[SE] Reise in die Normalität

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Der perfekte Sonnenuntergangsblick wäre hier...
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...aber eine halbe Stunde im Wind sitzen?
Ich klettere ein wenig über die Felsen auf der Suche nach einer halbwegs windgeschützten Stelle. Hier werde ich schließlich fündig und warte, bis die Sonne im Meer versunken ist.
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Nur sehr wenige Menschen sind zu dieser Zeit noch unterwegs. Ich trete den Rückweg zum Fähranleger an.
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Um halb zehn bringt die Fähre eine Handvoll Menschen auf die Insel, außer mir steigen drei ein.
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Der Mond erleuchtet die blaue Stunde, doch ich halte es nur wenige Minuten im Sturm auf dem Oberdeck aus.
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Zum Takt 20 der Tram sind es 17 min. Umsteigezeit, da wir allerdings an einigen Zwischenhalten - vermutlich mangels Bedarf - nicht gehalten haben, sind es exakt 20. Die Tram fährt gerade ab, als das Schiff anlegt. Es ist ein Sirio. Also lasse ich mir Zeit, sehe zu spät, dass 3 min. danach noch ein Einrücker zum Betriebshof fährt, von dem ich wahrscheinlich weiter Richtung Innenstadt hätte umsteigen können. So fährt mir auch ein Flexity davon. Ein paar weitere Passagiere von Fähren nutzen stattdessen E-Roller oder Leihräder. In der App wird für die nächste Abfahrt kein Rollstuhlsymbol angezeigt, also wohl ein Altwagen. Für meine letzte Fahrt in Göteborg lohnt sich die Wartezeit allemal.
Die Tram kommt mit +7 an.
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Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Pünktlich fahren wir ab, doch obwohl keine Behinderungen oder besonderen Vorkommnisse auftreten, steigt die Verspätung langsam, aber sicher an. Die Fahrzeiten am späten Abend scheinen sehr sportlich kalkuliert zu sein und da der Fahrer nicht sehr zügig fährt, sammeln wir bis zum Hbf +6 ein.
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Beitrag von Entenfang »

Tag 16 Göteborg -> Lund -> München

Etwas zu früh für meinen Geschmack muss ich zum Bahnhof. Es herrscht das blanke Chaos - mindestens 20 Busse und Trambahnen stehen im Stau, denn anscheinend hat es einen kleinen Blechschaden an einem Bus gegeben.
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Kurz darauf bin ich am Bahnhof.
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Und hier beginnt die Rückreise.
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Knapp zwei Stunden später lege ich einen Zwischenstop in Lund ein.
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Eigentlich wollte ich diesen für eine Testfahrt mit der 2020 eröffneten Tram nutzen, doch das Warten...
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...ist vergeblich. Mal wieder ist an diesem Tag der Betrieb komplett eingestellt und durch SEV ersetzt. Die Betriebsaufnahme wurde von einer Pannenserie überschattet und die zahlreichen beteiligten Akteure schieben sich gegenseitig die Schuld zu.
https://www.lok-report.de/news/europa/item/...t-aus-oslo.html

Die Tram bindet lediglich ein am Stadtrand gelegenes Forschungsinstitut an den Bahnhof an, nicht aber die Altstadt.
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Kleiner Stadtrundgang
Maartenstorget
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Der Platz wird vielfältig durch Gastronomie, einen Markt sowie Sportflächen genutzt.

Domkirche
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Beitrag von Entenfang »

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Ein nettes Plätzchen ist der Stortorget...
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...wären da nicht die ganzen aggressiv bettelnden Zigeuner. Ein Mann zeigt mir irgendein abgegriffenes Foto von seiner Familie und versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln. Woher ich kommen würde? "Ahh, Deutschland. Many racists there?" Was für eine blöde Frage und meine Lust auf eine Antwort liegt am Tiefpunkt. Ich gehe weiter. Eine Frau versucht dasselbe Spielchen mit zwei einheimischen Seniorinnen. Auf dem abgebildeten Foto wäre ihre Familie und sie wolle sie schon morgen besuchen fahren, hätte aber leider kein Geld für einen Coronatest. Nach einer kurzen Diskussion meint eine der beiden alten Frauen höflich-bestimmt zu ihr: "It's over." Die Bettlerin zieht schließlich ab.
Auf dem Platz gibt es auch einige Holzliegen und kaum habe ich mich hingelegt, taucht eine Frau auf, behauptet irgendwas mit Fridays for Future zu tun zu haben und labert die Person neben mir fünf Minuten lang voll. Ich stelle mich schlafend und glücklicherweise geht sie an mir vorbei.

Nach einer Stärkung in einer urigen chinesischen Nudelbar kehre ich langsam zum Bahnhof zurück. Der Park um die Universität lädt zum Verweilen ein
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Kellerkneipe
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Bereit zur Weiterfahrt
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Pünktlich erreiche ich Kopenhagen.
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Halt.
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Beitrag von Entenfang »

