Polen 1980, Miedzyrzecz

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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guru61
Kaiser
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Beitrag von guru61 »

Am 7 April war der Reisetag nach Norden.

Über Breslau und Posen gings nach Zbasynek.
Unterwegs kaufte ich in Posen noch ein 100er Teleobjektiv.
Meine Edixa hatte noch Schraubgewinde. Daher war das möglich.
Das dazu nötige Geld erwechselten wir uns in einem Hinterhof.
Das Ganze kam uns ein wenig suspekt vor: Also machten wir das im Dreieck: Ich zählte die Franken und zeigte sie dem Wechsler. Er gab die vereinbarte Summe in Zloty Kaspar. Kaspar zählte und wenn er die korrekte Summe hatte, gab ich die Franken aus der Hand.
Funktionierte einwandfrei. Und wir bekamen dann noch einen Schnellkurs im Betrügen bei der Geldübergabe. Der Wechsler hatte offensichtlich Spass, seine Kenntnisse uns zu demonstrieren.


Der Zug von Posen nach Zbaszynek war sehr voll. Wir standen die ganze Fahrt. Damals, kurz vor der Solidarnosc, herrschte zwischen Polen und der DDR visafreier Grenzverkehr. Das wurde dann im Sommer 1980 schlagartig geändert.

In Zbaszynek suchten wir ein Hotel, fanden aber keines und mussten nach Zbaszyn ausweichen. Ein netter Herr fuhr uns im Auto dorthin.
Das Hotel, befand sich im Park der Zitadelle. Der Eingang sah so aus:

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Heute ist der Turm restauriert und ergänzt:
http://www.panoramio.com/photo/112455547?s...r=kh.google.com

Am nächsten Tag begaben wir uns nach Miedzyrzecz. Dort wollten wir P8 fotieren. Leider kamen wir zu spät: Die letzten Loks waren ein paar Wochen vorher abgestellt worden.
Sie rosteten im Depot vor sich hin. Teilweise war bereits mit dem Ausschlachten begonnen worden. Durch den Zaun sahen wir eine, deren Schilder am Führerhaus herunterhingen.
Hmm, Wenn-schon denn-schon: Fragen kostet ja nichts: Also, frech wie wir waren, versuchten wir dem Cerberus am Eingang des Geländes klar zu machen, was wir wollten: Ein oder 2 Lokschilder kaufen. Nach und nach wurden wir durch verschiedene Büros gereicht, bis jemand dolmetschen konnte.
Am Schluss waren wir im Büro des Meisters im Lokschuppen, und der winkte ab.
Ok, versucht haben wirs. Mann kann nicht immer gewinnen.

Der Dolmetscher begleitete uns hinaus. Am Zaun sagte er dann: „Wenn sie morgen gekommen wären, wäre das kein Problem gewesen, da wäre mein Cousin der Meister gewesen!“
Unsererseits kam dann natürlich die Frage, ob wir morgen wiederkommen könnten.
Es wurde dann eine Zeit abgemacht, wo wir uns treffen würden.

Nun war es schon weit über Mittag geworden, und wir gingen auf die Strecke. Aber irgendwie war die Luft draussen: 52 er und Tkt 48er kannten wir doch schon, und die Enttäuschung über die P8, hallte nach.

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Das einzig interessante war der Flugplatz, wo sich auch ein Oldtimer ablichten liess:

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Eine Antonov AN2! Eingesetzt als Agrarflugzeug. Unten am Rumpf ist die Sprühvorrichtung zu sehen.

Dann kam wieder der Güterzug. Dabei wurde das neue Tele ausprobiert!
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Und dank dem Tele war es möglich die beiden Oldtimer zusammen aufzunehmen.
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Der Erstflug des Flugzeugtyps war am 31. August 1947.
Die 52 wurden ab 1942 gebaut.
Wenn mir jemand damals gesagt hätte, dass ich 20 Jahre später mit so was fliegen würde, hätte ich ihn ausgelacht:
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Gruss Guru
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guru61
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Beitrag von guru61 »

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Kuba, 2. März 2000

Es schien, dass die Leistungen der Ok 1, P8, eben nun von 52 er übernommen wurden.
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Dementsprechend langsam wurde rückwärts auch gefahren.

