zu spät ist. «Ach, du musst auch zum IC nach Zürich?» «Verehrte Fahrgäste, wir erreichen Horb mit vier Minuten Verspätung. Grund dafür waren Verzögerungen beim Ein- und Aussteigen sowie eine Bahnübergangsstörung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.» Ich spähe nach draußen, Gleis 2 ist noch frei und der IC nicht in Sicht, also kein Grund für übertriebene Eile. Immerhin sieht es heute auf der Gäubahn nicht ganz so übel aus wie in Spielrunde 3, die meisten Züge scheinen einigermaßen pünktlich zu verkehren.
Nach dem Bahnsteigwechsel kommt einige Augenblicke später die 101 mit den Schweizer Wagen angebraust, ich habe im vorletzten Wagen reserviert. Mist, das ist der hinterste 2.-Klasse-Wagen, also aus Stuttgart sicher der vollste. Ich stehe in der Einstiegsschlange ungünstig und als ich es endlich auf die Stufen geschafft habe, pfeift der Zub schon. Ich dränge ein wenig weiter, da rummst die Tür auch schon hinter mir zu. Ich komme exakt bis zur Zwischentür und erkenne, dass mein reservierter Platz genau am anderen Wagenende ist. Der gesamte Gang steht und sitzt voller Menschen und Gepäck, inklusive der Einstiegsbereich dieses und des 1.-Klasse-Wagens. Tja, und die Moral von der Geschicht – ob reserviert oder nicht, ich muss im stickigen Einstiegsbereich stehen, denn ich habe nicht die geringste Chance, durch den Wagen zu kommen, zumal ich auch noch einen schweren Koffer dabeihabe.
Kurz darauf kommt der Zub aus dem 1. Klasse-Wagen und versucht, die dort unerlaubterweise stehenden Fahrgäste in die 2. Klasse weiterzuschieben. «Entschuldigung.» Er drängelt sich bis zu mir durch, sieht wohl ein, dass hier keine weitere Fahrgastkomprimierung mehr möglich ist und verschwindet wieder in den vergleichsweise leeren 1. Klasse-Wagen, in dem aber anscheinend auch alle Sitzplätze belegt sind. Interessanterweise war in Spielrunde 2 ja der Zug angeblich so überfüllt, dass einige Fahrgäste aussteigen mussten – dabei war der Zug damals längst nicht so voll wie dieser oder es lag daran, dass ich die damalige Spielrunde im taktisch günstigen ersten Wagen gespielt habe. Zunächst hoffe ich noch, gleich am nächsten Halt in Sulz ans richtige Wagenende wechseln zu können und noch innerhalb des 15 min-Limits meinen Platz einnehmen zu können, doch dann stelle ich fest, dass es auf der Gäubahn offenbar zwei unterschiedliche Halteregimes gibt und wir erst in Rottweil wieder halten.
Überraschenderweise kommen wir dort mit weitgehend unveränderten +5 an und der Zug leert sich merklich. Ich finde einen Sitzplatz, neben mir ein Mann mit Bierflasche aus Plastik, im Vierer gegenüber ein Paar mit zwei kleinen Kindern. Der Säugling kreischt und schließlich stillt die Mutter ihn, während der zweijährige Sohn an einer Gebäckstange knabbert. Der Säugling beruhigt sich und schläft irgendwann wieder ein. Sein Bruder versucht offenbar, ihn wieder aufzuwecken, wovon die Mama aber verständlicherweise nicht so begeistert ist. Er quengelt herum und Mama nimmt ihn auch auf den Arm. Dann versucht er offenbar, auch Muttermilch zu trinken. «Naja, ich glaube, du bist ein bisschen zu groß dafür…» «Komm, wir gehen mal den Zug anschauen. In welche Richtung magst du gehen?», schlägt der Papa vor. Zuerst versuchen sie es nach hinten, aber dort ist ja 1. Klasse, also doch nach vorne.
«Phh, also die Deutsch Bundesbohn, des is ja der Hammer! Zwanzg Euro hob i jetzad gsport. Echt der Hammer! Zwanzg Euro hob i jetzad gsport», murmelt der Mann neben mir plötzlich auf Bayerisch vor sich hin und nimmt einen Schluck aus der Bierflasche.
Papa und Sohn kommen bald wieder zurück, weit haben sie es offenbar nicht geschafft. Der Säugling ist inzwischen auch wieder wach und macht auf sich aufmerksam. Papa nimmt ihn auf den Arm. «Schsch.» Ein bisschen erfolgreich ist er, dem Kleinen fallen allmählich wieder die Augen zu. Er bereitet Tücher vor, und kann so den Säugling eng am Körper tragen. Diese Art des Babytragens scheint in der Schweiz sehr beliebt zu sein – aber durch die ganzen Berge, Hügel und Treppen ist das Land halt auch nicht besonders kinderwagenfreundlich.
