[DK] Keep calm and go to Copenhagen

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Letzten Oktober war die allgemeine Gemütslage in der Schweiz angespannt - äußerst hitzig haben damals Befürworter und Gegner der Verschärfungen des Covid-Gesetzes im Vorfeld des Referendums darüber gestritten - zu Beginn fast jeden Meetings, im Sprachkurs, im Zug... Ich habe ein paar Tage Auszeit gebraucht und recht spontan geschaut, ob es noch freie Plätze im NJ nach Hamburg gibt. Die gab es und eine gute Woche später sollte es auch schon losgehen.

Tag 1 Basel -> Hamburg

Bereit für die Fahrt in die Nacht
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Im Liegewagenabteil sind bereits zwei junge Männer, die Französisch sprechen. Allerdings sprechen sie auch fließend Deutsch. Ich erkundige mich, ob sie aus der Romandie oder aus Frankreich kommen. "Wären wir aus Frankreisch, könnten wir nischt so güt Deutsch." Touché. Als sie dem Schaffner ihr FIP (Fahrvergünstigung international für Personal) zeigen, frage ich nach, ob sie bei der Bahn arbeiten. Tatsächlich machen beide eine Ausbildung zum Zugbegleiter und möchten die nächsten zwei freien Tage in Hamburg verbringen. Sie würden gerne immer mal wieder während ihrer freien Tage in andere Städte fahren, da Bahnfahrten für sie nur wenig kosten. Sie fahren zum ersten Mal Nachtzug und finden es ganz gemütlich, als ich vorschlage, das Licht zu löschen, um besser nach draußen sehen zu können. Einer der beiden leert zwei Corona-Biere, ehe nach Karlsruhe allmählich Schlafenszeit ist. Das Abteil fühlt sich kühl an und so drehe ich die Heizung noch eine Stufe hoch, obwohl ich die obere Liege habe. Der vierte Platz bleibt in dieser Mittwochnacht Ende Oktober leer.
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Jean
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Beitrag von Jean »

Ich freue mich schon auf deinen ausführlichen Bericht.
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
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ET 474
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Beitrag von ET 474 »

Gå til København - Kopenhagen ist immer schön. Schöne Stadt und schöne S- und Umlandbahnen. Die machen mir immer wieder Spaß. Ich freu mich schon jetzt auf deine Bilder - jeg glæder mig alrede nu for din Billeder.
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Na bei so viel Vorfreude möchte ich euch gar nicht länger auf die Folter spannen und bin gespannt, ob du als Kenner der Stadt meinen Ausführungen zustimmen wirst oder nicht :)

Tag 2 Hamburg -> Kopenhagen

Klopfklopf. Ich habe mal wieder nicht besonders gut geschlafen, denn im Abteil ist es eiskalt. Ich habe mir irgendwann noch einen Pullover übergezogen und mich zusätzlich mit einer Jacke zugedeckt. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, aber irgendwie hat sich die Liege besonders hart angefühlt.
Der Schaffner bringt uns das Frühstück, die von mir gewünschte heiße Schokolade ist inzwischen leider aus, aber mit einem Tee bin ich auch zufrieden. Schließlich sollte ich mich noch vor dem Ausstieg aufwärmen, ehe ich eine Stunde Umsteigezeit ohne wirklich gute Möglichkeit, diese im Warmen zu verbringen, habe. Zum Glück ist es kein besonders kalter Morgen, der vor dem Fenster dämmert. Leider gibt es zu den beiden Brötchen nur ein kleines Päckchen Butter und ein kleines Päckchen Marmelade, was schon nicht für eines der beiden reicht. Rechtzeitig wird die Ankunft in Hamburg angekündigt, doch ich sehe keinen Grund zur Eile. Die Wahrscheinlichkeit, mitten in der HVZ vor dem Hbf nochmal zum Halten zu kommen, ist recht groß. Und siehe da, schon stehen wir. Immerhin geht es nach nur zwei Minuten weiter und mit +4 halten wir am Bahnsteig - für Hamburg Hbf kann man das als pünktlich durchgehen lassen.
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Eine Stunde schaue ich dem Trubel zu...
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...wimmle einen Bettler ab und frage mich, ob noch jemand Münztelefone benutzt.
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Schließlich gehe ich zum pünktlich bereitgestellten IC nach Kopenhagen. In den Wintermonaten ist er nicht reservierungspflichtig und ich finde im vorderen Wagen freie Platzwahl vor. Mir gegenüber nimmt ein junger Mann Platz, und liest die Biografie von Angela Merkel. Überraschenderweise verlassen wir Hamburg pünktlich, doch das bleibt nicht lange so. Wir halten auf freier Strecke an, dann geht es im Schneckentempo weiter. Im DB Navigator steht als Grund für die Verspätung Reparatur eines Signals und ich gehe stark davon aus, dass wir einen Block auf Sicht gefahren sind. Doch auch im weiteren Verlauf kommen wir immer wieder zum Halten, vermutlich laufen wir auf irgendeinen anderen Zug auf. Jetzt steht im DB Navigator auf einmal Reparatur am Zug als Begründung für die inzwischen +18 drin.
Es ist ein wahrhaft goldener Herbsttag, der vor dem Fenster vorbeizieht.
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Schließlich wechseln die Oberleitungsmasten von grün zu rostbraun und ich versenke die Maske im Rucksack. Einige wenige Fahrgäste tun es mir gleich, die meisten behalten ihre auf. (Anm.: Zum Zeitpunkt der Reise waren in Dänemark sämtliche Coronabeschränkungen aufgehoben. Die Maskenpflicht im ÖV wurde dort Ende November wieder eingeführt, Anfang Februar erneut abgeschafft) Natürlich steigt die dänische Polizei wieder ein, um Ausweise zu kontrollieren. Die meisten Fahrgäste mit Masken werden gebeten, diese zur Identifikation kurz abzusetzen - das sehe ich zum ersten Mal seit Einführung der Maskenpflicht und frage mich gleichzeitig, wie man Personen mit Maske eigentlich überhaupt identifizieren will. Ich habe es jedenfalls schon geschafft, aus diesem Grund an einer mir gut bekannten Person auf der Straße vorbeizurennen.
Mit +27 kann die Fahrt endlich fortgesetzt werden. Etwa eine Stunde später setzt auch der Mann mir gegenüber seine Maske ab, Merkels Biografie hat er fast fertig gelesen. An der Verspätung ändert sich wenig, während der Zug durch die bunt gefärbte Landschaft rollt. Der Hochnebel bleibt ein ferner Anblick, als wollte er mir nicht die Vorfreude auf das Wochenende verderben. Und dieses Mal sieht es so aus, als wäre mir das Wetter eher wohlgesonnen als auf der Sommerreise nach Schweden. Für die nächsten Tage sind viel Sonne und leicht zweistellige Temperaturen angekündigt.

Mit +28 geht die Reise an einem weit außerhalb der Bahnhofhalle liegenden Stumpfgleis zu Ende.
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Ich hole mir eine 72h-Karte für den Stadtverkehr und bin zunächst irritiert, weil der aufgedruckte Endzeitpunkt etwas kürzer ist. Dann fällt mir ein, dass ich das letzte Oktoberwochenende unter anderem deshalb ausgewählt habe, weil der Sonntag aufgrund der Zeitumstellung 25 h hat. Dass dieser Umstand bei der 72h-Karte berücksichtigt wird, finde ich recht erstaunlich.

