Sprachprobleme, Triebwagen und Umspurungsanlagen

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
Muffo1234
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Beitrag von Muffo1234 »

Tag 5 Košice -> Lemberg

Pünktlich rollt der Bus an die Haltestelle.
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Leider ist es kein Obus. Die Zukunft dieser Form der Elektromobilität ist völlig ungewiss. Derzeit ist der Obusbetrieb komplett eingestellt. Wer Slowakisch (oder Google Übersetzer bedienen) kann, dem hilft vielleicht das hier weiter: Link
Möglicherweise ist die Beschaffung von Duobussen angedacht. Link

Einen Augenblick später sind wir auch schon am Bahnhof. Da wir noch jede Menge Zeit haben, tritt die Kamera gleich in Aktion.
Auf dem Bahnhofsplatz gibt es eine für Karussellfahrten geeignete Wendeschleife.
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Bevor wir die elfeinhalbstündige Etappe in Angriff nehmen, wird noch ein Blick auf die Knödelpresse an der Zugspitze geworfen.
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Dann begeben wir uns zum Kurswagen Prag – Kiev, welcher von der UŽ gestellt wird und eine große Anzahl an Ländern bereisen kann.
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Gehe ich recht in der Annahme, dass NS = Niederlande, R = Russland, TC = Türkei?

Wortkarg nimmt der Schaffner unsere Fahrkarten entgegen, führt uns zu unserem Abteil und händigt uns eingeschweißte Bettwäsche aus.
Diese wird von mir bald zur Kreuzstütze umfunktioniert, weil mein Rücken schon schmerzt, ehe wir Košice vollständig hinter uns gelassen haben.
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Schutzeinrichtung vor unbeabsichtigtem Ziehen der Notbremse in schlaftrunkenem Zustand
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Mit äußerst stabilem Sicherheitsglas ist unser Abteil ausgestattet. Um es zu zerschlagen, braucht man ein mehrere Tonnen schweres Fahrzeug.
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Es riecht nach Kraut, der holzvertäfelte Wagen ist ein Stück Eisenbahnromantik.
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Klotzbremsen bringen den Wagen an jeder Station zum Halten, denn wir hängen am Bummelzug nach Čierna nad Tisou. Zuerst rattern wir durch Hügellandschaft, am Horizont zeichnen sich einige höhere Berge ab. Hagebutten hängen in voller Reife an den Sträuchern entlang der Strecke. Einige Fahrgäste verlassen den Zug an jedem Sandhügel. Ukrainische Volksmusik dudelt aus dem Lautsprecher im Nachbarabteil und mischt sich mit den Klängen von Popmusik aus einem Smartphone.
Und immer weiter bringt uns der Zug nach Osten, Cierna entgegen.
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Irgendwann kommt der übergewichtige Ersatzschaffner im Schlafanzug und Badelatschen vorbei und sagt: „Pass.“ Wir kramen im Rucksack und noch bevor wir sie komplett herausgezogen haben, meint er: „Deutsch.“, hakt irgendetwas auf einer Liste ab und verschwindet wieder.
Die Landschaft wird flach wie ein Brett und schließlich erreichen wir nach knapp zwei Stunden den riesigen Bahnhof des beschaulichen Ortes im äußersten Südosten der Slowakei, 95 km von Košice entfernt.
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Muffo1234
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Beitrag von Muffo1234 »

Die beiden Schlafwagen aus Prag und Bratislava werden an andere Wagen umgesetzt und wir setzen die Fahrt fort. Im eingezäunten Niemandsland werden die Pässe kontrolliert.
Eine Dreiviertelstunde später rollt der Zug wieder an. Noch ehe wir die Grenzsteine entdecken, spüren wir es am Gleiszustand, dass wir die Ukraine erreicht haben. In Fahrradgeschwindigkeit holpern wir unter wütendem Kreischen und Quietschen weiter.
Die Häuser wirken deutlich schlechter instandgehalten und die Autos sind im Schnitt mindestens zwanzig Jahre älter als in der Slowakei.
Nach dem Halt in Tschop werden wir von den Grenzpolizisten nach dem Ziel unserer Reise gefragt. „Lviv.“ Unsere Pässe werden eingesammelt und die Wagen eine halbe Stunde durch den Bahnhof rangiert. Der Vorgang endet schließlich in der Umspurungsanlage. Alle Fahrgäste telefonieren, vermutlich, weil sie jetzt endlich wieder in ihrem Heimatnetz sind.
Obwohl der Himmel etwas bewölkt ist, wird es im nicht klimatisierten Wagen mit lediglich Klappfenstern schnell unangenehm heiß. Die Außentüren werden aufgestellt und einige Raucher spazieren telefonierend im Bahnbetriebsgelände herum.
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Die letzten Bolzen zur Verbindung des Wagenkastens mit dem Drehgestell befinden sich im Schaffnerabteil.
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Anschließend werden die gelösten Drehgestelle mit einem Seilzug weggezogen.
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Nach getaner Arbeit pausieren die Eisenbahner unter der Laube.
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Nach mehr als anderthalb Stunden werden wir endlich wieder an den Bahnsteig rangiert und wir bekommen die Pässe samt Stempel wieder. Der Morgen hat in Košice warm aber bewölkt begonnen, inzwischen brennt die Sonne wieder. Unser Abteil mit nur dem geöffneten Klappfenster ohne Fahrtwind in eine Sauna verwandelt und ich schnappe als Erstes frische Luft. Viele andere Fahrgäste tun es mir gleich. Wir haben noch etwa zwanzig Minuten Aufenthalt, wie mir der Schaffner in einer Mischung aus Englisch und Finger-auf-die-Uhr-zeigen mitteilt.
Der Zug ist so lange, dass kein Ende zu sehen ist. Man beachte den Unterschied zwischen dem mitteleuropäischen und dem Breitspur-Lichtraumprofil.
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Pünktlich auf die Sekunde rollt der Zug an, rumpelt in Fahrradgeschwindigkeit über das endlose Gleisvorfeld und nimmt schließlich etwas Fahrt auf. Müllhaufen liegen am Bahndamm, manche kokeln vor sich hin. Immer wieder passieren wir Bahnhöfe mit riesigen Gleisanlagen, die aber nicht mehr genutzt werden. Reisen in Osteuropa entschleunigt, wie Muffo anmerkt. Mit geschätzt maximal 80 km/h fährt der Zug durch unendliche Weiten. Ab und zu grast eine Kuhherde in der endlosen Steppe, stets gut bewacht durch einen Schäfer mit Hund. Ansonsten ist da nichts, die Bevölkerungsdichte ist in der Ukraine mit 71 EW/qkm nochmal deutlich niedriger als in der Slowakei mit 111 EW/qkm. Die inmitten der armseligen Behausungen tiptop herausgeputzen Kirchen bilden einen beißenden Kontrast.
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In Volovez machen sich die Raucher bereit zum Aussteigen. Ein klares Indiz für einen Aufenthalt, den ich natürlich zu nutzen weiß. Wir bekommen eine Vorspannlok für die anstehende Karpatenquerung.
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Ich versuche, den Schaffner zu fragen, wie viele Wagen der Zug wohl hat, doch er versteht es nicht und scheint auch nicht besonders interessiert an einem Gespräch zu sein.
Mit einem hellen Pfiff kündigen die beiden mächtigen Loks die Weiterfahrt an.
Als Entenfang das Abteil wieder betritt, merke ich an, dass die osteuropäischen Staaten es nicht so mit Aerodynamik haben. Die Loks sind eher Schränke auf Rädern. Ein Scheunentor hat wohl etwa den gleichen Luftwiderstand.
Als wir einen Bahnhof passieren, erhasche ich einen Blick ins Stellwerk. Dort kann ich die Rotausleuchtung unseres Zuges verfolgen. Jetzt wird mir auch die Bedeutung der ganzen weißen Kabel zwischen den Gleisen klar. Es handelt sich wohl um Gleisstromkreise.

Auf den Feldern sieht man keine Traktoren, sondern die Familie mit Hacke und Spaten. Die Straßen sind in ziemlich schlechtem Zustand und die Halbschranken werden von Fußgängern ignoriert.
Der endlose Zug windet sich immer höher durch die atemberaubende Berglandschaft der Karpaten.
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Muffo1234
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Beitrag von Muffo1234 »

Allmählich nimmt die Zahl der Häuser ab und die Strecke führt durch dichten Wald. Wohlig kühle Luft strömt durch das Klappfenster herein. Kadongkadong. Nur einsame Feldwege kreuzen ab und zu die Gleise. Kadongkadong. Die Schienenstöße singen ihre eigene Melodie. Vermutlich können die an Brücken und Tunnels in der Einsamkeit wachenden Soldaten sie aber nicht hören.
Wir durchfahren einige Tunnels, die Geschwindigkeit ist ziemlich langsam. Nach mehr als acht Stunden Fahrt bekomme ich ein völlig anderes Gefühl der Zeit. Noch drei Stunden zu fahren? Das ist doch nicht mehr lange…
Ein Tunnel wird neu gebaut und an beiden Portalen erstreckt sich eine Großbaustelle.
Am nächsten Halt in Lavočne strömen die Raucher bereits wieder nach draußen. Die Vorspannlok wird abgehängt.
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Ein Kind bettelt erfolglos die rauchenden Menschen auf dem Bahnsteig an, ein Fahrgast erkundigt sich nach meiner Kamera. „Skolka stoit?“ Ein anderer Mann übersetzt, doch ich habe schon verstanden. Meine Mitbewohnerin mit russischen Wurzeln hatte mir vor der Abfahrt noch die Worte „Das Wichtigste in Russland: Skolka stoit? – Was kostet das?“ mit auf den Weg gegeben.

