Berg & Tal, Licht & Schatten – Marokko

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Später brechen wir zum Abendessen auf. Es gibt mal wieder Tajine.
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Anschließend folgt eine kleine Nachtfototour.
Bab Chorfa
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Wir dringen weiter in die Gassen eines unbekannten Viertels vor…
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…und werden schließlich von einem Passanten darauf hingewiesen, dass es sich um eine Sackgasse handelt. Daher müssen wir ein gutes Stück zurücklaufen.
Obst- und Gemüsestand am Souk Bouljoud
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Nur schade, dass die Vielfalt des Grünzeugs in der Restaurantküche keine Verwendung findet. Artischocken, Fenchel und Auberginen haben wir kein einziges Mal wählen können.

Inzwischen haben die meisten Stände geschlossen und Müllhaufen sammeln sich am Gassenrand. Ein Mann sammelt Fleischreste in einen Sack. Katzen schleichen umher.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Tag 7 Fés

Auflösung von gestern: Die Löcher dienen dazu, die Brote den Familien zuzuordnen. Jede hat ihr eigenes Muster.


Frühstück gibt es heute außerhalb – angeblich ist man nicht imstande, uns in der Unterkunft zu verköstigen, weil die Frau nicht gekommen ist. Was auch immer das bedeuten mag. Ich vermute ja eher, dass es daran liegt, dass die elfjährige Tochter nicht eingespannt werden kann, weil sie heute zur Schule muss, denn es ist Montag.

Praktischerweise sind es bis zum nächsten Café keine drei Minuten Fußweg. Ich nehme einen Kaffee – uff, der haut rein – und kaufe an einem anderen Stand noch süße Teilchen. Im Café läuft Deutsche Welle, auf Arabisch synchronisiert. Gezeigt werden Gymnastikübungen in einem typisch deutschen Stadtpark.
Trotz der chaotischen Verhältnisse ist es in den Gassen de Medina erstaunlich sauber. Die Müllhaufen des gestrigen Tages sind über Nacht verschwunden.

Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, mal unsere Wäsche zu erledigen. Und Airbnb hat schließlich versprochen, dass es in unserer Unterkunft eine Waschmaschine geben würde.
Selbstverständlich könne man unsere Sachen waschen, teilt uns der Familienvater mit. Macht dann bitte 10€.
Uff.
*Gespieltes Ensetzen* „Excuse me but if you go wash outside they charge you 5 Dirhams each piece!“
Was bleibt und auch anderes übrig, als sein Angebot anzunehmen…

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Wir spazieren durch die Gassen Richtung Bab Jdid, nicht ohne dauernd von Kindern auf den richtigen Weg verwiesen zu werden („It is difficult to find the way with your phone“). Das ist leider allzu wahr, denn die engen Gassen sind zum Schutz vor der stechenden Sonne angelegt worden. An GPS-Empfang hat damals wohl noch keiner gedacht. Nachdem wir sämtliche Versuche der Kinder, uns Tempos, Bonbons oder anderes Zeug für 1 Dirham anzudrehen, ignoriert haben, erreichen wir schließlich den Rand der Medina.

Wir erklimmen zwischen Olivenbäumen den Hügel zur Festung Borj Sud. Blick zurück zum Bab Jdid
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Gibt es fotogenere Wolken? Ich glaube nicht.
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Eine Schafherde
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Leider wird die Idylle durch den vielen Müll getrübt.
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Blick über sattgrüne Wiesen – auf den ersten Blick hätte das Bild auch in Deutschland entstanden sein können.
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Schließlich wird die Fotostelle für den Mittagszug aus Oujda erreicht.
Doch der Zug tut uns keinen Gefallen, als er bereits nach kurzer Wartezeit rund zehn Minuten vor Plan angerollt kommt. Die Lichtsituation ist gerade mangelhaft. Vielleicht kennt ihr ja dieses Gefühl, wenn eine einmalige Chance vorbeizieht…
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Wir laufen weiter Richtung Ville Nouvelle. Es fallen einige Regentropfen und ein kühler Wind weht. Wir gelangen schließlich zu einer Uni, an der völlig überfüllte Busse im Minutentakt abfahren.
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Die Studenten zeigen sich auf unsere Nachfrage hin wenig auskunftsfreudig, doch glücklicherweise hängt an der Haltestelle ein Netzplan aus (online nicht verfügbar).
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Immerhin können wir herausfinden, welche Schlange die Richtige ist, um den Bus in das Zentrum der Neustadt zu nehmen.
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Beitrag von Entenfang »

Als sich der nächste Bus rückwärts nähert, rechnen wir niemals damit, schon im ersten Fahrzeug mitfahren zu können. Ausschließlich Hintereinstieg habe ich auch noch nie erlebt… Jedenfalls sind die Studenten (im Gegensatz zum Dresdner 61er) fähig, in den Innenraum durchzugehen. Es gibt kaum Sitze, um die maximale Fahrgastkapazität zu erhöhen.
Weit können wir leider nicht mitfahren, ehe der Bus in die falsche Richtung abbiegt und wir schleunigst aussteigen, ehe wir sonstwo landen. Also geht es zu Fuß weiter. Die Neustadt hat nichts wirklich Sehenswertes zu bieten…
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…außer vielleicht überladene LKW.
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Allmählich knurrt der Magen, doch mit Restaurants sieht es schlecht aus. Ein Salon du Thé reiht sich an den Nächsten und jedes Mal erklärt man uns auf Nachfrage, dass wir „direct en face“ etwas zu essen bekommen würden, nur in diesem Laden nicht. Nachdem wir im dritten verrauchten Café gelandet sind, versuchen wir der Bedienung eine genauere Wegbeschreibung zu entlocken. Doch auch das hinzugefügte „á droite“ bzw. „á gauche“ nützt uns nichts. Wir irren von einer Straßenseite auf die andere und bewegen und zickzackartig entlang der Hauptstraße fort. Der Hunger siegt schließlich und wir nehmen notgedrungen an einer Garküche Platz, um ein Fladenbrot gefüllt mit gegrilltem Fleisch zu verspeisen. Anschließend begeben wir uns doch in einen Salon du Thé. In diesen sitzen stets nur Männer – ich habe während unseres gesamten Aufenthalts nicht eine Frau darin gesehen. Meistens wird nebenbei geraucht und/oder Zeitung gelesen. Gelegentlich sitzen auch kleine Gruppen zusammen und unterhalten sich gestenreich.

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Minztee – auch Whiskey Marocaine genannt. Die Nanaminzblätter werden stets frisch verwendet und mit grünem Tee aufgegossen. In der Regel wird der Tee – wie so viele Lebensmittel - pappsüß getrunken. Den auf das Tablett verschütteten Tee habe ich zu verantworten, weil ich immer wieder probiert habe, den Tee wie die Einheimischen aus mindestens einem Meter Höhe in das Glas zu gießen, damit er mehr Zeit zum Atmen hat.
Unangenehm viele Bettler, Schuhputzer und Verkäufer streifen umher.
Während wir bezahlen, meint der Kellner, wir wären wie echte Marokkaner.

Weiter geht’s zur Avenue Hassan II. Unterwegs kaufen wir noch ein paar Erdbeeren von einem der Handwagen.
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Auf der breiten Straße gibt es einen Grünstreifen in der Mitte, auf dem die typische Kinderbeschäftigung angeboten wird – sozusagen elektrische Bobbycars.
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Es gibt hier eine Bushaltestelle Richtung Medina und wir wimmeln erstmal alle Taxiangebote ab. Buslinie 9 fährt grob in unsere Richtung. Bald nähert sich ein Bus, die Menschen hängen weit aus den Türen heraus – Gott sei Dank ist es ein 25er. Die beiden anderen hier verkehrenden Linien kommen ebenfalls vorbei, dann eine nicht angeschriebene Linie.
In fünf Minuten sollte ein 9er kommen, meint ein junger Mann, der seine Sprachkenntnisse gleich mit „Adolf Hitler“ zur Schau stellt.
In der Tat kommt bald ein Kleinbus der richtigen Linie, wir können problemlos einsteigen und bezahlen je 0,35€. Warum der Bus nur in Fahrradgeschwindigkeit Richtung Medina kriecht, ist mir nichts ersichtlich.
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Nach einem weiteren Fußmarsch erreichen wir den Botanischen Garten und werden auch nicht durch das unterwegs verdrehte Hinweisschild vom rechten Weg gelockt.
Aber wie könnte es anders sein – er hat geschlossen.
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Jetzt werden erstmal die Erdbeeren verspeist – Mitte März durchaus etwas ungewohnt und in Mineralwasser gewaschen.

Basar am Rand der Medina
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…und natürlich Obst.
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Wir suchen nach einer Gelegenheit zum Abendessen und werden in der Restaurantmeile äußerst aggressiv angeworben. „Hello my friend! Best rates on TripAdvisor, just here we have special offer…“
„Guten Abend, deutsch. Where are you from?“
Ich beginne, einfach allen „Guten Abend“ zu wünschen, dadurch halte ich die nervigen Karten-in-die-Hand-Drücker etwas auf Abstand.
Wir landen in einem leicht alternativen Laden mit Billardtisch und nicht aus arabischem Kitsch bestehender Deko. Nach einer bekömmlichen Gemüse-Tajine sowie einem frisch gepressten Orangensaft – eigentlich gibt es hier fast nur frisch gepresste Säfte – machen wir uns auf den Rückweg.
„Some good Rauchen?“
„Hello my friend, special Coffee Shop over there!“
Wir hören gar nicht mehr hin.
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Lobedan
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Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 3 Aug 2017, 13:53 hat geschrieben: Eine Schafherde
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Schöner Gegensatz mit der Stadt im Hintergrund. Deine Landschaftsfotos gefallen mir mal wieder am besten.
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 3 Aug 2017, 16:51 hat geschrieben:Deine Landschaftsfotos gefallen mir mal wieder am besten.
Aus dieser Kategorie habe ich in Kürze noch mehr auf Vorrat :)


Tag 8 Volubilis, Moulay Idriss & Meknés

Wie zu erwarten war, ist die für das Frühstück verantwortliche Frau wieder nicht da, sodass wir uns auswärts für den Tag stärken. In einem kleinen Café gibt es heiße Schokolade – den Fehler, den furchtbar strengen Kaffee zu nehmen, begehe ich kein zweites Mal – sowie ein paar Läden weiter süße Teilchen.

Zügig laufen wir zum Parkplatz, doch es ist nur ein einziges Petit Taxi zu sehen, auf dessen Dach gerade zwei Frauen ihre Koffer verladen. Ob sie vielleicht zufällig auch zum Bahnhof wollen? Ja. Doch zu früh gefreut, denn Petit Taxis dürfen ja nur drei Fahrgäste befördern.
Das nächste Taxi kommt in einer Minute, teilt uns einer der Kofferträger mit. Doch wie wir ja bereits erfahren haben, ist eine Minute in Marokko eine dehnbare Zeiteinheit.
Da taucht gerade unser Gastgeber auf, bereit mit seinem neuen Ford Focus wegzufahren. Klar kann er uns zum Bahnhof mitnehmen und tut das zu unserer großen Überraschung sogar kostenlos – da versteh einer die Leute hier.