Ich nehme die U-Bahn, welche vollautomatisch fährt. Auf dem 2002 eröffneten und inzwischen auf 38 km gewachsenen Netz kommen ausschließlich 39 m kurze, 2,65 m breite Dreiwagenzüge von Ansaldobreda (heute Hitachi) zum Einsatz.
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Die Fahrzeuge sind stehplatzoptimiert
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Die Ringlinie wurde 2019 eröffnet
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Die meisten Stationen haben nur einen oder zwei nahe beieinanderliegende Zugänge ohne Zwischengeschoss unter den Straßen. Da viele LSA recht lange Umlaufzeiten haben, ist dies sicher nachteilhaft, aber vermutlich dem wesentlich geringeren Aufwand beim Bauen geschuldet.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Die Gestaltung der Bahnhöfe ist nüchtern, schlicht und nahezu überall gleich.
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Wenn man dafür kein Auge hat, kann man sich den Weg ertasten.
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Trotz der oft großen Tiefenlage fällt in viele Stationen Tageslicht
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Einige Bahnhöfe sind mit Fahrradabstellanlagen ausgerüstet, die aber offenbar kaum nachgefragt werden
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Aus mir unerklärlichen Gründen sind in vielen Bahnhöfen die direkt nebeneinanderliegenden Rolltreppen in dieselbe Richtung geschaltet, sodass sich die Fahrgäste schlechter über den Bahnsteig verteilen. Da die Züge kurz sind, ist dieser Effekt aber nicht so stark wie beispielsweise in München.
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Wenn man gleich in einen der Aufzüge reinkommt, sind sie jedenfalls die schnellste Möglichkeit.

Dieses prächtige Gebäude bei prächtigem Wetter empfängt mich beim Verlassen der U-Bahn
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Der Nachmittag soll noch für eine kleine Stadtbesichtigung genutzt werden. Beginnen wir am Rådhuspladsen
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Im starken Kontrast dazu die Axel Towers
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Wenn ihr raten müsstet, welche bekannte Gastronomiekette und welches Luxuswarengeschäft im EG dieser Türme sind, welche wären das? Auflösung gibt es morgen.

Bald bin ich wieder am Bahnhof und möchte mit dem Bus 68 fahren, der alle 10 min. kommen sollte. Die nächsten Abfahrten sind in 7 und 9 min angekündigt, also bleibt mir reichlich Zeit, den chaotischen Betriebsablauf an der Haltestelle anzuschauen.
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Erstes Problem: Die Busspur ist so schmal, dass der Bus kaum am LKW daneben vorbeipasst.
Zweites Problem: Die Haltestelle ist ziemlich lange (hinter mir geht sie noch ein gutes Stück weiter, insgesamt sind es 75 m) und sollte theoretisch als 2 Doppelhaltestellen bedient werden. Bestimmte Linien halten an der vorderen Position, an der zwei Fahrzeuge hintereinander Platz haben, bestimmte Linien halten an der hinteren Position, an der ebenfalls zwei Fahrzeuge hintereinander Platz haben. Praktisch kommen die Linien entweder falsch herum (sodass ein hinten haltendes Fahrzeug die Durchfahrt an die vordere Position verhindert) oder zu viele Fahrzeuge auf einmal (drei für die vordere Position), sodass einfach alle Busse irgendwo die Türen aufmachen und die Fahrgäste über die Haltestelle rennen müssen, weil man nur einmal die Chance bekommt, einzusteigen.
Dass die Stadtbusse, bei denen Vordereinstieg gilt, hinten halten, ist durch den langen Fahrgastwechsel zusätzlich hinderlich. Interessanterweise ist es in Gegenrichtung genau umgekehrt (links im Bild), dort ist die Fahrbahn aber auch breit genug, um nachfolgende Fahrzeuge überholen zu lassen.

Nachdem ich fünf Minuten gewartet habe, sind die nächsten Abfahrten des 68er in 6 und 7 min. angekündigt. Gefühlt dauert es eher nochmal 10. Wie ich beim Ausstieg feststelle, ist der nächste Kurs schon aufgelaufen und natürlich im Gegensatz zu meinem gut gefüllten Fahrzeug komplett leer.
Während ich mich im unspektakulären Viertel Islands Brygge mit Kaffee und Kuchen stärke, sehe ich innerhalb von 25 min nur noch einen weiteren Bus vorbeifahren. Die Zuverlässigkeit lässt jedenfalls sehr zu wünschen übrig.
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Beitrag von Entenfang »

Diese Bank am Sydhavnen sieht äußerst verlockend aus
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Während ich die Sonne genieße, fährt eine Fähre vorüber. Für eine Sunset Cruise ist es der ideale Zeitpunkt.
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Gleisreste eines Anschlusses an den Hafen
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Ich nehme die nächste Fähre.
Islands Brygge
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Links die Nationalbibliothek, auch bekannt als Schwarzer Diamant
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Abendsonne
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Gegenkurs
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Als ich nicht wie die meisten anderen Fahrgäste am zentralen Nyhavn von Bord gehe, kommt der Bootsbegleiter auf mich zu und erkundigt sich, wohin ich denn fahren wolle. Bis zu Endstation, dem unaussprechlichen Refshaleøn.
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Spiegel im Fähranleger
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Beitrag von Entenfang »

Hinter der Oper wird es industrieller.
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Und schließlich endet die Fahrt an dieser riesigen Halle
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Attraktive Studentenwohnungen gibt es hier jedenfalls - auf den Containern gibt es eine gemeinsame Dachterrasse und mittendrin ein großzügiges Wohnzimmer.
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Mit dem Bus geht es nach einem kurzen Fußweg zurück.
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Ausgerechnet die besten Plätze vorne sind irgendeinem Kasten geopfert worden
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Dass es sich um einen Elektrobus handelt, merkt man an der ordentlichen Beschleunigung. Doch viele enge Kurven und künstliche Bodenwellen bremsen den Bus aus.
Quasi unbrauchbar ist die DFI, da abgesehen von der Endhaltestelle alles so klein geschrieben ist, dass man es nur aus nächster Nähe lesen kann. Man beachte die Schriftgröße der Werbung.
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Der Christianshavn sieht nach einem attraktiven Fotostandort für die blaue Stunde aus
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Beitrag von Entenfang »

Ich fahre noch eine Runde U-Bahn in das moderne Viertel Amager.
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An den oberiridischen Haltestellen gibt es nur halbhohe Bahnsteigtüren und die Bahnsteigenden sind offen, sodass man gut fotografieren kann.
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Schließlich geht es wieder unter die Erde
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Erster Eindruck: Auch wenn Kopenhagen als Fahrradstadt schlechthin gilt, sind ganz schön viele Autos auf den breiten Straßen unterwegs, denen es meiner Ansicht nach oft an Grün mangelt. Gehupt wird nicht zu knapp und da die LSA sehr lange Zwischenzeiten haben (ich würde schätzen, noch etwas länger als die in Deutschland üblichen Werte, möglicherweise aus Rücksicht auf den Radverkehr), fahren/laufen viele bei Rot. Busse im Pulk sind leider gängige Praxis.
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Südostbayer
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Beitrag von Südostbayer »

Entenfang @ 3 Feb 2022, 23:10 hat geschrieben: Ich hole mir eine 72h-Karte für den Stadtverkehr und bin zunächst irritiert, weil der aufgedruckte Endzeitpunkt etwas kürzer ist. Dann fällt mir ein, dass ich das letzte Oktoberwochenende unter anderem deshalb ausgewählt habe, weil der Sonntag aufgrund der Zeitumstellung 25 h hat. Dass dieser Umstand bei der 72h-Karte berücksichtigt wird, finde ich recht erstaunlich.
Wenn (oder weil) die Berechnung anhand einer festen Stundenanzahl erfolgt, wäre eine solche Berücksichtigung der Zeitumstellung ein Sonderfall, der eigens programmiert werden müsste. Ich nehme aber an, dass auch die Beförderungsbedingungen eh schlicht 72 Stunden (und nicht "drei Tage") definieren.

