Ich zitiere jetzt einfach mal aus einer Korrespondenz während meiner Reise:
30.10.2012
Morgen geht es nämlich laut Reiseplan nach Canada, und ob ich da wieder rauskomme, weiß ich noch nicht - also, theoretisch fliege ich am 4. November ab JFK in NYC, aktuell bin ich in Cleveland, Ohio, in einem Ausläufer des nicht-mehr-Hurricanes. Seit Toeldo regnet es andauernd (wir waren gestern in Chicago), und es ist irgendwie ein seltsames Gefühl, auf einem Interstate fast als Einziger nach Osten zu fahren, während westbound richtig viel Verkehr ist. Unsere Fahrbahn musste wir fast nur mit unzähligen langen Konvois von LKWs von vielen Utility Companies, die alle aus den halben USA (es waren welche aus Des Moines, Kansas City und sogar El Paso dabei) an die Ostküste bewegt wurden, teilen. Ich komme mir irgendwie vor, wie in so einem Endzeitflim...
Der Ursprungsplan ist auf jeden Fall, dass es morgen nach Toronto entlang des Lake Eries geht, danach nach Montreal und dann wieder runter nach New Jersey - aber wenn ich mir das da so ansehe, kommen wir zum einen direkt in den Sturm, der bis dahin auch große Mengen Schnee mit sich mitzieht, und zum anderen dürften die Schäden in New York City und auf dem Weg dorthin beträchtlich sein, und dummerweise fliege ich nicht vom Flughafen Newark zurrück, der auf dem Festland liegt, sondern von JFK, an der Südküste von Long Island gelegen, und dort drückt Sandy grade ziemlich viel Wasser hin - die meisten Tunnel in NYC sind schon überflutet, und ich will nicht wissen, was nacher noch passiert, wenn die Wassermassen aus dem New York Harbor und dem Long Island Sound, die sich alle in den East River drücken, dort frontal aufeinandereffen. Eventuell muss ich meinen Vater bis Houston, TX begleiten, und von dort fliegen, oder von Detroit, Toronto oder Montreal, je nachdem, wie es morgen aussieht.
31.10.
Ich sitze jetzt hier grade im europäischsten Teil Amerikas schlechthin namens Kanada, in Guelph bei Toronto. Heute abend geht es dann rein nach Toronto - immerhin nach NYC meine zweitliebste Stadt Nordamerikas. Die Nacht in Clevekand war noch ziemlich anstrengen, um halb 12 gab es im Hotel einen Probealarm; beim hinunterlaufen stellten wir fest, dass es durch alle Nodausgänge im Erdgeschoss Wasser ins Gebäude durchdrückte, am Morgen hatten sich dort stattliche Wasserlaken gebildet. In Cleveland selber war das Wetter weiterhin stürmisch-regnerisch, was sich aber bis zur Grenze Ohio/Pennsylvania änderte. Dort lies der Regen wieder nach, begleitet wurden wir aber trotzdem von bedrohlich hohen und schwarzen Wolken, die sich ziemlich schnell bewegten. Für das gesamte Gebiet wurde übrigens eine Tornadowarnung ausgegeben, und bei diesen Wolkenbergen kann ich mir das nur all zu gut vorstellen. Kurz vor Buffalo fing es wieder zu regnen an. An der kanadischen Grenze wurden dann abermals Vorurteile und Clichés nicht erfüllt - dass die Amis die grätzigsten Grenzer haben, ist nämlich Humbug (und man kommt mit einigen kleinen Tricks bei ihnen wesentlich besser durch, aber, pst! ^^). Wirklich fies sind die Kanadier. Nachdem wir also nach Wohnort, "was wir hier wollen?", Beruf und vielem mehr gefragt wurden, konnten wir endlich einreisen. Ab dort begann es dann wirklich wolkenbruchartig zu Regnen, bis wir dem Queen Elizabeth Way (die Autobahn, die Toronto mit der Grenze bei Niagara verbindet) Burlington verliesen. Ab dort folgten wir einer typisch kanadischen Straße bis Guelph: einfach gradeaus. Ab und zu ein Ortsschild, alle 10 Kilometer eine Ampel. Guelph selber ist ausgesprochen weitläufig, vom Ortsschild bis zum Hotel im Norden der Stadt waren es noch knapp 15 Minuten. Jedoch nahm die Ampeldichte schlagartig auf eine alle 2 Kilometer zu. Die ersten Häuser neben der Fahrbahn sind hier mindestens einen halben Klometer (und eine weitere Zugangsstraße) vom Straßenrand entfernt. Hier ist Sandy jedenfalls noch nicht, aber vermutlich bekommen wir doch noch in den nänchsten Tagen Besuch von ihr, wer weiß. In West Virginia und North Carolina mutierte der Sturm jedenfalls zum Blizzard, dort ist aktuell alles weiß.
02.11.