Das übliche Sitzplatzchaos tritt ein, ansonsten verläuft die Fahrt ereignislos. Pünktlich schaffen wir es bis an die deutsche Grenze. Nachdem der Zug in Padborg hält, wechselt das Zugpersonal. Die erste Handlung des zusteigenden deutschen Zugbegleiters ist - ohne Begrüßung - auf die ab hier geltende Maskenpflicht hinzuweisen. Nachdem ein Fahrgast dieser Aufforderung nicht unverzüglich nachkommt, wird er sofort durch den Zub darauf angesprochen. Der Fahrgast meint daraufhin, dass in Dänemark noch keine Maskenpflicht gelten würde, woraufhin ihn der Zugbegleiter in äußerst schroffer und unfreundlicher Weise zurechtweist. "Jetzt haben wir den Zug übernommen und jetzt gilt, was ich sage. Sonst können Sie gerne aussteigen." Na dann, herzlich Willkommen zurück in Deutschland bzw. ja eigentlich erst in ein paar Minuten.
Kurz hinter der Grenze legt der Zug auf deutscher Seite einen Betriebshalt ein und die Polizei steigt ein. Sie kontrollieren nur die Ausweise, sonst nichts. Offenbar können sich die Deutschen gleich zum Nachsitzen über die Grundsätze des Schengenraums zu den Dänen dazugesellen.
In Schleswig legt der Zug nochmal einen Betriebshalt ein, um die Polizei wieder aussteigen zu lassen. Warum man dann nicht auch gleich Fahrgastwechsel zulässt, bleibt mir ein Rätsel. Wenig später gibt's noch eine Zwangsbremsung, dann rollen wir durch einen ruhigen und sonnigen Abend Richtung Süden. Kühe und Pferde grasen im Abendlicht.
Mit der Ruhe ist es bald vorbei, denn in Rendsburg kommen wir außerplanmäßig zum Halten. "Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund spielender Kinder im Gleis ist die Strecke vor uns derzeit auf unbestimmte Zeit gesperrt. Die Polizei ist bereits verständigt."
War ja klar. Ich hatte bereits im Vorfeld der Reise mit einem (deutschen) Kollegen darüber gesprochen, dass die 27 min. Umsteigezeit vom IC aus Kopenhagen zum NJ nach München in meinen Augen der kritischste Punkt in der Planung ist. Ein Schweizer Kollege war dagegen total verwirrt - was sollte an 27 min. Umsteigezeit problematisch sein? Tja, zwei Stunden innerhalb Deutschlands ist mal wieder genug, um den Puls zu beschleunigen.

Nach gut einer halben Stunde tut sich immer noch nichts. "Dear passengers, due to playing kids on the track it is still not possible to go on. The police tries to catch them. Thank you." Die dreisprachige Information des Zugchefs muss ich jedenfalls sehr positiv hervorheben. Schließlich werden die Türen freigegeben, damit man sich die Beine auf dem Bahnsteig vertreten kann. Ich sehe meine Chancen auf eine angenehme letzte Etappe der Reise schwinden. Doch kaum ausgestiegen, geht das Signal auf. Erstmal bekommt das außer mir niemand mit und weil es mir ein wenig pressiert, suche ich schleunigst den Zub auf, um ihn über die positive Entwicklung in Kenntnis zu setzen.
Pfeeeeeeif!
Hastig werden Zigaretten ausgedrückt und der Zug wieder gestürmt.

Mit rund +40 geht es weiter. Der Zugchef nimmt geduldig alle Anschlusswünsche auf, macht mir aber bezüglich des NJ nach Österreich keine Hoffnung. Die Verspätung ist zu hoch.

Wir nähern uns Hamburg, bei der gefühlt zwanzigsten Aktualisierung im DB Navigator stehen nun sowohl der NJ nach Zürich als auch mein NJ nach München mit Verspätung drin. Ich bin wieder hoffnungsvoll, dass ich meine Nacht doch im Liegewagen und nicht im grell beleuchteten Großraum im ICE verbringen werde. Wenig später gibt der Zugchef die wartenden Anschlüsse bekannt. Er nennt sowohl den NJ 401 nach Zürich als auch den NJ 491/40491 nach Wien und Innsbruck. Puh, Glück gehabt. Kurz vor der Ankunft wird der Zugchef noch über einen kurzfristigen Gleiswechsel des NJ 401 von Gleis 12 auf Gleis 13 in Kenntnis gesetzt und er gibt die Information wieder vorbildlich in drei Sprachen weiter. Um 20:47 Uhr halten wir dann abweichend auf Gleis 8 im Abschnitt H-I an, welcher sich weit außerhalb der Bahnhofshalle befindet und eine Maximierung des Umsteigwegs bedeutet. Das macht für die zahlreichen Fahrgäste mit schwerem Gepäck natürlich besonders viel Spaß.

Um die Abfahrt des fast 30 Minuten wartenden NJ 491 nicht unnötig weiter zu verzögern (und weil ich bei Anschlussvormeldungen aus gutem Grund trotzdem skeptisch bleibe), renne ich trotz meiner günstigen Position an der ersten Türe über den Bahnsteig und die Passerelle zur Rolltreppe zum Bahnsteig 13/14. Da das Gleis 14 frei und der NJ 491 noch nicht eingefahren ist, bleibe ich zunächst im Bereich der Überführung.
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An Gleis 13 steht der NJ 401 nach Zürich, planmäßige Abfahrt um 20:50 Uhr. Im DB Navigator sind zu diesem Zeitpunkt beide Nachtzüge mit neuer Abfahrtszeit um 20:56 Uhr hinterlegt. Einige weitere Fahrgäste kommen angerannt und steigen in den NJ 401 ein. Als die planmäßige Abfahrtszeit erreicht ist, ertönt im Bahnhof die Durchsage: "An Gleis 13 bitte einsteigen, der Zug fährt ab." Wenige Sekunden später werden die Türen geschlossen, nur eine weiter von der Rolltreppe entfernte Tür bleibt zur Abfertigung noch geöffnet. In der Zwischenzeit kommen weitere Fahrgäste angerannt, welche einen noch weiter verlängerten Umsteigeweg haben und durch die letzte geöffnete Tür einsteigen. Obwohl nun immer mehr Umsteiger herbeistürmen, wird der NJ abgefertigt, die letzte Tür geschlossen und der Zug fährt den herbeieilenden, winkenden und schreienden Menschen davon. Aufgrund der großen Zahl der Umsteiger sowie ihres Verhaltens steht es für mich außer Frage, dass das Abfertigungspersonal am Bahnsteig sie wahrgenommen haben muss und dennoch den Abfahrauftrag gegeben hat. Das scheinen die wütenden Fahrgäste auch zu merken und tun ihren Frust völlig zurecht gegenüber der wild fuchtelnden Bahnsteigsaufsicht kund.
Kurz nachdem der NJ 401 den Bahnsteig verlassen hat, wechselt der ZZA am Bahnsteig auf +++Verspätung ca. 5 min.+++ Ich vermute daher, dass das Abfertigungspersonal noch nicht darüber informiert war, dass der Anschluss aus Kopenhagen abzuwarten ist. Doch selbst wenn die Information nicht rechtzeitig weitergegeben wurde, finde ich es wahrlich erschütternd, Menschen vor der Nase die Türen zu verschließen und so dafür zu sorgen, dass ihre erste Erinnerung an den Sommerurlaub der vor ihren Augen abfahrende, vorgemeldete Anschlusszug ist.
Ich habe der DB diesen Vorfall geschildert. Dass der Anschluss abzuwarten ist, wurde dem Zugchef des NJ nach Zürich offenbar nicht weitergegeben, weswegen der Zug pünktlich abgefertigt wurde. Ich zitiere einen Satz - in meinen Augen sehr repräsentativ für das, was im deutschen Bahnsystem schiefläuft: "Die genauen Ursachen für die schwächelnde Kommunikationskette konnten noch nicht abschließend geklärt werden." Klappe zu, Anschluss weg. Warum genau, wissen wir auch nicht. Dass wir ein Dienstleistungsunternehmen sind, offenbar auch nicht. So oder so gibt es den Entenfangschen Preis für den Eisenbahner ohne Herz, der den Abfertigungsauftrag trotz der herbeieilenden Fahrgäste gegeben hat. Ich gratuliere herzlich.