Danke für den Reisebericht!
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Beitrag von Entenfang »

Südostbayer @ 4 Feb 2022, 09:15 hat geschrieben:Wenn (oder weil) die Berechnung anhand einer festen Stundenanzahl erfolgt, wäre eine solche Berücksichtigung der Zeitumstellung ein Sonderfall, der eigens programmiert werden müsste.
Interessant, ich hätte spontan eher das Gegenteil vermutet - nämlich dass der Endzeitpunkt einfach der Startzeitpunkt mit einem anderen Datum ist.
Ich nehme aber an, dass auch die Beförderungsbedingungen eh schlicht 72 Stunden (und nicht "drei Tage") definieren.
Davon ist bei einer 72h-Karte wohl auszugehen ;)


Tag 3

Auflösung von gestern:
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Heute werfe ich einen detaillierten Blick auf den Stadtverkehr. Ich starte an der Bushaltestelle vor der Haustür. Hier sollten eigentlich die Linie 1A im Takt 7,5 sowie zwei Stadtbuslinien jeweils im Takt 30 kommen. Die DFI verkündet die nächste 1A in 15 min, glücklicherweise kommt einer der Stadtbusse nach 5 min. Der Bus kurvt durch ein Wohngebiet und bringt mich dann zur S-Bahn.
9182 fährt am Ryparken ein
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Ich nehme die Tangentiallinie F, welche erfreulicherweise alle 6 min. verkehrt. Im Fahrzeug ist durch das übergroße Lichtraumprofil viel Platz, auch für Fahrräder. Diese müssen in einem Einbahnstraßensystem ein- und ausgeladen werden, um den Fahrgastwechsel zu beschleunigen.
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In der HVZ darf man außerdem mit Fahrrad nicht am Nørreport ein- und aussteigen.

Leider sind die Fahrzeuge innen wie außen durch unzählige Schmierereien verunstaltet.
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Ungewöhnlich für eine S-Bahn sind die Zwischentüren, die nur auf Handbewegung aufgehen.

Am Umsteigebahnhof Flintholm kann man auf kurzem Weg zur U-Bahn wechseln...
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...oder auch zu einer anderen S-Bahnstrecke.
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Ich nehme die U-Bahn noch eine Station bis zum Ende in Vanløse. Hinter dem Bahnsteig gibt es noch Platz für die Abstellung eines Zuges.
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Ein Zug hat die Endstation fast erreicht und benutzt den Gleiswechsel.
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Die Weichenverbindung links hinten ist ganz frisch eingebaut worden, um im Laufe des Jahres 2022 den Takt verdichten zu können. Damit kann das dritte Gleis links auch bei Einfahrten genutzt werden und ein paar Sekunden gewonnen werden.
https://intl.m.dk/news/we-are-remodeling-th...3%B8se-station/

Interessant ist außerdem, dass auf der heutigen U-Bahntrasse bis zu ihrer Eröffnung eine S-Bahn bis Frederiksberg fuhr.

Zeit für einen kleinen Stadtspaziergang. Goldener Herbst am Nikolaj Plads
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Den Højbro Plads prägt die mächtige Statue von Absalon, der als Gründer Kopenhagens im 12. Jahrhundert gilt.
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Beitrag von Entenfang »

Häuserzeile am Gammel Strand
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Seitengasse
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Die Besteigung des Rathausturms fällt leider flach, da er entgegen der Angaben auf der Webseite nicht geöffnet ist.
Stattdessen nehme ich die Buslinie 5C unter die Lupe, die als Cityline vermarktet wird und deren Verlauf stark an den der 1972 eingestellten, letzten Tramlinie 5 in der Stadt erinnert.
Laut Fahrplan soll alle 5 min ein Bus kommen, doch die Fahrzeuge kommen unregelmäßig und sind fast alle überfüllt.
Im quirligen Treiben auf der Dronning Louises Bro ein brauchbares Bild zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Insbesondere der Radweg, welcher breiter als die Fahrstreifen für den motorisierten Verkehr sind, ist äußerst dicht befahren.
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Diese breiten Radwege sind hier auf eine der am stärksten genutzten Fahrradachsen übrigens keinesfalls überdimensioniert - vor den Ampeln stauen sich durchaus eine beträchtliche Zahl an Radfahrern.

Expressbusse sollen die Reisezeit auf einigen Regionalverkehrsstrecken verkürzen - 8416 am Verkehrsknotenpunkt des multikulturellen Nørrebro
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Ein weiteres Beispiel für die großzügige Fahrradinfrastruktur
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Gleichzeitig finde ich diese Betonwüsten nicht sehr attraktiv
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Dass inzwischen die HVZ angebrochen wird, merkt man deutlich. Es herrscht viel Verkehr - zu viel. Für die letzten 2 km durch Nørrebro braucht der Bus über 20 min (!). An den Kreuzungen kommen meistens nur ein bis zwei Fahrzeuge pro Grünphase durch, weil Rechtsabbieger den nie abreißenden Strom von Fußgängern und Radfahrern passieren lassen müssen.

Nachdem der Bus es endlich bis zum Nørreport geschafft hat, tauche ich in das bunte Treiben an der Markthalle Torvehallerne ein.
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Drinnen wie draußen sieht man keine Masken - alle genießen das sonnige Wochenende.

Ich suche nochmal den Christianshavn auf und setze mich eine Weile auf eine Bank. Eine freie zu finden ist gar nicht mal so einfach.
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Beitrag von Entenfang »

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Als nächstes habe ich die Besteigung der Vor Frelsers Kirke im Visier.
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Mit ihrer korkenzieherartigen Außentreppe auf der Turmspitze ist die Kirche ein echter Hingucker. Zur Besteigung muss man vorher Karten online kaufen, was sich als äußerst mühsam erweist, weil die Zahlungsseite bei mir ständig abstürzt. Nach mehreren Versuchen gelingt es mir schließlich. Vor dem Eingang stehen ein paar Touristen in Grüppchen und scannen den QR-Code zum Ticketverkauf. An der Kasse drinnen werde ich schließlich nach meinem Namen gefragt und anschließend durchgewunken.