«Zwei Scheiben Fleisch und a Knödel – wie sollmern da sattwerdn?», murmelt der Mann neben mir plötzlich und schaut auf seinem Handy ein Foto von einem Teller mit zwei Scheiben Fleisch und einer Knödel an. «Zwei Scheiben Fleisch und a Knödel – wie sollmern da sattwerdn?», wiederholt er nochmal, als ob ich es noch nicht verstanden hätte, greift zur Bierflasche und leert die letzten Tropfen.
Es folgt Tuttlingen, wieder steigen ein paar aus, dann Singen. Die Verspätung ist leicht zurückgegangen. «Geschätzte Fahrgäste, bitte beachten Sie: Das 9€-Ticket gilt nur bis Singen. Das 9€-Ticket ist nicht gültig bis Schaffhausen und Zürich. Sie können aber die Regionalbahn nach Schaffhausen nehmen.»
Da der 7-min-Anschluss zum Seehas Richtung Konstanz vermutlich auch nicht immer klappt, ergreife ich die Chance, diese Streckenbefahrung ohne Aufpreis mitzuerledigen und via Konstanz zu fahren. Die Abfahrt ist mit +5 angekündigt, da der Zug aus Engen kommt und hinter dem verspäteten IC herfahren musste.
Der Bahnsteig ist voller Menschen und – oh nein – da kommt ja wirklich nur ein einzelner Flirt. Dieses Mal habe ich eine taktisch günstigere Einstiegsposition und setze mich in einen Vierer neben eine Frau in Warnweste, die mich sofort belehrt, dass es ja viel besser wäre, den Koffer oben zu verstauen. Schon klar, mal eben 20 kg auf die kleine Ablage hoch oben hieven, das mach ich doch mit links… Etliche Fahrgäste bleiben stehen, auch wenn wahrscheinlich ausreichend gepäckblockierte Sitze vorhanden gewesen wären.
In Radolfzell steigen dann einige Fahrgäste aus, doch auf dem Bahnsteig warten ebenso viele zum Einsteigen. Die Frau in Warnweste neben mir legt sofort in nervtötendem Tonfall los: «Da ist fast alles frei, wollen Sie sich nicht dorthin setzen? Weil so viele Personen zusammen, das ist ja nicht so gut.» Wow, im Vierer hinter mir sind jetzt drei frei und in meinem einer. Es steht Ihnen ganz frei, sich selbst umzusetzen. Grimmig dreinblickend steht sie auf, schnappt sich ihre Handtasche, die die ganze Zeit halb auf meinem Sitz gestanden hat und stellt sich demonstrativ vor meinen Koffer, obwohl sie auch einfach daran vorbeilaufen könnte. «Also, wenn ich darf.»
Rechts schweift der Blick immer wieder über die zahlreichen Boote auf dem Gnadensee (Anm.: westlicher, kleinerer Nebenteil des Bodensees), während der Flirt Richtung Konstanz saust, wo ich leider auch nur 4 min Umsteigzeit habe. Das Anschluss-Roulette geht in die nächste Runde.
Schließlich überquert der Zug die Rheinbrücke, ein kurzer Ausblick über den Bodensee, dann halten wir mit +4. Ich springe schnell rüber zum angenehm leeren 8 Dosto-IC 2000 Richtung Luzern. Da merkt man mal wieder, wie wenig die Eisenbahn in Deutschland verglichen mit der SBB auf den Transport großer Fahrgastmengen ausgelegt ist. Und mit dem Umstieg ist die magische Corona-Grenze überschritten, die Masken plötzlich weg. Der Zug setzt sich in Bewegung, überquert die Grenze zur Schweiz, die sich mitten über einen BÜ erstreckt. Vermutlich ist km 415 auch der höchste in Deutschland auffindbare Wert auf Hektometertafeln (gezählt ab Mannheim via Karlsruhe – Basel Bad Bf – Schaffhausen – Singen), eine spätere Recherche ergab dazu aber keine Ergebnisse. Dann windet sich die Strecke in einem Bogen bergauf und gibt den Blick auf die Appenzeller Berge frei, ehe in Weinfelden schließlich die Hauptstrecke Romanshorn – Zürich erreicht wird. Ich döse vor mich hin und komme pünktlich in Zürich an. Nur noch eine Stunde im Twindexx, dann erreiche ich mit +2 Basel. Eisenbahnfahren einmal ganz ohne Glücksspiel…
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Entenfang
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Entenfang »

