Es ist doch immer wieder spannend, zu sehen, welche Diskussionen hier so entstehen.
Man spricht auch bei Bussen von Zugfolgezeit, zumindest habe ich noch nie einen anderen Begriff in diesem Zusammenhang gehört. Meine Anmerkung zu dieser Aufgabe wurde anstandslos akzeptiert.
Aber interessant, welche Vielfalt an Schienenbussen es gibt...
Tag 1 Dresden -> Malmö
Eigentlich wollte ich mich in den Ex-ÖBB-Abteilwagen setzen, doch der Klimaanlage defekt-Zettel hält mich davon ab. Eine mittelalte Frau mit dunkler Sonnenbrille sitzt im Großraum-Sechser des Rollstuhlwagens, ich setze mich gegen die Fahrtrichtung dazu. Fahrkartenkontrolle. „Sagen Sie mal, wird dieser Zug nicht gereinigt?“, will die Frau wissen. „Wieso, ist es denn so dreckig hier?“ „Ja schauen Sie mal das Fenster an.“ Es sieht so aus, als hätte sich jemand mit fettigen Haaren angelehnt und das Resultat mit den Fingern verschmiert. Da habe ich aber wirklich schon Schlimmeres gesehen. Highlight war wohl das zwischen den beiden Fensterscheiben eines 650er schwappende Wasser inklusive Algenbewuchs. „Naja, der Zug kommt alle paar Monate mal in die Grundreinigung. Aber für jedes Mal Fenster putzen ist keine Zeit, nur der Müll wird eingesammelt.“ „Also bei diesen Preisen der Bahn...“ Ein Kribbeln in meiner Nase. Auf diese Aussage bin ich schrecklich allergisch. Ich finde 0€ für Dresden-Puttgarden einen durchaus akzeptablen Preis. Das scheint sie zu wurmen. „Was wollen SIE überhaupt??? Steigen ein und sagen nicht mal Guten Tag. Ich dachte, vielleicht können Sie die Sprache nicht.“ „Sind Sie jetzt bald fertig?“, meint die Zub leicht genervt und gibt mir die bahn.bonus-Freifahrkarte zurück. Dass eine Woche später der Sparpreis Aktion rauskam und ich 14,25€ bezahlt hätte, muss ja niemand wissen.
Auf der weiteren Fahrt herrscht Funkstille. Der in Dresden noch völlig klare Himmel geht bald in dichten Nebel über, der den Eindruck einer minimalistischen Landschaft noch zusätzlich verstärkt.
Später folgen einige Kiefernwälder, die sich mit Feldern abwechseln. In Falkenberg scheint wieder die Sonne, nur einige Schleierwölkchen schmücken den Himmel.
Zwei Männer wollen durch den Zug gehen und drücken auf den Türöffner. Im Schneckentempo kriecht die Tür beiseite. Anschließend schließt sie nur halb und geht in der nächsten Kurve wieder komplett auf, was sie dann auch bleibt. Mit -5 erreichen wir Berlin Südkreuz und nach dem Abwarten der Verfrühung bald darauf auch pünktlich den Hbf.
Fünf Rolltreppen später erreiche ich den Bahnsteig, von dem der ICE nach Kopenhagen abfährt. Obwohl es nur noch fünf Minuten bis zur planmäßigen Abfahrtszeit sind, steht dort noch ein leicht verspäteter RE. Das charakteristische Geräusch der 481er erfüllt die Bahnhofshalle. Bei aller architektonisch ansprechenden, offenen Bauweise hat man wohl nicht bedacht, dass die ganzen Fahrgäste auch irgendwo warten müssen. Da die Gleise scheinbar im Blockabstand belegt werden, stehen Fahrgäste für mehr als einen Zug am Bahnsteig. Um sich zu bewegen, hat man keine andere Wahl, als den Sicherheitsstreifen zu übertreten.
Kurz nachdem der RE verschwunden ist, kündigt Blechelse auch schon die Einfahrt des ICE, der vordere Zugteil nach Aarhus, der hintere nach Kopenhagen. Vorsichtig rollt er an den Bahnsteig.