Der Ausblick von oben ist genial, nur leider hat sich die Sonne inzwischen versteckt und durch die steife Brise wird es schnell kalt.
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Blick in den industriellen Norden, mittig rechts die Freistadt Christiania
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Fein säuberlich sind die Boote im Christianshavn aufgereiht
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Tief unten rollt der Verkehr
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Blick zur imposanten Frederiks Kirke, besser bekannt als Marmorkirche. Auch die U-Bahnstation trägt diesen Namen
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Wenn ich Dänemark in einem Bild beschreiben müsste, würde ich vielleicht dieses nehmen:
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Kopenhagen ist nicht nur Fahrradstadt, sondern schafft durch Brücken kurze Wege für den nichtmotorisierten Verkehr. Die Inderhavnsbroen führt zum Nyhavn, rechts der Bereich für Fahrräder, links für Fußgänger.
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Beitrag von Entenfang »

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Liebe Politiker,
ich weiß nicht, wer ihr alle seid und ihr habt sicher gute Gründe, warum ihr gewählt werden wollt. Aber müsst ihr mit eurer Visage gleich die gesamte Stadt in zehnfacher Ausführung nebeneinander vollkleistern?
Meine Gastgeberin wird mir später erzählen, dass es vorgeschrieben ist, all diese Plakate bis am Tag nach der Wahl um 12 Uhr wieder abzuhängen, was immer zu einem irrwitzigen Stress führt.

Gerade auf der Brücke, erstrahlt das Abendrot über dem Hafen
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Blick zurück zum "Korkenzieher"
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Der Nyhavn ist eine beliebte Ausgehmeile
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Schloss Charlottenburg
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Kongens Nytorv
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Auf der Rückfahrt nehme ich den "langen" Weg auf der Ringlinie. Die Trassierung ist auf energiesparende Fahrweise ausgelegt und die meisten Stationen liegen auf Hochpunkten.
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Beitrag von Südostbayer »

Entenfang @ 4 Feb 2022, 23:09 hat geschrieben:
Südostbayer @ 4 Feb 2022, 09:15 hat geschrieben:Wenn (oder weil) die Berechnung anhand einer festen Stundenanzahl erfolgt, wäre eine solche Berücksichtigung der Zeitumstellung ein Sonderfall, der eigens programmiert werden müsste.
Interessant, ich hätte spontan eher das Gegenteil vermutet - nämlich dass der Endzeitpunkt einfach der Startzeitpunkt mit einem anderen Datum ist.
Nicht unmöglich, aber im Gegensatz zur Definition einer Gültigkeitsdauer in einem Schritt (Start+72 Stunden) wären dazu zwei Schritte nötig (Start+3 Tage, dann "Kopie" der Uhrzeit). In mir bekannten (deutschen) Vertriebssystemen wird eine Dauer definiert.

Entenfang @ 4 Feb 2022, 23:11 hat geschrieben:https://live.staticflickr.com/65535/5186238...a13c4a689_b.jpg
Liebe Politiker,
ich weiß nicht, wer ihr alle seid und ihr habt sicher gute Gründe, warum ihr gewählt werden wollt. Aber müsst ihr mit eurer Visage gleich die gesamte Stadt in zehnfacher Ausführung nebeneinander vollkleistern?
Meine Gastgeberin wird mir später erzählen, dass es vorgeschrieben ist, all diese Plakate bis am Tag nach der Wahl um 12 Uhr wieder abzuhängen, was immer zu einem irrwitzigen Stress führt.
Das wird aber tatsächlich leichter, wenn möglichst viele der eigenen abzuhängenden Plakate nebeneinander aufgestellt sind ;)
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Beitrag von Entenfang »

Tag 4

Mit der U-Bahn fahre ich bis zur Station Amager Strand. Hier wird eine ehemalige Eisenbahntrasse genutzt.
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Zeit für einen kurzen Spaziergang ans Meer
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Die Sonne ist zwar verschleiert und eine kräftige Brise weht, doch die Temperatur ist angenehm. Eine Frau und ein Mann mühen sich damit ab, einen Drachen startklar zu machen. "Passt du kurz auf mein Skateboard auf?", fragt die 8-jährige Tochter ihren drei Jahre älteren Bruder. Der stimmt zu und bleibt auf einer Bank in meiner Nähe sitzen, während seine Schwester mit dem Hund in die Dünen läuft. "Wann gehen wir heim?", ruft der Junge den Eltern zu, die sich noch immer mit dem Drachen abmühen. "Du siehst doch, dass wir noch beschäftigt sind", lautet die Antwort. Ein paar Minuten später sind sie fertig und das Mädchen vergnügt sich mit dem Drachen, der gelegentlich in den Sand abstürzt. "Gehen wir langsam heim?", fragt der Junge, "ich hab Hunger." "Nein, noch nicht. Außerdem gibt es daheim nichts zu essen, wir müssen erstmal etwas kochen." Wieder vergehen ein paar Minuten, ehe er erneut fragt. "Och, sei doch nicht so ein Spielverderber. Flieg doch auch mal zehn Minuten und dann gehen wir heim." "Mir tun aber die Knie weh und mir ist kalt." "Ja, dir ist kalt, weil du nichts machst und die Knie tun dir davon auch nicht mehr weh."
Ich gehe weiter und leihe mir eines der zahlreichen Bikesharing-Räder aus. Bei der ersten Testbremsung habe ich das Gefühl, das gar nichts passiert - verglichen mit meiner Scheibenbremse ist der Bremsweg sicher drei- bis viermal so lange. Kein Wunder, dass hier alle so langsam fahren...

Zugtreffen in Øresund
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Tauben bevölkern eine Statue an einem kleinen Platz
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Durch Amager und Islands Bygge fahre ich zurück nach Christianshavn.
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Es ist erstaunlich, wie schnell sich Neubauten, verklinkerte Stadthäuser und Jugendstilgebäude abwechseln.

Ich reise ins EU-Ausland Christiania...
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...wo die zahlreichen Touristen erstmal von einigen Bettlern begrüßt werden, was mir in der Stadt während der letzten Tage noch gar nicht passiert ist. Ich werde außerdem das Gefühl nicht los, dass hier mehr Touristen als Einheimische auf den holprigen Pisten unterwegs sind und dass der Drogenverkauf eine wesentliche Einnahmequelle ist, obwohl Plakate überall darauf hinweisen, dass man doch bitte keine Drogen kaufen möge.
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Beitrag von Entenfang »

Corona ist an den Rand gedrängt
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Events gibt es viele...
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...und durchaus auch nett hergerichtete Gebäude.
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Die Siedlung zieht sich durch einen ruhigen Wald ein ganzes Stück hin und viele der Häuser sehen so aus, als wären sie im Eigenbau zusammengezimmert. Überall liegt Brennholz zum Heizen bereit.
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Auf dem Wasser treiben einige Bootswracks, die irgendwie zusammengeflickt und notdürftig mit Planen abgedeckt sind und Menschen als Zuhause dienen. Sie müssen vermutlich sehr gute Gründe haben, so zu leben - ich finde es schwer vorstellbar, warum Menschen in einem so reichen Land so wohnen.
Wenige Minuten später radle ich an der Oper vorbei - willkommen zurück in der spießigen Mehrheitsgesellschaft.