Für mich dagegen beginnt die letzte Etappe wenig später wie gewünscht und das ist gleich doppeltes Glück, denn zuvor erreicht mich noch die Eilmeldung, dass die Lokführer ab übermorgen streiken. Die Bahn kann schon ein sehr gutes Verkehrsmittel sein, wenn sie denn mal nicht wegen Schnee, Sturm, oder Streik eingestellt ist.

Der NJ nach Österreich wurde wahrscheinlich in Altona zurückgehalten und kommt einige Minuten später eingefahren.
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Ich teile mir das Abteil mit einem Mann um die 40 und seiner mindestens 10 Jahre jüngeren Freundin. Sie sind mit dem Motorrad unterwegs, wollten aber nicht die gesamte Strecke durch Deutschland fahren und probieren zum ersten Mal einen Nachtzug aus, während das Motorrad auf dem Autozugteil mitfährt. Zunächst wären sie etwas skeptisch gewesen, das Liegewagenabteil mit zwei Fremden zu teilen, hätten es aber mal ausprobieren wollen. Mit dem Preis von 800 ¤ für Hin- und Rückfahrt inkl. Fahrzeugtransport sind sie ganz zufrieden. Ich erkläre noch das eine oder andere zum Thema Eisenbahn, z.B. das der Nightjet von der ÖBB betrieben wird, weil die DB aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen ist. Ich finde es stets erheiternd, wenn dann nach wenigen Minuten fast immer der gleiche Satz kommt. "Du kennst dich aber gut aus!" Sie sind jedenfalls mit dem Liegewagen zufrieden und verschwinden schließlich auf den beiden oberen Liegen.
In Hannover steigt eine alte Frau zu, die den Zug regelmäßig nutzt, um nach Jenbach zu fahren. "Ach ja, der kommt fast immer mit Verspätung. Manchmal eine halbe, manchmal eine Stunde. Aber am Ende ist er immer pünktlich." Sie liest noch eine Weile, dann löscht sie das Licht.

Das Abteil war dunkel,
der Mond schien helle,
als der Nightjet blitzeschnelle
mit einem sanften Ruckeln -
leise, nur ganz sachte -
mich zurück nach München brachte.

Etwa 10 Minuten vor Plan erreichen wir München, ich schleiche mich durch den Gang zur Tür. Die meisten Fahrgäste fahren noch weiter. Die Tür ist auch eine Minute nach Halt noch störrisch und der freundliche Schaffner probiert es selbst - erfolglos. Weitere zwei Minuten vergehen, dann zischt es und die Türen sind frei.
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Fazit

Während ich bisher auf Reisen oft das Neue, Unbekannte, Exotische gesucht habe, stand die diesjährige Sommerreise unter einem ganz anderen Vorzeichen. Möglichst einfach, unkompliziert und maskenfrei meinem Hobby nachgehen. Ich habe es nicht bereut, nach fast anderthalb Jahren mal wieder das Gefühl zu haben, unter Menschen mit echten Gesichtern zu sein. Dazu noch die entspannte skandinavische Art, die offenen und netten Schweden und die zwei Wochen sind verflogen wie nichts. Die Stimmung ist eine völlig andere als in Deutschland oder der Schweiz, wo es seit anderthalb Jahren nur ein einziges Thema gibt, an dem sich Familien und Freundeskreise entzweien. Mein Eindruck ist, dass man durch die Zurückhaltung bei Einschränkungen und das Setzen auf die Vernunft vor allem das Klima der Angst vermieden hat und das macht sich deutlich positiv im Umgang miteinander und der Atmosphäre generell bemerkbar. Menschen umarmen sich, gehen auf Fremde zu und verunstalten keine Coronaregel-Plakate. Zumindest in Basel gibt es kaum noch eins, das nicht durchgestrichen, heruntergerissen oder um irgendwelche Verschwörungstheorien ergänzt wurde. Entgegen des Eindrucks, der möglicherweise aus den Medien entstanden ist (zumindest bei mir), gab es in Schweden nämlich durchaus Einschränkungen. Zum Zeitpunkt meines Besuchs waren Großveranstaltungen ebenso begrenzt wie die Personenzahl in Geschäften oder beim Gottesdienst.
Es ist mir sehr leicht gelungen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Eigentlich muss man gar nicht viel machen, plötzlich fragt der Kassierer im Supermarkt, woher ich komme und schon geht der Plausch los. Dass in Schweden einfach jeder Englisch spricht, erleichtert die Kommunikation natürlich erheblich.