Während sich allmählich die Nacht über der Ukraine ausbreitet, leuchten Lagerfeuer auf. Ihr Geruch zieht durch das gekippte Fenster. Auf dem Gang stinkt es nach Zigarettenrauch, da Schaffner und Ersatzschaffner im Vorraum qualmen. Kadongkadong. Der Rhythmus der Schienenstöße zeigt sich völlig unbeeindruckt von der ukrainischen Volksmusik, die inzwischen auch in unserem Abteil dudelt, während wir die Karpaten im Dunst des Abends hinter uns lassen und wieder Fahrt aufnehmen.

Etwas schneller bringt uns der Zug durch die pechschwarze Nacht, es hätten nur Minuten sein können, dabei sind schon wieder über zwei Stunden vergangen, als die Lichter Lembergs vor dem Zugfenster erscheinen. Der Schaffner gibt uns die Fahrkarten zurück, wir packen unser Gepäck zusammen. Mit +2 hält der Zug am Bahnsteig. Die über elf Stunden lange Fahrt kommt mir gar nicht lange vor. Der Rücken schmerzt zwar trotz der als Kreuzstütze verwendeten Decken mittlerweile, aber ich hätte auch noch locker zwei Stunden weiterfahren können. Was wir wirklich vermissen ist ein Speisewagen. Er hätte die Fahrt viel angenehmer gemacht.

Dingdangdong. Passenger train number zero eight one Užgorod – Kiev has arrived on platform sree. Car numbering starts at se chead of se train. Exits are located in se tunnel. Welcome to Lviv!

Der Lemberger Bahnhof ist beeindruckend und ich ziehe sogleich mein Stativ hervor. Am Gleis gegenüber steht ein moderner Triebwagen von Hyundai als IC aus Kiev. Ich laufe drei Wagen bis vor die Lok, doch die pfeift schon und rangiert mit dem Kurswagen Budapest – Lemberg davon. Das Schlusslicht besteht hier immer aus drei roten Lampen.
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Wir verlassen den Bahnhof durch die Unterführung, auf dem Vorplatz herrscht auch zu später Stunde noch viel Trubel. Ärgerlicherweise ist bei der Tram schon etwa um 22 Uhr Betriebsschluss, also bleibt uns keine andere Wahl, als ein Taxi zu nehmen. Die Erfahrung zeigt, dass man zwischen Abzockern und Halsabschneidern wählen kann. Unsere Vermieterin hat uns einen Fahrpreis von etwa 2€ genannt. Ich rechne schon mit 50% Tourizuschlag und spreche einen älteren Herrn mit einem etwa 30 Jahre alten Passat an. Dem Mann fehlen schon ein paar Zähne. Er will 100 Grivna (knapp 4€) für die etwa fünf Kilometer lange Fahrt. Er lässt nicht mit sich handeln und ich habe auch keine rechte Lust auf lange Diskussionen. Wir sind hungrig und wollen endlich ankommen, also willige ich ein. Flugs ist der Koffer verstaut, der Fahrer öffnet die Türen von innen und wir springen auf die Rückbank. Selbstverständlich gibt es dort keine Sicherheitsgurte. Das Radio dröhnt auf voller Lautstärke, als der Fahrer den Motor anlässt und wir in dichtem Verkehr über eine holprige kopfsteingepflasterte Hauptstraße vom Bahnhofsplatz wegfahren. Irgendeine Tram fährt zu dieser Zeit doch noch. Auf den Gleiszustand bin ich wirklich gespannt. Mit reichlich wildem Fahrstil, waghalsigen Überholmanövern und knappen Passieren von Fußgängern brausen wir durch das nächtliche Lemberg. In einer ruhigeren Straße drückt er kräftig aufs Gas. Das betagte Fahrzeug holpert über das Kopfsteinpflaster. Laut Tacho sollen es nur 50 km/h sein, aber es fühlt sich viel schneller an. Zu den 450.000 km kommen noch ein paar dazu, der Fahrer überholt wild einige gemächlich fahrende Autos. Als Fußgänger muss man hier wirklich höllisch aufpassen. Als wir allmählich wegen der Länge der Fahrt beginnen, nervös zu werden, erkundigt er sich nach der Hausnummer und wenige Augenblicke später halten wir in einer Parkbucht in einer ziemlich heruntergekommenen Straße. Ich drücke dem Mann zwei 50 Grivna-Scheine in die Hand und wir verschwinden im stockfinsteren Innenhof des schäbigen Gebäudes. Da wir unsere Vermieterin auch nicht im nächsten Innenhof des weitläufigen Gebäudes entdecken, rufen wir sie an. Wenige Minuten später führt sie uns durch ein heruntergekommenes Treppenhaus in den zweiten Stock und über einen Balkon in eine moderne Wohnung.
Während sich Muffo an die Zubereitung des Abendessens macht (Was gibt es bei Studenten, wenn sie hungrig sind und es schnell gehen muss? Richtig, Nudeln mit Tomatensoße. Alle Zutaten haben wir in Košice eingekauft und sorgfältig im Koffer verstaut.) gehe ich mit der Vermieterin unsere Wasservorräte auffüllen. Der nächstgelegene Geldautomat will bei einem Maximalbetrag von 500 Grivna (rund 17€) gleich 50 Grivna Gebühren und ich beschließe, mich heute nicht auf eine zweite Abzocke einzulassen. Da mir JeDi dankenswerterweise von seinem Besuch in der Ukraine ein bisschen Geld mitgebracht hat, muss ich nicht dringend abheben.
Sie führt mich zu einem nahegelegenen Supermarkt, der selbstverständlich täglich rund um die Uhr geöffnet hat. Um kurz nach 11 ist er noch gut gefüllt. Der Laden ist zwar recht klein, aber modern ausgestattet und gut sortiert. Für einen 4l-Kanister Wasser und einen Liter Milch muss ich rund 1,30€ bezahlen. Das Nudelwasser kocht auf dem Gasherd, als wir zurückkehren. Auf die Erkundung der Stadt blicke ich mit gespannter Erwartung. Extrem kontrastreich war der Empfang jedenfalls.
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 9 Jan 2017, 17:16 hat geschrieben:Beachtliche Oberleitungsanlage an der Überlandstrecke, vor allem verglichen mit dem Einfachdraht in der Innenstadt.
Auf der Überlandstrecke kann man die Kettenwerksoberleitung sicher gut gebrauchen. Schließlich verkehren zum Schichtwechsel die Bahnen in dichtem Abstand mit Höchstgeschwindigkeit...
Aber immerhin nicht ebenso beachtliche Schienenwellen.
Der Gleiszustand in Košice ist ziemlich gut, alles frisch saniert.
ir gefallen die gelben Strassenlaternen gut, bringt etwas Farbe ins graue Strassenbild
Stimmt, und sie passen auch zu den gelben Stromabnehmern und der Lackierung der Tram.


Tag 6 Lemberg

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Bei Tageslicht zeigt sich der Innenhof nochmal in seiner vollen Pracht…
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Der Kulturschock hat doch mehr oder weniger stark zugeschlagen und wir sorgen erstmal für das leibliche Wohl. Wasservorräte sind natürlich ganz essenziell, wenn man das Leitungswasser auf keinen Fall trinken sollte und die Sonne bei rund 25° brennt.