Durch das quirlige Nørrebro fahre ich bis zum Assistens Kirkegård, einem großen Friedhof. Interessant finde ich das Konzept, einen Friedhof eher wie einen Stadtpark zu sehen, der an diesem Samstagnachmittag rege zum Spazieren genutzt wird - in Deutschland würde wohl kaum jemand auf diese Idee kommen. Es gibt ausgewiesene Flächen zur Erholung und zum Trauern.
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Auf einer ehemaligen Eisenbahntrasse gibt es einen langen Grüngürtel mit zahlreichen Spiel- und Skateplätzen.
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Auch die Wahlplakate werden selbstverständlich mit dem Lastenfahrrad transportiert
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Ich plaudere ein wenig mit meiner Gastgeberin. Sie erzählt mir vom dänischen Schulsystem, in dem vergleichsweise wenig Wert auf Auswendiglernen gelegt wird. Ihr Sohn ist 16, geht auf ein privates Internat mit Spezialisierung auf Wasser(-sport) und er kommt nur gelegentlich am Wochenende nach Hause - meistens allerdings nicht. "He has totally his own life already." Früher war er mit einem Deutschen in der Klasse, doch dessen Eltern haben schließlich entschieden, zurück nach Deutschland zu gehen. Sie hatten das Gefühl, in der dänischen Schule würde ihr Kind nichts lernen.

Als die Dämmerung anbricht, starte ich noch auf eine Nachtfahrradtour. Ich halte zwischendurch beim Bäcker an. "Excuse me, are you French?", erkundigt sich die Verkäuferin, als ich bezahle. Knapp daneben. "Oh, these French people... They are rude and they are bad at everything." Ahja.
Diese Wartehalle am Trianglen erinnert an den einstigen wichtigen Straßenbahnknoten
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S-Bahnstation Dybbølsbro
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Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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Beitrag von Entenfang »

Die Cykelslangen ist eine Brücke ausschließlich für Fahrräder - an den Zugängen steht explizit ein Verbot für Fußgänger.
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Beim Stop für das Foto komme ich mir etwa so vor, wie mitten auf der Autobahn anzuhalten.

Nächster Halt ist das Schloss Christiansborg.
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Im Innenhof bin ich für ein paar Minuten ganz allein. Plötzlich läuft ein Mann mit FFP2-Maske zügigen Schrittes durch die Dunkelheit, wenige Augenblicke später ist er wieder verschwunden.

Einen weiteren Stop lege ich am Schloss Amalienborg ein. Hier wohnt die dänische Königsfamilie.
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Der riesige gepflasterte Platz wird durch eine mächtige Statue von König Frederik V dominiert, der dessen Fertigstellung nach 18 Jahren Bauzeit jedoch nicht mehr erlebte. Im Hintergrund die Marmorkirche.

Die Stadt hat bei Nacht einen ganz besonderen Reiz und ich fahre über zwei Stunden kreuz und quer herum, ehe ich mein Fahrrad parke und mit der S-Bahn zurückfahre. Als ich aus dem S-Bahnhof trete, kommt gerade ein 14er Bus, der direkt vor meiner Haustür hält. Das Ziel stimmt zwar gefühlsmäßig nicht, aber die Richtung der Halteposition. Mit bleibt keine Zeit mehr, nachzuschauen und der Haltestellenname fällt mir auf die Schnelle auch nicht mehr ein, um nachzufragen. Also steige ich als einziger Fahrgast ein. An der nächsten Kreuzung biegt der Bus links ab, ich drücke schnell die Haltewunschtaste, denn ich müsste hier nach rechts. Der Busfahrer fragt nochmal, ob ich wirklich aussteigen möchte und ich bestätige. Den Fußweg hat es immerhin halbiert und eine halbe Minute später wäre der Bus in die richtige Richtung gekommen.

Der morgige IC nach Hamburg steht mit durchgestrichenem roten Auslastungssymbol im DB Navigator drin. Ich versuche, an eine Reservierung zu kommen, was mir auf der Webseite der DSB problemlos gelingt. Da bin ich mal auf die tatsächliche Auslastung gespannt.
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Beitrag von ET 474 »

Entenfang @ 5 Feb 2022, 17:06 hat geschrieben:Als die Dämmerung anbricht, starte ich noch auf eine Nachtfahrradtour. Ich halte zwischendurch beim Bäcker an. "Excuse me, are you French?", erkundigt sich die Verkäuferin, als ich bezahle. Knapp daneben. "Oh, these French people... They are rude and they are bad at everything." Ahja.
Diese Frage hätte ich wie folgt beantwortet:
Ser det ud jeg er fransk?
Und dann hinzugefügt:
Nej, jeg er tysk.
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Beitrag von Metropolenbahner »

ET 474 @ 5 Feb 2022, 20:05 hat geschrieben: Diese Frage hätte ich wie folgt beantwortet:
Ser det ud jeg er fransk?
Und dann hinzugefügt:
Nej, jeg er tysk.
Ich hätt ja gesagt: Nej, jag är svensk :lol:
Ernsthaft: Die arme Dänin, anscheinend hat sie wohl mal schlechte Erfahrungen gemacht ^^
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Beitrag von Entenfang »

Tag 5 Kopenhagen -> Basel

Ich beginne den letzten Tag mit der Befahrung des 2,3 km langen, 2020 eröffneten Streckenasts der M4, die vom Hbf gemeinsam mit der Ringlinie bis Østerport verkehrt und dann zum Orientkaj abzweigt.
Die großzügige Abzweigstelle
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Schwungvoll durch den Tunnel
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Nach einem kurzen oberirdischen Abschnitt endet die Strecke im Stadtentwicklungsgebiet
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Verglichen mit den älteren Stationen war man hier bei der Gestaltung etwas mutiger, auch mal von chromgrau abzuweichen und ich finde, es sieht viel besser aus.
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Alte Lagerhäuser bieten einen starken Kontrast zu brandneuen Wohngebäuden
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Für eine mögliche zukünftige Zunahme des Radverkehrs wurde jedenfalls vorgesorgt - der Radweg ist breiter als die Autostraße!
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Eine S-Bahn rollt zum Nordhavn
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Beitrag von Entenfang »

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Völlig unklar geblieben ist mir die Info, die der ZZA zur Halteposition anzeigt.
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Denn der folgende Zug ist ein Kurzzug und kommt nicht hier zum Halten, sondern...
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Etwas merkwürdig finde ich auch die Gestaltung des Bahnsteigs mit dem Höhenunterschied und der Trittstufe, die über Bahnsteighöhe angebracht ist.

An der Oberfläche sind die Fahrradabstellplätze am Nørreport etwas tiefer angelegt, was angeblich für eine bessere Integration ins Stadtbild sorgt.
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Ich nutze die verbleibende Zeit für einen Blick in den botanischen Garten, der sich in der gesamten Pracht des Herbstes zeigt.
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Interessant finde ich diese brombeerartigen Früchte, deren einzelne Perlen zwar größer als die von Brombeeren sind, die aber insgesamt dennoch etwas kleiner als Brombeeren sind.
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Im Tropenhaus wird mir in Winterklamotten schnell zu warm...
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...doch die Zeit reicht, um eine Anekdote auf einer der Hinweistafeln zu lesen. Bambus wächst ja bekanntlich ziemlich schnell. Einmal haben die Gärtner nicht aufgepasst - und schon hatte sich der Bambus seinen Weg durch das Glasdach gebahnt...