Eine große Neuerung (für mich) habe ich auf der Reise dann doch ausprobiert - völlig bargeldlos unterwegs zu sein. Zunächst hatte ich noch vorgehabt, mir einen gewissen Bargeldvorrat zu beschaffen, doch ich habe in Stockholm drei Tage keinen Geldautomaten gesehen. Gleichzeitig akzeptieren viele Orte gar kein Bargeld mehr, sodass ich dann befürchtet habe, das Bargeld nicht mehr loszuwerden. Bis 2023 will Schweden das erste Land auf der Welt sein, in dem Bargeld komplett abgeschafft wird.
https://interestingengineering.com/sweden-h...ashless-society
https://sweden.se/life/society/a-cashless-society
Dass die Schweden dem sehr positiv gegenüberstehen, trägt natürlich auch zu dieser Entwicklung bei. Ich habe in den zwei Wochen nur dreimal jemanden beim Barzahlen gesehen. Für die Bettler ist das natürlich ungünstig - Straßenmusiker dagegen stellen ein Schild mit QR-Code für eine elektronische Spende auf. Für einen überzeugten Barzahler wie mich war es eine erhebliche Umstellung und irgendwie fühlt sich das Portemonnaie ohne Münzen so leer an... Dass es einige Menschen gibt, die sich sogar einen Chip implantieren lassen und damit bezahlen, finde ich doch arg gruselig.

Dass kein Land der EU mehr Flüchtlinge pro 100 Einwohner aufgenommen hat, macht sich deutlich bemerkbar. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch im Spätsommer 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hat sich die Situation allerdings deutlich normalisiert. Damals war ich ziemlich geschockt von der großen Anzahl Bettler und Obdachloser, die die Straßen Stockholms bevölkert haben. Bei diesem Besuch ist mir nichts mehr dergleichen aufgefallen.

Der ÖV ist in den Großstädten gut ausgebaut und genießt eine ordentliche Bevorzugung. Die U-Bahn in Stockholm wird nun nach einem Ausbaustillstand seit den 90er Jahren aktuell wieder ausgebaut. In den nächsten 10 Jahren sollen eine Streckenverlängerung im Norden, ein neuer Abzweig an der grünen Stammstrecke (wird als neue gelbe Linie bezeichnet) sowie eine weitere Verbindung zwischen dem Nord- und Südteil der Stadt als Verlängerung der blauen Stammstrecke hinzukommen.
Der Wiederausbau der Tram dagegen kommt nur äußerst schleppend voran. Nach jahrelangem Kampf ist die einzige innerstädtische Linie (Spaarväg City) nun normaler ÖPNV ohne tarifliche Hürden. Durch eine kurze Verlängerung vom Sergels torg bis T-Centralen wurde die Umsteigesituation zur U-Bahn deutlich verbessert. Leider hat man trotzdem gespart und bis zum Fernbahnhof bleiben rund 500 m Fußweg, die man durch eine weitere Haltestelle ziemlich unkompliziert hätte erreichen können. Außerdem gibt es noch zwei weitere Tramnetze, welche die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr 1967 überlebt haben, weil sie vollständig auf unabhängigem Bahnkörper verlaufen. Dass man von einer Integration der Lidingöbanan in das U-Bahnnetz abgesehen hat, ist angesichts der zahlreichen BÜ nur allzu verständlich. Dass man sich so schwer tut, eine Verbindung mit dem Spaarväg City zu schaffen, ist mir dagegen wenig verständlich. Bedeuten die beiden separaten Netze mit (nahezu) identischen Fahrzeugen doch, dass man sie wohl auf der Straße überführen muss. Zumindest gehe ich davon aus, dass mindestens die große Instandhaltung im Depot der Lidingöbanan stattfindet, da die Fahrzeughalle auf Djurgaarden ziemlich klein ist und zudem noch historische Fahrzeuge enthält. Wenigstens die Nockebybanan wurde mit der ab 2000 entstandenen Halbring-Tangentiallinie Tvärbanan verbunden, welche inzwischen eine beachtliche Länge von etwa 20 km und zahlreiche aufwendige Brücken und Tunnels aufweist. Eine 8 km lange Zweigstrecke nach Helenelund ist im Bau.
Dass das flächendeckende Tramnetz in der Innenstadt nicht überlebt hat, ist natürlich schade. Doch dessen Einstellung und Ersatz durch die U-Bahn war bereits zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen worden und wurde durch die Umstellung auf Rechtsverkehr nur vorzeitig umgesetzt. Einige Neubautrassen der Nachkriegsjahre wurden bereits als Schnellstraßenbahnstrecken ausgelegt und später ins U-Bahnnetz integriert. Kurz vor der Trameinstellung im Jahr 1965 sah der Masterplan U-Bahn wie folgt aus: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm...ckholm_1965.jpg
Bemerkenswert finde ich, dass schon damals Englisch offenbar in Schweden so weit verbreitet war, dass man die Legende zweisprachig ausgeführt hat. Bis auf eine wesentliche Ausnahme wurde der damalige Plan tatsächlich so umgesetzt - nur die zweite Wasserquerung wird wohl noch weitere 10 Jahre auf sich warten lassen. Interessant ist außerdem, dass die Integration zumindest eines Astes der Roslagsbanan in die U-Bahn vorgesehen war. Daraus ist bis heute nichts geworden, stattdessen bleiben die drei Äste dieser Vorortbahn ein Inselnetz auf 891 mm Spurweite und nahezu Parallelverkehr zur U-Bahn zwischen Stockholms östra und Mörby.
Als Ergänzung zum Schienenverkehr gibt es die Blue bus lines, vor allem durch ihre Taktdichte stark an einen Metrobus erinnern und tagsüber mindestens alle 10 min. verkehren. Ihre Liniennummern erinnern teilweise an die ehemaligen Tramlinien, so ist die heutige Linie 4 nahezu identisch zur Tram von 1946 (!). https://stockholmskallan.stockholm.se/post/9714
Der übliche Takt unterscheidet sich nach Verkehrsmittel - die U-Bahn hat einen Grundtakt 10 (und fährt am Wochenende rund um die Uhr im Takt 30), die Tram und Pendeltaag (S-Bahn) hat dagegen einen Takt 7,5, die Roslags- und Saltsjöbanan je nach Tageszeit irgendwas zwischen 7,5, 20 und 30, die blauen Busse 5...7 min. Nicht zuletzt am Krauderwelsch der Taktdichten merkt man, dass das gesamte Nahverkehrsnetz in Stockholm sehr stark historisch gewachsen und jeder Teil für sich steht, aber kein richtig abgerundetes Gesamtkonzept besteht. Das Gegenteil ist dagegen beim Tarif der Fall - noch einfacher wie "Kaufe eine (Mehr-)Tageskarte und fahre überall im gesamten Netz außer zum Flughafen und nach Uppsala" geht es kaum - und dafür ist der Preis von 15¤ für die 24h-Karte ganz in Ordnung, aber freilich recht teuer, wenn man nicht vorhat, exzessiv das gesamte Netz zu erkunden.
Passend zum Taktdurcheinander gibt es auch noch unterschiedliche Betreiber, die unter dem Dach von Storstockholms Lokaltrafik (SL) arbeiten. Die Busse werden von Keolis, die Tram/Stadtbahn teils von Arriva, teils von Stockholms Spaarvägar betrieben, die U-Bahn von MTR (Hongkong), die Vorortzüge von Arriva, die S-Bahn (Pendeltaag) von MTR.
Trotz aller Umstände, der ewigen Baustelle am Knotenpunkt Slussen (die schon bei meinem ersten Besuch im Jahr 2015 bestand und noch mindestens 5 weitere Jahre dauern wird) sowie zahlreicher weiterer Baustellen in der Altstadt finde ich Stockholm eine nicht nur aus ÖPNV-Sicht sehenswerte Stadt, deren Zweitbesuch sich nun endlich ergeben hat. Stockholm ist eine sehr grüne Stadt mit vielen Brücken und Wasser und wird meiner Meinung nach zurecht auch Venedig des Nordens genannt.

