Spannungstoleranzen

Rund um die Technik der Bahn
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amiedl
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Beitrag von amiedl »

Hallo,

die erlaubte Bandbreite der Oberleitungsspannung beträgt +15% / -20 %. Im öffentlichen Mittelspannungsnetz sind es +- 10 %. Kann sich wer erklären warum?

Danke!
GSIISp64b
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Beitrag von GSIISp64b »

Vermutlich, weil sich die starke Varianz der Oberleitungsspannung schlicht nicht verhindern lässt - die Belastung ist ziemlich ungleichmäßig, wenn da mal zwei oder drei Züge gleichzeitig anfahren, merkt man das schon... Und das soll ja nicht gleich zu einer Grenzwertüberschreitung mit HS-Knaller führen, daher der große zulässige Bereich.

Im Verbrauchernetz dürfte die Belastung schlicht gleichmäßiger sein, da es viel mehr Verbraucher gibt, die sich gegenseitig ausgleichen.
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Luchs
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Beitrag von Luchs »

Durch höhere Toleranzen im Bahnstromnetz - bei der Frequenz ist der Unterschied noch größer - kannst Du erheblich in der Auslegung
sparen. Bei der Spannung längere Speiseabschnitte, bei der Frequenz Überkapazitäten, um kurzfristige Belastungsspitzen abzufangen.
Loks vertragen das (meistens) problemlos und fahren weiter, ggf. halt mit niedriger Leistung.
Im öffentlichen Netz gibt es durchaus des öfteren Verbraucher, die auf solche Schwankungen *extrem* empfindlich reagieren.

Luchs.
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

amiedl @ 10 Jul 2011, 13:24 hat geschrieben:die erlaubte Bandbreite der Oberleitungsspannung beträgt +15% / -20 %. Im öffentlichen Mittelspannungsnetz sind es +- 10 %. Kann sich wer erklären warum?
Ich fasele einmal vor mich hin - Boris darf das dann geradeziehen ...
Die Frage ist zuerst doch, was "erlaubt" meint. Offensichtlich ist es unmöglich, sich an diese Bandbreiten zu halten: Zumindest ein Abfall um 100% ist immer möglich - nennt man dann halt "Ausfall". Aber auch "Brown-Outs" mit beliebig niedrigeren Spannungen sind in allen Netzen nicht so selten, z.B. während Umschaltvorgängen bei Blitzeinschlägen. Diese Bandbreiten dienen daher m.W. i.w. als ( a ) Bemessungsgrundlage und ( b ) Bewertung von Versicherungsfällen: Innerhalb der Bandbreite ist ein Ausfall "Verschulden" des Geräteherstellers, außerhalb zahlt bei Schäden i.d.R. eine Versicherung.
Der Witz der Bandbreiten ist also i.w. ein (technisch und wirtschaftlich sinnvoller) Vertrag zwischen Konstrukteuren von Stromversorgungs- und Stromverbrauchsanlagen. Bei der Bahnstromversorgung sind beide Gruppen andere als beim öffentlichen Netz - also können sie sich auch was anderes ausmachen (dasselbe Argument gilt z.B. auch für die 60V-Gleichspannungsspeisung für Telefonanlagen - siehe unten).

Nebenbei sind in der Schweiz Ae6/6 ohne Probleme unter dem 11kV-Netz der RhB gefahren - das ist eine Spannungsabweichung von ca. -27% gegenüber den normalen 15kV.

------------

Zur Telefonnetz-Gleichspannungsspeisung: Die Beschreibung der Telekom dazu ist fast eineinhalb Seiten(!) lang, u.a. mit solchen Texten:

1.2.1 Stromversorgungsanlagen mit Umschaltebetrieb
57,4 V <= UV <= 63,2 V;
Normalwert UNV = 58,6 V
(62 V — 3,4 V: erzeugte Spannung abzüglich zulässigem Spannungsabfall im VNK-Stromverteilnetz).

1.2.2 Stromversorgungsanlagen mit Bereitschaftsparallelbetrieb
62,9 V <= UV <= 67,7 V;
Normalwert UNV = 62,9 V
(66,3 V — 3,4 V; erzeugte Spannung abzüglich zulässigem Spannungsabfall im VNK-Stromverteilnetz).

1.3 Störungsfälle
Im Störungsfall können die in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Spannungen vorkommen. Text wird immer detaillierter...

EDIT: 16kV auf 15kV korrigiert - ts ts ts.
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
Die Organe der Bahnerhaltung sind ermächtigt, den Arbeitern zur Aneiferung angemessene Quantitäten von Brot, Wein oder Branntwein unentgeltlich zu verabfolgen. Nr. XXVII - Vorschriften für das Verhalten bei Schneefällen, K. k. Österreichische Staatsbahnen, Gültig vom 1. Oktober 1906; Artikel 14(5)
GSIISp64b
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Beitrag von GSIISp64b »

Bei -20% (12kV statt 15kV) macht halt der HS "Rumms". Das dürfte hier mit "zulässig" gemeint sein.
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Luchs
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Beitrag von Luchs »

Nicht unbedingt. Der ICE-V (IIRC) ist auch schon bei der RhB gefahren.

Ach ja, wen jetzt wundert, wie das denn funktioniert: bei Chur gibt es ein 3-Schienengleis ....

Luchs.
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Boris Merath
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Beitrag von Boris Merath »

amiedl @ 10 Jul 2011, 13:24 hat geschrieben: die erlaubte Bandbreite der Oberleitungsspannung beträgt +15% / -20 %. Im öffentlichen Mittelspannungsnetz sind es +- 10 %. Kann sich wer erklären warum?
Verstehe ich die Frage richtig, dass Du wissen möchtest warum im Bahnstromnetz höhere Toleranzen zulässig sind?