Fahrkarten für 8,80€ p.P (Hin- und Rückfahrt) sind nach einer Minute erworben, da bleiben sogar noch zehn Minuten zum Knipsen. Schade, wieder keine Übersatzfenster.
Eine E1300 übernimmt die Bespannung.
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Die Strecke ist begradigt und der Zug rauscht flott nach Meknés.
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Wir treffen einen Pendler im Zug. Zum laut Reiseführer angeblich nahezu unerreichbaren Geheimtipp Volubilis kommt man mit dem Grand Taxi für etwa 10€.
Am Bahnhof angekommen, dauert es keine fünf Sekunden, bis uns ein Taxi nach Volubilis angeboten wird. Wir treffen einen amerikanischen Geschichtsstudenten mit Schwerpunkt Naher Osten, der ebenfalls mitfährt. Inklusive Wartezeiten soll die Fahrt 10€ p.P. kosten.
Notgedrungen akzeptieren wir den Preis und fahren mit einem 40 Jahre alten Mercedes durch die schöne Hügellandschaft. Auf der Landstraße herrscht nur wenig Verkehr, nur ein LKW im Fahrradtempo bremst uns kurzzeitig aus.
Der Taxifahrer gibt uns eine Stunde in Volubilis, einer antiken römischen Stätte, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und der Anzahl der Reisebusse nach zu urteilen absolut kein Geheimtipp ist.

Nicht ganz TSI-konforme Zugangsrampe
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Die noch erhaltenen Reste der Zentralheizung einer Villa deuten darauf hin, dass es zur Römerzeit in der Region kälter als heute gewesen sein muss.

Als die Bewohner des Storchennestes ankommen, gilt die Aufmerksamkeit aller Touristen mehr den Störchen als den Steinen.
Als Baugrund haben sie eine Säule der Basilika ausgewählt.
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Bunte Blumen
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Hier ließe es sich noch ein Weilchen aushalten. Außerdem ist das Gelände derart riesig, dass es unmöglich in einer Stunde besichtigt werden kann. Doch der Taxifahrer wartet ja schon auf uns, um weiter in das 4 km entfernte Moulay Idriss zu fahren und wir sind ohnehin schon zehn Minuten zu spät dran. Tsts, die deutsche Pünktlichkeit.
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Im zurecht sehr gelobten Wallfahrtsort können wir leider nur eine halbe Stunde verbringen. Die engen Gassen mit den farbenfrohen Häusern und den freundlich grüßenden Bewohnern bleiben uns sehr positiv in Erinnerung.

Marktplatz
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Das einzige brauchbare Verkehrsmittel ist wegen der extremen Steigungen und der vielen Treppen der Esel.
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Der Telefonhörer weist mal wieder auf die allgegenwärtigen Teleboutiques hin.
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Beitrag von Entenfang »

Die dort auffindbaren Apparate sehen diesem nicht unähnlich.
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Wer weiß, ob nicht die zunehmende Zahl an Handys diesem Geschäftsmodell bald den Garaus macht…

Einige Eindrücke unseres Spaziergangs, bei dem wir uns nach fünf Minuten hoffnungslos verirrt haben und ohne GPS wohl nie wieder zum Ausgangspunkt zurückgefunden hätten.
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Das ist doch keine Katze im Sack?
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Der Ort ist nach allen Regeln der Kunst in den Hang gebaut
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Und wieder zurück am Ausgangspunkt
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Die Luft ist nach wie vor kühl, nur die Mittagssonne brennt auf uns nieder, während der betagte Mercedes die drei Fremden wieder nach Meknés bringt.
Der Amerikaner eilt davon, als wir die Medina erreichen, denn ihm bleibt nur noch eine Stunde bis zur Abfahrt seines Grand Taxi nach Rabat.
Apropos, beim spärlichen Mittagessen (Baguette mit La Vache Quirit) beobachten wir den vorbeifließenden Verkehr.
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Beitrag von Entenfang »

Im Vordergrund ein typisches Grand Taxi, in dem zusätzlich zum Fahrer bis zu sechs Fahrgäste befördert werden können – zwei auf dem Beifahrersitz und vier auf der Rückbank. Das können wir tatsächlich sehr häufig beobachten. Die klimatisierten Siebensitzer müssen einen enormen Komfortfortschritt bedeuten…
Dahinter folgt ein Petit Taxi im für Meknés typischen hellblau.
Ein perfektes Negativbeispiel für Shared Space findet sich auf dem belebten Place El Hedim.
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Auf der durchgehend gepflasterten Fläche ist man als Fußgänger nirgendwo sicher.

Wir beginnen mit der Besichtigung des Lebensmittel-Souks.
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Leider können wir uns nicht in Ruhe umschauen, ohne sofort von aggressiven Verkäufern genervt zu werden, also gehen wir weiter.

Wir dringen tiefer und tiefer in die Souks der Medina vor.
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In einem Großteil der Läden kann man garantiert echt gefälschte Markenklamotten kaufen.

Wir entdecken einen kleinen Schneiderladen…
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…und ein Café.
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Joachim braucht erstmal einen Kaffee – hier gibt es ihn sogar im Pappbecher - und wir entdecken auch noch einen Bäcker, der mal nicht nur das allmählich überdrüssige Blätterteiggebäck im Angebot hat.
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Beitrag von Entenfang »

Nur wo das Kaffeekränzchen machen?
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In der Medina kann man nicht verweilen – entweder man wird sofort von den Verkäufern belästigt oder man blockiert die engen Wege vollständig. Schade eigentlich, die eine oder andere Sitzgelegenheit wäre super…

Nachdem uns die Gassen wieder freigelassen haben, wollen wir das Mausoleum aufsuchen. Doch wegen Bauarbeiten ist es leider geschlossen.

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Nein, da wollen wir nicht hin.

Die umherirrenden Touris sind natürlich ein willkommenes Fressen für die geschäftstüchtigen Einheimischen und ehe wir es uns versehen, stehen wir in einem Laden mit berberischen Kunstartikeln, Metallarbeiten sowie Tuchwaren.

Bei der anschließenden Suche nach einem alternativen Rückweg verlaufen wir uns mal wieder hoffnungslos in irgendwelchen Gassen.
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Ein Mann führt uns wieder heraus, ganz ohne nach Geld zu fragen. Ein Wunder.

Prägend ist die gut erhaltene Stadtmauer der Palaststadt aus dem 18. Jahrhundert.
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Die Place El Hedim strahlt im Abendlicht, im Hintergrund das Bab el Mansour.
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Wir beschließen, das Abendessen noch vor der Rückfahrt einzunehmen und folgen dem Rat von Tripadvisor in ein nahes Restaurant. Selbstverständlich sind wir wieder die einzigen Gäste. Wir warten ewig, doch es lohnt sich.

Joachim wählt eine Rindfleischtajine mit Pflaumen und Mandeln, ich eine Pastilla. Manch einer mag sich wundern, sobald er die Zutaten für Letzteres erfährt. Der Blätterteig ist mit Hähnchenfleisch (es gibt auch eine vegetarische Variante mit Gemüse) gefüllt, oben drauf sind Zimt und Puderzucker gestreut. Die marokkanische Küche beherrscht die Harmonie von Süßem und Herzhaftem ganz hervorragend – es ist ein einzigartiger und ungewohnter Geschmack.

Ehe wir uns auf den Rückweg machen, ein Blick über den zentralen Platz bei Nacht. Hier bekommt man eine Tajine für jede Lebenslage.
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Anschließend nehmen wir ein Petit Taxi zum Hbf, es ist das erste und einzige Mal, dass der Fahrer ein Taxameter benutzt und sogleich die Chance nutzt, eine etwas länger Route zu nehmen als nötig. Doch der Preis von 1,80€ für knapp 4 km bleibt dennoch unschlagbar günstig.

Flott rauscht die Nacht am Zugfenster vorbei, der Vollmond steht tief über dem Horizont. Etwas wehmütig stellen wir fest, dass keine weitere Bahnfahrt mehr auf unserem Reiseplan steht...
In Fés zahlen wir nochmal 2€ für ein Taxi und erreichen müde unsere Unterkunft.

Auf Anfrage bekommen wir unsere Wäsche wieder. Sie ist einfach in einen großen Eimer gestopft, nicht gebügelt und stinkt nach Waschmittelresten. Und wo ist eigentlich meine große Wäschetüte?
Die würde ich morgen Früh bekommen.
Damit ist mir klar, dass ich sie nie wiedersehen werde.
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Hot Doc
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Beitrag von Hot Doc »

Toller Bericht!!! Vielen Dank!

Es erinnert mich an meine Marokkotour von vor 15 Jahren mit dem VW Bus. Vor allem Fes ist in toller Erinnerung geblieben. Ein Führer hat uns vom Nordtor zum Südtor geführt und meinte, wir müßten dort ein Taxi außenrum zurück nehmen. Wir haben es mit unserer Touriführerkarte allein durch die Innenstadt gewagt und sind am Osttor gestrandet (wohlgemerkt 2 sehr orientierungssichere Pfadfinder). Das ist mir vorher und nachher nie wieder passiert.

Natürlich haben wir auch was kaufen (müssen). Bei uns waren es Kopftücher zu einem stark überteuerterten Preis. Aber wenn man ordentlich runterhandelt merkt man anfangs nicht, dass man immer noch zu teuer ist und freut sich über den Verhandlungserfolg.
Ich weiß nicht, wie die Lage aktuell ist, aber unsere Faustregel war später: Wenn ein Preis aufgerufen wird, zahlt man am Ende ein Zehntel (und ist damit immer noch teurer als der Einheimische). Damit hat man dann aber während der Verhandlung die gesamte Familie des Verkaufers ausgelöscht und seine Gesundheit ruiniert, den ganzen Berufsstand beleidigt und weniger bezahlt als die Rohstoffe wert sind.... ;)
Und kurz drauf triffst du jemanden, der es noch billiger erstanden hat. :P

Ich erinner mich gerne an Marokko!
Catracho
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Beitrag von Catracho »

Entenfang @ 4 Aug 2017, 23:09 hat geschrieben: Die noch erhaltenen Reste der Zentralheizung einer Villa deuten darauf hin, dass es zur Römerzeit in der Region kälter als heute gewesen sein muss.
In der Region ist es heute auch noch kalt, nur halt nicht unbedingt im März. Jahreszeiten sind Dir ein Begriff? ;)