In Göteborg hat die Geschichte eine andere Wendung genommen. Zwar gab es auch dort in den 1950er Jahren Überlegungen, die Tram auf eine in der Innenstadt unterirdische Stadtbahn und später auf eine Voll-U-Bahn umzubauen, doch der schwierige Baugrund verhinderte das Projekt. Stattdessen wurden alle Neubaustrecken in die Großwohnsiedlungen am Stadtrand völlig kreuzungsfrei aufwärtskompatibel mit U-Bahn-Standard angelegt. Doch zu einem Umbau im Stadtzentrum kam es nie. Stattdessen wurden einige Ergänzungen am Netz vorgenommen und diverse Haltestellen aufgelassen, um den Betriebsablauf zu beschleunigen. Es gab nur eine einzige nennenswerte Streckenstilllegung und ein dichtes Netz durchzieht die Innenstadt, sodass man selten weit bis zur nächsten Haltestelle laufen muss.
Aufgrund der langen Schnellstraßenbahnabschnitte und des üblichen rasanten Fahrstils ist die Tram recht flott unterwegs. Nichtsdestotrotz ist die Zuverlässigkeit eindeutig nicht zufriedenstellend. Durch die vielen Linienüberlagerungen kommen zwar auf den Schnellstraßenbahnstrecken alle paar Minuten eine Bahn, doch in der Innenstadt kommt es so zu beträchtlichen Eigenbehinderungen, da dort auch zahlreiche Busse die Tramtrassen mitnutzen. Während meines dreitägigen Aufenthalts kam es mehrfach zu größeren Verspätungen und Betriebsstörungen.
Nach langem Hin und Her bekommt Göteborg jetzt doch einen Tunnel in der Innenstadt - allerdings nicht für die Tram, sondern für die S-Bahn, welche ähnlich wie in Malmö einen Tunnel mit zwei neuen unterirdischen Bahnhöfen sowie einem unterirdischen Durchgangsbahnhof unter dem Kopfbahnhof erhält.
Mit ihrem bunten Fahrzeugpark auf abwechslungsreichen Strecken ist Göteborg für den Straßenbahnfan auf jeden Fall eine Reise wert und auch Stadt und Umland haben einige reizvolle Orte zu bieten.

Verlässt man die Agglomerationen, wird es dagegen schwierig, mit dem ÖV herumzukommen. Angesichts der riesigen, äußerst dünn besiedelten Gebiete im Norden ist das aber auch wenig verwunderlich. Abseits der Haupt-Bahnrouten kommt man ohne Auto nicht weit. Immerhin gibt es in den Sommermonaten einige Buslinien, welche die wichtigsten Wanderziele anfahren.
Die Eisenbahn funktioniert recht zuverlässig, allerdings scheint es insbesondere auf der stark im GV gefragten Strecke nach Narvik immer wieder mal größere Verspätungen zu geben. Ich hatte Glück, doch an anderen Tagen waren die Nachtzüge von/nach Abisko 2h verspätet. Möglicherweise haben Güterzüge Vorrang, da die schweren Erzzüge nur unter großem Aufwand gestoppt und wieder in Fahrt gebracht werden können. Die Richtungsbündelung (erst verkehren mehrere Züge hintereinander in eine Richtung, dann mehrere hintereinander in die Gegenrichtung) auf der eingleisigen Strecke lässt sich sehr gut beobachten, um Kreuzungen möglichst zu vermeiden und die Kapazität gut zu nutzen.

Alles in allem ziehe ich ein sehr positives Fazit aus den zwei Wochen - so wohl habe ich mich seit anderthalb Jahren nicht mehr gefühlt, einfach wieder wie ein normaler Mensch in einem normalen Umfeld. Am besten hat es mir in Göteborg gefallen und ich habe das gemütliche Herumfahren mit der Tram schon lange nicht mehr so genossen. Vieles spricht für eine baldige Rückkehr.