Wir beginnen mit einem Besuch auf dem zentralen Marktplatz.
In der Touri-Info bekommen wir zwar einen von der EU geförderten Stadtplan, jedoch keinen Netzplan für die Tram. Dann muss ich wohl mit meinem Schwarzweiß-Ausdruck vorliebnehmen.
Der österreichische Einfluss vom Ende des 18. Jahrhunderts bis nach dem 1. Weltkrieg ist unverkennbar.
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Das Lemberger Stadtwappen vor dem Rathaus
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Blick auf die Kuppel der frisch sanierten Verklärungskirche
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Auf dem Künstlermarkt Vernissage werden nicht nur Bilder angeboten, sondern auch traditionelle Kunstgegenstände und Trachten.
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Beim Spaziergang durch die belebten Gassen der Altstadt nehmen wir immer mal wieder auf einem der zahlreichen Bänke Platz und beobachten das Treiben in den kleinen Straßen. Schön, dass es hier so viele Sitzgelegenheiten gibt. Jugendliche knattern abwechselnd mit einem Mofa die holprige Fußgängerzone rauf und runter.
Einige Eindrücke aus der Innenstadt:
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Beitrag von Entenfang »

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Bauarbeiten
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Soborna Plošča
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Eingangsportal zum Dominikanerdom
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Vor dem Dominikanerdom gibt es ein Denkmal für Nikifor, einem recht bekannten Vertreter der naiven Kunst. In seinem Leben hat er wohl mehr als 30.000 Bilder gemalt. Erst in seinen letzten Lebensjahren in den 1960er Jahren erreichte er Bekanntheit, obwohl seine Kunstwerke schon 30 Jahre zuvor durch den Lemberger Maler Roman Turyn entdeckt und ausgestellt wurden.

Kabelgewirr gehört dazu
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In der Kategorie Fahrbarer Untersatz sind Ladas natürlich nicht wegzudenken
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Sehr häufig sind im Stadtbild die kleinen Kioske anzutreffen, in denen es eine kleine Auswahl an Snacks, Backwaren und Getränken sowie Presse, Tabak und manchmal auch Fahrkarten gibt.
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Nur noch Reste sind von der 1941 zerstörten Synagoge zu sehen, ein erst kürzlich im Jahr 2016 fertiggestelltes Denkmal erinnert daran.
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Beitrag von Entenfang »

Auch aus der Kategorie Graffiti, Schilder und Co. gibt es einiges zu entdecken.
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Die Gruppe Banderstadt Ultras sind rechtsextreme Hooligans, deren Namen sich aus Bandera, einem häufig als Nazi-Kollaborateur bezeichneten Kriegsverbrecher, der in der Westukraine aber auch als Nationalheld angesehen wird und dem deutschen Wort Stadt ergibt.

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Hier gibt es keine Pokemon! Stattdessen gibt es hier leckeren Wein, Ruhe und Begegnungsmöglichkeiten.

Eigentlich eine gute Gelegenheit, um zum Mittagessen überzuleiten. Wir suchen ein Restaurant auf, das uns in der Touri-Info empfohlen wurde. Auf Nachfrage bekommen wir eine Speisekarte auf Englisch und zumindest mit einem der Kellner funktioniert die Verständigung weitgehend problemlos.
Nach 20 Minuten bekommen wir unsere Würstchen serviert – leider nur mit einem Stiel Petersilie. Dabei stand doch in der Karte, dass Beilagen immer mit dabei wären. Alles halb so wild, der Beilagenteller mit Salat, Sauerkraut und Teigwaren ist schnell fertig. Während wir essen, diskutieren die Kellner eine Weile herum. Vielleicht ist die Speisekarte falsch übersetzt oder wir wurden missverstanden, ist aber auch egal. Wir bezahlen insgesamt mit Getränken 8€.


Werfen wir einen Blick auf den ÖPNV. In dieser Hinsicht hat die siebtgrößte Stadt der Ukraine mit gut 700.000 Einwohnern einiges zu bieten.
Beginnen wir mit dem 73 km langen, meterspurigen Tramnetz. Auf den 10 Linien kommen fast nur KT4 zum Einsatz. Die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge sind KT4SU, ausgeliefert Mitte der 70er bis Ende der 80er Jahre.
Wie alle Straßenbahnbetriebe im ehemaligen Ostblock hat auch Lemberg große Schwierigkeiten zu bewältigen. Im Zeitraum 1991 bis 2002 sanken die Fahrgastzahlen von 140 Millionen auf 60 Millionen pro Jahr. Außerdem fallen die Fahrgeldeinnahmen äußerst spärlich aus, da rund zwei Drittel der Nutzer aufgrund entsprechender Gesetze keine Fahrkarte benötigen. Die ausschließlich solo verkehrenden Wagen sind sehr gut gefüllt, häufig überfüllt. Einen festen Fahrplan gibt es nicht, während die Linien 1 und 2 recht häufig verkehren, ist der Takt auf den anderen Linien deutlich dünner. An einigen Haltestellen finden sich Informationen zur Taktdichte.
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Eine Lackierung in CI-Farben scheint es in Lemberg nicht zu geben. Die Bahnen kommen stets im knallbunten Werbekleid vorgefahren. 1104 an der Feuerwache
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Bei dieser Statue handelt es sich vermutlich um eine Schutzpatronin der Feuerwehr.
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1065 am Marktplatz
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1028 am Plošča Soborna
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Immer wenn in den Bahnen „Türöffner“ zu lesen ist, muss man nicht mehr lange über das ursprüngliche Einsatzgebiet der Fahrzeuge nachdenken.
In den Jahren 2007 und 2008 wurden 22 KT4D aus Erfurt und Gera übernommen, hier 1163 aus Gera an der Haltestelle Teatralna.
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Der Ex-Erfurter 1171 fährt mir unweit des Marktplatzes vor dem Hintergrund des Korniakt-Turms und der ganz hinten erkennbaren lateinischen Kathedrale vor die Linse.
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Der Gleiszustand im Zentrum ist verhältnismäßig gut, da er mit finanzieller Unterstützung durch die EU in den letzten Jahren verbessert wurde. An manch anderer Stelle ist er weniger gut, weswegen im Laufe des Betriebs mitten auf einer stark befahrenen Straße repariert werden muss.
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Beitrag von Entenfang »

Nach dem Mittagessen wollen wir weiter zum Forum, einer Shopping Mall. Laut unser Vermieterin gibt es dort einen guten Bäcker. Aufgrund der großen Haltestellenabstände müssen wir zunächst mal fast einen halben Kilometer laufen, obwohl wir direkt an der Tramstrecke gegessen haben. Während der letzten fünf Minuten hat es eine Tram noch nicht über die chaotische Kreuzung geschafft, die zwar durch Ampeln geregelt wird, aber wegen des Staus dauerhaft blockiert ist. Die HVZ beginnt und der Verkehr wird jetzt richtig schlimm. Zu Fuß ist man fast genauso schnell wie mit einem Fahrzeug nach Wahl. Man könnte eigentlich auch von Stehzeugen sprechen.
Die Trambahnen klingeln Sturm, die Autos hupen, Marschrutkas schlängeln sich vorbei, Fußgänger überqueren zwischen den stehenden Fahrzeugen die Straße. An vielen Stellen werden sie durch Geländer zusätzlich behindert. Auch Ampeln mit 0 Sekunden Räumzeit zwischen den Freigabephasen für den Querverkehr sieht man immer wieder. Bei neuen Ampeln gewährt man den Fußgängern auch eine Räumzeit, manche bieten einen Countdown. Die Straßen sind voller Menschen, wie man es bei uns nur aus der Fußgängerzone am Samstagnachmittag gewohnt ist.
Angesichts des Stillstands und der chaotischen Verhältnisse auf den Straßen muss ich an Indien denken. Dazu passt irgendwie auch die ungewohnte kyrillische Schrift, deren Entzifferung sich wie Lesen in der 1. Klasse anfühlt.

Ab der aufgesuchten Haltestelle können wir die Tramlinien 4 und 5 zur Mall nehmen. Von den letzten zehn gesichteten Bahnen waren neun auf der Linie 1 oder 2 unterwegs, teilweise drei direkt hintereinander. Eine 5 fuhr in Gegenrichtung. Selbstverständlich gibt es keinerlei Fahrplan, bei diesem Verkehr wäre er ohnehin nur Wunschdenken. Nachdem wir einige Minuten gewartet haben und keine einzige Tram, dafür aber unzählige Marschrutkas gehalten haben und wieder abgefahren sind, beäuge ich die wartenden Fahrgäste. Wer könnte hier Englisch sprechen? Die Rentner wohl nicht. Ich versuche es mit einem jungen Mann im Jogginganzug. Do you speak English? „Äh, no.“ Grmpf. Ich versuche es nochmal. Forum? Er sagt etwas, doch obwohl ich die Zahlen auf Russisch bis Hundert genau zu diesem Zweck gelernt habe, verstehe ich nichts. Während ich gerade einen Stift aus dem Rucksack ziehe, ruft eine Frau „This one, this one!“ und wir sprinten ein paar Meter zum gelben Kleinbus.
Ich habe mir die Liniennummer nicht gemerkt, auf der Linienverlaufstafel steht jedenfalls Prospekt Čornovola (sogar auf lateinischen Buchstaben, eher die Ausnahme) drauf und damit stimmt die Richtung. Hier beispielhaft ein solcher Linienverlauf ohne Transkription.
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Während ich einsteige, rollt das Fahrzeug zurück und die dahinterstehende Marschrutka protestiert mit wütendem Hupen. Mit einem beherzten Tritt auf die Bremse wird der Bus wieder zum Stillstand gebracht. Ein mittelalter Mann sitzt am Steuer, neben ihm sitzt eine mittelalte Frau. Zwischen den beiden befindet sich ein Teppich, der rund um den Schaltknüppel ausgeschnitten ist. Ale Fahrgäste schmeißen den Fahrpreis von 4 Grivna dorthin oder geben die Scheine durch, wenn es sehr voll ist. Die Frau sortiert das Geld und gibt gegebenenfalls Wechselgeld heraus. Forum? Jaja. Wir zahlen umgerechnet etwa 0,12€ pro Nase für die Fahrt mit dem heißen, überfüllten Kleinbus.
In anderen Marschrutkas ist der Fahrer alleine und auch für das Kassieren zuständig.
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Vermutlich sind es Selbstständige, die sich ihren Lebensunterhalt auf diese Weise verdienen.

