Rohrbacher hat geschrieben: ↑15 Feb 2023, 17:01
In der Praxis schaut's halt so aus: Man muss sich das E-Auto auch erstmal leisten können und wenn's hinten ein bisschen Platz haben soll, zack schon wieder ein SUV mehr auf der Straße.
Über dieses Argument stolpere ich irgenwie immer sehr überraschend. Ich hole mal ein bisschen weiter aus und versuche, auch ein paar andere "Contra-Argumente" aufzuräumen, die Du jetzt natürlich nicht explizit genannt hast, die ich aber gerade bei mir gedanklich in die gleiche Schublade stecke.
"Das kann sich doch keiner leisten. Mein alter Passat würde locker noch 100.000km laufen. Soll ich den jetzt morgen verkaufen für einen 40.000€ Neuwagen?"
"Die bauen ja nur die Luxus-Schlitten. Unter 50.000€ bekommt man ja eh nix"
"Die bauen ja nur die rießen Dinger oder kleine unnütze Micro-Autos. Aber einen sinnvollen Kleinwagen gibt es nicht"
Zuerst einmal das "Altes vs. Neues Auto"-Argument:
Das kommt oft von Leuten, die noch (fast) nie einen Neuwagen gekauft haben, sondern hauptsächlich günstige Gebrauchtwagen kaufen. Völlig legitim.
Aber es ist ja wohl ein bisschen unsinnig, den Preis für einen 10 Jahre alten Golf V mit 150.000km und ein paar Dellen mit einem neuen ID.3 vom Band zu vergleichen. Es wird auch keiner gezwungen, sich nächstes Jahr ein E-Auto zu kaufen. Man kann sich 2034 noch ein Neufahrzeug mit Verbrenner kaufen und auch 2045 noch einen Golf X mit 100.000km. Es wird lediglich die Erstzulassung in der EU ab 2035 verboten (und wahrscheinlich auch irgendwie EU-Reimporte, um Hintertürchen zu vermeiden).
Noch dazu ist es natürlich so, dass aktuell der Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos noch sehr überschaubar ist. In 10 Jahren wird das natürlich ganz anders aussehen und wenn der Gebrauchtwagen-Heinz das erste mal merkt, dass das Angebot an gebrauchten Verbrennern gesunken ist wegen dem Verbrenner-Verbot (nicht, weil die Leute sich eh schon mehr E-Autos kaufen), dann ist schon längst 2040.
Das "Luxus-Schlitten-Argument":
Die Umstellung auf modernen E-Antrieb ist für die Automobilindustrie eine Frage von Forschung und Entwicklung. Und Forschung und Entwicklung kostet Geld. Das Geld dafür muss man sich irgendwo wieder rein holen und dazu muss man es irgendwo aufschlagen. Und das macht man eben bei den teuren und teuersten Autos. Und damit Käufer, die unbedingt dieses neue Feature haben wollen, auch wirklich viel Geld dafür ausgeben, kommt es am Anfang eben erst mal ausschließlich in den hochpreisigen Kategorien. Das war schon immer so und ist auch beim E-Auto so.
Beispiele hierfür gibt es genug: ABS, ESP, Xenon-Licht, Laser-Licht, Rückfahrkamera, Spurhalteassistenz, usw.. Eine Liste, die sich wahrscheinlich unendlich fortführen lässt. Ohne jedes Beispiel einzeln nachgeprüft zu haben, würde ich behaupten, dass 95% dieser Neuerungen zuerst in der jeweiligen Oberklasse eines Herstellers eingeführt worden ist (für einen hohen Aufpreis). Danach kommt es nach und nach in der Mittelklasse, dann Einstiegsklasse (immernoch gegen einen - nun geringeren - Aufpreis), schließlich wird es Serie und schlussendlich wird es von der EU als Pflicht für Neuwagen eingeführt. Beispiele gefällig? Seit 2022 sind in der EU folgende Assistenzsysteme bei Neuwagen Pflicht: Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, Geschwindigkeitsassistent, Notbremslicht, Unfalldatenspeicher (auch als "ereignisbezogene Datenaufzeichnung (Black-Box)" bekannt, Müdigkeits- und Aufmerksamkeitswarner, Rückfahrassistent, Reifendrucküberwachung und Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre. Stell euch mal vor, vor 12 Jahren, also 2010, wäre durch die Medien gegangen, dass alles das Pflicht für Neuwagen wird. Und dann stellt euch vor, was zu dieser Zeit ein Fahrzeug mit all diesen Systemen gekostet hat. Dann sind wir wieder bei dem Vergleich vom 5000€ Gebrauchtwagen mit dem 70.000€ Neuwagen.
Im Endeffekt passiert nur das, was zuletzt meistens bei Auto-Neuigkeiten passiert ist: Wenn die Sachen sich eh etabliert haben, werden sie halt zur Pflicht. In diesem Fall ist die Ankündigung halt schon so weit im Voraus (12 Jahre, das muss man sich mal vorstellen, das ist für die meisten mehr als ein Fahrzeugleben). Das schafft für alle Planungssicherheit: Automobilindustrie, Zulieferer, Fuhrparkmanager, Tankstellen, Mietwagenfirmen, usw. usw..
Das "SUV"-Argument:
Ein Grund dafür ist das oben genannte. SUVs sind mittlerweile eben oft die teuren Prestige-Modelle der Hersteller. Aber es gibt natürlich auch noch einen weiteren Grund.
Die Batterie-Technologie ist noch mitten in der Weiterentwicklung. Das Problem ist immernoch, dass die Dinger einfach groß und schwer (und teuer) sind. Das lässt sich einfach nunmal leichter in einem aufgebockten SUV unterflur verbauen, als in einem eben gebauten Familien-Kombi mit Ersatzrad-Mulde.
Abgesehen davon gibt es ja schon von fast allen Herstellern ungefähre Startzeitpunkte für kleinere Modelle. BMW hat z.B. elektrische Mini, 1er, 3er und 5er für die nächsten 3 Jahre angekündigt. Man muss sich halt nur etwas gedulden.
Alles in allem finde ich die Ankündigung für 2035 einfach nur sehr weitsichtig. Sie schafft einfach extrem früh Planungssicherheit für die gesamte Industrie und auch für die Kundschaft.
Man könnte sich ja auch mal überlegen, was die Alternative wäre: die FDP hält mit Rückendeckung von der Union an der E-Fuel-Saga fest. Die Hersteller planen weiterhin mit guten Absatz-Zahlen bei den Verbrennern und bieten fleißig Produkte an. Die Kunden kaufen sie, weil sie weiterhin skeptisch sind, weil genau diese FDP und Union (AfD will ich gar nicht beachten..) weiterhin eben diese Skepsis schüren.
Dann irgendwann kommt der Moment, wo die ersten E-Fuels an die Tankstellen kommen. Wegen dem extrem schlechten Wirkungsgrad bei der Herstellung wird der Liter mehr als das Doppelte von Benzin oder Diesel kosten. Kein Mensch kauft sich E-Fuel, alle fahren mit dem Fossil-Stoff weiter.
Dann kommt 2035. Neuwagen dürfen nicht mehr das billige Zeug tanken. Ich sehe es schon vor mir, die FDP und Union führt genau die gleiche Debatte wie diesen Herbst/Winter bei Spritpreisbremse und bei Atom-Verlängerung: Fossile Brennstoffe müssen weiter noch erlaubt bleiben, weil der arme Pendler sich das nicht leisten kann. Oder die E-Fuel-Preis-Bremse mit einer 80-prozentigen Subvention durch den Staat, was die dann noch als Umweltschutz verkaufen wollen würden