Das kühle Wüstenklima passt besser zum Wetter draußen.
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Beitrag von Entenfang »

Ein echtes Highlight ist sicher das Schmetterlingshaus.
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Weitere Herbstimpressionen
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Ich drehe noch eine kleine Runde mit dem Fahrrad und stoppe zum Mittagessen in einer japanischen Nudelbar. Ich habe immer noch dänische Kronen übrig und nutze meine letzte Gelegenheit, sie loszuwerden. Als ich dem jungen Verkäufer den Schein hinhalte, schaut er diesen mindestens fünf Sekunden lang an, ehe er ihn entgegennimmt. Jaja, sorry. Ich weiß, ihr benutzt kein Bargeld, aber ich muss es loswerden. "Ehhh, we do accept cash though...", meint er etwas ratlos.

Mein Weg führt mich bis zum Schloss Frederiksberg.
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Blick über die überschaubare Skyline
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Durch das dichte Vesterbro kehre ich allmählich zum Bahnhof zurück.
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In den Seitenstraßen gibt es zahlreiche prachtvolle Gebäude
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Beitrag von Entenfang »

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Am Sankt Jørgens Sø zeigt sich die Sonne nochmal
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Am Vesterport begegnet mit 3315 vor einem kunterbunten Kino
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Der imposante Bahnhof thront über den Gleisen (und die Uhr ist noch nicht auf Winterzeit umgestellt)
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Zeit, das Fahrrad abzustellen und das geflügelte Rad zu nehmen.
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Tatsächlich sind so gut wie alle Sitzplätze belegt und die Reservierung sicher nicht verkehrt - von einer außergewöhnlich hohen Auslastung kann aber keine Rede sein. Pünktlich verlässt die Gumminase Kopenhagen. Im Radio läuft Der letzte Tanz von Bosse - eigentlich ziemlich passend... https://www.youtube.com/watch?v=Zfm1gMtZ3aI
Bald fliegen die bunten Bäume im Abendlicht vor dem Fenster vorbei. Auf mich warten über 15 Stunden Zugfahrt - das schöne daran ist, man hat einfach unendlich viel Zeit zum Nichtstun. Wir halten einmal auf freier Strecke, sammeln ein paar Bonusminuten ein.
Die Sonne verschwindet schon früh, die Winterzeit hat begonnen. Die blaue Stunde bricht an. Die deutschen Zugbegleiter übernehmen und erinnern an die Maskenpflicht. Die deutsche Polizei kontrolliert die Ausweise. Und schließlich erreiche ich überpünktlich Hamburg, welch ein Schock die "neue Normalität" nach nur ein paar Tagen in Dänemark schon wieder ist...
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Der entfliehe ich lieber zum Bahnsteigende, links der NJ nach Österreich.
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Ob das wohl eine Dreifach-Parallelausfahrt wird?
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Doch nein, das Signal ganz links wird zurückgenommen, ohne dass ein Zug fährt und der NJ verlässt den Bahnhof vor dem Metronom.
Etwas später rollt auch mein NJ an den Bahnsteig.

Wie schön es eigentlich war, merkt man immer erst beim Abschied...


In mein Abteil gesellt sich bald ein Paar mit der dreijährigen Tochter dazu. "Wie heißt du?", fragt mich die Kleine. Sie hat sichtlich Freude daran, das Abteil zu erkunden. Hoch die Leiter und auf die oberen Liegen und wieder runter. "Ihhh, du hast ja ganz eklige Bapphände", meint die Mama. "Komm, wir gehen mal Händewaschen", meint der Papa und sie verschwinden im Gang.
"Ja, das ist eine ganz schöne Reizüberflutung. Erst die Großstadt und jetzt im Zug schlafen... Naja, wir wohnen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen." Später stellt sich heraus, dass damit Interlaken gemeint ist.
Etwas später ertönt lautes Geschrei. Heulend kommt das kleine Mädchen wieder. "RABÄÄÄÄH!!!! ICH WILL ABER NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" Dabei schlägt sie auf eines der Gepäckstücke, dass die Eltern geschleppt haben. "Ist jetzt eh schon passiert. Ist schon vorbei", meint der Papa. Doch das besänftigt sie überhaupt nicht, eher im Gegenteil. "KREEEEEEEIIIIIISCH!!!!! ICH WILL NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" "Ella, du kannst jetzt so ins Bett gehen oder noch einen Nachtisch essen. Das geht aber nur mit sauberen Händen." "RABÄHHHHHH! Ich will aber nicht mit sauberen Händen essen! Ich will mit dreckigen Händen Nachtisch essen!" "Nicht so laut, Ella", versucht die Mama sie zu beruhigen, "hör mal, hat nicht eine Frau draußen im Gang gesagt, du sollst nicht so schreien?" Die Kleine überlegt einen Moment, schreit dann aber weiter. "Ach Ella. Schau doch mal. Wenn Entenfang je dachte, er könnte mal Kinder bekommen, dann überlegt der sich das jetzt bestimmt anders. Das wäre doch schade, oder?" Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und nach einer Weile beruhigt sich das Mädchen doch. Na Gott sei Dank, denke ich nur, wenn das jetzt die ganze Nacht so geht... Der Schaffner kommt vorbei, sammelt die Reservierungen ein und holt die Frühstückswünsche ab. Die Mama erklärt, dass sie entgegen der Fahrkarte mit der Tochter bereits in Frankfurt aussteigen würde, weil sich die Pläne geändert haben. Zu mir meint sie: "Ich entschuldige mich jetzt schon mal dafür." Sie verzichtet auf ihr Frühstück und der Schaffner fragt etwas verwundert nochmal nach. "Naja, um halb vier..." In Frankfurt kommen wir um 3:59 Uhr an. Der Mann fährt wie ich bis Basel und der Schaffner wird ihm das Frühstück eine Stunde vor der Ankunft vorbeibringen. Außerdem informiert er uns noch darüber, dass in Hannover noch jemand zusteigen würde, der bis Zürich drinbleibt. Da habe ich aber wirklich den Jackpot geknackt - da der Nightjet südwärts mangels freier Trassen via Bremen nach Hannover fährt, sind das über zwei Stunden Fahrzeit. Also steigt um halb zwölf noch jemand ein, um kurz vor vier wieder jemand aus und um halb sieben gibt es Frühstück. Und ich sollte morgen arbeiten... Vielleicht muss ich nächstes Mal doch in den Schlafwagen investieren.
"Möchtest du noch ein Puzzle machen, bevor wir Schlafen gehen?" Es gibt keine eindeutige Antwort, Ella lutscht lieber an einem Bändchen der Tasche herum. "Möchtest du nun Puzzlen oder sollen wir doch gleich schlafen gehen?" Auch ohne Antwort kramt die Frau in einer der Taschen herum und meint zu mir nur: "Boah, mit einem Kind Zug zu fahren ist echt eine Challenge..." Tja, wie schade, dass mir das Vergnügen als Kind nie vergönnt war. Ich glaube, das hätte mir auch Spaß gemacht.
Sie wird fündig und stellt das Puzzle auf der Liege bereit. "Wie viel Teile sind das?", fragt der Mann. "24, eigentlich viel zu viele." Ella sitzt etwas ratlos vor den Teilen, während sie Hilfestellungen bekommt. "Versuch mal, mit den Ecken anzufangen. Schau mal, hier ist eine Ecke." Doch wie herum und in welche Ecke des Schachteldeckels müssen die Teile? Zur Unterstützung gibt es das fertige Motiv als Unterlage. Doch Ella ist nicht so recht bei der Sache und lässt sich schnell vom übrigen Inhalt des Kartons ablenken. "Willst du lieber was anderes spielen?" "Ja, das hier."
Es sind runde Pappscheiben mit jeweils einem Bild drauf. Diese werden dann mit drei Holzscheiben abgedeckt. Oder? "Kannst du das nochmal erklären?" "Tja, ich weiß auch nicht mehr so genau, wie das geht", meint die Mama etwas ratlos, "und die Anleitung haben wir nicht dabei." Irgendwie deckt man drei Motive ab und muss dann raten, was drunter ist. Oder so ähnlich. Jedenfalls ist Ella auch hier nicht bei der Sache und die Mama erzählt schließlich lieber spontan eine Geschichte. "Guck mal, hier: Das Segelboot. Ein Mann ist damit auf Reisen gegangen. Und schließlich hat er in einem Hafen angelegt. Dann ist er auf den Elefanten gestiegen und weil der sooo groß ist, konnte er die Birnen direkt vom Baum essen. Vor der Weiterfahrt wollte er noch in eine Kneipe ein Bier trinken." "Aha. Und dann? Kannst du zur Katze auch was sagen?" "Ja, natürlich. Also, er wollte ein Bier trinken. Aber er hat dann Fliegenpilze gegessen und weil die giftig sind, hat er komische Träume gehabt und plötzlich nur noch rollende Katzen gesehen." Sie verdeutlicht das, indem sie die Pappscheibe über die Liege rollt. "Und das Auto?" "Sein Boot war dann kaputt und er musste per Anhalter nach Hause fahren. Das ist, wenn man bei jemandem fragt, ob man im Auto mitfahren kann. So, das war die Gute-Nacht-Geschichte. Morgen erzählst du Oma eine." "Aber ich kann doch gar keine Geschichte erzählen." "Natürlich. Dann denkst du dir zusammen mit Oma eine aus." "So, jetzt putzen wir noch Zähne und dann legen wir uns hin. Morgen musst du ganz früh aufstehen", meint Papa. Mama kramt in der Tasche und zieht eine Zahnbürste heraus. Ella steckt sie sich direkt in den Mund. "Warte, da muss noch Zahnpasta drauf", meint Papa und drückt ein bisschen was aus der Tube. Ella lutscht an der Zahnbürste. "Hey, putz deine Zähne ordentlich. Du hast doch gute Zähne und das soll auch so bleiben, oder?" Wenig später nimmt er es selbst in die Hand.
"So, fertig. Komm, wir gehen nochmal raus in einen anderen Raum, dort kannst du dann ausspucken."
Als sie wiederkehren, biete ich an, meine Liege zu beziehen und das Feld zu räumen. In weiser Voraussicht des erst in über einer Stunde zusteigenden letzten Fahrgasts beziehe ich auch gleich die vierte Liege - nicht, dass ich dann plötzlich wieder in die helle Deckenlampe starre...
Ella legt sich neben Papa, die Augen zu. Mama kramt aus dem Rucksack einen Schokoriegel heraus und beißt davon ab. "Mama, was isst du da?" "Nichts." "Mama?!?! Was isst du da???" "Nichts." "Zeig mal, was das ist." "Das ist ein Erwachsenen-Bonbon." "Wo hast du das her?" "Der Schaffner hat es mir gegeben." Damit gibt sich Ella zufrieden und schließt die Augen wieder.
Und dann heißt es - ungewöhnlich früh für mich - Licht aus. Wirklich bequem sitzen kann ich oben nicht und im Liegen am Handy rumpfuschen mag mein Magen nicht. Eigentlich bin ich eh müde, muss morgen um kurz nach sieben raus und habe eine Arbeitswoche vor mir. Bald fallen mir die Augen zu.