Hurra, wir haben Lindau verlassen

München Hbf RE 96 ab 15:52

Lindau-Reutin an 18:41
EC 98 ab 18:52

St. Margrethen an 19:09
IR 13 ab 19:13

Rorschach an 19:21
S7 ab 19:24

Romanshorn an 19:43
S1 ab 20:18

Schaffhausen an 21:43
IRE 3 ab 22:00

Basel Bad Bf an 23:16


Auf der Rückfahrt in die Schweiz wollte ich eigentlich einfach mit dem 9€-Ticket fahren, über Lindau, Friedrichshafen und Schaffhausen. Doch zwischen Singen und Schaffhausen macht mir der SEV einen Strich durch die Rechnung, also entscheide ich mich für den Mittelweg – NV bis Lindau, bezahlen bis St. Margrethen und anschließend Streckenerkundung auf der anderen Seite des Bodensees durchführen und einen kleinen Aufenthalt am See genießen.

Ich bin gut 10 Minuten vor der Abfahrt in München am Zug, was auch besser so ist, denn die Sitzplätze füllen sich schnell. Ich setze mich in einen Vierer zu einem älteren Paar dazu und überlege, wie ich meinen Koffer am besten verstauen soll, denn unter die Sitze passt er aufgrund der schrägen Befestigungen nicht, das sehe ich auf den ersten Blick. Ein Mann bleibt im Gang stehen, er will offenbar durch, also ziehe ich den Koffer ein wenig näher an mich heran. Er bleibt stehen. Zehn Sekunden vergehen. «Koffer darunter, dann kann ich auch durch!» Er deutet unter die Sitze.
Jawohl, zu Befehl, Herr General!!!
Es sind Szenen wie diese, die mich daran erinnern, warum ich jetzt im Zug Richtung Schweiz sitze. Wahrscheinlich kommt mir dieser Ton auch deswegen besonders unverschämt vor, weil ich mich inzwischen an die Schweizer Höflichkeit gewöhnt habe.
Und warum der Mann nicht einfach durchgegangen ist, wird mir auch nicht klar, denn es wäre ausreichend Platz vorhanden gewesen. Nachdem er dann doch vorbeigegangen ist, probiere ich es aus, den Koffer unter den Sitzen zu verstauen, doch das funktioniert nicht mal ansatzweise. Der mir gegenübersitzende Mann bietet seine Hilfe an und wir verfrachten den Koffer auf die Ablage.

Nahezu alle Sitzplätze sind belegt, als der Zug München Hbf pünktlich verlässt. Doch das bleibt nicht so (also die belegten Sitzplätze schon, die Pünktlichkeit nicht), denn in Pasing bleiben wir erstmal stehen. «Sehr geehrte Fahrgäste, die Weiterfahrt verzögert sich noch etwas, höchstwahrscheinlich aufgrund eines vorausfahrenden oder entgegenkommenden Zuges.» Mit +4 geht’s weiter, nachdem der Gegenzug eingefahren ist.
«Verehrte Fahrgäste, bitte beachten Sie: der hintere Zugteil verkehrt nur bis Memmingen. Falls Sie im falschen Zugteil sind, haben Sie in Memmingen noch die Möglichkeit, in den anderen Zugteil umzusteigen.» Das finde ich merkwürdig, denn auch auf dem hinteren Zugteil steht Lindau drauf.
Wir kommen mehr oder weniger pünktlich voran, bleiben meistens ein paar Minuten hinter Plan. Immer wieder findet reger Fahrgastwechsel statt, doch auch hinter Memmingen bleibt die Auslastung hoch. Das mir gegenübersitzende Paar bangt um den Anschluss in Kißlegg, doch er wird abgewartet.