Mfg
Catracho
Theirs not to reason why, theirs but to do and die. - Alfred Tennyson
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Hot Doc @ 5 Aug 2017, 01:01 hat geschrieben:Toller Bericht!!! Vielen Dank!
Bittebitte. :)
Wir haben es mit unserer Touriführerkarte allein durch die Innenstadt gewagt und sind am Osttor gestrandet (wohlgemerkt 2 sehr orientierungssichere Pfadfinder). Das ist mir vorher und nachher nie wieder passiert.
Ich würde mich durchaus als orientierungssicher und Stadtplanliebhaber (also in gedruckter Form) bezeichnen. Die Medinas sind aber jedem Labyrinth ebenbürtig. Ohne Ortskundigen oder GPS ist man einfach chancenlos, was schon daran liegt, dass die unzähligen kleinen und kleinsten Gässchen unmöglich auf einem Stadtplan darzustellen wären und viele gar keine Namen haben.
Ich weiß nicht, wie die Lage aktuell ist, aber unsere Faustregel war später: Wenn ein Preis aufgerufen wird, zahlt man am Ende ein Zehntel (und ist damit immer noch teurer als der Einheimische). Damit hat man dann aber während der Verhandlung die gesamte Familie des Verkaufers ausgelöscht und seine Gesundheit ruiniert, den ganzen Berufsstand beleidigt und weniger bezahlt als die Rohstoffe wert sind.... ;)
Und kurz drauf triffst du jemanden, der es noch billiger erstanden hat.  :P
Ja, kommt mir teilweise bekannt vor. :P
Beim Handeln haben wir sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manchmal liest/hört man, dass bei bestimmten Produkten angeblich nicht verhandelt wird (Lebensmittel, Kosmetik). Diesen Grundsatz können wir aber nicht bestätigen. Manche Ladenbesitzer wollten grundsätzlich nicht verhandeln, bei anderen konnte der Preis um vielleicht 1/3 runtergehandelt werden, bei wieder anderen tatsächlich auf vielleicht 1/10. Mein Fazit diesbezüglich: Man muss sich (gerade als Deutscher) einfach trauen, zu verhandeln und sich daran gewöhnen. Es gehört dort zur Kultur und mehr als Nein kann der Verkäufer nicht sagen. Aber man muss natürlich die Preise kennen, um halbwegs ebenbürtig verhandeln zu können und genau da lag bei mir der Knackpunkt. Keine Ahnung, ob der übliche Preis für 1 Packung Gewürze 10 Cent, 1€ oder 5€ ist...
Ich erinner mich gerne an Marokko!
Na das ist doch schön. Bei uns ist die Freude an der Erinnerung aufgrund noch folgender Ereignisse eher gemischt - aber ich bin jetzt schön still und ihr lest am besten in den nächsten Tagen selbst.
In der Region ist es heute auch noch kalt, nur halt nicht unbedingt im März. Jahreszeiten sind Dir ein Begriff?
Ja, jein und ja. ;)

Die Erklärung für die Heizung haben wir jedenfalls so vor Ort gelesen. Und Tatsache ist, dass keine unserer Unterkünfte eine Heizung hatte. Und im März ist es üblicherweise draußen noch nicht so heiß - die Einheimischen haben von einer ungewöhnlichen Hitzeperiode mit Temperaturen über 30° gesprochen. Problematisch fand ich jedenfalls, dass in den Häusern noch die Kälte des Winters vorhanden war. So waren es also draußen 30 und drinnen 18°. Draußen hatte ich nur ein T-Shirt an und habe mir dann Pulli und Jacke angezogen, wenn wir im Zimmer waren.



Tag 9 Fés -> Merzouga

Zu früh am Morgen klingelt der Wecker und wir brechen ein letztes Mal in Fés zum Frühstück auf. Die meisten Läden haben morgens um halb neun noch geschlossen. Die ersten Teppichhändler hängen ihre Ware aus. Café und Bäcker haben zu unserem Glück geöffnet.
Meine Wäschetüte sehe ich natürlich selbst auf Nachfrage nicht wieder. „No problem my friend!?“ Nein, natürlich nicht. Jetzt kann ich halt während der ganzen restlichen Reise saubere und dreckige Wäsche zusammenstopfen. Grmpf.

Wir ziehen unsere Koffer Richtung Busbahnhof und hoffen, dass uns ein Taxi für einen akzeptablen Preis aufnimmt. Tatsächlich dauert es nicht lange und wir handeln den Preis für die Strecke von weniger als einem Kilometer auf 1€ runter. So müssen wir wenigstens nicht weiter die Koffer steil bergauf über einen leidlich guten Fußweg zerren.

Nachdem wir unsere Koffer vom Fahrzeugdach heruntergehievt haben, dauert es keine fünf Sekunden, ehe uns jemand „Rachidia, Erfoud, Rissani?!“ zuruft. Jaja. Und schon werden wir über den inoffiziellen Weg durch die Buseinfahrt zum richtigen Fahrzeug gebracht. Zu den 10€ für die bereits gekaufte Busfahrkarte kommt nochmal 1€ pro Koffer dazu.
So zeitig wie wir heute dran sind, haben wir freie Platzwahl und nehmen die linke Seite, die zwar anfangs auf der Sonnenseite, dafür aber nachmittags auf der Schattenseite liegt. Es empfiehlt sich dringend, diesen Faktor bei der Platzwahl zu beachten.
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„Where are you from?“ Germany. „Ohhh, willkommen! In Morocco it is no problem to take pictures, you can do it everywhere. Only in mosque it is forbidden.“

Der Bus ist nicht gerade neu und mit nur spärlichem Sitzabstand ausgestattet.
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„RACHIDIA, RACHIDIA! ERFOUD! RISSANI!“, schreit ein Mitarbeiter über den Busbahnhof.
Ein Verkäufer nach dem anderen geht durch den Bus und bietet seine Waren an. Ketten, Uhren, Orangen, frittierte Teigtaschen, Nusssnacks. Einige Waren sind schon als Geschenk verpackt, wem also für den Besuch am Zielort noch das passende Mitbringsel fehlt, kann dies problemlos noch nachholen. Zwischen den Verkäufern ziehen auch einige Bettler durch.
„RACHIDIA, RACHIDIA! ERFOUD! RISSANI!“
Bettler und Verkäufer laufen kreuz und quer zwischen den zurücksetzenden Bussen herum, die gelegentlich durch Zurufe unterstützt werden. Die aufsteigenden Abgaswolken deuten wohl auf Abgasnorm EURO -6 hin.
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Ziemlich leer startet die Fahrt um Punkt 10. Durch dichten Verkehr quälen wir uns in die Neustadt, wo nochmal auf dem Busbetriebshof gehalten wird und einige weitere Fahrgäste zusteigen.
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Das Busunternehmen wirbt mit Reiseerfahrung seit 1928. „Ja, seitdem sind deren Busse auch unterwegs“, spottet Joachim.

An weiteren Haltestellen steigt die Auslastung über 50%. Allmählich erreichen wir die Außenbezirke, in einem nobel wirkenden Viertel mit Privatschulen und – kliniken kostet eine 3-Zimmer-Wohnung 79.000€. Nach einer Dreiviertelstunde lassen wir endlich Fés zurück – bis jetzt haben wir noch keine 10 km zurückgelegt. Bleiben also noch 470.
Durch Obstplantagen und Olivenhaine nehmen wir Kurs auf die Berge. Irgendwann beginnt eine laute Diskussion zwischen dem Busbegleiter, der für Fahrkartenverkauf und Gepäckverladung zuständig ist, und zwei Fahrgästen in der letzten Reihe. Zunächst sind wir uns gar nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Streit handelt, weil sich die arabische Sprache für uns immer sehr aggressiv anhört. Doch durch die Blicke der anderen Reisenden wird uns schnell klar, dass es sich keinesfalls um ein normales Gespräch handelt. So schaut man auch bei uns, wenn jemand beim Schwarzfahren erwischt wird und eine Diskussion mit dem Kontrolleur beginnt.
Die Lautstärke wird noch gesteigert, plötzlich mischen sich auch andere Fahrgäste lautstark ein und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Da ist sie wieder, die Aggressivität. Der Busbegleiter ruft dem Fahrer zu, dass er anhalten soll und wenige Augenblicke später stehen wir irgendwo im nirgendwo am Rande einer Landstraße.
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Zwei junge Männer werden am Schlafittchen gepackt und unter lautstarkem Protest und körperlicher Gegenwehr nach draußen befördert. Dann wird die Tür zugeknallt und weitergefahren.

Die Straße steigt stetig an und windet sich ins Gebirge.
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Kurzzeitig kommt uns der Baustil regelrecht deutsch vor.
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Doch dieser Eindruck währt nur kurz.
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Nach rund zwei Stunden machen wir in Azrou die erste Pause.

Wer sich mit etwas Reiseproviant eindecken möchte wird hier ebenso fündig wie jemand, der ein WC sucht.
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Für die arabischen Hockklos muss man grundsätzlich 1 Dirham zahlen und sie sind ihr Geld generell nicht wert, wie wir leider allzu oft feststellen mussten.

Wohin kommt man denn so von diesem Busbahnhof? Das verrät die bei Benutzung eines feuchten Lappens äußerst dynamische Abfahrtstafel.
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Noch eine Generation älter ist der Bus nebenan
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Wir stehen fast eine halbe Stunde, ehe die Weiterfahrt durch Hupen und Spielen mit dem Gas angekündigt wird. Da der Motor die ganze Zeit gelaufen ist, verteilt sich nun ein übelriechender Nebel im Innenraum.

Nach zweieinhalb Stunden haben wir gute 70 km geschafft. Irgendwie glaube ich schon jetzt nicht mehr daran, innerhalb von acht Stunden Rissani zu erreichen.
Auf der immer höher führenden Landstraße ist kaum noch Verkehr und wir halten nur noch selten.
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Abschnittsweise durchfahren wir dichten Wald, doch in den Höhenlagen wird die Vegetation allmählich karger.
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Kühle Luft strömt durch die geöffnete Dachluke und macht die Fahrt angenehm.

Im Schatten der Bäume sind am Pass auf knapp 2000 Meter Höhe Schneereste erkennbar. Schlagartig ändert sich die Landschaft mit dem Überschreiten des Hauptkamms.
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Jetzt geht es erstmal wieder abwärts, in einem Affenzahn saust der Busfahrer die kurvige Straße herunter.
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Garküche in einem kleinen Ort
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Schafe und Gräser verzieren die Hügellandschaft
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Beitrag von Entenfang »

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Nach dem Verlassen des Gebirges öffnet sich die Wüste.
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Nach weiteren zwei Stunden Fahrt wird wieder eine längere Pause eingelegt, der Baustil der Häuser hat sich deutlich geändert. Außerdem sind mehr Radfahrer unterwegs.
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Schließlich wird die Fahrt nach Hupen und Motorheulen fortgesetzt, doch wir kommen nicht allzu weit. In Midelt wird schon wieder eine Pause eingelegt.
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Jedes Mal findet reger Fahrgastwechsel statt, doch der Bus bleibt nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt.
Und weiter geht die Fahrt nach Süden.
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Nachdem wir einen weiteren Gebirgskamm durchfahren haben, öffnet sich abermals endlose Wüste und wir denken, es war der Letzte.
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Doch schon bald windet sich die Straße wieder aufwärts. Auf der Landstraße kommen uns nur sehr vereinzelt Fahrzeuge entgegen.
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Feldarbeit
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In Rich folgt die nächste längere Pause.
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Beitrag von Entenfang »

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Abermals hat sich der Baustil gewandelt, in erster Linie an der pinken Färbung der Häuser zu erkennen, die hier außerdem viel offener sind, um im Sommer einen kühlen Luftzug zu gewährleisten. Auch die Hautfarbe der Menschen ist hier dunkler, südlich des Atlas bilden die Berber die Bevölkerungsmehrheit.

Immer wieder passieren wir Moscheen, die vor allem außerhalb der Städte einen extremen Kontrast zu den äußerst ärmlichen hüttenartigen Behausungen mit Wellblechdächern bieten.
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Zu unser großen Überraschung folgt doch noch ein stattlicher Bergkamm.
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Wir durchfahren eine tiefe Schlucht und die rötlichen Felsen erstrahlen im Abendlicht – es ist der schönste Abschnitt der langen Fahrt.
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Der Stausee unweit der Provinzhauptstadt Rachidia
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In der rund 100.000 Einwohner beherbergenden Stadt – der mit Abstand größten im Umkreis von 300 km – wird natürlich pausiert. Acht Stunden sind wir nun unterwegs und 94 km liegen noch vor uns.

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Beschäftigungsmaßnahme – gleich zwei Angestellte kümmern sich um das ordnungsgemäße Öffnen und Schließen des Tors. Ansonsten ist der Busbahnhof eher modern mit Einlasskontrolle wie am Bahnhof und automatischen Ansagen.