Den Zustieg des letzten Fahrgasts bekomme ich nur am Rande mit. Vom Ausstieg mitten in der Nacht bekomme ich überhaupt nichts mit. Als ich das erste Mal richtig aufwache, fährt der Zug gerade über eine Weichenstraße. Etwas später fühlt es sich so an, als würden wir schnell, aber ruhig fahren. Der SFS-Abschnitt der Rheintalbahn? Aber kann das wirklich sein? Dann wäre es noch deutlich vor 6 Uhr und von draußen schimmert schon Tageslicht herein. Ich döse weiter, doch ich wundere mich weiterhin, warum ich schon so früh wach bin. Das alles passt trotz der gestrigen Zeitumstellung eigentlich nicht zusammen.
*Klopfklopf* "So, guten Morgen. Noch eine Stunde bis Basel. Ich bringe Ihnen jetzt das Frühstück." Mit halb geöffnetem Auge blicke ich auf mein Handy. Der blaue Punkt ist noch ein gutes Stück vor Freiburg, es ist richtig hell draußen und ich schon erstaunlich wach. Oh, Moment. Es ist ja schon 7:35 Uhr. Wir haben +90. Ich drehe mich um und mache die Augen wieder zu. Mir solls recht sein.

Nachdem ich heruntergeklettert bin, erzählt mir der Mann noch, dass wir schon in Göttingen eine Stunde Verspätung hatten. Erstaunlich, da der NJ doch so viel Reserve hat. Mit +72 geht die Reise schließlich in Basel zu Ende.
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Beitrag von Entenfang »