Eine alte Frau diskutiert mit der Zugbegleiterin. Offenbar hat jemand eine Fahrkarte zum Flexpreis für sie gekauft und nun hat sie vom 9€-Ticket erfahren. Ob sie das wohl noch stornieren könne? Die Zugbegleiterin nimmt sich Zeit, überlegt, denn offenbar handelt es sich um eine Fahrkarte in die Schweiz. Doch sie kommt zum Schluss, dass mit dem Antritt der Fahrt der Vertrag zustande gekommen ist und eine Stornierung nicht mehr möglich ist. Ein klarer Vorteil des 9€-Tickets ist jedenfalls, dass die Zugbegleiter nicht mehr mit Fahrkartenkontrollen beschäftigt sind, sondern mehr Zeit für Kundeninformation haben.

Zum ersten Mal seit dem Umbau quere ich den Damm nach Lindau-Insel, wo der Zug planmäßig 21 min Aufenthalt hat, ehe er weiter nach Lindau-Reutin fährt. Da wir pünktlich angekommen sind, bleibt mir reichlich Zeit, den komplett modernisierten Bahnhof zu begutachten. Ich stelle fest, dass der RE 96 mit beiden Zugteilen angekommen ist, man in den hinteren aber nicht einsteigen kann. Irgendwie unlogisch, dass sich die Fahrgäste in einem Zugteil stapeln und ein Zugteil leer mitfährt… Die nachträgliche Recherche ergab, dass wohl die Bahnsteiglänge in Tannheim und Aichstetten etwas zu kurz ist. Und da frage ich mich schon, wie das Ziel, Verkehr massiv auf die Schiene zu verlagern, eigentlich erreicht werden soll, wenn man sogar einen Zugteil leer mitschleppt, weil man an zwei Zwischenhalten vielleicht die letzte Tür nicht am Bahnsteig hat. Und ich komme immer mehr zum Schluss, dass all diejenigen, die solch tolle Ankündigungen machen, offenbar nicht die geringste Vorstellung haben, mit welch lächerlichen Problemen die Eisenbahn eigentlich konfrontiert ist.

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Warum sind die Prellböcke an zwei Gleisen so weit nach hintern versetzt? Will man die Fahrgäste zu mehr Sport bringen?

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Die Asig sind mit Vorsignalwiederholern ausgestattet.

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4024 054 verlässt Lindau-Insel

Kurz vor der Abfahrt setze ich mich also in den jetzt hinteren Zugteil, nun nur noch sehr spärlich besetzt. Ein «Rotkäppchen» steigt zu, offenbar ein sehr schlecht gelauntes Rotkäppchen. «So, alle Masken aufsetzen!!!» Im Vierer gegenüber sitzt ein mittelaltes Paar, die etwas komisch dreinblicken und Taschentücher herauskramen. Er bleibt stehen. «Nein, keine Taschentücher!!! Richtige Masken!!!» Er deutet auf seine FFP2-Maske (die in Bayern zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr vorgeschrieben sind). «Seit 2 Jahren ist in Bayern Maskenpflicht! In allen deutschen Zügen!!! Nein, Sie müssen aussteigen, wenn Sie keine Masken haben!!!» Er fuchtelt wild herum. Die Frau meint achselzuckend: «Ukraina.» «Nix Ukraine!!!», schimpft der Bahnmitarbeiter noch lauter, «Deutschland!!! Sie müssen aussteigen, wenn Sie keine Maske haben!!! Ja red ich türkisch oder was???» Ich denke mir nur, wie der sich wohl fühlen würde, wenn er in einem fremden Land in einer fremden Sprache so vollgeplärrt würde. Die beiden halten sich schließlich Taschentücher vor die Nase und er geht entnervt weiter. Hauptsache, das Recht (teilweise) durchgesetzt für die 4 Minuten bis Lindau-Reutin… Ein Jugendlicher hat seine Maske bereits wieder unter dem Kinn, als der Zug ankommt.

Ich wechsle den Bahnsteig, der RE aus Augsburg via Kempten folgt leicht verspätet und damit leider auch der EC. Zwei junge Frauen unterhalten sich mit zwei Polizisten. Die eine ist den Tränen nahe, offenbar hat sie ihr iPhone X in irgendeinem Zug liegengelassen. Das schlecht gelaunte Rotkäppchen steht auch am Bahnsteig, die FFP2-Maske wie ein Abwehrschild auf dem Gesicht.