Als wir Rachidia verlassen, senkt sich die Dunkelheit schnell über die Wüste.
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Der „Sandsturm“ ist übrigens eine reine optische Täuschung durch die lange Belichtungszeit.

Die Straße wird etwas holpriger, doch wir fahren unvermindert schnell. Es folgt eine weitere kurvenreiche Strecke in ein Tal, die wir aufgrund der völligen Schwärze in der Wüste aber nicht wirklich wahrnehmen. Zahlreiche unbeleuchtete Fahrräder und Fußgänger sind unterwegs, ein glattes Selbstmordkommando beim hier wieder deutlich dichteren Verkehr. Einige Mofas sind zur besseren Erkennbarkeit mit bunten Weihnachtslichterketten geschmückt.

Es folgt Erfoud, eine Frau bietet uns Orange und Brot an und wir greifen zu, da wir in der Tat mittlerweile ziemlich hungrig sind. Ihr dreijähriges Kind auf dem Schoß will uns aber trotz guten Zuredens nicht die Hand schütteln.

Nur das gelegentliche Klingeln eines Handys, einige Gesprächsfetzen sowie das konstante Rauschen des Windes in der geöffneten Dachluke, welcher allmählich für einen steifen Nacken sorgt, begleiten unsere Fahrt durch die Nacht.

Da wir uns allmählich der Endstation des Busses nähern, rufen wir in unserem Hostel in Merzouga an. Wir teilen mit, dass wir noch in Rissani Abendessen wollen, da es schon so spät geworden ist. Er empfiehlt uns, lieber gleich nach einem Sammeltaxi Ausschau zu halten, denn später könnte es schwierig werden, noch eins zu finden. Er verspricht uns, dass wir bei ihm auch noch ein spätes Abendessen bekommen können. Nach unserem Erlebnis in Fés sind wir zwar mäßig begeistert von der Idee, entscheiden uns aber mangels sinnvoller Alternativen, sein Angebot anzunehmen. Da fällt ihm außerdem noch ein, dass er ja gaaaanz zufällig einen Freund kennen würde, der heute Abend noch von Rissani zu ihm nach Merzouga fahren würde und uns mitnehmen könnte. Wer hätte das gedacht…
Wir geben ihm unsere marokkanische Handynummer und tatsächlich ruft uns wenig später der Freund an. Er würde uns am Busbahnhof in Rissani erwarten und hätte ein „big car“.

Nach knapp zehn Stunden Fahrt hält der Bus am Rand der 7000-Einwohner Stadt Rissani an einem dunklen Busbahnhof.

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Fahrerarbeitsplatz – derselbe Busfahrer saß für die komplette Strecke hinter dem Steuer. Aufgrund der langen Pausen unterwegs wäre ein solcher Dienst wohl auch in Deutschland zulässig.

Kaum sammeln wir unsere Koffer ein, kommen dubiose Männer herbeigestürmt, um uns Hotels aufzuschwatzen. Wir wurden eindringlich gewarnt, ihnen auf keinen Fall zu folgen, weil das im besten Fall mit einer extrem überteuerten Übernachtung endet. Wir begeben uns stattdessen zum Ausgang und werden von einer weißen Frau mit unseren Namen angesprochen.

Das „big car“ entpuppt sich als Lieferwagen mit spanischen Kennzeichen – ein wenig spanisch kommt uns das Ganze ja schon vor, aber welche Alternative haben wir?
Das Fahrzeug hat nur drei Sitze und einen großen Laderaum, in welchem wir unsere Koffer zwischen einer Regentonne, Metallstreben und weiterem, im Zwielicht nicht erkennbaren Krempel verstauen. Die Frau verschwindet zusammen mit einem Mann ebenfalls im Laderaum und kommentiert das Ganze mit „Welcome to Africa!“. Wir schwingen uns auf die beiden Beifahrersitze, am Steuer sitzt ein Spanier.
Ganz wohl ist uns nicht, als die Fahrt beginnt. Immerhin führt sie in die richtige Richtung.

Der Spanier erzählt uns, dass er geschäftlich für einen Monat in Marokko unterwegs ist. Er baut hauptberuflich Escape Rooms und für sein aktuelles Projekt mit dem Namen „Sahara“ sammelt er authentische Gegenstände ein. „At the end of this month, the Van will be very full!“
Ein paar Straßen weiter legen wir einen kurzen Zwischenstop ein und die Spanier entladen einen Teil des Krempels und bringen ihn in ein Haus. Einige Minuten später setzen wir die Fahrt fort und verlassen Rissani Richtung Merzouga. 25 km to go.

Wir erwarten eine schnurgerade Straße durch das Nichts, doch die kleine Landstraße windet sich zwischen Palmen, Wassergräben, Häusern und hell erleuchteten Luxushotels durch die Nacht. Wir hätten nicht gedacht, dass die Wüste so „voll“ ist.

Eine gute halbe Stunde später erreichen wir ohne Zwischenfälle unser Ziel. Zu unser außerordentlich großen Überraschung müssen wir nichts für die Fahrt bezahlen. Ein freundlicher Mann um die 30 empfängt uns im Hostel und bringt uns ins Zimmer. Wir staunen nicht schlecht – das gemütliche Zimmer in dem angenehm warmen Lehmhaus erinnert uns so gar nicht an ein Hostel.
Dann lädt er uns sogleich in den Gastraum ein. Hungrig stürzen wir uns auf den großen Salat aus Tomaten, Zwiebeln und Oliven mit Fladenbrot. Anschließend bekommen wir eine Berber-Style-Tajine mit Tomaten und Ei, die ebenso köstlich schmeckt wie die Vorspeise. Eine Obstplatte rundet das späte Abendessen ab. Endlich satt und glücklich am Ziel zu sein, bedanken wir uns bei unserem Gastgeber, der zusammen mit den Spaniern eine Tajine verspeist.

Beim Schreiben des Reiseberichts des ereignisreichen Tages fallen mir die Augen zu und ich schlafe in dem Moment ein, als mein Kopf das Kissen berührt.
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Beitrag von Lobedan »

Wow was für eine Fahrt. Schade, dass es durch diesen Landschaftswechsel keine Eisenbahn gibt.
Und ich bin mir nicht sicher, ob es mich beruhigt hätte, auf dem Lastwagen eines Escape Room-Bauers mitzufahren. :D
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 5 Aug 2017, 20:06 hat geschrieben:Wow was für eine Fahrt. Schade, dass es durch diesen Landschaftswechsel keine Eisenbahn gibt.
Das haben wir auch gedacht. Die lange Fahrt statt eingezwängt im Bus in einem Abteilwagen mit Übersatzfenstern - es wäre wohl die schönste Bahnfahrt meines Lebens gewesen.


Tag 10 Merzouga

Heute schlafen wir mal richtig aus. Das angenehm warme Zimmer ist eine wahre Wohltat nach der eisigen Raumtemperatur unserer Unterkunft in Fés. Nur die steinharten Betten sind wohl ein obligatorisches Ausstattungsmerkmal in Marokko.
Nach dem ausgiebigen Frühstück wagen wir uns nach draußen. Unsere Augen müssen sich erstmal an die Helligkeit gewöhnen, obwohl es sich keinesfalls um einen strahlend blauen Himmel handelt. Der kräftige Wind wirbelt Sand auf, der vermutlich für die indirekte Sonneneinstrahlung sorgt.
Vor unserer Unterkunft stehen einige Wohnmobile von rüstigen Rentnern aus Frankreich. Eine Frau sitzt am Laptop und versucht, irgendeinen Modulateur zu installieren, was ihr offensichtlich nicht gelingt. Wie wir erfahren, kommen die meisten jedes Jahr hierher. Ein Ehepaar ist nun schon zum 17. Mal in Folge an diesem Ort.

Wer sich die Sahara als ein riesiges Gebiet romantischer Dünenlandschaften vorstellt, liegt leider weit von der Realität entfernt. Ein Großteil der größten Wüste der Erde ist eher eine karge Steinlandschaft. In Marokko gibt es lediglich zwei kleinere Gebiete mit Sanddünen – eines bei Merzouga und eines bei Zagora.

Und dieser Blick bietet sich uns, nachdem sich die Augen einigermaßen an die Wüstensonne gewöhnt haben:
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Ein Großteil der Sahara sieht aus wie im Vordergrund. Im Hintergrund ist das Dünengebiet zu erkennen. Die Kamele dienen ausschließlich zur Touristenbespaßung.

Am Stadtrand gibt es einen Palmenhain, der größer ist, als er auf den ersten Blick erscheint.
Wir unternehmen einen Spaziergang, um ihn zu erkunden.
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Wir finden es ziemlich erstaunlich, welch üppiger Nahrungsmittelanbau in einer scheinbar völlig unfruchtbaren Wüstenregion möglich ist.

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Der Stockwerksanbau mit Dattelpalmen als Schutz gegen die sengende Sonne und den Wind könnte exakt so in einem Erdkundebuch beschrieben werden. Durchaus eine interessante Gelegenheit, es mal in Echt zu sehen. Angebaut wird vorwiegend Getreide, aber wir entdecken auch Bohnen, Fenchel und Pfirsichbäume.

Lange Zeit begegnen wir keinem Menschen, niemand kommt hier auf die Idee, in der Mittagszeit draußen herumzuspazieren. Ich ermahne mich, noch besser auf Sonnenschutz zu achten und genug zu trinken, obwohl die Lufttemperatur bei nur 25°C liegt.

Schließlich entdecken wir doch noch zwei Menschen bei der Feldarbeit mit Hacke und Spaten und wir werden freundlich gegrüßt.

Wir fragen uns, wie hier eigentlich die Bewässerung funktioniert. Das Wasser stammt aus einem Brunnen und strömt dann durch die Kanäle.
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An der benötigten Stelle wird dann ein „Staudamm“ gebaut und das Wasser in einen Seitenkanal geleitet. Das vorgesehene Beet wird dann komplett unter Wasser gesetzt, wie bereits auf dem zweiten gezeigten Bild der Oase zu erkennen ist.

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Der Wind sorgt für stetigen Sandtransport, …

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…sodass sich die Wüste einen Teil der Oase bereits zurückerobert.

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Schutzmaßnahmen

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Das Holz der Palmen eignet sich gut als Brennmaterial.

Wir machen uns allmählich auf den Rückweg in den Ort.

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Der ganze Ort besteht aus derartigen Lehmhäusern, die nicht regenfest sind. Nach einem kräftigen Guss müssen sie repariert werden. Wie unser Gastgeber erzählt, ist der letzte Niederschlag vor einem knappen Jahr (!) gefallen.

Bald verfolgen uns einige Kinder und betteln. „One Dirham! One Dirham!“ Ein Junge bietet uns einen kubanischen Peso zum Tausch an. Wo der herkommt, würde mich aber schon interessieren…

Zur Stärkung suchen wir den empfohlenen Sandwichverkäufer in der Dorfmitte auf. Während wir auf die Zubereitung warten, beobachten wir das Treiben auf der Straße.
Auf ein motorisiertes Fahrzeug Einheimischer kommen etwa fünf zu touristischen Zwecken – sie sind auf den ersten Blick an der Klimaanlage zu erkennen. Jeeps mit getönten Scheiben rollen Staubwolken aufwirbelnd durch den kleinen Ort und Quads mit deutschem Kennzeichen dröhnen fast schon beleidigend laut vorbei. Kinder sitzen zu zweit auf einem Fahrrad ohne Gangschaltung, während zwei Rentner auf ihren Pedelecs vorbeisäuseln. Ein älterer Mann kämpft mit seinem uralten Mofa, das nicht anspringen will. Die Einheimischen Männer haben sich fast alle einen Turban um den Kopf gebunden, um sich vor der Sonne zu schützen. Die Frauen sind ebenfalls verhüllt, viele auch im Gesicht. Die Touristen spazieren in Shorts und Minirock vorbei, die Franzosen laufen auf dem Campingplatz mit entblößtem Oberkörper herum.