Statistik

Gefahrene Bahnkilometer: 6840
Planmäßige Gesamtfahrzeit: 3d 12h 23 min
Gesamtverspätung (analog FGR): -4 Minuten
Fahrtkosten gesamt: 646,70¤, davon:
Fahrkarten: 289,90¤
Reservierungen: 194,90¤
ÖPNV und Bus: 161,90¤
Kosten pro Bahnkm: 7,1 Cent
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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218217-8
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Beitrag von 218217-8 »

Vielen Dank für den Bericht! Sowohl Stockholm als auch Göteborg habe ich schon mehrfach besucht und kann bestätigen, dass beide Städte immer eine Reise Wert sind. In der schwedischen "Provinz" war ich hingegen noch nicht, dein Bericht macht aber definitiv Lust darauf, das einmal nachzuholen. Ok, Regenjacke sollte man immer dabei haben. Aber daran soll es nicht scheitern.
Oliver-BergamLaim
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Beitrag von Oliver-BergamLaim »

Herzlichen Dank für den wie gewohnt sehr schönen, abwechslungsreichen Bericht! :)

Einige Fragen stellen sich mir auch:
in einem Konkurrenzforum war vor einiger Zeit zu lesen, dass in Göteborg eine Serie Altfahrzeuge wohl wegen Schäden komplett außer Betrieb genommen werden mußte, anscheinend auch dauerhaft mit entsprechenden Folgen für das gesamte Netz (Stichwort Besetzung von allen Kursen). Hast Du das mitbekommen, bzw. ist das erst nach Deinem Besuch dort passiert? Dann müsste man als potenzieller Göteborg-Erstbesucher (und die Stadt spukt mir schon eine Weile im Kopf herum - ich empfand Deinen Besuch dort auch als den interessantesten Teil des Reiseberichts) wohl leider damit rechnen, bei einem Besuch in 2022 deutlich weniger Altfahrzeuge zu sehen zu bekommen.

Dann zur geplanten kompletten Abschaffung des Bargeldes in Schweden: wie würde es denn dann funktionieren, dass sich beispielsweise Schulkinder oder Jugendliche auf dem Nachhauseweg oder nach der Schule, nach dem Sport, am Badesee etc. ein Eis oder eine belegte Semmel oder irgendwas kaufen? Ein Bankkonto und damit Kredit- und Debitkarten gibt es ja erst ab einem bestimmten Alter, das dürfte auch in Schweden nicht so viel anders sein als hier. Was ist mit älteren Leuten, die wirklich nicht in der Lage sind, mit Smartphone-pay-app oder Kreditkarte umzugehen? Was ist mit Touristen, die ohne Kreditkarte kommen und die kein schwedisches Bankkonto oder irgendwelche pay-apps haben? Was ist mit Blinden/stark Sehbehinderten, die eine pay-App oder PIN-Pad nicht bedienen können? Das soll keine Pauschalnegierung eines bargeldfreien Landes sein, sondern mich würde wirklich interessieren, welche Lösungen für diese Gruppen angedacht sind oder bereits existieren?
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karhu
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Beitrag von karhu »

Danke für deinen Reisebericht, richtig klasse. Ich war auch an einigen Orten schon selber die du dort besucht hast, außer in Göteburg. Das Å und å funktioniert übrigens hier ;)

Ich hatte dann das Glück und konnte Ende August 2021 mit der Straßenbahn in Lund mitfahren, als ich auf der Heimfahrt war machte ich einen Zwischenstop dort: Straßenbahn Lund
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Beitrag von Entenfang »

Vielen Dank für eure positiven Rückmeldungen! :)
Oliver-BergamLaim @ 7 Jan 2022, 16:51 hat geschrieben:Einige Fragen stellen sich mir auch:
in einem Konkurrenzforum war vor einiger Zeit zu lesen, dass in Göteborg eine Serie Altfahrzeuge wohl wegen Schäden komplett außer Betrieb genommen werden mußte, anscheinend auch dauerhaft mit entsprechenden Folgen für das gesamte Netz (Stichwort Besetzung von allen Kursen). Hast Du das mitbekommen, bzw. ist das erst nach Deinem Besuch dort passiert?
Ich nehme mal an, du meinst das hier: https://www.drehscheibe-online.de/foren/rea...884239,page=all
Ich hatte davon gehört, das ist aber erst nach meinem Besuch passiert. Ausgemustert wurden im Oktober überraschend offenbar alle M28, das sind die Fahrzeuge mit den 700er-Nummern. Die waren zum Zeitpunkt meines Besuchs stets als 2. Fahrzeug eingereiht. Optisch sind diese jedoch quasi nicht von den M29-Wagen zu unterscheiden (800er Nummern), die immer als 1. Fahrzeug der Traktion eingesetzt wurden. Die Verstärkerlinie 14 wurde deswegen eingestellt (zum Zeitpunkt meines Besuchs fuhr sie allerdings auch nicht) und die Verstärkerlinie 13 auf einige Abfahrten in der morgendlichen HVZ reduziert. https://www.vasttrafik.se/en/travel-plannin...11014501300000/ (Übrigens schon wieder so ein interessanter Fahrplan - Abfahrten nur in Lastrichtung, die ersten beiden abgestimmt auf die Fährankünfte, die anderen drei bleiben mir rätselhaft, außerdem Durchfahrt an vier Haltestellen, was sich mit dem Fahrplan der überall haltenden 3 irgendwie nicht ausgeht...)
Oliver-BergamLaim @ 7 Jan 2022, 16:51 hat geschrieben: Dann müsste man als potenzieller Göteborg-Erstbesucher (und die Stadt spukt mir schon eine Weile im Kopf herum - ich empfand Deinen Besuch dort auch als den interessantesten Teil des Reiseberichts) wohl leider damit rechnen, bei einem Besuch in 2022 deutlich weniger Altfahrzeuge zu sehen zu bekommen.
Das ist sicher richtig - die Anzahl der Altwagen hat sich fast halbiert, da 48 M28-Wagen außer Betrieb genommen wurden und nur noch die 55 M29-Wagen bleiben. https://goteborgssparvagar.se/m28-tas-ur-trafik-idag/
Oliver-BergamLaim @ 7 Jan 2022, 16:51 hat geschrieben: Dann zur geplanten kompletten Abschaffung des Bargeldes in Schweden: wie würde es denn dann funktionieren, dass sich beispielsweise Schulkinder oder Jugendliche auf dem Nachhauseweg oder nach der Schule, nach dem Sport, am Badesee etc. ein Eis oder eine belegte Semmel oder irgendwas kaufen? Ein Bankkonto und damit Kredit- und Debitkarten gibt es ja erst ab einem bestimmten Alter, das dürfte auch in Schweden nicht so viel anders sein als hier.
Likewise, children from the age of seven are legally able (and encouraged) to have their own debit card to better prepare them for digital-first payments.
https://www.globalprocessing.com/news/blog/...-cashless-goals
In Schweden scheinen tatsächlich Kinder ab 7 Jahren ihre eigene Karte haben zu können.
Oliver-BergamLaim @ 7 Jan 2022, 16:51 hat geschrieben:Was ist mit älteren Leuten, die wirklich nicht in der Lage sind, mit Smartphone-pay-app oder Kreditkarte umzugehen? Was ist mit Touristen, die ohne Kreditkarte kommen und die kein schwedisches Bankkonto oder irgendwelche pay-apps haben? Was ist mit Blinden/stark Sehbehinderten, die eine pay-App oder PIN-Pad nicht bedienen können? Das soll keine Pauschalnegierung eines bargeldfreien Landes sein, sondern mich würde wirklich interessieren, welche Lösungen für diese Gruppen angedacht sind oder bereits existieren?
Das ist eine wirklich gute Frage. Eine kurze Recherche hat mir keine Lösung zutage gefördert - wohl aber diesen sehr ausführlichen Artikel, der auch auf das von dir genannte Problem ausführlich eingeht.
https://journal.culanth.org/index.php/ca/ar...e/view/4743/585