Gestern Abend verbrachten wir in Toronto, ich mag diese Stadt wirklich. Sie ist - wie eigentlich ganz Kanada - ein Mix aus den guten Seiten der USA und denen Europas. Die Innenstadt ist übrigens fast komplett untertunnelt, d.h. es gibt Verbindungsgänge zwischen den Kellern vieler Hochhäuser, welche nicht nur als wettergeschützter Fußweg genutzt werden, sondern auch als Einkaufszentrum. Je nachdem, in wessen Keller man gerade ist, ist dann natürlich auch die Ausstattung, die von "billigen" Standardverkleidungen bis zu poliertem, weißem Mamor überall reicht.
Heute mittag haben wir dann Toronto verlassen. Der ursprünglich 16-spurige Freeway verkleinerte sich ziemlich bald nach der Stadtgrenze auf erst 6, dann 4 Spuren. Die Straße verläuft schnurgerade - in sicherer Distanz - entlang des Nordufers des Lake Ontario. Ab und an wird das vorherrschende Bild von grauer Straße, schwarzem Seitenstreifen, grünen Straßengraben, gelbem Gestrüpp neben der Straße und schwarzen, kahlen Bäumen von einem Schild aufgelockert, auf dem ein Ortsname, Einwohnerzahl (welche sich meistens zwischen 1000 und 6000 bewegt) und die Ankündigung einer oder mehrerer Aufahrten zu finden sind. Ansonsten für hunderte Kilometer das selbe Bild zum andauernden Nieselregen und den bedrohlich grauen Wolken. Ungefähr auf Höhe des Abflusses des Lake Ontario in den Saint Lawrence River fuhren wir von der Autobahn ab, um den landschaftlich wesentlich reizvolleren Thousand Islands Parkway, der 50 Kilometer lang parallel zur Autobahn, aber im Gegensatz zu dieser direkt am Strom, verläuft. Von der Straße hat man an zahlreichen Stellen einen wunderbaren Blick auf die Inselgruppe Thousand Islands, die größtenteils noch zu Kanada gehört: Unzählige Inseln, von winzig klein bis relativ groß, meistens mit einem einzelnen Haus und einem Steg darauf, wobei deren Größe und Protzigkeit natürlich auch von der Inselgröße abhängig ist, die nur per Boot erreichbar sind - auch hier natürlich Unterschiede zwischen kleinen Motorbooten und schneeweißen Yachten mit Schutzabdeckung. Gestört wird diese fast-Idylle nur von drei modernen Hotel-Hochhäusern, die am US-amerikanischen Ufer weit über die Baumkronen ragen. Zeit also, sich wieder voll und ganz Kanada hinzugeben. Nachdem wir wieder auf der Autobahn fahren, fängt es auch natürlich sofort wieder an, in Strömen zu Regnen. Bis zur Grenze nach Quèbec ist die Sonne ganz untergegangen, was die meisten Autofahrer aber nicht zu veranlassen scheint, ihre Scheinwerfer anzuschalten. Und wie es in Montreal aussieht, weiß ich noch nicht, vor lauter Verkehrschaos hatte ich keine Chance, bislang etwas zu sehen.
Morgen steht dann Montreal auf dem Programm, übermorgen geht es "heim" nach New Jersey. Ich bin gespannt, wie schlimm dort die Sturmschäden sind. Ein Kollege meines Vaters, der dort mit seiner Frau und einem einjährigen Kind wohnt, rief heute an, er habe nach 10 Stunden Schlange stehen beim Home Depot tatsächlich einen Generator kaufen können. Zum Glück ist er selber Elektriker und nicht auf die Elektriker angewiesen, die aktuell durch die Straßen ziehen und anbieten, den Generator einzubauen - für $300! Ein guter Freund von uns, der auch in New Jersey wohnt, hat zwar noch Strom, uns aber gewarnt, noch ausserhalb der Tri-State Area zu tamken - Benzin oder Diesel gibt es an vielen Tankstellen nicht mehr, in einigen Gebieten plant man, ein Limit bei 10 Gallonen Kraftstoff pro Tag einzuführen.
03.11.
Montreal ist eine schäbige Stadt. Und sie hat mehrere Verkehrsprobleme. Das beginnt mal bei den Stadtautobahnen, die sich über die Insel ziehen und in komplexen Kreuzungen mit passenden Baustellen für andauernden Stop-and-Go-Verkehr sorgen. Aber auch die örtliche Metro quillt aus allen Nähten.
Begonnen haben wir mit dem Olympiagelände im Westen der Stadt, das relativ klein ist und mitten in einem Wohngebiet liegt. Das grau-weiße olympische Stadion besteht aus der Arena, die wie ein Raumschiff aussieht, und einem großen, schrägen Turm, der als Träger des Daches fungiert. Es besticht durch futuristische Architektur, bröckelnden Beton und viel Dreck. Zudem ist es unglaublich, wie viele Baustellen auf dieses kleine Gelände passen. Trotzdem sind nicht mal die meisten Gehwege in adequatem Zustand. Vor dem Stadion wehen übrigens die Fahnen aller Nationen, die damals an der dortigen Olympiade teilgenommen haben - neben der schwarz-rot-goldenen also auch die mit Hammer und Sichel, ein lustiges Detail.
