Bayerische ÖPNV-Strategie 2030

Alles über Stadtverkehr, was woanders nicht passt, wie z.B. Verkehrsverbünde
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Rohrbacher
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Beitrag von Rohrbacher »

Cloakmaster @ 2 May 2021, 12:52 hat geschrieben:Ich meine, auch noch in den 50er und 60er Jahren gab es den Post- oder einen ähnlichen Bus in so ziemlich jedes Nest mit mehr als sagen wir 5 Häusern. Erst später fing dann der Sparwahn an, Strecken mussten sich "rechnen", oder wurden eingestellt. Und das hat dann große Lücken gerissen, und Leute oft vor Probleme gestellt.
Da irrst du gewaltig. ;) Das ging in Bayern (und auch anderswo) erst mit der Schulreform Mitte der 60er Jahre los, vorher fuhr der Bahnbus fast nur im Bereich von (ehemaligen) Schienenstrecken mit teils großen Haltabständen, der Postbus fuhr nur auf einigen "Hauptrouten", dazwischen gab es mehr oder weniger etabliert noch ein paar Privatlinien, ab Mitte der 30er Jahre z.B. Landshut - Mainburg - Ingolstadt. Ansonsten gab es ca. 1950-65 vieles, was aber zum Teil nur wöchentlich bedient wurde und mehr Fernlinien für Wochenendpendler waren oder 100 km um München rum gerne auch mal eine Direktverbindung abseits der Bahn morgens in die Stadt und abends wieder raus, z.B. Landsberg - Inning - München. Im Orts- und Nachbarortsverkehr (an dem es heute am meisten hapert) ging's wie gesagt überhaupt erst mit der Schul- und Gebietsreform los, als man die Dorfschulen dichtgemacht hat und die heutige Schülerbeförderung = noch heute Kernstück des ÖPNV überhaupt erst in der heutigen Form erfunden hat und auch bei der DB zu den bekannten Umstellungen mit beigetragen hat. Viele Busunternehmen wurden um 1968 gegründet oder haben massiv expandiert, allein die eigenen bzw. im Auftrag fahrenden Flotten der DB haben sich etwa binnen eines Jahrzehnts bundesweit verzehnfacht! In den 70ern haben viele Ortschaften abseits der (ehemaligen) Bahnstrecken und dem ähnlich groben Postnetz (wo nie eine Eisenbahn war) dadurch erstmals einen Linienverkehr bekommen, z.B. Teil indem man einfach ein paar Umwege und weitere Haltestellen eingebaut hat. Der Bahnbus in den 60ern hatte ja oft ähnliche Haltabstände wie die Schienenstrecken, da wurde eher gefahren wie heute beim SEV ohne Rücksicht auf die 23 Weiler unterwegs. Oder wie bei den Bussen mit Fahrradanhänger, wo die Fahrradverladung nur alle 5-10 km stattfindet. Man darf nicht vergessen, bis in die 60er beförderten die Busse auch noch allerlei Gepäck und wohl sogar Eilgut unten drin, auf'm Dach oder im Anhänger, wie die Eisenbahn eben auch und an jedem heute grünen Ortsschild einen Fahrerverkauf war logistisch damals auch eher suboptimal. Da musste man im Zweifel zu Fuß oder mit'm Fahrrad ein paar Kilometer zur Haltestelle.

Ende der 70er wurde dann schon wieder "gespart" als die Zahl der Gelegenheitsfahrgäste durch die beginnende Vollendung des Autobooms immer weiter gesunken ist und der Schwerpunkt bis Mitte der 80er auf den heute noch gängigen Schüler- und Pendlerverkehr mit Bahnhofsanschluss Mo-Fr verschoben wurde. Danach war die Entwicklung sehr vom örtlichen Einzelfall abhängig.
elektron @ 2 May 2021, 13:40 hat geschrieben:Nein, das sind keine Großstadtprobleme, die aufs Land übertragen wurden
Ich hab nie was anderes behauptet. Genau die "Großstadtsicht", die ich meine, scheint aber gegeben zu sein, wenn schon Städte wie Simbach oder Pfarrkirchen für die Orte gehalten werden, wo ich tatsächlich meine, dass man mit Stundentaktdogmen nicht weiterkommt. Man wird allerdings nicht jeden Ort dazwischen stündlich anbinden und alle drei Linien aus Prinzip stündlich und auf dem gleichen Linienweg fahren können, sodass allein drei Verbindungen pro Stunde Simbach - Pfarrkirchen rauskommen. :ph34r:

Und ich sprach auch nur von dem, was man auf die Schnelle machen könnte. Dass in einem Konzept 2030+ allein schon wegen der Netzwirkung ein Stundentakt (ohne Lücken!) her muss und aus strukturpolitischen Gründen aus meiner Sicht auch zwischen dem Markt Triftern (Gemeindehauptort) und der Kreisstadt, das ist völlig klar. Das sollte die Strategie in ganz Bayern sein, völlig bedarfsunabhängig sogar. Das funktioniert aber nicht, indem man eine Linie wie in der Stadt einfach unter der Angabe einer Anfangs- und Endfahrt "alle x Minuten" verkehren lässt, sondern das können zwei, drei, vier Äste/Linien sein, die (neben einem Rufbusangebot) mit einem Strauß an Einzel- und Verstärkerfahrten das Schüler- und Grundangebot in irgendwelchen Ortsteilen und Weilern oder zwischen Orten sicherstellen, die weder durch Bedarf und Prinzip Taktfahrten brauchen.

Da hab ich hier irgendwo auch schonmal am Beispiel Wolfersdorf im Kreis Freising diskutiert, wo man dem Ziel Stundentakt nach Freising auch gar nicht mal so fern ist, wenn man die Tabellen von 601, 617, 618 mal zusammennimmt. Auch da scheitert schon das Wahrnehmen des tatsächlichen Status Quo daran, dass man mehrere Linien studieren muss und das alles selbst rausfinden muss. Das ist das witzige an den Fahrplänen aus der Bundesbahnzeit für das was ich vorhin geschrieben habe, da war's genau andersrum, da tauchte eine Kursnummer u.U. mit nur zwei Halten schonmal in vier Tabellen auf oder es wurde auf weitere Fahrten mit Linie XY hingewiesen. Was nicht unsinnig ist, aber z.B. schon der MVV nicht hinkriegt, Beispiel Wolfersdorf. Apps und Verbindungsauskuft hin oder her, den Überblick böte nur eine klassische Fahrplantabelle "Freising - Wolfersdorf" mit Linie, Kursnummer im Tabellenkopf und "fährt weiter nach ... / kommt aus". In dem Fall sehe ich z.B. neben dem 601 nach Pfaffenhofen und dem Grundangebot 617/618 u.U. auch Verstärkerfahrten Freising - Au, die man aber nicht auch noch in Kolonne mit dem 603 und einem verbesserten Angebot Freising - Zolling - Haag - Moosburg über Zolling schicken muss, sodass sich da die Busse stapeln würden, während in Wolfersdorf nur die 617/618 und die 601-Umwegfahrten rumkämen. Mit starren Takten auf Linienebene wie in der Stadt funktioniert Regionalbusverkehr nicht, allein schon wegen der Auslastungssteuerung, weil man ja keine Doppeltraktionen fahren oder flügeln kann. Auf Verbindungsebene muss aber natürlich der Takt mit festen Bedienzeiten nicht erst 2030+ das Ziel sein muss. Ich hoffe, man versteht den Unterschied.
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Beitrag von Cloakmaster »

Das hier meinte ich:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kraftpost

Die sind eigentlich überall hingefahren, wo es einen Briefkasten gab. Natürlich nicht unbedingt nach Taktfahrplan.
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Beitrag von Rohrbacher »

Cloakmaster @ 2 May 2021, 16:10 hat geschrieben:Die sind eigentlich überall hingefahren, wo es einen Briefkasten gab. Natürlich nicht unbedingt nach Taktfahrplan.
Du meinst vielleicht Postämter. Der Postbus ist nicht jeden Briefkasten (die waren eh nicht so zahlreich wie heute) angefahren, der Fahrer ausgestiegen und hat geleert. Ne, das haben schon die Leute (vermutlich Postboten) der Postämter vor Ort gemacht und die Post dann am Postamt dem Bus zur Weiterbeförderung mitgegeben. ;)