Das Vibrieren eines Dieselmotors im ICE zu spüren ist dann doch recht ungewohnt. Mist, ziemlichen Wandfensterplatz, den ich da reserviert habe. Mit lautem Gedröhne setzt sich die Dotra 605er in Bewegung. Das unangenehme Geräusch kann problemlos mit dem Großraum eines 612er mithalten. Es sind noch viele Plätze frei und ich schaue mich ein wenig um. Im ganzen Zug verkünden die Reservierungsanzeigen „last minute“, was natürlich wenig hilfreich ist. Es ist nicht überall so laut, einige Meter weiter im selben Wagen ist es sogar ziemlich ruhig. In der Lounge ganz vorne ist noch ein Zweier frei, da ich keine Mobil entdecken kann, muss der aufgeklappte Tisch und die Jacke als Besetztzeichen für meinen reservierten Platz ausreichen. Beim Umziehen in die Lounge stolpere ich fast über einen 10 cm hohen Podest, auf dem sich der freie Zweier befindet. Hier ist das Dröhnen des Dieselmotors nur leise im Hintergrund zu hören, ansonsten unterscheidet sich das Fahrgefühl bei 200 km/h nicht von einem elektrischen ICE. Ich genieße die völlig flache Landschaft, Wälder, Wiesen und Äcker wechseln sich ab. In Friesack steht ein Dosto-IC am Bahnsteig. Zu schade, dass ich im hinteren Zugteil bin.
In Hamburg erscheinen schließlich die Reservierungen – alles komplett ausreserviert. Ich ziehe wieder an meinen ursprünglichen Platz zurück. Pünktlich schließen sich die Türen, der Diesel dröhnt und... nichts passiert. Zugkraft wieder auf 0, neuer Versuch. Nichts. Es fühlt sich so an, als würde man versuchen, mit angelegten Bremsen loszufahren.
Die Türen werden wieder geöffnet, einige Nachzügler steigen im Laufe der nächsten Minuten zu. Wegen technischem Defekt verzögert sich die Weiterfahrt.
Ein Mitarbeiter steigt ein und öffnet die Tür auf der falschen Seite, was diese mit einem ohrenbetäubenden Piepen quittiert. Glücklicherweise steigt er nach einer Minute wieder ein, schließt die Tür und das Piepen verstummt. Mittlerweile sind wir bei +10.
„Die Zugteile hängen noch zusammen, wir versuchen sie derzeit zu trennen. Daher bitten wir noch um etwas Geduld.“ Das Ganze nochmal auf Dänisch, dann auf Englisch.
+15. „Der Zugteil nach Aarhus ist jetzt abgefahren, aber es ist ein weiteres technisches Problem aufgetreten.“
In Hamburg ist eine mittelalte Frau eingestiegen, vermutlich mit ihren Eltern, die schon über 80 und recht wacklig auf den Beinen sind und einer etwa 17 Jahre alten Tochter, die den Platz neben mir reserviert hat und nun auch den Durchsagen lauscht.
+20. Die Frau, offensichtlich regelmäßig unterwegs und gut im Organisieren, meint: „Irgendwie befürchte ich, dass wir aussteigen müssen.“ Ich habe auch kein gutes Gefühl bei der Sache.
+25. „Dieser Zug ist defekt, wir können damit keine Zugfahrt durchführen. Bitte benutzen Sie den RE nach Lübeck.“ Der fährt in knapp 10 Minuten ab, die Fahrgäste strömen zum anderen Gleis.
Ohoh. Nur 3 Dostos und schon ziemlich gut gefüllt. Ich kämpfe mich durch die Türblockierer in das obere Stockwerk, auf einem Vierer stapeln sich auf zwei Sitzen Gepäck. Das kommt ja wie gerufen. Und immer wieder dieselbe Antwort auf meine Bitte, wenigstens einen Sitz freizuräumen. „Und wohin soll ich das Gepäck tun?“ Komisch, für meinen nicht gerade kleinen Koffer habe ich problemlos einen Platz zwischen den Sitzen gefunden. Die kleinen Gepäckstücke würden problemlos unter die Sitze passen, doch der Mann mit schwäbischen Klang in der Stimme steht lieber auf und überlässt mir seinen Sitzplatz. Soll mir recht sein und ist auch nicht das erste Mal.
Bei der Abfahrt stapeln sich die Leute im Türbereich und an der Treppe, sodass die Tür fast nicht zugeht. Der Gang im Obergeschoss dagegen ist fast komplett leer.