Ja und die Schienen. Auf der Strecke trafen wir wirklich den schlimmsten Schienenstoss aller Zeiten:
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Den Gebrauchsspuren nach, war der schon einige Zeit so.

Dies ist auch das letzte Bild der Reise. Nachher traten Ereignisse ein, die uns nicht mehr zum fotographieren kommen liessen:

Am nächsten Morgen hatten wir uns pünktlich beim Bahnhof eingefunden zum Schilderkauf. Dieses Geschäft wurde dann aber im Heim des Schwagers des Verkäufers abgewickelt. Die Schilder waren aus Bronce und die geforderten 20 Mark für Beide, viel zu gering.
Wir haben ihm 100 Franken gegeben, mit denen er im Pevex Wodka kaufen ging. Er kam dann zurück, und sagte dass die Noten nicht angenommen würden. Achdugrüneneune: 1978 hatte die Schweiz eine neue Notengeneration eingeführt. Und den Borromoni wollten sie nicht annehmen, weil sie noch die alten Noten in ihren Unterlagen hatten. Wir gingen in den Pevex mit und konnen wenigstens den Verkäufer überzeugen, dass die Noten echt waren. Die 4 Flaschen Wodka hatten wir dann mit Dollars bezahlt.

Ja, und dann begann das Fest: Abends waren die 4 Flaschen leer und wir voll. Die Gastfreundschaft, die wir hier erleben durften, war wirklich schön. Wir durften mit Mühe am Abend nach Zbaszyn zurückkehren, mussten am höchsten Tag wiederkommen, und den letzten Tag und die Nacht bei Ihnen verbringen.
Geschlafen haben wir nicht viel.

Das Schild habe ich heute noch und es ziert meine polnische Ecke:
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Ja, der Rest ist einfach erzählt:
Am nächsten Tag gings mit Dieseltriebwagen bis nach Zielona Gora und dort nach Kattowitz, wo wir abends ankamen.
Als wir im Chopin einstiegen war schon der Zoll da. Türe schliessen, Schilder raus und unter die Matratze, Koffer schliessen, und schon klopfte es: Kontrolle.
Die Koffer mussten wir öffnen! Aber da wir nur eine oder 2 Minuten im Raum waren, reichte dies. Froh waren wir aber erst, als wir wieder in Österreich waren.

Ja, das waren die ersten Ferien im Osten.
Mich haben sie tief beeindruckt. Denn vieles was im Westen normal war, war da anders. Erst dadurch hat man sich die Mühe genommen darüber nachzudenken.

Etwas möchte ich noch mitteilen: Meinen Dank an Kaspar Kirchgraber: Er war es, der diese Reise eigentlich organisierte. Ich war mehr Mitläufer.

Ich habe ihn kennengelernt, am Abend des 27 August 1978, im Zug von Olten nach Zürich. Wir beide waren vom 120 Jahr Jubiläum des Hauensteins auf der Rückfahrt.
Kaspar, damals Elektromonteur Stift bei der EKZ, wurde später Lokführer, machte Reisen, um die halbe Welt, wechselte auf 16mm Film, und fand in den 90er Jahren in der Rettung der Waldbahn, Covasna – Comandau seine Berufung.
Wir haben es auch noch zusammen auf den Führerstand geschafft: Er als Führer und ich als Heizer.
Ja, ich habe mich in den 90er Jahren bei Urs Rüesch und seiner Lok „Muni“ beschäftigt, und Kaspar bei der erwähnten Waldbahn.
Wir verloren uns aus den Augen, sahen uns zwar noch hin und wieder an einem Jubiläum, aber gingen doch eigene Wege.

2008 habe ich dann die Nachricht erhalten, dass er gestorben ist. Das war ein Schock!
Die Waldbahn Comandau hat ihm einen Nachruf verfasst:
http://www.kisvasut.hu/view_cikk.php?id=817&lang=de

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Für mich bleibt er immer der begnadete Fotograf und Filmer:

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Gruss Guru 61
Gruss Guru
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