Für unser Beispiel, der Verbindung Pfarrkirchen - Simbach, habe ich im Buskursbuch 1962 z.B. nur folgende Verbindung gefunden:

Pfarrkirchen Post 7.55 - Simbach Post 9.00
Simbach Post 11.30 - Pfarrkirchen Post 12.25

Zwischenhalte in: Pfarrkirchen Bf, Berg, Triftern Post, Voglarn, Mollöd, Wolkertsham, Ulbering Post, Hochoest, Piering, Wittibreut Post, Hötzl, Oberlangwied, Holzham, Kirchberg Post, Steghäuser, Simbach Ort. Daran sieht man auch, wo die Postämter waren. Der Rest lag halt am Weg, aber allein an dieser Strecke hat's heute offenbar eine größere Haltestellendichte. Die Gemeinde Tann wurde von der Linie Pfarrkirchen - Walburgskirchen - Tann - Marktl und Tann - Wurmannsquick - Eggenfelden bedient und hat auch mehr oder weniger nur mitgenommen, was eh zufällig am Weg lag. Zum Ausfahren der Post und ein paar Leute zum Einkaufen mitnehmen reicht's und zwischen den Linien war halt vor der Schülerbeförderung einfach viel "Nichts". Ein richtig dichtes Netz wäre selbst mit wenigen Fahrten an den viel zu wenigen Bussen gescheitert, das waren sehr viel kleinere Flotten als heute. Stichwort Straße: Beispielsweise bei uns in der Hallertau hat sich sogar die Einstellung des Reisezugverkehrs wohl sogar noch ca. zwei Jahre verzögert, weil die Straße für den Bahnbus noch nicht ausgebaut war und einzelne Gemeinden es nicht einsahen, dass sie dafür zahlen sollen, das man ihnen die Bahn wegnimmt. (Erzähl nochmal einer was vom Defizit ...) Man kam bis um 1970 an viele Orte mit mehr als ca. 2-3 t Achslast, also sowas, gar nicht hin, zumindest nicht aus der Richtung von wo man's gebraucht hätte, da waren zum Teil Brücken aus dem Dreißigjährigen Krieg und selbst Staatsstraßen waren nicht unbedingt asphaltiert. Der moderne Straßenbau kam ja erst noch und viele Verbindungen erst mit dem Schülerverkehr ab Ende der 60er Jahre.
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Beitrag von Cloakmaster »

Da muss ich wieder aus der Mottenkiste meiner Oma kramen: Vor dem Krieg war es teils wirklich noch eine wahrhaftige Postkutsche, die auch zum einzelnen Landhof fuhr, um die Post zu liefern - und das war ab und dann durchaus auch mal lebendige "Post" auf 2 Beinen. Und genauso nahm der Postbote eben denn auch Fahrgäste von Unterwegs aus in der Postkutsche mit, und nicht nur ab Poststation...
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Beitrag von JeDi »

Kraftpost mit Kutschen? Kommt der Name nicht genau daher, dass Kutschen eben nicht zur Kraftpost gehörten?
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Beitrag von Rohrbacher »

Cloakmaster @ 2 May 2021, 20:15 hat geschrieben:Da muss ich wieder aus der Mottenkiste meiner Oma kramen: Vor dem Krieg war es teils wirklich noch eine wahrhaftige Postkutsche, die auch zum einzelnen Landhof fuhr, um die Post zu liefern - und das war ab und dann durchaus auch mal lebendige "Post" auf 2 Beinen. Und genauso nahm der Postbote eben denn auch Fahrgäste von Unterwegs aus in der Postkutsche mit, und nicht nur ab Poststation...
In den 50ern und 60ern dürfte das an fehlenden Sitzen im Post-Käfer oder dem sehr weit verbreiteten Fahrrad gescheitert sein. Aber selbst wenn, dann würde ich solche Aktionen von Postboten oder von mir aus auch Bierfahrern nicht als ÖPNV-Angebot werten und als Vergleichsmaßstab für den Status Quo oder gar Strategien 2030+ heranziehen wollen. Auch wenn ich die Mitnutzung eines gut getakteten ÖPNV für Post- und Eilguttransport/Kurierdienste zur Vermeidung von anderweitigen Fahrten durchaus für überlegenswert halte. Dazu müsste man aber in den heutigen Niederflurbussen irgendwie auch wieder Platz schaffen (oder weniger effizient: Anhänger mitführen), aber damit könnte man auch auf'm Land bei Lieferdiensten aller Art für die letzte Meile vielleicht (wieder) mehr Fahrräder oder Fußgänger einsetzen. Von dem her ist der alte Postbus eine gute Vorlage, wie die Verkehrswende auch auf dem Land gelingen könnte. Das, was Unmengen an Caddys und Sprintern oft in der Gegend rumfahren, würde ein 18-Tonner gar nicht weiter merken. ;)