Der nun stehende Mann rätselt mit seinen drei schwäbischen Bekannten, wie sie denn in Bad Oldesloe nur aus dem Zug kommen sollen.
Irgendwie quetschen sie sich durch und die fünf freigewordenen Sitzplätze werden gern angenommen. Es sind Flüchtlinge, die wohl schon etwas länger unterwegs sind. Jedenfalls riechen sie nicht besonders angenehm. Der Familienvater um die 50 ist recht gut gekleidet, während seine vier Söhne im Alter von zehn bis Mitte zwanzig ihre T-Shirts und Jeans wohl schon seit Wochen nicht mehr gewechselt haben. Er erkundigt sich bei einem anderen Fahrgast auf Englisch, ob das wohl der richtige Weg nach Malmö sei. Der bejaht und erklärt ihm, in Lübeck auszusteigen. Das tun ohnehin alle, erstaunlich, wie viele Menschen in drei Dostos passen. Ich gehe erst mal zur DB Information, denn es gab bisher noch keine Hinweise zum weiteren Reiseverlauf. Dort bestätigt sich meine Vermutung. In Kürze wird ein Ersatzzug bereitgestellt.
Und tatsächlich rollt wenige Minuten später einer an den angekündigten Bahnsteig. Die mittelalte Frau fragt mich, ob das nun der Ersatzzug sei. Na klar. Gleich mal ein Lob für die Bahn: Die Wagennummern sind gleich und die Reservierungen korrekt angezeigt.
Mit +59 fahren wir ab, die Geräuschkulisse ist in diesem Zug noch schlimmer. Im bestimmten Geschwindigkeitsbereich hört er sich wie ein Hubschrauber an. Es dauert nicht mehr lange, dann kommt das Meer in Sicht. Im Laufe der nächsten Zeit werde ich mich nur noch kurzzeitig davon entfernen.
„Ich habe schon einige Nachrichten überbracht und auch jetzt sind es leider keine Guten“, ertönt es aus den Lautsprechern. Alle warten gespannt auf die nächste Hiobsbotschaft. „Da die Fähre einen Defekt hat, kann kein Zug entladen werden. Daher fährt dieser Zug zurück nach Hamburg. Alle Fahrgäste gehen bitte über die Fußgängerbrücke auf die Fähre und in Rödby wieder über die Brücke von Bord. Dort wartet im Bahnhof ein Zug nach Kopenhagen.“ Dann das Ganze auf Dänisch und auf Englisch. Ziemlich viel Englisch für die DB. „Oh ja“, bestätigt auch das Mädchen neben mir grinsend. Wir verabschieden uns zum zweiten Mal. Ein Mann reicht mir spielend meinen Koffer über die Sitzreihe. „Oh, der ist ja schön leicht.“ Das höre ich zum ersten Mal. Und so wenig habe ich auch wieder nicht drin. Dem gebrechlichen Opa hilft die Zub beim Aussteigen, am Bahnsteig übernimmt dann Fährpersonal. Bravo, so sollte es sein.
Seeluft schlägt mir entgegen, statt Tauben sitzen Möwen auf den Laternen.
Pünktlich legt die Fähre ab, der frische Wind vertreibt das sich allmählich bemerkbar machende Kopfweh.
Eine Dreiviertelstunde später gehen alle in Rödby von Bord und begeben sich zum einzigen, fast einen Kilometer langen Bahnsteig. Abgesehen von einer Gumminase auf dem Abstellgleis ist weit und breit kein Schienenfahrzeug erkennbar.
Ein DB-Mitarbeiter, der wie sich später herausstellt, für das Bordbistro zuständig ist, wirkt ziemlich ratlos und führt einige Telefongespräche. Die wenigen Fahrgäste, die so weit nach vorne gelaufen sind, werden schließlich aufgeklärt. In etwa 15 Minuten soll ein Zug aus Kopenhagen ankommen, der dann wieder zurückfährt. Tatsächlich nähert sich bald ein 605er.

Alle steigen ein und suchen wieder ihre Plätze. „Meine Tochter freut sich schon auf Sie“, meint die Frau.