Wir bekommen unsere frisch zubereiteten Fladenbrote, gefüllt mit Hähnchen, Oliven und Tomaten. Wir sind positiv überrascht, der Tipp war gut.

Als wir bezahlen wollen, nennt der Verkäufer einen Preis, den wir schlichtweg akustisch nicht verstehen. „Wieviel?“ Er interpretiert unsere Nachfrage fälschlicherweise, dass uns der Preis zu hoch ist. Hinter dem Tresen kramt er eine angegriffene Preisliste hervor und zeigt uns, dass Einheimische selbstverständlich auch denselben Preis von 1,50€ pro Sandwich zahlen müssen. Den Preis bezahlen wir gerne, ehe er wir zu unserer Unterkunft zurückkehren, um uns für die anstehende Wüstentour vorzubereiten.
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Beitrag von Entenfang »

Das Notwendigste wird in den Rucksack gepackt, sogar mein großes Stativ darf mit. Am Ausgang wartet ein Führer mit zwei Kamelen auf uns, das Gepäck wird verladen und wir bekommen noch zwei Fladenbrote mit. Wir setzen uns auf den Rücken der kräftigen Tiere.

Das Aufrichten meines Kamels entlockt mir einen Ausruf des Erstaunens, weil das sehr ruckartig geschieht. Zu unserer Verwunderung kommen keine weiteren Touristen dazu – der Führer nimmt mit dem Seil, welches die beiden Kamele verbindet, Kurs auf die Dünen.
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Der Ritt auf einem Kamel ist weitaus weniger romantisch, als man sich das vielleicht vorstellt. Die Beine müssen weit gespreizt über den breiten Rücken gehalten werden und schon bald spüren wir, wieso das Kamel den Beinamen „Wüstenschiff“ trägt. Die Fortbewegung erinnert doch stark an ein schaukelndes Schiff. Besonders unangenehm wird es, als wir den lockeren Sand erreichen und die Kamele gelegentlich den Halt verlieren und plötzlich ein paar Zentimeter einsacken.

Auch wenn uns aus gutem Grund empfohlen wurde, während des gesamten Ritts beide Hände am Griff zu halten, kann ich nicht auf einige einhändige Bilder verzichten.
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Prinzipiell gibt es verschiedene Formen von Dünen, als Beispiel seien Sterndünen, Querdünen und Parabeldünen genannt. Auch wenn ich im Dünengebiet die unterschiedlichen Formen nicht zweifelsfrei auseinanderhalten konnte, ähnelt die höchste, weithin sichtbare Düne stark einem Stern. Ein Blick aus der Luft bestätigt das. Sie entstehen durch wechselnde Windrichtungen, während Querdünen die klassischen „Sandwalzen“ mit Achse quer zur Windrichtung bei einer vorherrschenden Windrichtung sind (z.B. auf Sylt). Parabeldünen sind häufig eher einzelne Sandhaufen und durch ihre hohe Wandergeschwindigkeit gefährlich für Felder und Siedlungen.

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Völlig unbeeindruckt stapft der Führer voran und wir lassen den Ort hinter uns.

Es ist nicht sehr warm und ein frischer Wind sorgt für zusätzliche Abkühlung. Bald ist der Sand überall am Körper zu spüren. Die Einheimischen wissen schon, warum sie sich vermummen…

An zwei Stellen wollen die Kamele nicht weitergehen, sodass der Führer mit den Händen Sand beiseite räumen muss, um den Tieren eine Art Treppe zu bauen. Nach einem besonders steilen Abschnitt schnaufen die Tiere deutlich stärker als der Führer. Er gönnt ihnen eine kleine Pause, die als Fotostop genutzt wird.
Schweigend erklimmen wir die Sanddünen. Sonne und Wolken wechseln sich ab, auf einigen Gipfeln stehen Menschen. Anfangs sausen noch recht häufig Quads durch die Landschaft, doch deren Zahl nimmt allmählich ab.

Nach einer knappen Stunde ist das Camp erreicht, in dem wir die Nacht verbringen werden. Wie sich bald herausstellt, sind wir heute die einzigen beiden Gäste.
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Auf Nachfrage erklärt der Führer, er hätte das Lager am Sonnenstand gefunden. Für uns sehen die Dünen alle gleich aus.

Zeit zum Ausruhen
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Lange rätsele ich, woher die ganzen schwarzen Kugeln kommen, die kleinen Kieselsteinen ähneln, aber viel leichter sind und in fast jeder Senke auf den Weg durch die Dünen zu sehen waren. Vielleicht habt ihr ja eine Idee, um was es sich handeln könnte. Morgen gibt’s die Auflösung.

Die Kamele tun mir leid. Mangels Möglichkeiten zum Festbinden wird ein Bein abgebunden, damit sie nicht weglaufen können. Irgendwie humpeln sie bis zu den kleinen Grasbüscheln, um sich zu stärken.
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Wir spazieren ein wenig herum und genießen die Landschaft – allzu oft bekommt man schließlich nicht die Gelegenheit, sich in einer derart prächtigen Dünenlandschaft aufzuhalten.
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Angesichts des regen Verkehrs kann von einer einsamen Wüste keine Rede sein…
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Auch bei unserem Camp kommt ein Quad vorbei. Ob der Fahrer nur Hände schüttelt oder auch unser Abendessen anliefert, ist nicht erkennbar.
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Beitrag von Entenfang »

Mit dem Sonnenuntergang haben wir kein Glück – der Himmel ist inzwischen völlig mit Wolken verschleiert.
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Stattdessen trinken wir den inzwischen bereitgestellten Tee, um den Sand wegzuspülen.

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Als es in die blaue Stunde übergeht, wird es ziemlich frisch draußen. Ich ziehe meine Winterjacke an.

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Bald sieht man Lichtkegel durch die Nacht streifen.

Der Führer bereitet uns ein Abendessen zu. Auf eine Suppe folgt eine riesige Tajine, von der wir nicht mal die Hälfte schaffen und anschließend folgt noch ein Obstteller. Wir kommen uns schon etwas komisch vor, dass nur für uns beide so ein enormer Aufwand getrieben wird.

Es klart auf, sodass anschließend ein prächtiger Sternenhimmel über unseren Köpfen sichtbar wird. Doch der auffrischende Wind ist derart kalt, dass wir uns dennoch bald ins Zelt verkriechen.
Zu allem Überfluss hat bei mir auch noch plötzlich und unerwartet eine kräftige Erkältung zugeschlagen, sodass ich freiwillig um 22 Uhr den Tag beende und mich angezogen unter drei Wolldecken hinlege. Morgen müssen wir schließlich früh raus, um 6:40 Uhr ist Sonnenaufgang. Den Umständen entsprechend ist das Zelt durchaus komfortabel eingerichtet. Es gibt sogar elektrisches Licht.
Der Sand ist inzwischen überall zu finden. Er rieselt aus den Klamotten, brennt in den Augen, juckt in den Ohren und knirscht zwischen den Zähnen. Auch das Stativ macht beim Einklappen ungesunde Geräusche.
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Beitrag von Lobedan »

So eine klassische Sandwüste und eine landwirtschaftlich genutzte Oase würde ich mir auch gern mal anschauen, ich schätze, dass die Fotos den echten Eindruck gar nicht so vollends transportieren können. :)
Entenfang @ 7 Aug 2017, 00:00 hat geschrieben:Lange rätsele ich, woher die ganzen schwarzen Kugeln kommen, die kleinen Kieselsteinen ähneln, aber viel leichter sind und in fast jeder Senke auf den Weg durch die Dünen zu sehen waren. Vielleicht habt ihr ja eine Idee, um was es sich handeln könnte. Morgen gibt’s die Auflösung.
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 7 Aug 2017, 05:41 hat geschrieben:So eine klassische Sandwüste und eine landwirtschaftlich genutzte Oase würde ich mir auch gern mal anschauen, ich schätze, dass die Fotos den echten Eindruck gar nicht so vollends transportieren können. :)
Damit hast du natürlich recht - jedes Bild ist ja nur ein abgebildeter Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Ich kann einen Besuch in Merzouga sehr empfehlen, wenn du dich dafür interessierst - der Ort ist verhältnismäßig einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, bietet eine gewisse Touristeninfrastruktur und ist laut Auswätigem Amt auch sicher (Von Reisen in Wüstenregionen wurde und wird sonst abgeraten.)
Kamelkot? :ph34r:
Herzlichen Glückwunsch, richtig! :D


Tag 11 Merzouga -> Erfoud

In der Nacht zieht ein starker Sturm auf. Das Zelt wackelt, der Wind rauscht und ab und zu spüre ich einen kühlen Luftzug unter den vielen Decken. Ich schaue auf mein Handy. 3:28 Uhr.

Ein ausgewachsener Wüstensturm ist keine wahnsinnig angenehme Erfahrung, die man unbedingt gemacht haben muss. Ich sollte noch viele weitere Male aufs Handy schauen und schlafe bis zum Morgengrauen nicht mehr ein.
Nach einer gefühlten Ewigkeit – wahrscheinlich eine der längsten Nächte meines Lebens – beginnt endlich ein neuer Tag. Zum Glück hat sich der Sturm gelegt und es ist nur teilweise bewölkt. Leider haben sich die Wolken die Ostseite ausgesucht, die zweite Chance verspielt.

Mit triefender Nase schleppe ich mich auf die nächste Düne. Einen Schal und eine Mütze könnte ich gut gebrauchen, aber wer rechnet schon damit?
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Überall beginnt rege Betriebsamkeit, Karawanen machen sich auf den Rückweg in die Zivilisation. Luftlinie sind wir übrigens nicht mehr als zwei Kilometer vom Ort entfernt – es könnten aber genauso gut 20 oder 200 sein.
Auch wir besteigen wieder die Wüstenschiffe und treten den Rückweg an. Unsere Beine schmerzen vom gestrigen Ritt, doch wir schrecken nicht mehr jedes Mal auf, wenn die Kamele abrutschen. Wortlos wird unser kleiner Zug in die Stadt zurückgeführt. Die zahlreichen Spuren im Sand deuten auf eine wahre Karawanenautobahn hin. Nach einer knappen Stunde bei frischem Wind ist mir nicht gerade warm, obwohl die Sonne nun immer kräftiger wird.
Zurück in unserer Unterkunft bekommen wir ein reichhaltiges Frühstück. Nur am Rande nehme ich wahr, dass die Franzosen immer noch mit dem Modulateur kämpfen – wenn man keine Probleme hat, schafft man sich halt welche. Ich frage mich, was man hier mitten in der Wüste eigentlich jedes Jahr macht.
Gestärkt lege ich mich völlig erschöpft nochmal hin.

Nachdem unser Gastgeber etwas drängt, brechen wir gegen 13 Uhr auf. Doch wir haben uns eine äußerst ungünstige Zeit für Sammeltaxis ausgesucht. Freitagmittag zur Gebetszeit eines erwischen zu wollen ist vergleichbar mit dem Wunsch, in Deutschland sonntags mit einem Regionalbus fahren zu wollen.