Der EC ist ähnlich voll wie der RE 96 zu Beginn, einige Sitzplätze sind frei, aber in den Einstiegsbereichen stapeln sich Gepäck und stehende Fahrgäste. Ich setze mich hin und mit +3 geht die Fahrt weiter. Kaum hat sich der Zug in Bewegung gesetzt, ertönt die Durchsage, der freudige Unterton kaum zu überhören: «Geschätzte Fahrgäste, wir haben nun Lindau verlassen. Ab hier gilt keine Maskenpflicht mehr. Sie können Ihre Maske nun abnehmen oder auflassen, ganz wie Sie wollen. Ladies and gentlemen, we have now left Germany. You don´t have to wear a face mask anymore, you can take it off or leave it on your face, just as you like.» Mindestens die Hälfte der Fahrgäste hatte die Maske ohnehin nicht (richtig) auf und die meisten entfernen sie jetzt ganz. Der Halt in Bregenz dauert etwas länger als geplant, wahrscheinlich zieht sich der Fahrgastwechsel durch die blockierten Türbereiche etwas hin. Mit +4 geht’s weiter, ungünstig für den Umstieg zum IR 13. Bald ertönt die automatische Durchsage, auf deren leicht feierlichen Unterton ich mich jedes Mal freue, auch wenn ich sie schon so oft gehört habe. „Nächster Halt: St. Margrethen. (Kurze Kunstpause) Herzlich willkommen in der Schweiz! Genießen Sie Ihren Aufenthalt.“
„Geschätzte Fahrgäste, wir erreichen St. Margrethen mit einer Verspätung von vier Minuten. Wir werden unsere Fahrt hinter dem IR 13 fortsetzen und bis Zürich etwa 30 Minuten Verspätung aufbauen. Wir bitten um Entschuldigung.“
Es gibt eine perfekte Paralleleinfahrt mit dem IR 13, ich platziere mich vor der nächsten Tür, die nicht durch stehende Fahrgäste blockiert ist. Beide Züge halten fast zeitgleich. 50 m rechts ist die Treppe zur Überführung, 200 m links ist die Rampe zur Unterführung. Wie zwei weitere Fahrgäste renne ich lieber nach links, denn Überführungen haben einen größeren Höhenunterschied und über die Rampe bin ich mit Koffer schneller als über die Treppe.
Wir sind zehn Sekunden zu langsam, die Türfreigabe ist schon weg und quietschend setzt sich der Twindexx kurz darauf in Bewegung. Mist, hätte ich durch die Wagen nach vorne gehen können, wäre das zu schaffen gewesen. Kaum ist der Twindexx ausgefahren, geht auch schon das Signal für den EC auf Fahrt. Ich finde die Schweizer Zugfolgezeiten immer wieder erstaunlich.

Also nehme ich die S-Bahn nach Rorschach, wo ich dann gut 20 Minuten habe, ehe ich nach Romanshorn weiterfahren kann. Dankenswerterweise liegt der Bahnhof in Rorschach ebenso wie in Romanshorn direkt am See, sodass ich doch noch meine kurze Pause am See bekomme.
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Es ist ein windiger und angenehm kühler Abend.

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Mit thurbo geht es in der Nähe des Bodensees entlang, Kontrolleure steigen zu. Offenbar erwischen sie einen Schwarzfahrer. Es entsteht ein Wortgefecht, ich höre hitzige Debatten auf Französisch und etwas von police, aber es ist ganz am anderen Ende des Triebwagens und ich kann nicht genau erkennen, was vor sich geht und wie die Situation endet.

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In Romanshorn springe ich in die nächste thurbo, weiter durch kleine Orte mit großen Villen. Erst auf dem letzten Stück hinter Kreuzlingen führt die Strecke dann längere Abschnitte direkt am See entlang, während die Sonne langsam hinter den Hügelketten verschwindet.
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Pünktlich erreiche ich Schaffhausen, die blaue Stunde bricht an, der Mond steht hoch über dem Bahnhof.
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Auch die letzte Etappe im 612 verläuft unspektakulär und pünktlich.
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Lobedan »

Zum RE 96: Das FIS der Flirt kann nur dann verschiedene Ziele an den Fahrzeugen anzeigen, wenn sie sie auch verschiedene Ziele haben. In diesem Fall fahren ja beide Zugteile den gesamten Laufweg, daher kann ab Memmingen lediglich die Sonderanzeige "nicht einsteigen" bzw bei Go Ahead häufiger "Zug vorne/hinten einsteigen" manuell eingestellt werden. Um in Memmingen in Richtung München zu stärken, fehlt es an Aufenthaltszeit, daher muss der zweite Zugteil mit nach Lindau fahren, damit er für den Rückweg da ist.

