Abkehr von ESTWs?

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Boris Merath
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Beitrag von Boris Merath »

Wildwechsel @ 22 Apr 2008, 14:31 hat geschrieben: ESTW ist doch nix anderes als ein Haus mit Computer drin, wenn mal jetzt von der Streckenausrüstung mal absieht. Wo ist also das Problem, wenn die Hardware, also der Rechner am Ende seines Lebens angelangt ist? Neuer Rechner her, selbe Software wieder drauf, fertig.
Nachdem es zu ESTWs leider auch nicht Informationen bis zum umfallen gibt, kann ich nicht genau beziffern wie groß das Problem ist - nachdem DB Netz da aber durchaus eines sieht, scheint es sich nicht gerade um Peanuts zu handeln.

Zum einen: Ein ESTW besteht ja nicht nur aus ner Handvoll PCs - da gibt es zum Beispiel die Steuergeräte für Weichen, für Signale, für die Gleisfreimeldung usw. Bei denen ist die Lebensdauern aber wohl nicht ganz so schlimm wie bei den PCs - aber durchaus vorhanden.

Einfach dieselbe Software draufklatschen geht auch nicht - die alten ESTWs sind sehr hardwarenah programmiert. Man darf sich so ein ESTW der ersten und auch der zweiten Generation nicht als Windows-PC mit irgendeiner Software drauf vorstellen - schließlich braucht man für die komplette Software nen Sicherheitsnachweis, und der schließt auch das Betriebssystem mit ein. Ich glaube nicht dass man diese Software einfach so auf nen neuen PC draufklatschen kann (sofern das überhaupt zulässig wäre - ein 386er gilt als sicherer Prozessor, bei den Nachfolgern dagegen kann eine gewisse Bugbehaftigkeit nicht ausgeschlossen werden).

Bei den ESTW von denen ich ne Sanierung mitbekommen habe wars so, dass man bei denen die Anzeigerechner komplett getauscht hat samt Software (und dabei gleich von Griffelbedienung auf Mausbedienung umgestellt sowie die Voraussetzungen für die Fernsteuerbarkeit geschaffen). Was der Spaß kostet weiß ich leider nicht. Darüber hinaus denke ich kann man heute noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen was für Lebensdauern die ESTWs jetzt wirklich haben - das was bisher an Sanierungen war waren ja noch Randerscheinungen, die Großsanierungen haben bisher nur die diversen ESTW-Prototypen betroffen.

Ein weiteres Problem ist sicherlich auch die Abhängigkeit vom Hersteller - vertraglich ist mit dem Hersteller eine Zeitspanne festgelegt, in der dieser Ersatzteile bereitstellen muss und auch verpflichtet ist Softwareanpassungen durchzuführen (z.B. bei Veränderung des Spurplanes). Wie hoch diese Zeitspanne bei der DB liegt weiß ich leider nicht, für die ÖBB hab ich aber mal irgendwas von um die 20 Jahre gelesen - was für Stellwerke nicht grade viel ist. Danach kann es einem als Stellwerksbetreiber vom Prinzip her passieren, dass der Hersteller keine Lust auf die Hersetllung eines Updates hat für ne neue Weichenverbindung sondern lieber ein neues Stellwerk verkaufen will. Genau das Problem - nämlich die Befürchtung von Stellwerken, die nicht umbaubar sind - wird auch in dem Signal&Draht-Artikel von vor einem Jahr genannt, das ist also nicht aus der Luft gegriffen.
Bis zur vollzogenen Anbringung von ausreichenden Sandstreuapparaten an allen Maschinen haben die Bahnwärter bei aufwärtsgehenden Zügen auf stärkeren Steigungen die Schienen ausgiebig mit trockenem Sand zu bestreuen und für die Bereithaltung eines entsprechenden Vorrathes zu sorgen.

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ChoMar
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Beitrag von ChoMar »

Wobei mich schon mal mehr von so nem Stellwek interessieren würde.
Ich meine, wenn es ein Problem ist, neue Weichenverbindungen einzuprogramieren, dann ist das irgend wie ein konstruktions- oder Planungsfehler. Schließlich wäre genau das der riesen Vorteil eines ESTW.
Wenn die Voraussetzungen für Fernsteuerbarkeit erst geschaffen werden müssen, finde ich das auch seltsam. Gut, wenns bei Prototypen noch nicht war, mag das ja ok sein.
Mit 386er befehlssatz (nicht zu verwechseln mit dem Prozessor) gibt es übrigens genug Prozessoren, die als sehr sicher gelten. Dem 386er, der in Homecomputern verbaut wurde, vertraut auch niemand ein Stellwerk (oder ein SpaceShuttle) an. Und 386er-talk ist immernoch der kleinste gemeinsame Nenner aller Prozessoren bis hin zu Core2 Duoextremesuperflagship-CPUs der neuesten generation) Frage ist, wurden in Stellwerken solche dinger verbaut, oder ist das irgend ein eigengebasel irgend eines Herstellers.
Des weiteren vermute ich doch, das so ein stellwerk eine 2/3 oder zumindest 2/2 sicherheit hat.
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Boris Merath
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Beitrag von Boris Merath »

ChoMar @ 23 Apr 2008, 07:51 hat geschrieben: Ich meine, wenn es ein Problem ist, neue Weichenverbindungen einzuprogramieren, dann ist das irgend wie ein konstruktions- oder Planungsfehler. Schließlich wäre genau das der riesen Vorteil eines ESTW.
Solange der Hersteller mitspielt ist das kein Problem - man muss halt beim Hersteller ne neue Software bestellen, die diese Weichenverbindung enthält. Nur sobald die Zeit abgelaufen ist, in der der Hersteller verpflichtet ist, solche Software zu liefern, kann der Fall eintreten, dass der Hersteller nein sagt.