Nachdem wir eine Dreiviertelstunde am Dorfplatz auf… ja was eigentlich? … gewartet haben, bitte ich unseren Gastgeber, ein Taxi zu rufen, welches uns direkt in das 50 km entfernte Erfoud bringt. Meine Kräfte sind am Ende und ich habe keinen Nerv mehr, auf ein Sammeltaxi zu warten, das „gleich kommt“.
In zehn Minuten, verspricht er. Tatsächlich dauert es keine fünf. Es ist zwar kein offizielles Taxi, aber das ist mir inzwischen auch egal. Unser Gastgeber hat sich als äußerst zuverlässig erwiesen und selbst das Abendessen nach unserer Ankunft ging aufs Haus.
Ein Renault Kangoo, der die beste Zeit hinter sich hat, wird uns zu unserem nächsten Etappenziel bringen. Der Innenspiegel fehlt ebenso wie die Kopfstütze des Beifahrersitzes. Auch sonst befindet sich der Innenraum in einem ungepflegten Zustand. Tankanzeige und Tacho funktionieren nicht (Gruß an Muffo :P). Nach mehr als einer Woche in Marokko erscheint der Zustand des Fahrzeugs fast schon normal – nach einer weiteren Woche würde es wohl gar keine Erwähnung mehr im Reisebericht finden. Es ist doch erstaunlich, wie schnell sich der Mensch an ein geändertes Umfeld anpassen kann.

Merzouga ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Tourismus einen Ort beeinflusst. Ich kann mich nicht entscheiden, ob er Fluch oder Segen oder beides zugleich ist.

Selbstverständlich ist unser „Taxi“ mit allem möglichen Krempel vollgestopft, der an jeder Bodenwelle scheppert. Ein Teil davon wird zwei Straßen weiter in einer Werkstatt ausgeladen, ehe wir den Ort auf einer einsamen Straße in die Wüste verlassen. Mit bis zum Anschlag geöffneten Fahrerfenster und vermutlich deutlich über 100 km/h nehmen wir auf der relativ geraden Landstraße durch die Einöde Kurs auf Erfoud. Unnötig zu erwähnen, dass während der rasanten Fahrt mehrere Handygespräche geführt werden. Die Nummer unseres Hotels sollen dann aber wir in das Nokia-Handy des Fahrers eingeben. Wie er bei dem Krach überhaupt etwas verstehen kann, ist mit völlig schleierhaft.

Nach einer guten halben Stunde sind wir schon am Ziel, das war immerhin einfach und schnell, aber mit 20€ auch verhältnismäßig kostspielig.
Wir haben ein 4-Sterne-Hotel gewählt, welches aber günstiger als unser Appartement in Casablanca ist. Ein Metalldetektor am Eingang gibt beim Durchlaufen ein ohrenbetäubendes Piepen von sich. Später vermute ich, dass er ganz alleine dazu dient, das Personal an der Rezeption aufzuwecken, denn das riesige Hotel wirkt völlig ausgestorben und scheint nur sehr wenig Gäste zu haben.
Unser Zimmer ist mindestens 50 m2 groß und wie das gesamte Anwesen im vollendeten 90er-Jahre-Stil eingerichtet. Immerhin beschränken sich die großformatigen Königsporträts auf die Gänge und die Lobby.

Zeit zum Mittagessen, wir spazieren entlang der Hauptstraße Richtung Ortsmitte.
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Die Menschen auf der Straße wirken irgendwie abweisend und feindselig. Junge Männer, die in Gruppen auf der Straße abhängen, schleudern uns blöde Kommentare hinterher, wir bekommen stechende Blicke zu spüren und Guides noirs gehen uns auf die Nerven. Ich fühle mich äußerst unwohl und halte mich mit Bildern stark zurück.

Ein Mann hilft uns dann bei der Suche nach einem Restaurant, welches natürlich stets auf der anderen Seite und nur 20 Meter entfernt ist (oder auch nicht). Wir werden schließlich doch fündig und sind wie gewohnt die einzigen Gäste. Es gibt Tajine und Orangensaft. Der Gastraum ist mit einer riesigen EU-Flagge geschmückt und im Fernseher läuft ein amerikanisches Basketballspiel.

Ich mache mich alleine auf den Rückweg, um nochmal etwas Bettruhe zu bekommen. Wieder missbilligende Blicke und Hinterherrufen. Joachim ergeht es nicht besser, wir sind uns schnell einig, dass uns die Menschen in diesem Ort äußerst unsympathisch sind.


Abends überwinde ich meine Trägheit, wir suchen das entdeckte Gestein- und Mineraliengeschäft auf, in dem ich ein Geschenk besorgen möchte. Selbstverständlich erinnert sich der Verkäufer, welcher einwandfrei deutsch spricht, noch an Joachim und bietet uns erstmal Tee an.
Die Diskussionen ziehen sich hin, es fällt ihm offenbar sehr schwer zu akzeptieren, dass ich nur ein kleines Mitbringsel suche und dafür nicht 100€ ausgeben möchte. Schließlich erstehe ich einen kleinen Stein für 8€ und während wir den Tee trinken, will mir der Verkäufer doch noch etwas Größeres aufschwatzen und den kleinen Stein zurücknehmen. Ich bin mit meinem Kauf zufrieden und bleibe standhaft. Interessehalber erkundigen wir uns nach dem Preis für das faszinierende Granit-Waschbecken mit herausgearbeiteten Fossilien. Er nennt 6000€, aber darüber kann man sicher handeln…

Anschließend gibt es Pizza gegenüber. Später wollen wir mit einem Taxi zurückfahren, doch zu dieser Zeit ist kaum noch Verkehr und wir gehen ein Stück zu Fuß. Gerade als wir hinter parkenden Autos sind, rollt ein mintgrünes Fahrzeug von hinten heran. Nur ein wenig die Hand ausgestreckt und schon hält der Taxifahrer mit schier unglaublicher Reaktionszeit an. Die Rückfahrt kostet mit 3€ doppelt so viel wie die Hinfahrt, denn ab 20 Uhr gilt Nachttarif.
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Beitrag von hmmueller »

Ach, ich muss mich hier auch einmal bedanken für diesen wirklich großartigen Bericht!!!!
(... und da kam sogar ein Weichenhebel mit Gestänge vor, ganz am Anfang ;) )

H.M.
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
Die Organe der Bahnerhaltung sind ermächtigt, den Arbeitern zur Aneiferung angemessene Quantitäten von Brot, Wein oder Branntwein unentgeltlich zu verabfolgen. Nr. XXVII - Vorschriften für das Verhalten bei Schneefällen, K. k. Österreichische Staatsbahnen, Gültig vom 1. Oktober 1906; Artikel 14(5)
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Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 7 Aug 2017, 23:07 hat geschrieben: Damit hast du natürlich recht - jedes Bild ist ja nur ein abgebildeter Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Ich kann einen Besuch in Merzouga sehr empfehlen, wenn du dich dafür interessierst - der Ort ist verhältnismäßig einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, bietet eine gewisse Touristeninfrastruktur und ist laut Auswätigem Amt auch sicher (Von Reisen in Wüstenregionen wurde und wird sonst abgeraten.)


Herzlichen Glückwunsch, richtig! :D
Das Problem ist, dass ich weder mit Fliegern noch mit Schiffen sonderlich gut klarkomme, sodass dieses Reiseziel wohl leider außerhalb meiner Reichweite liegt.

Ich hoffe, du hast es nicht auch probiert, um vor Ort zu ermitteln, worum es sich handelt. :blink:
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Beitrag von Entenfang »

(... und da kam sogar ein Weichenhebel mit Gestänge vor, ganz am Anfang wink.gif )
Leider habe ich nichts mehr zum Thema Stellwerkstechnik in der Hinterhand...
Lobedan @ 8 Aug 2017, 07:31 hat geschrieben:Das Problem ist, dass ich weder mit Fliegern noch mit Schiffen sonderlich gut klarkomme, sodass dieses Reiseziel wohl leider außerhalb meiner Reichweite liegt.
1h auf der Fähre wirst du doch überleben? :huh:
Ich hoffe, du hast es nicht auch probiert, um vor Ort zu ermitteln, worum es sich handelt. :blink:
Nee, hatte den Geistesblitz, als die Kamele ihre Hinterlassenschaften abgelassen haben...


Tag 12 Erfoud -> Tinghir

Offensichtlich fährt CTM die gewünschte Strecke trotz entsprechende Information im Internet doch nicht. Zum Glück haben wir den Fahrkartenkauf noch gestern erledigt, denn das gewählte Unternehmen Tamassinte fährt eine Stunde früher als bei CTM zu lesen war.

Vor dem Busbahnhof entdecken wir Sammeltaxis mit größerem Fassungsvermögen.
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Nach dem Betreten des Gebäudes werden wir sofort zum einzigen Bus geführt. Wie immer läuft der Motor bereits eine Viertelstunde vor Abfahrt. Es handelt sich abermals um ein älteres Fahrzeug, wenngleich es sich in etwas besserem Zustand wie das zur Fahrt von Fés nach Rissani befindet - hier beim Zwischenstop in Rachidia
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Für das Gepäck zahlen wir zusätzlich 1€, immerhin 1/5 des Fahrkartenwerts. Ein Mann lädt sein Fahrrad in den Gepäckraum und mit offener Tür startet die Fahrt zehn Minuten hinter Plan. Die Türe innerhalb der Stadt zu schließen ist schlicht nicht sinnvoll, denn ständig springt jemand rein und raus und der Bus hält alle 100 m an, weil ihn jemand heranwinkt.
Abgesehen von den Busbahnhöfen gibt es überhaupt keine Haltestellen. Den Mitfahrwunsch meldet man einfach am Straßenrand der Hauptstraße durch Winken an. Der eingesparte Fußweg wird wohl durch die deutlich längere Wartezeit aufgefressen.


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Hier eine typische Ortsdurchfahrt außerhalb der Kernstadt. Zum Mitfahren einfach an den Straßenrand stellen und bei jedem vorbeikommenden Taxi oder Bus die Hand rausstrecken. Mit ein wenig Glück hält das Fahrzeug dann an (der Fahrer will ja schließlich Geld verdienen) und man erkundigt sich beim Fahrer, ob er in die gewünschte Richtung fährt. Falls ja, einsteigen und beim Busbegleiter eine Fahrkarte lösen, falls nein, auf das nächste Verkehrsmittel warten.

Der Mann mit Fahrrad hüpft zwischenzeitlich kurz raus, kauft drei Baguettes und zwei Packungen Milch in einem Kiosk und ist nach weniger als 30 Sekunden wieder im Bus. Das geht in einem Supermarkt unserer Art nicht.
Am Stadtrand steigt er schon wieder aus und entlädt sein Fahrrad aus dem Gepäckraum. Vielleicht gibt’s jetzt Frühstück mit der Familie.

Abwechslungsreich führt die kurvenreiche Straße durch die weitläufige Oase, welche wir auf der Hinfahrt in der Dunkelheit nicht bestaunen konnten.
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Wir fahren einen Umweg über Rachidia, sodass uns bald klar wird, dass wir unseren Gastgeber in Tinghir nicht darüber in Kenntnis setzen müssen, dass wir unerwartet eine Stunde früher losgefahren sind.
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In der Nähe der Stadt gibt es markierte Radfahrstreifen auf der Landstraße (auch im Bild zu sehen) und sie werden vor allem durch Schüler rege genutzt.