Mit Hupen und laut quietschenden Bremsen wühlt sich der Fahrer durch den dichten Verkehr. Wenige Minuten später sind wir an der Mall und die Frau weist uns darauf hin, dass wir aussteigen müssen.
Wir betreten die Mall, die wohl überall auf der Welt gleich aussehen und die gleichen Geschäfte beherbergen. Über Lautsprecher wird zu laut Musik abgespielt, die sich mit der ebenfalls zu lauten Musik aus den Geschäften vermischt. Im Untergeschoss entdecken wir einen großen Supermarkt, der auch eine Bäckertheke hat. Zuerst widmen wir uns dem Obstregal. Das Abwiegen der Früchte scheitert hier zunächst daran, dass man den jeweiligen Namen über eine Tastatur eingeben muss und sich nicht wie in der Slowakei an Bildchen entlanghangeln kann. Der Laden besitzt auch eine große Käse-, Fleisch- und Fischtheke sowie eine Nuss- und Gewürzabteilung. Für jedes Teilchen beim Bäcker gibt es eine eigene Papiertüte mit dem entsprechenden Barcode. Nach erledigtem Einkauf tauchen wir wieder in das Getümmel auf der Straße ein. Wir gehen das kurze Stück von der Mall bis zu unserer Wohnung. Es ist früher Nachmittag an einem Mittwoch, trotzdem sind die Bürgersteige voller Menschen und die Straßen voller Autos. Man kann die Großstadt förmlich atmen. Irgendwo im Hintergrund hört man eine Sirene, das Hupen der Marschrutkas und das Klingeln der Tram. Ich fühle mich kurz wie in einem Fernsehbeitrag über ein afrikanisches Land, nur das die Leute hier anders aussehen und kyrillische Buchstaben auf den Schaufenstern prangen. Jetzt brauchen wir mal eine Pause.

Während sich die Sonne dem Horizont nähert, beginnen wir unseren Abendspaziergang.
Starten wir den abendlichen Bilderbogen mit einem Geraer Fahrzeug an der vulica Teatralna. Im Hintergrund der Lemberger Fernsehturm auf dem Schlossberg
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Die Lemberger Oper von hinten…
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...und von vorne vom Prospekt Svobody.
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Häuserzeile am Prospekt Svobody
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Das Adam-Mickiewicz-Denkmal steht seit 1904 unverändert und unbeschädigt am südlichen Ende der breiten Straße.
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Kunstvolle Straßenbeleuchtung
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Rathausturm im Abendlicht
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Eine Statue zu Ehren des bedeutenden ukrainischen Lyrikers Taras Schewtschenko
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Beitrag von Entenfang »

Abendlicher Verkehr zu Fuß und auf Rädern
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Schließlich landen wir wieder am Marktplatz. An der dortigen Tramhaltestelle gibt es wie an mehreren anderen Stationen in Zentrumsnähe eine DFI. Entweder die Bahnen fahren sehr unregelmäßig oder die Daten sind nicht korrekt.
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Der Erfurter 1156 rollt im letzten Licht herbei
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Mit der nächsten Tram oder Marschrutka wollen wir wieder zurückfahren. Vermutlich lassen wir mehrere Kleinbusse in unserer Richtung abfahren, da wir den Linienverlauf nicht schnell genug entziffern können. Schließlich erwischen wir eine hoffnungslos überfüllte Marschrutka und reichen den Fahrpreis zum Fahrer durch. Er macht alles alleine, sortiert das Geld, und gibt Wechselgeld heraus, während er den Kleinbus durch das Chaos steuert. Auch wenn es wohl keinen Fahrplan gibt, kann ich einen Wagenlaufplan entdecken. Mit häufigem Hupen versucht sich der Fahrer den Weg freizuräumen, natürlich ohne Erfolg. Immerhin ist der Verkehr mit dem Ende der HVZ nicht mehr ganz so schlimm.
Wenn man sich ein wenig im System auskennt, sind die Marschrutkas wahrscheinlich ein sehr praktisches und gern genutztes Verkehrsmittel. Man wartet einfach auf den nächsten Kleinbus in die gewünschte Richtung, auf den zentrumsnahen Hauptstraßen muss man nie lange warten. Mit den Kleinbussen kommt man viel besser voran als mit der Tram. Außerdem ist es bei den großen Haltestellenabständen ein großer Vorteil, dass sie auch abseits von Haltestellen herangewunken werden können. Die Verbreitung der Marschrutkas seit der Wende dürfte als weiterer Faktor zum extremen Rückgang der Fahrgastzahlen bei der Tram beitragen.

Später breche ich zu Nachtfotos am Bahnhof auf. Ich beschließe, entweder mit der Tramlinie 6 oder mit einer Marschrutka zu fahren, je nachdem, welches Verkehrsmittel zuerst kommt. Die 6 kommt nach wenigen Minuten und ich drücke der Fahrerin einen 5-Grivna-Schein in die Hand. Offensichtlich muss man den Fahrpreis von 2 Grivna passend zahlen, doch ehe ich nochmal im Geldbeutel krame, gibt sie mir dann doch das Wechselgeld. Die Türen werden zugeschlagen und die Fahrt in der völlig unmodernisierten Tram beginnt.
Der Gleiszustand wechselt von passabel über abenteuerlich zu katastrophal. Die Tram ist nie schneller als mit 30 km/h unterwegs, obwohl der Verkehr jetzt stark nachgelassen hat. An vielen Stellen hängen Begrenzungen auf 15 oder vor allem an den Weichen sogar auf 5 an der Oberleitung. Insbesondere die Weichen sind in sehr schlechtem Zustand. Sie scheinen schon sehr oft geflickt worden zu sein. Die Herzstücke sind extrem abgenutzt und das angrenzende Pflaster durch die Erschütterungen locker. Die Schienen stehen teilweise mehrere Zentimeter über dem Pflaster hervor und werden deswegen noch zusätzlich durch den Straßenverkehr belastet.
Nach vier langen Haltestellen erreiche ich auch schon den belebten Bahnhofsvorplatz. Ein Geraer und ein Original Lemberger warten die Wendezeit ab
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Ein warmer Spätsommertag über Lemberg geht zu Ende…
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Das letzte Licht genießen
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Nicht nur zur blauen Stunde ist der Bahnhof ein imposantes Eintrittstor in das kulturelle Zentrum der Westukraine
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So sieht Fernlicht hier aus
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Unter Spannung
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Der Dieseltriebwagen pustet bei der Abfahrt eine beachtliche Abgaswolke in die Luft. Da fehlt nicht mehr viel zu Dampflokzeiten
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Der Nachtzug nach Solotvyno wartet seine Abfahrtszeit ab
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Ein paar Gleise weiter steht der Zug nach Odessa
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Beide Züge haben die gleiche Abfahrtszeit und setzen sich nach zwei lauten Pfiffen nahezu zeitgleich in Bewegung.
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Wenig später kommt ein NV-Triebwagen an.
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Irgendein Mann kommt auf mich zu und motzt mich auf Ukrainisch an. Ich verstehe nur Apparata, Polizei und gekreuzte Arme. Der Wichtigtuer kann mir mal den Buckel runterrutschen. Zu Beginn habe ich direkt neben einem uniformierten Soldaten geknipst und ihn hat es nicht die Bohne interessiert. Da auf absehbare Zeit ohnehin kein Zug mehr kommt, lasse ich es gut sein und mache mich auf den Rückweg.
Die marmorverkleidete Unterführung
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Nicht nur die Bahnhofshalle, sondern auch das Empfangsgebäude macht was her
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Der Mond scheint über dem 1904 eröffneten Bahnhofsgebäude
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Eine 6 steht in der Wendeschleife bereit und weil ich nicht weiß, wie lange ich auf die Nächste warten muss, steige ich ein, als sie eine Minute später an die Haltestelle vorfährt. Auf dem Rückweg kaufe ich noch eine Butter für das Abendessen ein, nachdem ich in meinem Reisewörterbuch das russische Wort nachgeschaut habe. Die Gries – Mehl – Problematik soll sich schließlich nicht wiederholen…

Den Feierabend haben wir uns jetzt wirklich verdient. Die Ukraine ähnelt deutlich stärker einem Entwicklungsland, als ich erwartet habe. Obwohl der Krieg von Lemberg ebenso weit weg ist wie München, sieht man in der gesamten Stadt Uniformierte herumlaufen.
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Beitrag von NJ Transit »

Entenfang @ 11 Jan 2017, 23:49 hat geschrieben:Eine Lackierung in CI-Farben scheint es in Lemberg nicht zu geben. Die Bahnen kommen stets im knallbunten Werbekleid vorgefahren.
Doch, gibt es :)

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Das sind die beiden zitronengelben Niederflurwägen, die die Stadt mal angeschafft hat, wahrscheinlich um den ortsansässigen Hersteller Elektron zu subventionieren. Auch der Tatra-Redesign-Prototyp ist gelb.