@ karhu: Danke, deinen Bilderbogen aus Lund hatte ich damals nach deinem Post gleich angeschaut. :)
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Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Tram-Bahni »

Entenfang @ 7 Jan 2022, 22:23 hat geschrieben: Optisch sind diese jedoch quasi nicht von den M29-Wagen zu unterscheiden (800er Nummern), die immer als 1. Fahrzeug der Traktion eingesetzt wurden.
Innen durchaus mit ihren schönen alten Glühbirnen, außerdem die manuell zu bedienenden Türen.
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Beitrag von einen_Benutzernamen »

bettelnden Zigeuner
:blink: ...
Das muss heissen Notreisende BettelmigrantInnen mit Indo Rumänischen Migrationshintergrund!
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Beitrag von Valentin »

Entenfang @ 6 Jan 2022, 23:00 hat geschrieben:

...wären da nicht die ganzen aggressiv bettelnden Zigeuner.
Die alte schwedische Tradition mit ihren ihren bettelnden Holzstatuen am Kircheneingang hatte auch hier ihre Vorteile. Aber wer geht heute jeden Sonntag noch zur Kirche...

Es wurde sogar eine Studie zur den Vorteilen von Bettelstatuen mit Kartenterminal gegenüber herkömmlichen Spendenaufrufen erstellt.

Eine der ältesten Figuren ist in Karlskrona ausgestellt
10bis10 jetzt - oder Rücknahme der damit begründeten Tariferhöhung.
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Beitrag von Südostbayer »

Ergänzend zu den Tram-Bildern aus Göteborg sei aus aktuellem Anlass (seit heute online) auf diese umfangreiche Bilderserie von 1985 verwiesen: https://www.bebrail.ch/index.php/tram-eisen...in-skandinavien
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Beitrag von Entenfang »

Südostbayer @ 4 Feb 2022, 17:37 hat geschrieben: Ergänzend zu den Tram-Bildern aus Göteborg sei aus aktuellem Anlass (seit heute online) auf diese umfangreiche Bilderserie von 1985 verwiesen: https://www.bebrail.ch/index.php/tram-eisen...in-skandinavien
Danke, interessant zu sehen, wie viele Fotostellen sich in den letzten 36 Jahren quasi gar nicht verändert haben. :)
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Beitrag von karhu »

Ich packs mal hier mit rein, diese Reise habe ich schon öfters gemacht und für mich soweit nichts besonderes. Also von Tampere über Turku, Stockholm, Kopenhagen, Hamburg nach Süddeutschland.

Mitte Januar gings los. Schweden war glücklicherweise immer liberal mit Corona, doch um die Zeit brauchte man einen Test für die Einreise (auch für geimpfte und genesene). Da die Tests in Tampere und Turku für Reisen sau teuer sind (über 100¤) habe ich einen Umweg über Helsinki machen müssen da dort es deutlich günstiger ist (um 25¤). Dann weiter nach Turku Hafen, da hält der Zug direkt am Fährterminal an, Abends aufs Schiff nach Stockholm. Am frühen Morgen angekommen war ich mir sicher das jetzt eine strenge Einreisekontrolle wegen Korona folgt, so haben es auch einige berichtet, doch nichts, absolut gar nichts, wie zu besten Schengen Zeiten. Der Stress und Umweg wegen dem Test war also mal unnötig für mich.

In Stockholm muss man dann erstmal mit dem Stadtbus vom Fährterminal zum Bahnhof. Mit Masken sieht man niemand, beim Fahrer vorne einsteigen darf man aber noch nicht.
Blick über die Gleise im verschneiten Bahnhof Stockholm Central:

Bild

Der X2000 fährt wieder von Stockholm durch bis Kopenhagen bei deutlich weniger Schnee, bei der Überfahrt über die Öresund Brücke wurde darauf hingewiesen das man jetzt eine Maske benutzen muss. Kontrollen wegen Coronapass war aber auch dort nicht.