An der Einfallstraße steht alle 50 Meter jemand am Straßenrand. Die warten wohl auf die grünen Stadtbusse, die im Fahrradtempo verkehren und den ganzen Verkehr aufhalten.
In Innenstadtnähe gibt es sogar Wartehäuschen, an manchen kann ich sogar einen aushängenden Linienverlaufsplan entdecken.

Während wir in Rachidia pausieren, spricht uns ein älterer Einheimischer in fließendem Englisch an. Er ist Arabischlehrer an einer Grundschule. Zunächst kommen die gewohnten Fragen, woher, wohin, warum. Er war schon mal in Hamburg und fand es auffällig, dass die Deutschen so schnell zu Fuß gehen. Außerdem konnte er nicht verstehen, warum man seinen Kaffee im Stehen trinken muss. „No chairs“, meint er lachend. Von außen betrachtet wirkt manch Gewohntes ganz anders.
Faszinierend fand er die im Winter zugefrorene Alster.

Nach einigen weiteren Zwischenstops geht es zügiger durch die sehr dünn besiedelte Wüstenregion voran.
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Leider ist es dennoch äußerst dreckig, der Wind muss Plastikabfall herbeigeweht haben.
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Der Busfahrer hat es nicht sonderlich eilig und er rast nicht.

Die Fernstraßen sind in Marokko ziemlich schmal, 5,50 m würde ich schätzen.
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Bei Gegenverkehr muss der Busfahrer weit nach rechts ausweichen und angesichts des brüchigen Asphalts höllisch aufpassen, um nicht in der Bankette zu landen. Es herrscht aber allgemein nur sehr wenig Verkehr und vor allem sind kaum LKW unterwegs.
Ein kurzer Schauer zieht durch, die eingeschalteten Scheibenwischer haben nahezu keinen Effekt und verteilen das Wasser nur ein bisschen gleichmäßiger über die Windschutzscheibe. Ständig klingelt irgendwo ein Handy. Dideldüdeldideldüdeldideldüdeldieeeeee. Am weitaus populärsten sind Nokia-Handys.
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Beitrag von Entenfang »

Zur Abwechslung von der Wüste einen Eindruck vom Stadtverkehr in Tinejdad
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Tatsächlich erreichen wir Tinghir, als es auf 13 Uhr zugeht.
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Unser Gastgeber wartet mit seinem 20 Jahre alten Mercedes auf uns. Da wir die einzigen Ausländer im Bus sind, sind wir nicht schwer zu finden.

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Wo wir schon die Gelegenheit haben, können wir auch gleich Mittagessen. Die Tomaten auf den Tajines dienen nur zur Deko.

Anschließend werden wir zu unserer Unterkunft gefahren, die einige Kilometer außerhalb und ziemlich ab vom Schuss ist. In diesem Wohngebiet sind die Straßen nicht befestigt.
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Das Haus ist genauso urig, wie es auf den Bildern bei Airbnb ausgesehen hat. Die Frau und eine der beiden Töchter begrüßen uns. Das Anwesen hat einen Innenhof, in dem einige Kräuter angepflanzt sind und Tiere gehalten werden.
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Die Kuh dient zur Milchversorgung, der Esel als Transportmittel zum Grundstück in der Palmenoase und ein Schaf wird zum Fastenbrechen nach Ramadan geschlachtet.

Das Haus ist nach innen komplett offen – es gibt also keine Tür zwischen Treppenhaus und Innenhof. Im Sommer mag das ja ganz angenehm sein, doch da es inzwischen deutlich abgekühlt ist und Tinghir immerhin auf 1300 m ü. NN liegt, ist es auch in den Zimmern (die durch Türen vom Flur abgetrennt sind) eiskalt. Das sind absolut suboptimale Bedingungen zum Auskurieren meiner Erkältung und ich lege mich erstmal in drei Wolldecken eingewickelt ein Stündchen hin.


Dann bekommen wir Tee und frisch zubereitete Gries-Hefe-Teilchen, die mit Marmelade oder La Vache Quirit gegessen werden. Dass mein Versuch, den Tee auf marokkanische Art aus mindestens einem Meter Höhe in die kleinen Gläser einzuschenken, bisher immer mit Danebenschütten geendet hat, entlockt unseren Gastgebern ein heiteres Lachen.

Später dürfen wir einen Blick in die Küche werfen – es ist Freitag, also kann es nur Couscous geben. Die Frau hat erst heute 140 kg Couscous aus Weizengries hergestellt, das reicht der gesamten Großfamilie für ein Jahr.

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Zubereitet wird das Abendessen im Couscousiere. Diese Gerätschaft funktioniert ein wenig nach dem Thermomixprinzip. Während unten Fleisch und Gemüse köcheln, gart der Couscous im Dampf im Aufsatz.
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Beitrag von Hot Doc »

Es ist wirklich sehr interessant zu sehen, was sich in der Gegend in den letzten 18 jahren getan hat.
Damals waren die Straßen in deutlich schlechterem Zustand, nach Merzouga gab es nicht mal eine vernünftige Straße, wir haben damals unseren späteren Kamelführer in Efroud oder Rissani die Fahrt mit dem VW-Bus über Sanddünen angetreten. Alleine hätte ich mich nicht getraut zu fahren, abgesehen davon, dass keiner gewußt hätte, wo es lang geht.

Und auch 100km/h auf einer "normalen" Landstraße war wegen Schlaglöchern etc. zumindest in dieser Gegend Marokkos nicht möglich.
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Lobedan
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Beitrag von Lobedan »

140 kg auf einmal zubereiten? Das könnte ich gar nicht lagern.
Entenfang @ 8 Aug 2017, 17:10 hat geschrieben:1h auf der Fähre wirst du doch überleben?  :huh:
Überleben vielleicht, aber was dann? Und alleine Mache ich solch eine Fahrt sicher eh nicht, wüsste aktuell niemanden in meinem Freundeskreis, der mitkommen würde.
Entenfang @ 8 Aug 2017, 17:10 hat geschrieben:Nee, hatte den Geistesblitz, als die Kamele ihre Hinterlassenschaften abgelassen haben...
Hihi.
Entenfang @ 8 Aug 2017, 17:10 hat geschrieben:Leider ist es dennoch äußerst dreckig, der Wind muss Plastikabfall herbeigeweht haben.
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Krass. Sowas sieht man immer nur am und im Meer, aber nicht mitten in der Wüste. Ist da irgendwo eine Müllkippe oder weht der Wind das an die Stelle, an der es sich einfach durch die Windströmungen sammelt?
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Hot Doc @ 8 Aug 2017, 17:37 hat geschrieben:Es ist wirklich sehr interessant zu sehen, was sich in der Gegend in den letzten 18 jahren getan hat.
Die Infrastruktur in Marokko ist in einem überraschend guten Zustand und es passiert auch weiterhin sowohl straßenseitig (Autobahnen) als auch bahnseitig (Streckenbegradigung, BÜ-Beseitigung, TGV-Strecke) einiges. Die größeren Landstraßen, auf denen wir unterwegs waren, lassen aufgrund ihres Zustand generell problemlos 100 km/h zu, außer natürlich in den Bergen. Die Hauptverbindung von Marrakesch über den Atlas wird gerade massiv ausgebaut, Bilder davon folgen noch.
Und alleine Mache ich solch eine Fahrt sicher eh nicht, wüsste aktuell niemanden in meinem Freundeskreis, der mitkommen würde.
Das ist natürlich ein nachvollziehbares Argument. Glücklicherweise konnte ich bisher für alle Reisen, die ich nicht alleine machen wollte, jemanden finden, der verrückt genug war, sich auf sowas einzulassen. :D
140 kg auf einmal zubereiten? Das könnte ich gar nicht lagern.
Es wirkte nicht so, als hätte der große Hof nicht genügend Platz...
Krass. Sowas sieht man immer nur am und im Meer, aber nicht mitten in der Wüste. Ist da irgendwo eine Müllkippe oder weht der Wind das an die Stelle, an der es sich einfach durch die Windströmungen sammelt?
Woher der ganze Dreck kommt, weiß ich nicht. Aber es ist leider ein ziemlich gängiges Bild an vielen Stellen.



Tag 13 Tinghir

Heute endlich ausschlafen, denn die Erkältung steckt mir immer noch in den Knochen. Trotz der späten Stunde bekomme ich frische Pfannkuchen (für alle Ossis: Eierkuchen) zum Frühstück. Anschließend werden wir in die Stadt gefahren.
Zuerst suchen wir einen Laden auf, um Gewürze zu kaufen. Doch dort gibt es auch Cremes sowie Mittelchen gegen jedes Problem auf Erden.
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Unser Gastgeber führt uns weiter durch die engen Gassen.
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Dann klopft er an einer unscheinbaren Tür und führt uns hinein. Im Haus gibt es Webstühle.
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Gleich würde ein Mann kommen, um uns die Funktionsweise zu erläutern. Die Frau (die ihr ganzes Leben lang daran gearbeitet hat) könne das nicht, weil sie nie zur Schule gegangen ist. Jedenfalls spricht sie nur Arabisch.

Ob wir vielleicht Tee wollen?
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Warum eigentlich nicht?

Geschickt bedient die Frau die Spindel. Erstaunlich, welch langer Faden aus einem kleinen Wollknäuel entsteht. Bald darauf kommt ein älterer Herr und erzählt auf Englisch, dass er Bekannte in Hannover hat. „Wollt ihr a little Zucker im Tee? Wie sagt man das doch gleich auf Deutsch?“
„Ahhhhh, ein bisschen, ein bisschen!“
Mit dem Tee in der Hand wird das Verkaufsgespräch eröffnet. Wie stolz seine Schwester auf die fertigen Teppiche sei. Sie wären sehr leicht, sehr günstig und von sehr guter Qualität. Letzteres verdeutlich er durch das Kratzen mit einem spitzen Metallkamm.
Aber ich brauche immer noch keinen Teppich und Joachim erläutert, dass er bereits einen in Fés gekauft habe. „Oh, in Fés and Marrakech it´s very touristic. Unfortunately many are from China and bad quality.“ Der angebotene Preis für einen Teppich ähnlicher Größe liegt etwas unter dem ausgehandelten Preis in Fés.

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Leider folgt nur ein sehr kurzer Spaziergang durch die engen Gassen, ehe wir schon im nächsten Geschäft landen. Dieses Mal Schmuck und Handarbeitswaren. Leider könne man heute den Handwerkern nicht bei der Arbeit zusehen, weil Sonntag ist.
Der Verkäufer spricht einwandfrei deutsch. Ob wir in Marokko wohnen würden? Nein, nur reisen. „Oh, moderne Nomaden.“ So kann man das natürlich auch sehen.
Woher wir denn kommen würden? Im Zweifel immer aus München. „Oh, ich habe in Hamburg mit behinderten Kindern gearbeitet. Daher kann ich auch ein bisschen deutsch.“ Außerdem wäre er in München schon mal an der Konstablerwache gewesen. Ich wende ein, dass die wohl in Frankfurt liegt. „Ahhh, ja. Wie heißt denn der Ort in München?“ Mir ist nicht klar, welchen er meint und schlage Marienplatz vor. Die Theresienwiese kennt er auch, war aber nicht zur Wiesn dort.
Nach dem Anfangsplausch geht es langsam ums Geschäftliche. In der Tat gibt es einige schöne Artikel zu bewundern, und dieses würde nur 100 Dirham, jenes nur 250 kosten. Gott sei Dank wohne ich im Studentenwohnheim, sonst würde ich mir am Ende noch die ganze Wohnung mit irgendwelchem marokkanischen Krempel zustellen. Und um sie nach Hause zu transportieren, könnte ich ja gleich den garantiert echt gefälschten Markenkoffer zwei Straßen weiter kaufen.