Danke für den Bericht so weit!
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Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 11 Jan 2017, 22:48 hat geschrieben:Soborna Plošča
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Nein, das ist die Hauptpost in Zittau, direkt gegenüber habe ich fast vier Jahre lang gewohnt! :blink: Nur die Postsäule ist irgendwie umgestaltet worden. :lol:
Entenfang @ 11 Jan 2017, 22:49 hat geschrieben:Ein mittelalter Mann sitzt am Steuer, neben ihm sitzt eine mittelalte Frau. Zwischen den beiden befindet sich ein Teppich, der rund um den Schaltknüppel ausgeschnitten ist. Ale Fahrgäste schmeißen den Fahrpreis von 4 Grivna dorthin oder geben die Scheine durch, wenn es sehr voll ist. Die Frau sortiert das Geld und gibt gegebenenfalls Wechselgeld heraus.
Das ist ja goldig.
Entenfang @ 11 Jan 2017, 22:49 hat geschrieben:Wir betreten die Mall, die wohl überall auf der Welt gleich aussehen und die gleichen Geschäfte beherbergen.
Hallo Marc-Uwe Kling!
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Beitrag von Entenfang »

Es freut mich sehr, dass der Reisebericht bisher so gut ankommt. Auch die vielen Reaktionen finde ich immer wieder schön. :)

@NJ Transit: Du hast natürlich recht, die Neufahrzeuge von Elektron (Bus, Obus und Tram) habe ich außer Acht gelassen. Die Aussage bezieht sich nur auf die Tatras. Auch der Redesigner ist mir zu einem späteren Zeitpunkt vor die Linse gefahren, zum Glück haben wir in Lemberg so viel Zeit eingeplant...

Tag 7 Lemberg

Beginnen wir mit einem Blick auf den Obusverkehr.
Ein moderner Obus aus dem Hause Elektrotrans auf dem Prospekt Cornovola
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Das übliche Chaos von irgendwie haltenden Marschrutkas.
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Dahinter kämpft sich ein Obus der Lemberger Busfabrik LAZ voran.

Nicht nur Trambahnen, sondern auch viele deutsche Stadtbusse haben in Lemberg eine neue Heimat gefunden. Ab und zu sieht man Neuwagen aus ukrainischer Produktion, hier an der Station Pidvalna.
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Zuerst zieht es uns zum Lycakivski-Friedhof südöstlich des Stadtzentrums. Es ist nicht allzu weit zu den Gleisen der Tram 7. Da die nächstgelegene Haltestelle aber nur in eine Richtung bedient wird, müssen wir dennoch rund einen Kilometer laufen. Laut Aushang soll die Linie 7 alle 8 bis 10 Minuten fahren. Nach einer 4…
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…und einer 10 kommt sie dann auch.

Etwas gewöhnungsbedürftig sind sicher die Weichen mit nur einer Zunge.
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Über schlechte Gleise poltern wir aus der Innenstadt. Nach rechts zweigt plötzlich eine gesperrte Strecke ab.
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Hoppla, dort hätten wir eigentlich hinfahren sollen.
Also steigen wir schnell aus. Ich nutze einen Teil meines Fuzzikontingents und dokumentiere 1126 am Ševcenkivskyj Haj
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Eindrücke vom Gleiszustand am Abzweig zur gesperrten Strecke, an dem die Gleiskreuzung vorübergehend abgebaut wurde
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Den letzten halben Kilometer laufen wir also notgedrungen zu Fuß. Die Sonne brennt vom Himmel und wir huschen von Schatten zur Schatten. Der Fußweg führt kreuz und quer, ein mehrmals durch die Baustelle führender Trampelpfad wechselt sich mit gepflasterten Abschnitten ab, die aus mehr Löchern als Pflastersteinen bestehen.
Die Strecke wird zurzeit saniert.
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Beitrag von Entenfang »

Glücklich über die Schatten spendenden Bäume betreten wir den Friedhof.
Der Lytschakiwski-Friedhof besteht an dieser Stelle bereits seit 1787. Er war der Ort, an dem sich die Mittel- und Oberschicht Lembergs begraben ließ. Genau wie die Stadt selbst war auch der Friedhof immer von den momentanen „Besitzern“ der Stadt geprägt. Neben Ukrainern sind hier auch Polen und einige Deutsche begraben.
Am Eingang bezahlen wir etwa 90 ct Eintritt und weitere 40 ct für die Fotogenehmigung. Der Friedhof ist rund 26 Hektar groß, sodass wir nicht alles anschauen. Wir entscheiden uns für einen Weg abseits der gepflasterten Straßen, die den Ort durchziehen. Als angenehmer Nebeneffekt gehen wir dadurch sehr viel länger im Schatten der Bäume.
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Die Grabmale sind sehr groß und zum Teil geradezu monumental gestaltet.
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Einige zeigen den hier begrabenen in Lebensgröße
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Wir durchqueren den Friedhof. Auf der dem Eingang abgewandten Seite befindet sich ein polnisches Ehrenmal für Soldaten, welche die Stadt 1918 verteidigten.
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Hier ähnelt der sonst sehr chaotische Friedhof wieder einem Deutschen. Ansonsten ist das eher nicht der Fall. Die Gräber werden scheinbar ohne System an Orte gelegt, an denen eben noch Platz ist. Nichts wirkt so wie auf einem klassischen Deutschen Friedhof, auf dem die Gräber in Reih und Glied angeordnet sind.

Wir setzen unseren Weg fort. Neben dem Monument thront ein Obelisk über der Stadt und einer ukrainischen Kriegsgräberstätte.
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Wir gehen zurück in den kühlen Schatten der Bäume. Schlagartig ist niemand mehr zu sehen. Nur einige Hunde bewachen die Grabsteine.

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Über verschlungene Wege verlassen wir den Friedhof durch den Seitenausgang und laufen zurück zur Tram. Da eine Frau am Kiosk in ein Gespräch vertieft ist, verpassen wir die nächste Bahn, ehe ich es schaffe, weitere zehn Fahrkarten zu kaufen.
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Beitrag von Entenfang »

Blick über die vulica Lycakivska
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Die Gleise sind derart abgefahren, dass die Räder vermutlich nicht mehr auf den Laufflächen, sondern auf den Spurkränzen rollen.
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Man kann hier wohl eher von Altmetallstreifen im Asphalt als von Gleisen sprechen.

Bald kommt die nächste Tram, welche nicht so überfüllt ist.
Zwei lange Stationen weiter steigen wir am Vynnykivskyj Rynok aus. Die Preise auf dem Markt sind nochmal niedriger als im Supermarkt. Für ein Brot, etwas Obst und Gemüse zahlen wir rund einen Euro.
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Es gibt eigene Bereiche für Milchprodukte und für Fleisch. Angesichts des bei 25° ungekühlt in der Sonne lagernden Hähnchenfleischs ist das auch besser so.
Vermutlich stammt ein großer Anteil der von alten Frauen angebotenen Produkte aus dem heimischen Garten bzw. eigener Produktion. Auch auf dem Fußweg vor dem Markt sitzen einige Frauen. Eine zieht gerade ein Hähnchenschenkel aus einer Plastiktüte, um die Ware auf einem improvisierten Blech anzubieten.


Mit der nächsten Tram fahren wir weiter in die Innenstadt. Sie ist ziemlich voll. Steigt man nicht an der ersten Türe ein, benötigt aber eine Fahrkarte von der Fahrerin, gibt man einen 2-Grivna-Schein an den nächsten Fahrgast weiter. Auf diese Weise wird er bis zur Fahrerin durchgereicht und man erhält auf dieselbe Weise seine Fahrkarte wieder. Hinsichtlich des Weiterreichens von Geld für Fahrkarten scheinen die Menschen sehr ehrlich zu sein. Unsere Vermieterin hat jedoch das Problem der extremen Korruption angesprochen.
Die schlechte Luft und der Geruch nach Feuer erinnert mich abermals an Indien. Bisher konnte ich jedoch keine Lagerfeuer in der Stadt entdecken. Auffallend ist jedenfalls, dass die Trambahnen und Obusse fast ausschließlich von Frauen gesteuert werden. Am Steuer der Marschrutkas sitzen hingegen nur Männer.

