Grenzüberschreitend und auf hohem Niveau

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Die Eröffnung des ersten Bauabschnitts der grenzüberschreitenden Tram nach Kehl ist doch ein guter Anlass, mal wieder einen Blick zu den französischen Nachbarn zu werfen.
Mal wieder ärgere ich mich über die Taktlücke des Regionalverkehrs zwischen Offenburg und Straßburg unter der Woche vormittags. Also starte ich erst in der Mittagszeit, was auch besser ist, da einige Stunden zuvor eine Großstörung sämtlichen Bahnverkehr zwischen Rastatt und Rastatt Süd lahmgelegt hat. War es etwa ein schlechtes Omen für den abgesackten Tunnel?

Unspektakulär endet die Bahnfahrt am Bahnhof in Kehl, wo ich in die neue Tram umsteige. Es gibt vielfältige attraktive Tarifangebote für den grenzüberschreitenden Verkehr. Für den Tagesausflug kann der geneigte Freak zwischen der 24h-Karte für den Straßburger ÖPNV und dem Europass Mini wählen. Erstere gilt auch in der grenzüberschreitenden Tram (aber nur dort). Sie ist entweder im Tabakladen Tabac de la Gare oder direkt an der Haltestelle am Automaten (Zahlung nur mit Münzen oder Kreditkarte) erhältlich. Letzterer gilt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln der Tarifzone Kehl und im Großraum Straßburg, also auch in der Bahn. Diese Fahrkarte wiederum ist nur bei der DB erhältlich. Meine Wahl fällt auf die zweite Variante.

Und da kommt die Neue:
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Man beachte die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen – während in Deutschland der unabhängige Bahnkörper mit Andreaskreuzen gesichert wird, ist eine inflationäre Verwendung dieser Verkehrszeichen in Frankreich nicht vorgesehen.

Nachdem ich ewig gewartet habe, überquert Wagen 3004 die am 28. April 2017 eingeweihte Brücke Beatus Rhenanus.
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Während die Hauptlinien in Straßburg Mo-Sa alle 8 bis 10 Minuten verkehren, wird die Brücke nur von jeder zweiten Bahn überquert und dafür eine großzügige Wendeanlage auf französischer Seite eingerichtet – so wirklich kann ich den Sinn davon nicht verstehen. Da die Bahn mit erheblicher Verspätung ankommt, reicht die Wendezeit nicht mehr für eine pünktliche Rückfahrt. Dementsprechend ist sie bereits bei der Abfahrt in Kehl zum Bersten gefüllt.
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Aktuell enden die Linien A und D wegen Baustelle auf der Tunnelstrecke am Hbf vorzeitig am zentralen Tramknoten Homme de Fer.
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Tram durch die Fußgängerzone beherrschen die Franzosen ausgezeichnet.
Homme de Fer
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Faubourg National
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Langstross
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Auch wenn bei meinem dritten Besuch in Straßburg der Fokus auf dem ÖPNV liegen soll, komme ich nicht darum herum, einen kurzen Spaziergang durch das Klischee-Viertel La petite France zu machen.
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Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

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Sehr gut finde ich die an einigen Stellen aufgebauten Wasserhähne, um den Durst unterwegs löschen zu können.
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Vom Vauban-Stauwehr kann man sich einen guten Überblick verschaffen.
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Einige Trambahnen kommen in sehr grellem Werbekleid, das eher nicht in das historische Stadtbild oder zur sehr dezenten weiß-olivgrün-hellgrauen Lackierung passt.
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Kein weiter Weg ist am Place Broglie von der Haltestelle zum Markt zurückzulegen
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Eine Tram der ersten Generation umrundet den Place de la République
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In Frankreich wurde bei der Wiedereröffnung der zahlreichen Straßenbahnbetriebe auch stark auf eine städtebauliche Aufwertung gesetzt. Man beachte die Verteilung des Straßenquerschnitts.
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Zebrastreifen in SW
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...und in Farbe
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Allee in Grün
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Beitrag von Entenfang »

Werfen wir einen Blick in die Fahrzeuge:

Mintgrün, beige und orange prägen die 1. Generation der Eurotram aus dem Jahr 1994.
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Sie sind mit breiten Einfachtüren und Klappsitzen im Einstiegsbereich ausgestattet.
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Beide Ausstattungsmerkmale sorgen für eine Verlängerung der Haltestellenaufenthaltszeiten – noch dazu, weil die Klappsitze offensichtlich nicht selbstständig in die eingeklappte Stellung wechseln.

Die Fahrmotoren der 100% Nf-Bahnen sind in kurzen Wagenübergängen untergebracht. Die Beine der hier sitzenden Fahrgäste sind natürlich eine Stolperfalle.
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Die Führerstände sind sehr fuzzifreundlich für den Fahrgast durchsichtig gestaltet.
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Ein wesentlicher Nachteil der 1. Generation sind die winzig geratenen Haltestellenanzeigen. Gut, dass der Fahrgast frankreichtypisch mit musikalischer Untermalung über den nächsten Halt informiert wird.

Nicht nur der Farbgeschmack ändert sich bis zur 2. Generation, die durch Citadis 302 gestellt wird.
Es gibt deutlich größere Mehrzweckbereiche und die Klappsitze im Türbereich sind verschwunden. Die Anzeigen sind wesentlich besser lesbar und die Netzpläne sind aus der ungewöhnlichen Position in den üblichen Bereich über den Türen gewandert.
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Auch die Bestuhlung über den angetriebenen Drehgestellen ist völlig anders gestaltet.
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Ich beschließe, den Südast der Linien A und E unter die Lupe zu nehmen.
Leider ist es offenbar nicht gelungen, auf dem langen gemeinsamen Abschnitt einen gleichmäßigen Takt anzubieten.
Am Campus Illkirch fädelt die Linie E in die Wendeanlage aus.
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Die an einigen Haltestellen eingerichteten überdachten Fahrradabstellanlagen, welche auch einen gewissen Schutz vor Diebstahl bieten, finde ich recht gelungen.