Vereinzelt wird das ja schon versucht.
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Beitrag von Cloakmaster »

JeDi @ 2 May 2021, 19:30 hat geschrieben: Kraftpost mit Kutschen? Kommt der Name nicht genau daher, dass Kutschen eben nicht zur Kraftpost gehörten?
Noch in den 1960ern war noch lange nicht überall Motorkraft verfügbar, da musste eben weiter die Pferdekraft herhalten. Die waren noch immer billiger, und leichter verfügbar, als Käfer, oder Fahrräder.
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Beitrag von TramBahnFreak »

Rohrbacher @ 2 May 2021, 20:42 hat geschrieben: Auch wenn ich die Mitnutzung eines gut getakteten ÖPNV für Post- und Eilguttransport/Kurierdienste zur Vermeidung von anderweitigen Fahrten durchaus für überlegenswert halte. Dazu müsste man aber in den heutigen Niederflurbussen irgendwie auch wieder Platz schaffen
Das Schweizer Postauto macht genau das.
Sprinter als Rufbus ins hinterste Dorf, fährt einmal am Tag auch ohne Voranmeldung. Nicht morgens, nicht im Schülerverkehr, sondern um 16 Uhr am Nachmittag. Der Chauffeur leert unterwegs noch zwei Briefkästen und im nächsten grösseren Ort wird alles auf die Hauptlinie mit 12-Meter-Niederflurbus umgeladen, die zum Hauptort fährt, wo nicht nur die Regionalzentrale der Post ist, sondern auch der Bahnanschluss.
Um diese Zeit ist in den Bussen dann halt mal weniger Platz für Gepäck...
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Beitrag von Jean »

TramBahnFreak @ 3 May 2021, 08:06 hat geschrieben: Das Schweizer Postauto macht genau das.
Sprinter als Rufbus ins hinterste Dorf, fährt einmal am Tag auch ohne Voranmeldung. Nicht morgens, nicht im Schülerverkehr, sondern um 16 Uhr am Nachmittag. Der Chauffeur leert unterwegs noch zwei Briefkästen und im nächsten grösseren Ort wird alles auf die Hauptlinie mit 12-Meter-Niederflurbus umgeladen, die zum Hauptort fährt, wo nicht nur die Regionalzentrale der Post ist, sondern auch der Bahnanschluss.
Um diese Zeit ist in den Bussen dann halt mal weniger Platz für Gepäck...
So was wäre in Deutschland mit dem Klein-klein und strickte Trennung undenkbar. Wie soll der Busfahrer noch Post abholen? Ist der dann für den Busunternehmer und der Post verantwortlich? :rolleyes: Wie viele Formulare müsste dieser dann jedes Mal ausfüllen?
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Beitrag von Rohrbacher »

Jean @ 3 May 2021, 09:06 hat geschrieben:Wie viele Formulare müsste dieser dann jedes Mal ausfüllen?
Im Gegensatz zur historischen Deutschen Bundespost fahren in der Schweiz viele private Postautohalter, also Subunternehmer. Das war in Bayern vor der Verpreußung auch so und die damaligen Postexpeditionen sind auch nichts anderes als die heutigen Postagenturen, wo ein privater Unternehmer im Auftrag der Post rumpostelt. Wie viel Formulare dabei ausgefüllt werden müssen, weiß ich nicht, aber es geht einwandfrei. ;)
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