Das mit den zu kurzen Bahnsteigen ist auch extrem ärgerlich, zumal es an den beiden Stationen wirklich nur um eine Tür geht. Warum man die nicht einfach wie im GABW-Netz bei einigen Stationen absperren, aber das Fahrzeug sonst offen lassen kann, lässt sich einfach nicht ergründen. Irgendwie werden hier unterschiedliche Vorschriften angewandt. Achja und in Richtung Memmingen sind es in Kißlegg Gleis 3 Ost zwei Türen, weil man 3 West für den Aulendorfer freifahren muss.
An allen drei Stationen sind die Gleise und Signalabstände aber so, dass man ohne Probleme die Bahnsteige um 10-15 Meter verlängern könnte. Vielleicht macht sich GABY da bei der BEG mal stark, denn die aktuelle Situation führt zu tagtäglichen Auseinandersetzungen zwischen Fahrgästen und Zugpersonal, weil regelmäßig keine Fahrräder mehr mitgenommen werden können oder gar Fahrgäste zurückbleiben müssen, weil Zugteil überfüllt.

Beim Prellbock in Lindau tippe ich auf Durchrutschweg zur Gebäudemauer des Empfangsgebäudes.
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Entenfang
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Entenfang »

Danke für die Aufklärung!
Lobedan hat geschrieben: 16 Jul 2022, 07:49 Beim Prellbock in Lindau tippe ich auf Durchrutschweg zur Gebäudemauer des Empfangsgebäudes.
Aber warum nur an zwei Gleisen? Wie man sieht, steht der Flirt viel näher am Bahnhofsgebäude, dort ist der Prellbock direkt am Querbahnsteig.
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Lobedan
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Lobedan »

Entenfang hat geschrieben: 16 Jul 2022, 15:11 Aber warum nur an zwei Gleisen? Wie man sieht, steht der Flirt viel näher am Bahnhofsgebäude, dort ist der Prellbock direkt am Querbahnsteig.
Gleis 2 und 3 liegen in dem Bereich, wo die Bahnhofs"halle" anschließt, die Gebäudemauer ist dort etliche Meter weiter hinten als bei Gleis 4/5. Hier auf diesem Bild (Wikipedia) vom Ende von Gleis 4/5 kann man es halbwegs erkennen:
Bild
Am linken Bildrand sieht man auch die Verlängerung von Gleis 2/3 wie man es von Kopfgleisen an Querbahnsteigen kennt.

Wenn ich mir das Bild so anschaue, dann stehen hier auch einfach die Masten direkt am Gleisende, was dann erklären würde, wieso die Prellböcke erst mit der Elektrifizierung zurückversetzt wurden.
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Rohrbacher
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von Rohrbacher »

Vermutung: Werden die Gleise nicht im Rahmen des Rückbaus verkürzt, dann hat man das beim Elektrifizieren schonmal vorweg genommen!? Nicht dass man 30 Meter elektrifiziert, die für Rückbau vorgesehen sind, dann kommt wieder der selbsternannte Steuerzahlerbund und andere, die sich an derartiger Verschwendung stören. Ich hab jetzt keine Gelegenheit es zur Verifizierung nochmal zu googeln, aber ich meine mich zu erinnern, der umgebaute Inselbahnhof mit kürzeren Bahnsteigen wird künftig ein paar Meter vom dann ex-Empfangsgebäude (?) wegrücken, sodass der neue Querbahnsteig dann ungefähr da steht, wo jetzt das ausgesperrte Gleis ist. Bahnflächen sind ja bekanntlich vor allem dazu da, städtebaulich "entwickelt" zu werden. ;)
„Herr Otto Mohl fühlt sich unwohl am Pol ohne Atomstrom.“
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Re: Reiseerlebnisse mit der Bahn

Beitrag von GT6M »

Reiseerlebnis mit dem SEV RB87 von Donauwörth nach Augsburg-Oberhausen (15.08.22)