Durch die innenstadtnahen Seitengassen…
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…begeben wir uns nachmittags zuerst zur Schokoladenmanufaktur.
Eine handgemachte Praline kostet mehr als das zuvor auf dem Markt gekaufte Brot, mit etwa 25 bis 30 Cent pro Stück sind sie dennoch erschwinglich. Die anschließende Verkostung fällt sehr positiv aus. Sie schmecken zwar ganz anders als wir es gewohnt sind, doch ein sinnvolles Reisesouvenir haben wir damit schon mal entdeckt.

Ein paar Bilder vom Marktplatz in der Nachmittagssonne
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Allmählich machen wir uns auf dem Weg zum Burgberg. Dabei werfen wir noch einen kurzen Blick in die Karmeliterkirche.
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Der Anstieg im östlich des Zentrums gestattet einen Blick zurück zum Dominikanerdom
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Beitrag von Entenfang »

Und das Graffiti des Tages
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Guter Empfang
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Spielplatz
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Wir erklimmen die Aussichtsplattform, um den Sonnenuntergang zu beobachten.
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Eine schwere Dunstglocke liegt über der Stadt und trübt die Sicht.
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Allmählich nähert sich die Sonne dem Horizont.
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Blick nach Nordosten
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Hier oben ist jetzt richtig viel los, doch es sind fast nur Einheimische.
Vier junge Deutsche befürchten ihren schlimmsten Albtraum und rätseln, ob das gekaufte Bier womöglich alkoholfrei ist. Wir kommen ins Gespräch. Auch sie sind auf Osteuropatour, haben sich aber für das Auto entschieden. Bei dem Verkehr hier und der geplanten Fortsetzung nach Transnistrien sicher eine gewagte Verkehrsmittelwahl.

Nach Sonnenuntergang versinkt Lemberg in der blauen Stunde.
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Hoch erhebt sich der Fernsehturm
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Beitrag von Entenfang »

Beim Blick nach Westen hebt sich die hell beleuchtete St.-Georgs-Kathedrale von der Skyline ab
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Der frische Wind kühlt uns stark aus und wir beginnen den Abstieg. Das stellt eine große Herausforderung dar, weil zwar in kurzen Abständen Straßenlaternen am Fußweg aufgestellt sind, aber weniger als eine von drei auch funktionstüchtig ist.

Nach dem dunklen Wald wieder zurück in der Zivilisation
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Hinter der Kirche St. Johannes der Täufer strahlt der Fernsehturm bunt in der Finsternis
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Hier können die Alkoholvorräte aufgefüllt werden
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Schließlich fährt überraschend eine Niederflurbahn von Elektrotrans vorbei. Wir haben uns schon gewundert, ob sie nur als Werbemotiv auf Bildern verwendet wird oder auch tatsächlich im Einsatz ist.
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Lange hat der LED-ZZA nicht gehalten...
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Michi Greger
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Beitrag von Michi Greger »

Also bevor ich es wiede rmal vergesse: DANKE für den schönen Beitrag! :)
Entenfang @ 11 Jan 2017, 23:49 hat geschrieben:Einen festen Fahrplan gibt es nicht, während die Linien 1 und 2 recht häufig verkehren, ist der Takt auf den anderen Linien deutlich dünner. An einigen Haltestellen finden sich Informationen zur Taktdichte.
Sind die Zahlen Taktabstand oder Wagenanzahl? "20-28" klingt für mich irgendwie überhaupt nicht sinnvoll?!?

Gruß Michi
Achtung! Entladezeit länger als 1 Minute!
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Elch
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Beitrag von Elch »

Vielen Dank für die tollen Bilder und vielen aufgefrischten Erinnerungen (auch wenn die schon fast 10 Jahre zurück liegen).
"Lächle, es könnte schlimmer kommen" Ich lächelte [...] und es kam schlimmer [...]

[img]http://meine.flugstatistik.de/pic/ElchMuc.gif[/img]
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Beitrag von NJ Transit »

Michi Greger @ 12 Jan 2017, 23:04 hat geschrieben: Sind die Zahlen Taktabstand oder Wagenanzahl? "20-28" klingt für mich irgendwie überhaupt nicht sinnvoll?!?
Typisch osteuropäische Taktangabe, und das geht ja noch, grade auf Buslinien gibts auch gerne mal 4-48 oder ähnliche Späße ;) Das ist dann übrigens meistens ein "bis" und kein 20/28-Takt
Ich empfehle für Fahrpläne und einen Überblick über das Betriebsgeschehen übrigens Easyway, die meisten Städte Osteuropas sind inzwischen da drin und liefern immer öfter auch die GPS-Positionen der Fahrzeuge. Dort werden auch die Takte angegeben.
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Beitrag von Entenfang »

Tag 8 Lemberg

Heute sind nach einigen Tagen mal ein paar Wölkchen am Himmel zu sehen. Eigentlich möchte ich mit der 7 nach Nordwesten Richtung Tatarbunarska fahren. An der Endstation scheint es einen guten Blick auf die Eisenbahnstrecke zu geben, der in der Mittagszeit obendrein schön im Licht liegt. Welche Vorteile doch Google Streetview bringt…

Während ich auf die Tram warte, beobachte ich das Verhalten der durch Zäune geplagten Fußgänger. Bei Sperrung wegen Baustelle bleibt da nur ein beherzter Sprung…
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Nach wenigen Minuten fährt eine 7 vor, doch schon an der nächsten Haltestelle werden alle Fahrgäste vor die Tür gesetzt und die Bahn vorzeitig gewendet.
Während ich auf den Folgekurs warte, beobachte ich eine Straßenbahnfahrerin, die am zwischen Ohr und Schulter geklemmten Handy telefoniert. Dabei verkauft sie Fahrkarten und fährt die Tram. Die Handynutzung ist hier noch exzessiver als bei uns. Angesichts dieser Verkehrsverhältnisse müssen die Fahrerinnen wahre Multitasking-Talente sein.
Allzu lange dauert es nicht, bis die nächste 7 eintrifft, doch wieder werden alle Fahrgäste rausgeschmissen. Da entdecke ich gerade die Niederflurbahn auf der 6 in Gegenrichtung, die von hinten eher an einen Bus erinnert.
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Aufgrund der Gleisführung auf dem rechten Fahrstreifen besitzen alle Bahnen einen linken Außenspiegel.

Ich beschließe, ihr mit der nächsten 6 zu folgen und auf ihre Rückkehr zu warten. Mit etwas Glück könnte ich sogar den eigentlich in Tatarbunarska umzusetzenden Zug am Bahnhof Pidzamce erwischen.
Nach kurzer Zeit trifft die nächste 6 ein.
Seit 2013 werden im Lemberg 100% niederflurige Trambahnen vom Typ Electron T5L64 eingesetzt. Vermutlich ist die EU im Rahmen von Drittstaatenförderprogrammen an ihrer Beschaffung beteiligt.

Als ich am Bahnhof ankomme, fährt der Zug gerade ein. Grmpf.
Also widme ich mich wieder der Tram.
Der Geraer 1160 befährt die im Jahr 2015 erneuerten Gleise. Abgesehen von den Weichen befinden sich die Strecken im Nordosten in gutem Zustand.
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Bei Streetview kann man die Holperpiste vor der Modernisierung sehen.

Ein paar Hundert Meter weiter fährt mir 1170 vor die Linse
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Keiner der Passanten motzt, keiner spricht mich an. Dabei muss ich hier auffallen wie die neongelbe Niederflurbahn im grauen Stadtbild.
Schließlich biegt das Objekt der Begierde um die Ecke.
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Nach dem Bild sprinte ich über die Straße zur Haltestelle. Mit ohrenbetäubendem Warnton schließen die Türen. Er klingt nach einer Mischung aus Feueralarm, Sirene und Talent 2. Auch wenn das Fahrverhalten deutlich ruhiger als in den Tatras ist, gebe ich den Altwagen ganz klar den Vorzug. Die KT4SU haben wenigstens Schiebefenster. Im Neufahrzeug ist es mangels Klimaanlage dank Klappfenstern furchtbar stickig.

Nach ein paar Stationen steige ich in die Tramlinie 5 um, die direkt nachfolgt.
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Ich passiere das Stadtzentrum auf der östlichen Umfahrung. Die Kreuzung am südöstlichen Rand der Innenstadt scheint ein neuralgischer Punkt zu sein, denn für eine Haltestelle brauchen wir über zehn Minuten. Ein Mann sitzt inmitten des Verkehrschaos auf seinem Mountainbike und wartet die Grünphase ab. Auf dem Gepäckträger hat er einen Kindersitz montiert, in dem ein kleines Mädchen sitzt. Wer in dieser Stadt mit den Löchern und hervorstehenden Schienen Fahrrad fahren will, ist mit einem Mountainbike sicher gut beraten.