Wobei ich jetzt nicht weiß ob er das machen wird - aber er könnte, und das ist sicher keine so tolle Verhandlungsposition.

Ansonsten: Nein, die UMbaubarkeit ist kein großer Vorteil des ESTW - beim Spurplanstellwerk muss man an sich nur ein paar Kabel umstecken für ne neue Weiche - problematisch wirds, wenn die Kabel marode sind und keine Lust auf umgesteckt werden haben, dabei kommt dann das raus was man in München hatte als das Stellwerk Ostbahnhof aufs ESTW Stammstrecke vorbereitet wurde.

Und einen großen Vorteil hat das Spurplanstellwerk: Man braucht für die Umbauten die Herstellerfirma nicht, das kann der jeweilige Betreiber wenn er will selber machen (sofern er die nötigen Baugruppen da hat, aber die kann man im schlimmsten Fall aus nem anderen stillgelegten Stellwerk gewinnen).
Wenn die Voraussetzungen für Fernsteuerbarkeit erst geschaffen werden müssen, finde ich das auch seltsam.
Nö, wieso? Der Fernsteuerwahn ist erst nach den ESTW entstanden. Interessieren würds mich nur beim Stellwerk Plattling, das ja doch vergleichsweise neu ist, aber vermutlich hatte man auch da beim Bau nicht vor es fernzusteuern (letztlich: Wozu auch?)
Des weiteren vermute ich doch, das so ein stellwerk eine 2/3 oder zumindest 2/2 sicherheit hat.
Hat es, das hilft aber weder gegen Bugs in der ESTW-Software noch gegen Bugs im Betriebssystem oder Prozessor. Wenn der Prozessor nen Bug hat, dann werden beide bzw. alle drei Rechner bei denselben Eingaben auch dasselbe falsche Ergebnis liefern.

Seit ein paar Jahren gibts die ersten ESTW die auf nem modernen Prozessor mit Standardbetriebssystem aufsetzen. Hier hat man dann zwei parallel laufende Rechner, einer mit Windows, einer mit Linux, von denen einer auf nem AMD-Prozessor und einer auf nem Intel-Prozessor läuft.
Bis zur vollzogenen Anbringung von ausreichenden Sandstreuapparaten an allen Maschinen haben die Bahnwärter bei aufwärtsgehenden Zügen auf stärkeren Steigungen die Schienen ausgiebig mit trockenem Sand zu bestreuen und für die Bereithaltung eines entsprechenden Vorrathes zu sorgen.

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Beitrag von ChoMar »

Das mit dem AMD/Intel prozessor ist ne klasse idee. Wobei es von genug herstellern zuverlässige CPUs gibt...

Und wäre ICH die DB hätte ich da so lange nach einer Software mit offenen Schnittstellen gebrüllt, bis irgend wer mir ermöglicht, emine WEichen selber einzusteuern.
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Beitrag von 143 094-1 »

Boris Merath @ 23 Apr 2008, 14:03 hat geschrieben: Solange der Hersteller mitspielt ist das kein Problem - man muss halt beim Hersteller ne neue Software bestellen, die diese Weichenverbindung enthält. Nur sobald die Zeit abgelaufen ist, in der der Hersteller verpflichtet ist, solche Software zu liefern, kann der Fall eintreten, dass der Hersteller nein sagt.
Die Schwierigkeit dürfte wohl weniger das Aufnehmen einer Weichenverbindung an sich sein, sondern die daraus erfolgenden geänderten Flankenschutzeinrichtungen, D-Weg, Verschlussmeldung usw. in bestehende Fahrstraßen aufzunehmen und neue Fahrstraßen mit ggf. geänderter Signalisierung, Signalabhängigkeit, Flankenschutz und D-Weg in das vorhandene Stellwerk zu integrieren. Inklusive anschließender Neuabnahme des Stellwerks.
Aber da man ja im ESTW-Zeitalter nur noch zweckmäßig und betriebsnotwendig so geniale Bahnhöfe (!) wie z.B. Uhingen mit genau einer Weiche an zweigleisiger Strecke baut, sind Nachbesserungen höchstens noch im Zuge von weiteren Rückbaumaßnahmen nötig.
BZ-ESTW sind wie ein Computerspiel. Es fehlt nur noch das Fenster "Game over!" wenn sich zwei rote Linien treffen!
ChristianMUC

Beitrag von ChristianMUC »