Damit ist die Shoppingtour beendet.
Blick in die Palmenoase, welche die Stadt quasi in zwei Hälften teilt.
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Das fruchtbare Flusstal ist zu wertvoll, um bebaut zu werden, da es für die Nahrungsmittelproduktion benötigt wird.

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Baumaterial für die Renovierung

Durch die engen Gassen werden wir zurück zur Hauptstraße mit dem wenig überraschenden Namen Boulevard Mohamed V. geführt.

Ich rechne damit, dass wir jetzt einen kleinen Stadtbummel machen, doch ohne überhaupt irgendetwas von der Stadt (außer den drei Geschäften) gesehen zu haben, will er uns schon wieder zurückfahren.
Ja, aber…
…wir könnten doch erstmal Busfahrkarten zur Weiterfahrt übermorgen kaufen.
Der Supratours-Schalter ist geschlossen. Einen kurzen Blick auf den Abfahrtsort des Fernverkehrs – Busse und Grand Taxis
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Darf es ein bisschen frisches Obst oder Gemüse sein?
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Es ist unschwer zu erkennen, dass wir die Wüste wieder hinter uns gelassen haben. Im Dorfladen in Merzouga konnte keines dieser Produkte erstanden werden.

Nach ein wenig Rumdiskutiererei dürfen wir doch noch ein paar Minuten im Stadtpark verbringen.
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Wir könnten uns doch daheim auf die Terrasse setzen, begegnet unser Gastgeber meinem Vorschlag mit Unverständnis. Schon klar, aber auf der Terrasse kann ich auch in Deutschland sitzen. Tinghir anschauen dagegen nicht.
Nach fünf Minuten drängt er schon wieder zum Aufbruch, er arbeitet nebenher noch in einem Café und beschwert sich darüber, dass er dort so schlecht verdienen würde. So langsam tauchen Gedanken im Hinterkopf auf, dass wir ihn für seine Stadtführung ja auch noch bezahlen werden müssen…
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Beitrag von Entenfang »

Seine Frau hat bereits das Mittagessen zubereitet, als wir zurückkehren. Es gibt Tajine mit Hähnchenschenkel und Gemüse. Die Portion ist riesig und es bleibt viel übrig.

Nach einer Pause auf der Terrasse – draußen ist es viel wärmer und angenehmer als drinnen – erklären wir der Gastgeberin, dass wir einen Spaziergang durch die Palmenoase unternehmen wollen. Ein siebenjähriger Junge, möglicherweise ihr Neffe, wird dazu verdonnert, uns herumzuführen. Leider können wir uns nicht mit ihm verständigen, da er noch kein Französisch in der Schule hatte.

Blick auf die Siedlung mit zugehöriger Moschee
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Eingangstor
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Blick über die Ruinen
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Wir kommen nicht weit, ehe uns zwei etwa 12-jährige Jungs geflechtete Kamele schenken. Anschließend demonstrieren sie uns noch, wie man aus Palmenblättern flechten kann. Dann wollen sie 20 Dirham, wir geben 3 und sie trollen sich.

Schon bald werden wir von drei weiteren Achtjährigen eskortiert, die ständig Äste von Bäumen abbrechen und Pflanzen aus dem Feldern rausreißen, um sie uns zu schenken. Unser kleiner Führer fühlt sich in seiner Rolle vor seinen Kumpels sichtlich unwohl und vom Verhalten der anderen ist er genauso wenig begeistert wie ich. Dass die Besitzer der Felder nicht gerade Freudensprünge machen werden, wenn sie das sehen, ist wohl klar.
Außerdem ist unser Führer viel besser gekleidet als seine Kumpels. Seine Klamotten sind sauber und recht neu, die der anderen dagegen schmutzig und abgewetzt, die Hose eines Jungen ist am Knie weit aufgerissen.

Wir fühlen uns fast wie in Garten Eden, doch können es aufgrund der Umstände nicht so recht genießen, da wir unschlüssig sind, wie wir reagieren sollen. Die Geschenke einfach wegwerfen? Dann brechen sie gleich wieder was ab. Die Geschenke ablehnen? Dann schmeißen sie sie selbst weg und brechen etwas Anderes ab.
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Die Felder werden in 100% Handarbeit bestellt – als einziges Transportmittel stehen Esel bereit.
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Ein typischer Weg in der Palmenoase
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Später erkundigen wir uns bei unseren Gastgebern, wie die Bewässerung organisiert wird. Sie ist schließlich überlebensnotwendig.
Die Wasserrechte werden tageweise an die umliegenden Gemeinden vergeben, größere erhalten bis zu sechs Tage, kleinere etwa drei Tage. An diesen Tagen können sie das bereitgestellte Wasser kostenlos nutzen.

Ein toller Abenteuerspielplatz ist es für die Kinder jedenfalls. Wir spielen ein bisschen Fußball mit ihnen – aber Herrgottnochmal, muss es denn ausgerechnet auf dem bepflanzten Feld sein? Sie zeigen uns ein paar ihrer tollsten Tricks, die sie deutlich besser beherrschen als wir Fremden, die zwei linke Beine besitzen.
Anschließend eine kleine Pause, wir teilen unsere Orange mit den Kindern, die sie ohne Zögern annehmen. Mit Handbewegungen verdeutlichen sie uns, dass wir die Orangenschalen ruhig in der Landschaft verteilen können, aber wir bestehen darauf, sie in einer Tüte verpackt wieder mitzunehmen.


Der Himmel zieht immer mehr zu und wir wollen allmählich den Rückweg antreten. Ich male eine Wolke mit Regentropen in den Staub. Aber die Kinder schütteln mit dem Kopf und meinen „Non.“ Stattdessen deuten sie auf die nahe Felswand. „Azyl! Azyl!“ Vielleicht heißt es sowas wie Aussichtspunkt und wir haben damit unser drittes arabisches Wort nach Haltestelle und Richtung gelernt.
Doch bald fallen die ersten Tropfen und wir packen unsere Regenjacken aus.
Der Ausblick vom Azyl kann sich jedenfalls sehen lassen.
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Auf dem Rückweg deuten die Kinder auf ein verfallenes Haus. „Maison, maison!“ Aber wir haben keine Lust auf eine Erkundung von innen.

Als wir uns der Unterkunft nähern, gibt es doch noch „One Dirham, one Dirham“-Gebettel. Außerdem zeigen die Kinder mit dem Finger in den Mund. Das ist unserem Führer sichtlich peinlich und wir haben leider nichts mehr zum Essen dabei und hier kann man auf die Schnelle auch nichts kaufen.

Wieder zurück, klopfen die Jungs lautstark an die Metalltür. Unsere Gastgeberin öffnet und gibt den Kindern einen Krug mit Trinkwasser, den sie gierig leeren und noch einen Nachschlag nehmen. Wir bedanken uns für die gute Führung und endlich darf der arme Junge wieder mit seinen Kumpels spielen gehen.

Zum Abendessen gibt es Hackfleischtajine und wir schauen ihr bei der Zubereitung über die Schulter. Während des Ramadans würde es die jeden Abend geben, weil sie bekömmlicher als große Fleischstücke wäre.

Vom rohen Salade Marrocaine aus Tomaten, Gurken und Zwiebeln traue ich mich nicht zu probieren, weil die Zutaten trotz meiner Bitte in Leitungswasser gewaschen sind. Vermutlich fehlt einfach das Verständnis dafür, warum ich das nicht möchte.
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Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 9 Aug 2017, 11:59 hat geschrieben:Das ist natürlich ein nachvollziehbares Argument. Glücklicherweise konnte ich bisher für alle Reisen, die ich nicht alleine machen wollte, jemanden finden, der verrückt genug war, sich auf sowas einzulassen. :D
Also wenn du mich schon so fragst, komme ich natürlich auch mit. :P
Entenfang @ 9 Aug 2017, 11:59 hat geschrieben:Woher der ganze Dreck kommt, weiß ich nicht. Aber es ist leider ein ziemlich gängiges Bild an vielen Stellen.
Wenn die Müllentsorgung bzw. eher -lagerung in Marokko ähnlich vonstatten geht wie in vielen anderen Teilen Afrikas, könnte es wohl einfach daher rühren. Gepaart mit dem Wind ...
Entenfang @ 9 Aug 2017, 11:59 hat geschrieben:Nach ein wenig Rumdiskutiererei dürfen wir doch noch ein paar Minuten im Stadtpark verbringen.
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Das sieht richtig idyllisch aus und die Häuser, die durch die Bäume blitzen, wirken fast schon nobel. Gab es in den Städten auch sowas wie Villenviertel?
Entenfang @ 9 Aug 2017, 12:00 hat geschrieben:Leider können wir uns nicht mit ihm verständigen, da er noch kein Französisch in der Schule hatte.
Ich auch nicht, das hätte mir also auch nichts gebracht. Wie viel Französisch habt ihr gebraucht, vor allem abseits der Touristenpfade?
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Beitrag von Entenfang »

Lobedan @ 9 Aug 2017, 17:20 hat geschrieben:Das sieht richtig idyllisch aus und die Häuser, die durch die Bäume blitzen, wirken fast schon nobel. Gab es in den Städten auch sowas wie Villenviertel?
Ergänzend vielleicht noch 2 Bilder vom zentralen Platz für einen besseren Eindruck:

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Was sonst noch in Tinghir zu finden ist - keine Ahnung. Dank unseres anhänglichen Führers mussten wir ja stets auf der Terrasse sitzen. Wirklich was von der Stadt haben wir sehr zu meinem Ärger nicht gesehen.
In anderen Städten sind mir keine Villenviertel aufgefallen, was aber natürlich nicht heißen muss, dass es sie nicht gibt. Höchstwahrscheinlich haben wir diese Gegenden einfach nicht erreicht.
Wie viel Französisch habt ihr gebraucht, vor allem abseits der Touristenpfade?
Viel. Deutsch können viele Verkäufer, Englisch ist nicht besonders verbreitet, Französisch spricht dagegen jeder. Gott sei Dank hat Joachim alles Nötige geregelt, weil meine Französischkenntnisse minimalst sind.


Tag 14 Tinghir

Heute steht eine 14 km lange Wanderung an, angesichts meines immer noch angeschlagenen Zustands durchaus eine Herausforderung. Das Wetter ist optimal, Sonne mit ein paar fotogenen Wolken, aber nicht zu heiß.
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Wir laufen durch die sich endlos hinziehende Oase auf einem schönen und überwiegend schattigen Wanderweg.
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Frauen erledigen gebückt Feldarbeit, manche tragen ein Baby auf dem Rücken.
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Ab und zu kommt uns jemand entgegen und meistens wir werden freundlich gegrüßt.

Überall plätschert Wasser durch verworrene Leitungen und Kanäle dahin.
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Neugierig bestaunt uns ein festgebundener Esel.
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Wir passieren einige verlassene Siedlungen, deren Lehmgebäude durch den Regen stark beschädigt sind.
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Ohne unseren Gastgeber hätten wir keine Chance, den Weg zu finden, da sich der Trampelpfad ständig verzweigt.
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