Werfen wir einen kurzen Blick auf den Radverkehr.
Vor dem EM wurden einige Radwege angelegt, noch erfreuen sie sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht allzu großer Beliebtheit.
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Seit März 2016 bietet Nextbike auf dem Marktplatz Bikesharing an. Dieses Angebot wurde durch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert. Ganz abgesehen von den chaotischen Verhältnissen des Straßenverkehrs bezweifle ich, dass dieses Projekt in naher Zukunft Erfolg haben wird.
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Die Variante ohne Abo ist mit knapp 2€ pro Stunde viel zu teuer. Vermutlich sollen mit diesem Angebot Touristen erreicht werden, deren Zahl jedoch äußerst begrenzt ist und eine gewisse Lebensmüdigkeit muss auch vorhanden sein, um sich das anzutun. Bei einem abgeschlossenen Abo sind die Stundenpreise mit 2 bis 4 Grivna etwa auf dem Niveau einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, doch der sprunghafte Preis nach 90 Minuten dürfte recht abschreckend wirken, zumal es nur sieben Stationen im Stadtgebiet gibt.

Ich möchte eigentlich in den Obus 11 umsteigen, doch wie überall in der Stadt sind die Umsteigewege äußerst lange. Daher kann ich die Obushaltestelle nicht sehen und fahre eine Station zu weit. Da es sich natürlich um eine ziemlich lange Haltestelle handelt, habe ich keine Lust, zurückzulaufen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn eine Straße weiter verkehrt der Obus 25. Diese Linie fährt ein langes Stück parallel zur 11, sodass ich auch später noch umsteigen kann. Der 11er hat auf dem letzten Stück einen schönen Überlandabschnitt, den ich erfahren möchte. Leider fährt er nur im Takt 30.
Ich warte am Rande eines Marktes auf den 25er. Doch der lässt auf sich warten. Zuerst fährt mir ein moderner Niederflurbus vor die Linse.
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Marschrutkas kommen und fahren. Autos hupen. Fußgänger schlängeln sich an der Ampelkreuzung durch den Verkehr. Hier gibt es keine Übergangszeit zwischen den Freigaben.
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Beitrag von Entenfang »

Die lange Wartezeit wird schließlich belohnt, ein Škoda 15Tr rollt heran.
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Zum Glück ist es ein Gelenker und ich kann einen Sitzplatz ergattern.
Die zeitweise hügelige Topografie spricht durchaus für den Einsatz eines Obusses, doch die Fahrdrahtaufhängung ist wohl nicht mehr in bestem Zustand, sodass wir in Fahrradtempo dahinkriechen und einen riesigen Verkehrsstau hinter uns verursachen. An einer schattigen Haltestelle steige ich aus und hoffe auf einen 11er als nachfolgendes Fahrzeug.

Ich habe kein Glück, nach etlichen Marschrutkas nähert sich ein Škoda 14Tr, die Solovariante.
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Weiter und weiter führt die Strecke aus der Stadt hinaus, immer mehr Freiflächen gesellen sich zu den Autowerkstätten und Hypermärkten.
Kein 11er kommt mir entgegen und nach einer Viertelstunde Fahrzeit steige ich aus, um abermals den Folgekurs abzuwarten. Eine endlose Lawine Autos und Marschrutkas rollt vorbei, doch in den nächsten 20 Minuten folgt kein Obus. Man muss nicht lange überlegen, wo dieser Bus seinen Dienst als Neufahrzeug verrichtet hat.
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Als dann endlich ein 25er stadteinwärts auftaucht, beschließe ich, zurückzufahren. Es ist derselbe Gelenker wie vorhin, der mich zurück zur vulica Šota Rustaveli bringt.
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Kurz darauf entdecke ich dann einen LAZ-Obus aus ukrainischer Produktion auf dem 11er.
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Offensichtlich ist nur ein einziges Fahrzeug auf der knapp 10 Kilometer langen Route unterwegs. Das kann beim besten Willen keinen Takt 30 ergeben.

Ich laufe weiter zur Tram, um über den Südwesten in das Stadtzentrum zurückzufahren.
1153 an der vulica Zelena
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Abermals holpern wir über bescheidenen Gleiszustand voran und biegen plötzlich falsch ab. Mal wieder Baustelle. Zu meinem Glück ist die Stelle gerade noch am Rand meines Stadtplans zu sehen und es ist nur ein kurzer Fußweg zu einer anderen Strecke in die Innenstadt.
Ich nutze den unfreiwilligen Aufenthalt zum Knipsen. 1155 rumpelt über die Kreuzung an der Haltestelle Sacharova
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1029 hält vor einem von vier Depots im Stadtgebiet.
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Ab hier führt die letzte Erweiterung des Lemberger Tramnetzes aus dem Jahr 1988 als Schnellstraßenbahnstrecke nach Süden. Vermutlich bezieht sich der Begriff Schnellstraßenbahn eher auf die einzige kreuzungsfreie Strecke auf besonderem Bahnkörper als auf die Geschwindigkeit.

Von der Strecke in die Innenstadt öffnet sich eine schöne Blickachse auf den Rathausturm. Ich kann mich glücklich schätzen, trotz des starken Verkehrs gleich beim ersten Versuch 1174 erfolgreich umsetzen zu können.
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1159 und 1174 begegnen sich unweit der Technischen Hochschule Lemberg
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Nun ist es aber Zeit für eine Mittagspause. Nachdem ich ein gutes Stück zur nächsten Haltestelle zurückgelaufen bin, erwische ich gleich eine Tram. In Gegenrichtung stapeln sich schon die Fahrgäste, denn eine Tram musste abgeschleppt werden. Anschließend folgen an die zehn Bahnen im Pulk.
In einer kleinen Gaststätte in der Innenstadt kostet das Mittagsmenü mit Getränk weniger als 2€. Für meine heute verwendeten 9 Einzelfahrten habe ich etwa 60 Cent ausgegeben. Reisen in der Ukraine schont den Geldbeutel doch recht stark.
Ich frage mich allerdings, woran Kontrolleure erkennen, ob die Fahrkarte gerade gelocht wurde oder ich mit einer gelochten Fahrkarte schon seit zwei Jahren herumfahre.
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Beitrag von Entenfang »

Zum Sonnenuntergang besteigen wir den Rathausturm und beobachten abermals, wie die Sonne im Dunst verschwindet.
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Blick nach Osten
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Blick zur St.-Georgs-Kathedrale
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Hell leuchtet das goldene M durch den Smog
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Blick auf den Prospekt Svobody
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…und das unverwüstliche Adam-Mickiewicz-Denkmal
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Details aus der Modellbaulandschaft
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Während eine Kamera für eine Zeitrafferaufnahme die untergehende Sonne dokumentiert, wird die zweite Kamera für den Blick auf die Tram in den engen Gassen benutzt.

1141 nähert sich von Westen her der Altstadt
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Beitrag von Entenfang »

1090 rollt über den Marktplatz
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Ein unbekanntes Fahrzeug ist in Gegenrichtung unterwegs
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DONG. DONG. DONG. Die Glocke erschrickt alle den Sonnenuntergang genießenden Menschen.
Der Plan mit Nachtfotos aus der Vogelperspektive geht leider nicht auf, denn die Aussichtsplattform kommt unter den sich bewegenden Menschen nie zu Ruhe und alle Bilder verwackeln. Wir packen die Stative ein und wechseln in die Froschperspektive auf dem Marktplatz.
Abendstimmung
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Blick zur vulica Ruska
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Um unerlaubtes Befahren der Fußgängerzone zu unterbinden, befinden sich an beiden Einfahrten der Tram Poller, die bei Annäherung automatisch den Weg freigeben
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Es ist Freitagabend und die Innenstadt ist voller Menschen, die den lauen Sommerabend draußen verbringen. Dass es hier kein Nachtleben gibt wie im Reiseführer behauptet, stimmt jedenfalls nicht. Und angesichts des Trubels in den Straßen finde ich den frühen Betriebsschluss keineswegs gerechtfertigt. Die Bahnen sind auch zu später Stunde noch gut gefüllt.

Über den Prospekt Svobody machen wir uns auf den Rückweg.
Die Oper in ihrer vollen Pracht
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Elf Fahrkarten habe ich heute entwertet. Ein Königreich für eine Tageskarte.