Doch wir fahren nicht ab. „Bitte beachten Sie: Dies ist der ICE 37, Abfahrt 18:10 Uhr.“ Also noch etwa 20 Minuten bis zur planmäßigen Abfahrtszeit des zwei Stunden späteren Zuges. Hoffentlich kommt jetzt nicht gleich die nächste Ladung Fahrgäste von der Fähre und will ihre reservierten Plätze haben...
Kurz vor der Abfahrt kommt eine einstellige Fahrgastzahl von der Brücke und steigt ein. Zum Zeigersprung schließen sich die Türen und wir setzen endlich unsere Fahrt fort. Nochmal gutgegangen. „Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie im ICE 37 nach Kopenhagen. Ich weiß, dass die meisten von euch jetzt zwei Stunden Verspätung haben.“ Dem dänischen Zub fällt ein, dass man sich in Deutschland im Gegensatz zu Skandinavien nicht grundsätzlich duzt. „Wenn Sie Anschlüsse benötigen, helfe ich Ihnen gerne.“
Ein Fahrgast muss nach Stockholm, den letzten Zug wird er nicht mehr erreichen. Doch das Problem ist, dass er am nächsten Morgen schon weiter in den Norden fährt. Der Zub macht wenig Hoffnung, dass es im Nachtzug am Freitagabend noch freie Plätze gibt.
Doch schon wenige Minuten später kommt Entwarnung. Die noch vorhandenen Plätze im Nachtzug wurden reserviert, diese können jedoch nur am Schalter am Flughafen abgeholt werden.
Das Kopfweh macht sich wieder bemerkbar, während wir durch weite Felder brausen. Die Sonne nähert sich langsam dem Horizont. Meine Sitznachbarin liest die ganze Zeit, für einige Minuten widmet sie sich den Symmetrieachsen von Parabeln.
Mit zwei Stunden Verspätung erreichen wir endlich Kopenhagen, zwei Gleise weiter steht der Öresundzug. Ich gehe über die Brücke, da pfeift es und er fährt ab. Egal, in zehn Minuten kommt der nächste. Der ist fast ganz leer, die Auslastung beträgt unter 10%. Erst am Flughafen füllt sich der Zug etwas. Nach einigen Tunnelabschnitten fahren wir unter den Öresund. Der erste Teil der Querung führt durch einen Tunnel, dann folgt eine künstliche Insel, an die dann eine Brücke anschließt. Oben fließt der Straßenverkehr, unten der Eisenbahnverkehr. Allmählich senkt sich die blaue Stunde über das Meer, der Mond scheint hell.
Nach sieben Jahren Bauzeit wurde die Öresundverbindung im Jahr 2000 eröffnet. In Dänemark waren bereits einige Schilder zu sehen, die auf den Ausbau der Strecke Kopenhagen – Rödby inklusive Elektrifizierung hinweisen. Auf dem Hafengebäude in Puttgarden dagegen hängt ein riesiges Plakat gegen die feste Fehmarnbeltquerung. Willkommen im NIMBY-Land.
Nach dem Verlassen des 605er legt sich mein Kopfweh wieder und mit +119 erreiche ich nach zwölf Stunden Fahrt mein erstes Etappenziel. Allmählich habe ich dann doch genug, auch wenn die Fahrt recht kurzweilig war und es einiges für die Kategorie „Lob für die Bahn“ zu vermerken gab. Ich verlasse den unterirdischen Bahnhofsteil über die falsche Treppe und lande auf einem Parkplatz. Nach dem Durchqueren des modernen Anbaus an das Empfangsgebäude trifft mich fast der Schlag. Wegen dem letzten Abend des Malmö-Festivals sind Fahrgeschäfte aufgebaut, auf mehreren Bühnen wird Musik gespielt und die Straßen sind so voll, dass ich kaum vorwärts komme. Der zentral gelegene Stortorget ist übersät mit Glasscherben, Müll und Dosen. Letzteres machen sich einige Pfandgutsammler zunutze und tragen riesige Säcke voll Dosen auf dem Rücken herum. Hoppla, ist das etwa eine Tram, die sich da durch das Gewusel kämpft? Hat Malmö etwa in den paar Tagen seit meiner Recherche eine geplant, gebaut und eröffnet? Nein, ist bloß ein Doppelgelenker von VanHool mit entsprechendem Design.