Als ich in Donauwörth aus dem RE8 (nur 1xET 440!) auf Gleis 3 von Treuchtlingen aussteige trifft mich anfangs der Schlag es wollen in die Gegenrichtung deutlich mehr Leute mit als der Zug Sitzplätze hat. Aber egal da wir mit +4 ankamen muss ich mich beeilen ich laufe zum Busbahnhof es stehen 4 Reisebusse da , die ersten zwei sind Schnellbusse ohne Halt nach Augsburg, der dritte Hält da wo sonst der RE8 hält und der vierte fährt 5 min. später über alle Unterwegsbahnhöfe. Das freundliche Fahrpersonal (2 Polen) empfängt mich gut gelaunt. Ich nehme den ersten Doppelsitz vorne rechts. Mir links gegenüber zwei Frauen. "Wo kommt her?"fragt der Beifahrer der unten auf dem Notsitz seinem Fahrer Anweisungen. Ich antworte aus dem Altmühltal, die Mädels antworte aus Rain am Lech ok und der Zug fährt nur bis Donauwörth und überhaupt nicht weiter? Nein fährt leider nicht weiter sage ich. Er schüttelt den Kopf und spricht vermutlich auf polnisch mit seinem Kollegen dann lacht er und sagt "Die Deutsche Bahn ist crazy, wir kommen mit unserem Bus aus Polen. Ich frage überrascht nach ihr oder auch der Bus. Nein nein auch Bus Firma ist bei Krakau. Ich bin überrascht haben nicht Polinische Firmen so einen schlechten Ruf des hier ist das Gegenteil die Fahrer äußerst Freundlich, der Reisebus bequem, sauber gar angenehm. Kurz vor Mertingen müssen wir zur SEV-Haltestelle eine enge 180grad kurve nehmen und berühren dabei Blätter eines Strauches die Fahrer lachen. Ankunft in Mertingen Fahrgastwechsel dann abfahrt nächster Halt Nordendorf kurz vor erreichen der B2 kommt ein Ehepaar Entschuldigung wo fahren sie eigentlich hin. Nach Augsburg ohh nein antwortet die Frau wir müssen nach Donauwörth was machen wir den jetzt die Fahrer unterhalten sich auf polnisch dann greift er zum Handy wir schauen was wir machen sagt er zu der Frau dann telefoniert er, polnisch ok ok schauen sie wir haben Vorschlag mein Bruder kommt gegenläufig wir halten zusätzlich für sie Ostendorf dann steigen um Kollege fährt Donauwörth. Ohh dankeschön jetzt bin ich Erleichtert sagt die Frau zu ihrem Mann und setzt sich wieder hin. Als wir in Ostendorf ankommen wartet der Kollege schon jetzt steigen aus Kollege Donauwörth Vielen Dank sagt die Frau. Dann fahren wir weiter Nächster Halt Meitingen da wir jetzt von Westen kommen und die Unterführung max. 3,2 dran stehen hat passen wir nicht durch deshalb Außenrum plötzlich kommt ein junges Girl vor wo halten sie in Meitngen der copilot anwortet wir fahren schon Meitingen aber wir müssen außenrum wir sind zu Hoch sonst kollidieren wir mit Tunnel. Aso sagt das Girl. Ich schaue auf die Uhr um 10.00 Ankunft prognostiziert in Augsburg-Oberhausen ohh wird knapp Auf der B2 Höhe Gersthofen fährt ein roter Bus auf der Gegenseite der Fahrer sagt Deutsche Bahn? dann lachen sie Setra sagt der Andere dann lachen sie, der Beifahrer schüttelt noch den Kopf kurz vor erreichen dann sagt er manchmal spinnt Bahn Deutsche. Anschließend mit kleiner Verspätung Ankunft in Augsburg Oberhausen der Beifahrer steigt aus um mich rauszulassen der hebt dir und sagt tschuss ich sage danke tschüss ich schaue aufs Kennzeichen und stelle fest der Bus ist tatsächlich aus Polen! dann zieht er auch richtung Augsburg Hbf weiter.

Wirklich eine sehr entspannte und angenehme Reise. Immer wieder gerne. Scheiss Vorurteile! Das war Gastfreundlichkeitund Höflichkeit an denen sich andere Unternehmen ein Beispiel nehmen sollten.
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