Nachtfotos im wunderschönen Loft „Concrete Garden“ ;)
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Beitrag von Lobedan »

Ich bin echt hin und her gerissen zwischen "wunderschöne Stadt" und "furchtbarste Verkehrsverhältnisse". Aber so oder so lerne ich gerade mit einer eher süd- und westeuropäisch geprägten Altstadtarchitektur eine Seite der Ukraine kennen, die ich dort so nie erwartet hätte. Vielen Dank für diese tollen Eindrücke!
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Beitrag von viafierretica »

Lobedan @ 13 Jan 2017, 19:10 hat geschrieben: Ich bin echt hin und her gerissen zwischen "wunderschöne Stadt" und "furchtbarste Verkehrsverhältnisse". Aber so oder so lerne ich gerade mit einer eher süd- und westeuropäisch geprägten Altstadtarchitektur eine Seite der Ukraine kennen, die ich dort so nie erwartet hätte. Vielen Dank für diese tollen Eindrücke!
Die Ukraine wird, völlig zu unrecht, verkannt und in den Kriegstopf geworfen. Auch Städte wie Kiew (Kijiv) oder Odessa (Odesa) sind faszinierende Städte, die rein gar nichts mit der Einöde so mancher russischen Städte zu tun haben, viele Städte könnten mitten in Europa sein. Und auch nichts mit der traurigen Realität im Donbass. Ähnliche Bilder, mit noch mehr maritimer Atmosphäre, könnte man auch in Odesa, fast 1.000 km östlich, aufnehmen.
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Beitrag von Lobedan »

Ach mir gehts gar nicht mal um den Krieg und seine Auswirkungen. Dass der in weiten Teilen des Landes nicht zu spüren ist, war mir durchaus bewusst. Ich bin einfach ob der kulturellen Einflüsse überrascht, die sich so nachhaltig im Baustil niedergeschlagen haben. Wie Entenfang ja zurecht anmerkte: Man fühlt sich mehr wie in Österreich als in Osteuropa oder gar im russischen Einflussgebiet.
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Beitrag von viafierretica »

In L´viv wird auch in fast jedem Laden Putin-Toilettenpapier verkauft. Das wäre im russischen Einflussgebiet sicher nicht möglich....
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 13 Jan 2017, 18:10 hat geschrieben:Ich bin echt hin und her gerissen zwischen "wunderschöne Stadt" und "furchtbarste Verkehrsverhältnisse". Aber so oder so lerne ich gerade mit einer eher süd- und westeuropäisch geprägten Altstadtarchitektur eine Seite der Ukraine kennen, die ich dort so nie erwartet hätte. Vielen Dank für diese tollen Eindrücke!
Gerne. Ich war ebenso überrascht wie du, als ich die Stadt erkundet habe. ;)
Zu den furchtbaren Verkehrsverhältnissen gesellt sich noch dieser schreckliche Smog, den ich extrem anstrengend fand.


Tag 9 Lemberg -> Minsk

Als Erstes bringen wir unser Gepäck zum Bahnhof. Die Straßenbahnfahrerin hat es äußerst eilig, klingelt dauernd Sturm und fährt in atemberaubendem Tempo über die schlechten Gleise. Das Fahrzeug hüpft und schaukelt und die Fahrgäste werden gut durchgeschüttelt. In der Wendeschleife am Bahnhof erwischt sie das falsche Gleis, setzt einfach ein paar Meter zurück, ohne den Führerstand zu verlassen und befährt dann das Richtige.
Scheinbar wird auch mit umfassender Modernisierung von Tatras experimentiert.
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Wir geben unsere prall gefüllten Traglasten an der Gepäckaufbewahrung ab. Das kostet knapp 2€.
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Anschließend beschließe ich, nochmal zwei Stunden fuzzen zu gehen und einen erneuten Versuch zu starten, mit der Linie 7 an die Fotostelle der Bahnstrecke zu fahren.
Zunächst bringt mich die 6 nach kurzer Wartezeit stadteinwärts. Immerhin hat man den Sitzen in den meisten Fahrzeugen neue Überzüge spendiert.
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Obwohl heute Samstag ist, kann ich keine nennenswerte Reduktion des Verkehrs erkennen.
Der Übereckanschluss zur 7 klappt mit kleiner Sprinteinlage. Über katastrophale Gleise holpern wir bergauf nach Nordwesten an den Stadtrand. Wir passieren eine hübsche Kirche und etliche Fahrgäste bekreuzigen sich.
Pause in der Wendeschleife Tatarbunarska
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Der Spiegel erleichtert bei diesem engen Bogenradius die Abfertigung.

Ein nicht mehr benutzbares Gleis führt in eine nicht asphaltierte Straße. Auf Google Earth sieht es so aus, als würde es zu einem Depot führen.

Linienverlaufstafeln werden grundsätzlich nicht getauscht. Motivierte Fahrerinnen drehen immerhin den Pfeil um
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Auf der anderen Straßenseite verläuft die Eisenbahnstrecke durch einen Einschnitt. Da rattert auch schon ein Zug heran. Oben Bus und unten Bahn
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Wartezeit rumbringen – eine Werbetafel von hinten
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Pünktlich auf die Minute folgt das Objekt der Begierde
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So langsam habe ich auch den Dreh raus, wie Fußgängerüberwege in der Ukraine funktionieren. Ein Zebrastreifen führt hier über eine vierstreifige Straße ohne Mitteltrennung. Da ich beobachtet habe, dass die Einheimischen recht vorsichtig an den Querungsvorgang herangehen, bleibe ich am Rand stehen, bis aus beiden Richtungen kein Fahrzeug kommt. Ein Autofahrer bedeutet mit per Lichthupe, dass ich überqueren kann, ein anderes Mal kommen auf beiden Fahrstreifen zwei PKW nebeneinander und beiden Fahrer geben mir ein Handzeichen.
Diese Situation dürfte eine häufige Unfallursache sein, die auch oft in den Russian Car Crash Compilation-Videos auf Youtube zu sehen sind. Denn wenn ein Fahrer winkt und der daneben Gas gibt oder beide winken und ein Dritter über die Gegenfahrbahn überholt, wird es kritisch.

Die Tramlinie 7 scheint nur etwa im Takt 20 zu fahren.
1066 kommt nach längerer Wartezeit.
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Auf der Rückfahrt zur vorher passierten Kirche kommen mir zwei Bahnen entgegen. Ich schätze, dass mir weniger als 20 Minuten zur Besichtigung bleiben, wenn ich die nächste Bahn erwischen will.
Ein Aussteig- und Vorrenn-Bild an der vulica Turjanskogo
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Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Ein schneller Blick auf die St.-Andreas-Kirche
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Alte Frauen sitzen auf dem schattigen Gehweg und verkaufen Gemüse aus dem eigenen Garten. Eine Tram poltert mit einem Höllenlärm vorbei. Die Gleise sind auch hier so stark abgefahren, dass die Bahnen wahrscheinlich nur noch auf den Spurkränzen durch die Rillenschienen rollen. Diese stehen an einigen Stellen mehr als zehn Zentimeter aus dem Kopfsteinpflaster hervor. Oh, da kommt ja schon die nächste 7 stadteinwärts. Ich sprinte ein paar Meter und lasse mich einmal um die Innenstadt schaukeln.
Ich steige schließlich aus und springe schnell in den Zweier. Die vulica Ruska ist eine der wenigen Haltestellen mit kurzen Umsteigewegen,
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Ein letzter Fotostop an der Hauptpost
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Detailblick auf die filigrane Überdachung
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1175 rollt stadtauswärts.
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Der Parkstreifen in der Mitte zwischen den Gleisen sieht nach einer perfekten Einladung zur Blockade der Strecke durch Falschparker aus.

Anschließend laufen wir durch einen Park Richtung Uni. Ein Trupp Soldaten marschiert vorüber.
Blick auf die Ivan-Franko-Universität mit Obus…
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…und auf die Skulpturen im Detail
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Auf dem Platz vor dem Eingang erhebt sich eine acht Meter hohe Statue des namensgebenden, einflussreichen Schriftstellers Ivan Franko
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Ein Škoda 14Tr erklimmt die Steigung am Ivan-Franko-Park. Im Gebäude mit der Fahne hat die für den Regionalverkehr im Westen der Ukraine zuständige Eisenbahngesellschaft ihren Sitz.
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Beitrag von Entenfang »

Bald erreichen wir die St.-Georgs-Kathedrale, die wir wegen einer Hochzeit nicht besichtigen können.
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Nachdem wir dem traurigen Gesang des Straßenmusikanten gelauscht haben, begeben wir und allmählich zurück Richtung Zentrum.

Guter Empfang
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Nur ein paar rote Blumen auf der Fensterbank, die meinen Blick einfangen
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Zufällig fährt mir 1053 nochmal vor die Linse
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Da wir gerade mittig zwischen zwei Tramhaltestellen mit einem Abstand von über einem Kilometer sind, nehmen wir die nächste, rappelvolle Marschrutka und stärken uns im Zentrum.
Anschließend spazieren wir nochmal durch die Innenstadt. Zum Glück spenden die engen Gassen Schatten. Allmählich strengt mich die Hitze in Kombination mit der schlechten Luft an. Hoffentlich wird das in Minsk besser.

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Alle Häuser rund um den Marktplatz sind reich verziert. Ein besonderer Hingucker ist das Schwarze Haus.
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Doch auch die Tram darf natürlich nicht fehlen.
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Werfen wir noch einen Blick auf den filigranen Stromabnehmer
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