Einfachste Erklärung: Weils geht.

Generell haben wir in einer Lokomotive ja zwei verschiedene Teile, einmal den Antrieb, und einmal die Hilfsbetriebe.

Der Antrieb hat bei den Schaltwerksloks sowieso ein Schaltwerk, kann sich also wunderbar an die unterschiedlichen Spannungen anpassen. Bei niedrigeren Spannungen schaltet man einfach ein paar Stufen höher, entsprechende Anschriften (höchste zulässige Schaltwerkstufe abhängig der Fahrdrahtspannung) haben viele Loks, und schon ist die Schwankung ausgeglichen. Beim Drehstromantrieb muss halt die Isolation auf die maximal zulässige Spannung ausgelegt sein (plus Sicherheitsaufschlag), der Vierquadrantensteller setzt das dann schon auf die gewünschte Zwischenkreisspannung um.

Hilfsbetriebe: Bei der Drehstromlok gilt dafür dasselbe wie auch für den Antrieb - hier hat man nen Vierquadrantensteller, der macht schon was sinnvolles draus. Bei den Altbauloks - legt man die Hilfsbetriebe (sind ja in erster Linie Motoren) auf die höchstzulässige Spannung aus, im schlimmsten Fall laufen sie dann halt etwas schneller.

Auch im öffentlichen Netz waren früher ja höhere Abweichungen zulässig - deswegen dürfen ja Elektrogeräte, die für das 220V-Netz gebaut wurden, auch unter den heutigen 230V betrieben werden, da mit der Umstellung von 220 auf 230 gleichzeitig die Toleranzen gesenkt wurden. Die höchstzulässige Spannung seit Umstellung auf 230 Volt ist nicht (oder wars nur geringfügig? Bin zu faul zum nachschauen :-) ) höher als die höchstzulässige Spannung zu 220V-Zeiten.

--
Warum es im Bahnstromnetz praktisch ist, wurde hier ja schon erläutert. Hauptproblem im Bahnstromnetz sind eben die stark schwankenden Leistungen, sowie der Spannungsabfall an der Oberleitung abhängig von den dort fließenden Strömen - je mehr Loks anfahren, desto mehr geht die Spannung in den Keller. Letztendlich haben wir so etwas im öffentlichen Netz auf Hochspannungsebene genauso, auch hier werden Schaltwerkstrafos eingesetzt, um die Spannung bei Schwankungen nachzuregeln - also letztlich genau das was eben bei ner Schaltwerkslok auch gemacht wird.
Bis zur vollzogenen Anbringung von ausreichenden Sandstreuapparaten an allen Maschinen haben die Bahnwärter bei aufwärtsgehenden Zügen auf stärkeren Steigungen die Schienen ausgiebig mit trockenem Sand zu bestreuen und für die Bereithaltung eines entsprechenden Vorrathes zu sorgen.

Fahrdienstvorschrift bayerische Staatsbahnen 1876
Didy
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Beitrag von Didy »

Boris Merath @ 10 Jul 2011, 19:04 hat geschrieben:Auch im öffentlichen Netz waren früher ja höhere Abweichungen zulässig - deswegen dürfen ja Elektrogeräte, die für das 220V-Netz gebaut wurden, auch unter den heutigen 230V betrieben werden, da mit der Umstellung von 220 auf 230 gleichzeitig die Toleranzen gesenkt wurden. Die höchstzulässige Spannung seit Umstellung auf 230 Volt ist nicht (oder wars nur geringfügig? Bin zu faul zum nachschauen :-) ) höher als die höchstzulässige Spannung zu 220V-Zeiten.
Nicht ganz, das war nur eine Übergangsregelung. Früher waren 220V +/- 10%. Dann hat man für eine Übergangszeit 230V +6%/-10% gehabt, sodass die Maximalgrenze nur geringfügig über der alten Maximalgrenze ist. Seit 2009 gelten 230V +/- 10%.
Boris Merath @ 10 Jul 2011, 19:04 hat geschrieben:[öffentliches Netz] auch hier werden Schaltwerkstrafos eingesetzt, um die Spannung bei Schwankungen nachzuregeln
:blink: das war mir noch nicht bekannt
Didy
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Beitrag von Didy »

hmmueller @ 10 Jul 2011, 16:03 hat geschrieben: Zur Telefonnetz-Gleichspannungsspeisung: Die Beschreibung der Telekom dazu ist fast eineinhalb Seiten(!) lang, u.a. mit solchen Texten:
Gibts die bei der Telekom zum runterladen?
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Beitrag von ropix »

Luchs @ 10 Jul 2011, 17:06 hat geschrieben: Nicht unbedingt. Der ICE-V (IIRC) ist auch schon bei der RhB gefahren.

Ach ja, wen jetzt wundert, wie das denn funktioniert: bei Chur gibt es ein 3-Schienengleis ....

Luchs.
Ja, dafür wurden die Stromrichter vom ICE aber doch auf die geringere Spannung von 11 Kv programmiert, die bei der RhB vorherrscht. Leider war das ein Festtag und alles was Strom ziehen konnte unterwegs, so dass der ICE letztlich bei den noch vorhandenen rund 8 bis 9 KV dann doch liegengeblieben ist.
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

Didy @ 10 Jul 2011, 19:50 hat geschrieben: Gibts die bei der Telekom zum runterladen?
Ich hab durch primitives googeln eine Datei mit Namen "Schnitt_110P37S2.pdf" gefunden, die ziemlich original aussieht ...

EDIT: Der Link ist www.telekom.de/dlp/eki/downloads/Schnitt_110P37S2.pdf - also ja, Telekom.
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
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