Fazit

Kopenhagen zeigt, wie man aus einer vollautomatischen Metro das Optimum herausholt.
- Sehr dichter Takt (tagsüber fährt jede Linie alle 3...5 min) mit kurzen Fahrzeugen, sodass man nie lange wartet.
- Täglicher Betrieb rund um die Uhr.
- Sehr kurze Wendezeiten, die kaum mehr als die üblichen Haltezeiten sind.
- Ein für mich überraschend gleichmäßiges und angenehmes Fahrgefühl, trotz der oberirdischen Abschnitte.
Allerdings scheint der Herbst durchaus seinen Tribut gefordert zu haben, denn einige Wagen haben sich angefühlt, als hätten sie Flachstellen. Die Bahnsteigtüren schützen nicht nur den Gleisbereich (und wurden auf den oberirdischen Abschnitten nachgerüstet), sondern bieten an den unterirdischen Stationen auch Schutz vor Zugluft beim Warten. Das automatische Schließen der Türen funktioniert reibungslos und geht schnell - vom Beginn des Warntons bis zum Abfahrtruck vergehen nur ca. 10 Sekunden. Die Gestaltung der Stationen ist sehr nüchtern, doch letztlich wirkt der Gesamteindruck stimmig. Trotz der oft großen Tiefenlage gibt es Tageslicht im Zwischengeschoss und bis zum Bahnsteig. Ein bisschen mehr Abwechslung und Farbe hätte dennoch nicht geschadet, wie die zaghaften Versuche auf den neuen Abschnitten zeigen. Immer wieder zeigt Personal an den Stationen und in den Fahrzeugen Präsenz (und kontrolliert bei aussetzenden Zügen, dass niemand drinbleibt). Allerdings sieht man den Zügen der ersten Generation inzwischen deutlich ihren Einsatz an. An der Frontscheibe lösen sich die Silikonfugen und eine Grundreinigung würde auch nicht schaden.
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Zusammen mit der S-Bahn, die aus Durchmesserlinien durch eine Stammstrecke entlang der Eisenbahnlinie Hbf - Helsingör sowie einer Tangentiallinie besteht, ergibt sich mit dem Metronetz aus Durchmesser- und Ringlinie ein stimmiges Gesamtkonzept, mit dem weite Teile der Stadt in den Einzugsbereich einer Schnellbahn gebracht werden. Die S-Bahn überzeugt mich hinsichtlich des guten Angebots im Grundtakt 10 (Tangente im Takt 5), kritisch sehe ich hingegen die unterschiedlichen Netze und Halteregime je nach Wochentag und Tageszeit.
https://www.dsb.dk/globalassets/pdf/koerepl...s21-14dec20.pdf
Zum Grundtakt gibt es einige Abschnitte, an denen eine zweite Linie als Express fährt und 5 bis 7 min. schneller ist. Da alle Strecken nur zweigleisig sind, werden keine Überholungen praktiziert. Auf der Stammstrecke verkehren 6 Linien und die Expresslinien verkehren immer in der Trasse direkt vor der langsamen Linie. Da die Linie H und die HVZ-Linie Bx nur im Takt 20 verkehren, ergibt sich während der HVZ ein exakter 2-Minuten-Takt und außerhalb der HVZ eine freie Trasse pro 20 min. Die LZB-ähnliche Zugbeeinflussung ist für automatischen Betrieb der nächsten Zuggeneration vorbereitet.
Es gibt großzügige Fahrradbereiche mit einem Einbahnstraßensystem, um den Ein- und Aussteigevorgang zu beschleunigen. Das große Lichtraumprofil bietet im Innenraum viel Platz - allerdings hat man die gemütlichen Bänke meiner Meinung nach ungünstig angelegt. Anstatt auf beiden Seiten gleich breite Bänke anzubringen, die de facto wohl ohnehin nur durch jeweils zwei Personen genutzt werden, hätte man durch eine unsymmetrische Gestaltung recht unproblematisch eine 3+2-Bestuhlung hinbekommen. Sehr ungewöhnlich für eine S-Bahn sind wohl die vielen Zwischentüren, die nur durch Handbewegung öffnen. Einerseits schafft man so einen guten Wetterschutz, andererseits verlangsamt sich zweifelsohne der Fahrgastfluss. Die Fahrzeuge sind innen wie außen stark durch Schmierereien und Graffiti verunstaltet, was nicht gerade dem Sicherheitsgefühl zuträglich ist.

Zur Ergänzung der Schnellbahnen gibt es ein umfangreiches Busnetz, welches im Wesentlichen in A-Linien (Metrobus, min. Takt 10) und normale Linien unterteilt ist (oft nur Takt 30). Das Busnetz konnte mich allerdings nicht überzeugen - die Intervalle zwischen den Abfahrten sind äußert ungleichmäßig. Insbesondere während der HVZ habe ich sehr häufig beobachtet, dass zwei Kurse einer Linie direkt hintereinanderfahren und dann ewig nichts. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Erstens hat der Bus nahezu keine eigene Infrastruktur. Obwohl in vielen Straßenzügen der Platz vorhanden ist (teilweise auch von den ehemaligen Tramtrassen), wird dieser nicht sinnvoll genutzt. Entweder es gibt einen unnötig breiten Grünstreifen oder drei MIV-Fahrstreifen pro Richtung oder die Fläche wird für Parkplätze genutzt. Dadurch stecken die Busse oft im Stau fest und werden sehr langsam. Zweitens sind die LSA-Umlaufzeiten recht lange und festzeitgesteuert, sodass der ÖPNV keine Vorrangschaltung genießt. Dies verträgt sich äußerst schlecht mit einem dichten und regelmäßigen Intervall, wie es beispielsweise auf der als Cityline bezeichneten Linie 5C vorgesehen ist (tagsüber Takt 5). Drittens sind viele Linien sind durchaus stark nachgefragt und der Nonius-Effekt ist eindeutig zu erkennen - auf einen sehr vollen Bus folgt direkt dahinter ein deutlich weniger ausgelasteter. Der Nonius-Effekt wird insbesondere dadurch verstärkt, dass bei den normalen Stadtbussen Vordereinstieg gilt und in allen Fahrzeugen ein Großteil der Fahrgäste mit ihrer Karte ein- und auschecken müssen (ich hatte eine 72h-Karte auf Papier und konnte glücklicherweise darauf verzichten).

Die Fahrradinfrastruktur gilt zurecht als eine der besten auf der Welt. Dänemark setzt (wie auch die Niederlande) auf eine sehr konsequente Trennung von Radverkehr und MIV.
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Dies ist aus Sicht weniger geübter und langsamer Radfahrer sicher zu begrüßen, bringt aber auch einige Tücken und Nachteile mit sich. Teilweise wird der Radweg vor den Kreuzungsbereichen auf die Rechtsabbiegerspur geführt und die Separierung aufgegeben. Ich werde den Verdacht nicht los, dass dies eine Maßnahme zur Beschleunigung des MIV ist, da sonst die Rechtsabbieger kaum abfließen können, weil sie die Radfahrer in gleicher Richtung passieren lassen müssen.
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An anderen Kreuzungen wird die Fahrradampel früher auf Rot geschaltet, um dies zu verhindern. Ein weiterer Nachteil ist, dass es quasi ausschließlich indirektes Linksabbiegen gibt, man also immer warten muss. Außerdem führen die Radwege oft direkt durch Bushaltestellen durch oder entlang parkender Autos.
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Gut finde ich dagegen, dass die Breite oft ausreichend ist, um problemlos andere Radfahrer zu überholen. Die meisten sind in sehr gemütlichem Tempo unterwegs, was aber sicher auch am schlechten Zustand vieler Fahrräder liegt. Grundsätzlich erlaubt die Infrastruktur allerdings auch hohe Geschwindigkeiten, wenn man es eilig hat.
Ich persönlich finde aber, dass sich beispielsweise die Basler Fahrradinfrastruktur nicht vor Kopenhagen verstecken muss - in der Schweiz wird lediglich die exakt gegenteilige Philosophie verfolgt und es gibt nahezu keine baulich getrennten Radwege, was mir persönlich eher zusagt. Denn auf meinen Fahrten in Kopenhagen habe ich einige Konflikte mit Fußgängern beobachtet, die unachtsam auf den Radweg gelaufen sind.

In mehreren Faktoren unterscheidet sich meine Reiseerfahrung in Dänemark nur unwesentlich von der in Schweden gut zwei Monate zuvor. Jeder spricht Englisch, die entspannte skandinavische Art ist spürbar, ich bin leicht mit Menschen ins Gespräch gekommen. Die Preise sind saftig, Bargeld verwendet kaum jemand - im Unterschied zu Schweden wird es aber überall akzeptiert, auch wenn ich immer ziemlich komisch angeschaut wurde.

"How long did the journey take you?", wollte meine Gastgeberin nach meiner Ankunft wissen. Etwa 16 Stunden. "That's a lot for just a weekend." Stimmt. Und die Freiheit für ein paar Tage war es wert.

Eine Woche nach meiner Rückkehr werden in Dänemark wieder Coronaregeln eingeführt.
Mein Bahnjahr 2023
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