Von dort nahmen wir die Metro, um nach Vieux-Montreal zu gelangen. Direkt am Place d'Armes steht die Kathedrale von Montreal, ein vergleichsweise kleiner gothischer Bau an jenem gepflasterten Platz, auf dem auf einer Säule der Gründer Montreals thront. An diesem Platz finden sich sonst ein einfallsloses, mordernes Hochhaus, ein stark an das Rockefeller Center erinnernder Bau, der allerdings wesentlich niedriger und kleiner ist, sowie ein kleineres neoklassizistisches Gebäude. Montreal ist eine der wenigen Städte in Nordamerika, die eine Art Altstadt besitzen, den Gebäuden und deren Zustand nach zu urteilen, ist die Zeit der Blüte dieses Stadtteiles aber schon seit einiger Zeit vorbei. Abgesehen von sporadischen, gemütlichen Pubs wirkt alles kalt und grau. Unten am Hafen wird man zunächst von einem riesigen, alten, rostigem und nicht wirklich ästhetisch ansprechendem Kran begrüßt. Links daneben ein relativ liebloses und langweiliges Gebäude, das sich als Science Center entpuppt. Im Hintergrund luren das Habitat67, ein Pavillion der Expo '67, der wie aus Legosteinen gebaut aussieht, und ein großes, kugelförmiges Gebilde, das wir als nächstes Ziel auserküren. Etwas weiter östlich trifft auf die Straße am Hafen eine breite Straße, die allerdings für den Autoverkehr gesperrt ist, welche vom Rathaus zum Hafen hinab führt. Auch hier herrscht ein graues, kaltes und schäbiges Bild vor - für Fotographie in dieser Stadt kann man seine Kamera dauerhaft auf schwarz-weiß stellen. Das Rathaus ist ein vergleichsweise schöner Bau im viktorianischen Stil. Hinter selbigem erstrecken sich die "Champs de Mars": ein schmaler Grünstreifen, eine Hauptverkehrsstraße, eine Stadtautobahn im Einschnitt und noch eine Großstraße, und das alles vor der Kullise zweier riesiger, komplett grauer Türme ohne Fenster auf der sichtbaren Seite, dem Justizpalast - in Anbetracht dieser Türme vergeht vermutlich den Meisten die Lust, sich mit der Justiz Quebecs anzulegen.
Von dort brachte uns die Metro mit einem Umstieg in den Parc Jean-Drapeu, von welchem wir vermuteten, dass sich dort oben erwähnte Sphäre befindet. Der Park befindet sich auf einer kleineren Insel im St.-Lorenz-Strom zwischen der Insel Montreal und dem Festland, dort befindet sich auch das Kasino und ein Vergnügungspark, trotzdem ist auch hier der Zustand von Fußwegen und anderer Infrastruktur nicht besser. Die riesenhafte Kugel, die aus Metallstreben besteht, entpuppte sich als Verkleidung eines Umweltmuseums.
Zurrück auf der Hauptinsel traten wir den Rückweg ins Hotel an, jedoch mit einem Umweg über den großen Bruder der Untergrundstadt Torntos, der RESO, die weltweit größte unterirdische Stadt, die sich einheitlicher als ihr Gegenstück in Toronto präsentiert und mit wesentlich mehr Geschäften bestückt ist. Vom Centre-Eaton am nördlichen Ende der RESO schlugen wir dann den direkten Weg zum Hotel gleich in der Nähe ein.
Morgen früh werden wir mit einem kurzen Zwischenstopp am - nur mit dem Auto sinnvoll erreichbaren - Habitat67 dann uns wieder in die USA bewegen, Ziel wird New Jesey, zum Glück mit zwei Betten dort, wo es Strom und Wasser gibt, bei einem guten Freund. Zum Glück ist nun endlich jemand in New York City auf die Idee gekommen, den für das Wochenende angekündigten NYC Marathon abzusagen.
Aus Toronto gibts leider (noch) keine Bilder, die reiche ich gegebenenfalls an dieser Stelle nach.
Nun aber zu Montreal, da wirds auch etwas bahniger

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Das Olympiastadion, auf der Rückseite des Turmes ist übrigens ein großer Aussen-Schrägaufzug:
Busse (alles NovaBus, wunderhübsche Busse kanadischen Fabrikats):
...im alten Lack der STM am U-Bahnhof Place-des-Arts
...in aktueller Lackierung am Bahnhof Pie-XI am Olympiastadion
Und nochmal in der Innenstadt