Während ein langer Abschnitt durch motivarme Industrie- und Brachflächen führt, folgt in Graffenstaden dann ein sehenswerter eingleisiger Abschnitt.
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Generell genießt die Tram eine nahezu absolute Vorrangschaltung. Wenn es keine separate Linksabbiegerampel für den MIV gibt, wird er parallel zur Tram immer angehalten. Das gelbe Ausrufezeichen ist eine Art Vorsignalisierung für die Dauer von etwa 1 Sekunde und kündigt einen Wechsel des Signals an.

Der folgende Ortskern wirkt schon etwas dörflicher.
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Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Wieder zurück in die Innenstadt:
2021 am Rathaus
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Zum Abschluss werfe ich noch einen genaueren Blick auf die Buslinie G. Seitdem das enorme Wachstum an Straßenbahnbetrieben in Frankreich weitegehend gebremst scheint, gibt es eine neue Entwicklungsrichtung, den BHNS (Bus à haut niveau de service). Da es sich dabei weder um einen klassischen Metrobus noch um BRT handelt, möchte ich noch ein paar Eindrücke zeigen. Ziel des BHNT ist eine attraktive Reisegeschwindigkeit durch weitgehend eigene Trassen sowie LSA-Vorrang. Außerdem soll damit eine Aufwertung des Stadtbildes wie auch beim Neubau der Trambetriebe erreicht werden.

Zur Einstimmung: https://www.youtube.com/watch?v=ExNemZugnjY

Und so sieht es in Wirklichkeit aus:

Start am Bahnhofsvorplatz, HVZ alle 5, NVZ alle 10, So alle 15 min.
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Zum Einsatz kommen 10 erdgasbetriebene, redesignte Citaro C1. Der Antrieb ist beim Fahrgefühl deutlich spürbar.

Die Fahrzeuge sind eindeutig stehplatzoptimiert und die hübschen Designersitze leider bretthart – aber das scheint ja ein obligatorisches Ausstattungsmerkmal moderner Stadtbusse zu sein.
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Muss denn die vierte Tür wirklich um jeden Preis sein?
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Direkt hinter der Haltestelle Wilson startet die eigene Trasse nach Nordwesten. An der Bahnunterführung gibt es ein kurzes „eingleisiges“ Stück.
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Dann führt die Strecke vor allem durch Industrie- und Brachflächen und dann an der Haltestelle Lavoisier durch ein ringförmiges Wohngebäude. In der ruhigen Seitenstraße wird auf eine eigene Trasse verzichtet.
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Man beachte auch den roten Ballon – das Wiedererkennungsobjekt für alle Haltestellen dieser Linie.

Bald darauf führt die Strecke entlang zahlreicher Bürogebäude – abends ist hier natürlich kaum etwas los.
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Pfosten in der Straßenmitte verhindern das Überholen an der Haltestelle Copenhague.

Anschließend bekommt der Bus wieder seine eigene Trasse.
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Ob eine gelungene Aufwertung des Stadtbildes so aussieht, sei mal dahingestellt. Zwischen Bürogebäuden ist dieser Aspekt aber natürlich weniger wichtig.
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Normale Buslinien dürfen die Trasse zwar mitbenutzen und halten auch an denselben Haltepositionen, genießen aber im Gegensatz zur Linie G keinen Vorrang an LSA.
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Beitrag von Entenfang »

Kurz vor der Endstation umrundet der Bus einen Kreisel, an dessen Zufahrt es zu längeren Wartezeiten kommen kann.
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Ein kleiner P+R-Platz in unmittelbarer Nähe zu einer Autobahnausfahrt rundet die neue Linie ab.
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Ein attraktives Tarifangebot wird Autofahrern jedenfalls unterbreitet: Das Parken bis zu 24h inkl. einer Hin- und Rückfahrt innerhalb Straßburgs für bis zu 7 Personen (!) kostet gerade einmal 4,10€.


Mein Fazit zum BHNS:

Für weniger stark nachgefragte Relationen und speziell die Linie G sicher eine geeignete Lösung, kann aber niemals mit der regelrechten Verwandlung des Stadtbildes durch den Bau der neuen Straßenbahnen mithalten.
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Luas
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Beitrag von Luas »

Ich habe auch mal vor kurzem die neue grenzübergreifende Linie D zwischen Kehl und Strasbourg ausprobiert. Allerdings wäre wie von dir bereits geschrieben eine Taktverdichtung der Tram D bis zum Bahnhof Kehl durchaus wünschenswert; gerade die Endhaltestelle in Kehl und die zwischen den beiden Städten pendelnden Trams sind durchgehend gut gefüllt. Allein im ersten Monat nach dessen Betriebsaufnahme wurden 8200 Fahrgäste pro Tag auf dieser Neubaustrecke gezählt.
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146225
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Beitrag von 146225 »

Die Straßburger Buslinie "G" war ja Studienobjekt für den Ludwigsburger OB und ein paar seiner ihm treuen Gemeinderäte, da wollten sie sehen, wie toll doch so ein hochwertiges Bussystem ist. Die Qualität der Tram und deren stadtbildgestaltende Wirkung hat man mit "Igitt, igitt, pfui, böse!" ignoriert und übersehen. :rolleyes: :angry: :wacko:

Was die Tram in Kehl angeht, kämpfe ich noch mit mir, ob ich da auch mal hin muss, oder ob das ausreichend ist dann hinzufahren, wenn die Verlängerung in Kehl dann auch in Betrieb ist.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
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