Bild

In Kopenhagen ist etwa 1,5 Stunden Aufendhalt bis die Gumminase nach Hamburg abfährt. Nach Padborg hält der Zug irgendwo im nirgendwo an und die deutsche Polizei steigt zu. Jetzt zum ersten Mal wird der Koronapass kontrolliert.

Von Hamburg geht es im NJ/IC weiter bis Karlsruhe. Diesmal hab ich es reskiert und keine Extra fahrkarte für den Liegewagen gekauft und hatte Glück. Ich hatte ein Sitzwagenabteil für die ganze Reise für mich allein. Da kann man fasst so gut schlafen wie im Liegewagen dann wenn man beide Sitze ausklappt, einen Schlafsack hatte ich mit:

Bild

Da der Sitzwagen als IC geführt wird konnte ich eine DB Fahrkarte von StockholmC bis an mein Ziel durchlösen für 69,90¤. Dazu kommt die Fähre für 20,90¤ (mit eigener Kabine!) und die Fahrkarte von Tampere nach Helsinki 18¤ und von Helsinki nach Turku Hafen 8,90¤. Also keine 120¤ für über 2200km. In der Nebensaison und werktags kann man also günstig reisen.
:)

Zurück ging es dann Anfang Februar über Berlin (dort ein paar Tage Aufendhalt) nach Hamburg. Dort war dann das erste Problem auf der Reise die Hauptstrecke zwischen Berlin und Hamburg war wegen einem Kabelschaden gesperrt, die Züge wurden umgeleitet, teilweise war die Strecke eingleisig und so dauerte die Fahrt 70 Minuten länge als normal. Ich habe dann einen ICE früher genommen um die Gumminase von Hamburg nach Kopenhagen zu bekommen.
Anfang Februar hat Dänemark alle Koronamaßnahmen wieder aufgehoben. Vor Padborg endlich die nervige Maske dann weg. In Padborg wurde aber eine Kontrolle von der Polizei und dem Militär durchgeführt, Koronapass interessierte die nicht, war eine Ausweiskontrolle ohne besonderen Grund (denn die Koronamaßnahmen wurden ja vollständig aufgehoben). Das verstößt aber gegen die Schengen Gesetze. So wird unnötig viel Zeit und Geld verschwendet. Der Zug steht fast 15 Minuten in Padborg unnötig rum.
Bis Padborg war nur Vmax 140km/h oft aber langsammer danach war fast immer 180km/h. Auf deutsche Seite könnte man ohne große Maßnahmen gut für 160km/h oder mit LZB auch 180km/h ausbauen, die Strecke ist großteils gerade das Land flach dort. (Rensburger Hochbrücke ist natürlich eine Ausnahme)
Im Öresundtåg dann weiter von Kopenhagen nach Malmö, auch dieser Zug steht nach der Öresundbrücke in Malmö Hyllie Station unnötig rum weil auch dort manchmal Kontrollen der schwedischen Polizei stattfinden, dieses Mal zum Glück nicht.
In Malmö hab ich um die 4 Stunden eingeplant um mit einer Freundin (sie wohnt in Malmö) Essen zu gehen und noch ein Bier zu trinken bevor der Nachtzug nach Stockholm abfährt. Mein Gepäck in ein Schließfach für die Zeit eingeschlossen 69kr (6,90¤) kostet das steht dort. Die SJ bietet das leider nicht mehr an, auch das wurde privatisiert und an eine Fremdfirma vergeben.

Als ich zurück komme die böse Überraschung um das Schließfach zu öffnen muss ich 209kr bezahlen (20,90¤). Die Gepäckaufbewarung hat mich also 27,60¤ gekostet.

Bild

Diese kapitalistische sch**** Firma denke ich mir :angry: Das ist echt Wucher, also an alle als Warnung Gepäckboxen in Schweden zu benutzen es wird sau teuer. Für das Geld hätte man fast ein Bett in einem Hostel bekommen. Zum Vergleich in Helsinki kostet die größte Box der Staatsbahn VR für 24 Stunden 8¤.

Im Liegewagen der zu meiner Überraschung voll belegt ist, obwohl es Werktag ist, bringt mich pünktlich von Malmö nach StockholmC für etwa 45¤. Mit der Fähre (21¤) weiter nach Turku und von dort mit dem Zug nach Tampere (9,90¤). War eine schöne Reise und die mache ich sicher wieder. Das Gepäck in Malmö schleppe ich aber lieber mit rum oder fahr mit dem Bus zu meiner Bekannten und lass es dort für die Zeit. Schweden hat auch jetzt alle Koronamaßnahmen wieder aufgehoben, die wenigen waren im Alltag sowieso kaum aufgefallen.
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Beitrag von Entenfang »

Wenn ich so weitermache, wird die Strecke für mich bald auch nichts mehr Besonderes ;) Aber ich freue mich auch schon darauf, dass es morgen bei mir auch schon wieder losgeht!

Zu den Schließfächern kann ich dir aber nicht zustimmen - ich habe die in Lund benutzt und dafür normale Preise gezahlt. Laut deiner Quittung links hast du ein Schließfach für 70 SEK für 1h gemietet - kann es sein, dass du dich vertan hast und versehentlich 1h statt 1 Tag ausgewählt hast oder irgendein Kurzzeitschließfach, was zu diesem absurd hohen Preis nach 3h geführt hat?
Gerade das hier in Malmö gefunden:
https://www.speedservices.no/no/oppbevaring...entral-station/

70 SEK für 1 Tag finde ich durchaus einen normalen Preis.

Dass die Nachtzüge in Schweden sehr gut genutzt werden, war auch mein Eindruck. Und mit dem Privatabteil im NJ hattest du sicher auch eine Portion Glück - ich habe für morgen gar keinen Liegewagen mehr bekommen...
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Re: [SE] Reise in die Normalität

Beitrag von karhu »

Wenn man die Seite auf schwedisch umstellt tauchen die Wucherpreise auf: https://www.speed-services.se/forvaring ... alstation/

In LundC sind die Preise aber normal, warum auch immer das in MalmöC so sau teuer ist. :x
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