Och - Bahnhofe mit einer (nicht umstellbaren) Weiche, gesichert mit HV73 in Lage des dg. Hgl., gibt es einige mehr...
(die EBO-Defintion ist erfüllt - passt <_<)
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Beitrag von ropix »

Plochinger @ 23 Apr 2008, 15:51 hat geschrieben: Die Schwierigkeit dürfte wohl weniger das Aufnehmen einer Weichenverbindung an sich sein, sondern die daraus erfolgenden geänderten Flankenschutzeinrichtungen, D-Weg, Verschlussmeldung usw. in bestehende Fahrstraßen aufzunehmen und neue Fahrstraßen mit ggf. geänderter Signalisierung, Signalabhängigkeit, Flankenschutz und D-Weg in das vorhandene Stellwerk zu integrieren. Inklusive anschließender Neuabnahme des Stellwerks.
Genau. Dazu kommt noch die Anpassung der Bedienoberfläche auf den Notbedienplätzen wenn denn einer vorhanden ist.
-
ChristianMUC

Beitrag von ChristianMUC »

Ich denke trotzdem, dass es einfacher ist, eine Änderung in der Infrastruktur einem ESTW beizubringen als einem Relaisstellwerk - von mechanischen und elektromechanischen Stellwerken will ich erst gar nicht anfangen.
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Beitrag von Boris Merath »

Plochinger @ 23 Apr 2008, 15:51 hat geschrieben: Die Schwierigkeit dürfte wohl weniger das Aufnehmen einer Weichenverbindung an sich sein, sondern die daraus erfolgenden geänderten Flankenschutzeinrichtungen, D-Weg, Verschlussmeldung usw. in bestehende Fahrstraßen aufzunehmen und neue Fahrstraßen mit ggf. geänderter Signalisierung, Signalabhängigkeit, Flankenschutz und D-Weg in das vorhandene Stellwerk zu integrieren. Inklusive anschließender Neuabnahme des Stellwerks.
Halt die Gesamtheit der Maßnahmen - das eigentliche Aufnehmen der Weichenverbindung aber auch :-)
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Beitrag von ropix »

ChristianMUC @ 23 Apr 2008, 18:19 hat geschrieben: Ich denke trotzdem, dass es einfacher ist, eine Änderung in der Infrastruktur einem ESTW beizubringen als einem Relaisstellwerk - von mechanischen und elektromechanischen Stellwerken will ich erst gar nicht anfangen.
Hm... - ersetze schwieriger und die Sache dürfte es eher treffen. Beim mechanischen Stellwerk kann schlimmstenfalls die sowieso schon vorhandene Hilfsschlüsselfreigabe verwendet werden. Dann müssen nur noch die Verschlussstücke gesetzt werden und fertig. Dauer - keine 10 Minuten. Schwierig wirds dann, wenn das Ding einen Hebel braucht. Zwar nicht unlösbar (außer es gibt keinen Platz mehr auf der Hebelbank) aber doch machbar.

Spurplan-Relaisstellwerk: Auch ein übersehbarer Aufwand für das EIU. Nichtspurplan-Relaisstellwerke. Jetzt kommts drauf an wie und wo. Kann aber schon sehr kompliziert werden. Manchmal auch nahezu unmöglich, nämlich dann wenn ein elektrisches "Verschlussregister" angepasst werden muss. DrS2 z.B. mit einer weiteren Fahrstraßenbeziehung dürfte schon einiges an Aufwand werden, wenn vorher die maximalzahl der Fahrstraßen schon verbaut ist :D

ESTW. Fürs EIU grundsätzlich unlösbar. Für den Hersteller letztlich eine Anpassung der Software und ein Verbau von Hardware. Dabei dürfte sich der Aufwand in neuer Hardware zwischen Spurplan-RSTW und ESTW nichts nehmen. Beide brauchen eine Gruppe. Und was bei dem einen die [Kabel-]Projektierung, das bei dem anderen die Software *denk*

Bei der Mechanik muss man halt staht Kabel Drähte ziehen :)
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Beitrag von 143 094-1 »

ChristianMUC @ 23 Apr 2008, 15:55 hat geschrieben: Och - Bahnhofe mit einer (nicht umstellbaren) Weiche, gesichert mit HV73 in Lage des dg. Hgl., gibt es einige mehr...
(die EBO-Defintion ist erfüllt - passt <_<)
Achja, wer noch ein bißchen schmunzeln (oder heulen je nachdem...) will, dem sei beim folgenden Link die letzte Seite empfohlen:

Bf Uhingen

SO baut man heute Bahnhöfe! Volle Signalisierung mit Esig und Asig inkl. Gegengleis für ein nicht mehr benutztes Anschlußgleis... Ist jetzt zwar kein Dr L mehr sondern ESTW, aber Signalisierung ist genau gleich. Hat den ESTW-Bauern denn keiner gesagt, dass es auch andere Bahnanlagen als Bahnhöfe gibt, oder wollten die DB Netz(e) unbedingt die Vollausstattung verkaufen???
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Beitrag von ropix »

Vor allem die Rangiersignale auf Gleis 2 :D
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