Schrecklich: Englische Texte deutscher Firmen

Rund um die Technik der Bahn
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

Hin und wieder lies ich Kataloge, Werbebroschüren und andere Texte, die eisenbahnnahe Firmen freundlicherweise aufs Internet stellen. Deutsche (und österreichische und Schweizer) Firmen veröffentlichen dabei häufig die Texte auch auf englisch ... klar: Wir leben in einer globalisierten Welt.
ABER: Diese englischen Übersetzungen sind oft so untergründig schlecht, dass man vor lauter Kopfschütteln Halskrämpfe kriegt ...

Ein Beispiel: Thyssen-Krupp (nicht gerade ein kleiner Betrieb) hat ein "Railway Track Manual" online gestellt (letzte zwei Links auf http://www.tkgftgleistechnik.de/en/download.html).

Schon der erste Satz ist eigentlich schrecklich, auch die letzten zwei des Preface sind katastrophal - aber hier ein technischeres Beispiel: Auf Seite 40 wird irgendwas für Straßenbahngleise erklärt. Ein Satz davon:

"The site concrete in this case is produced up to 16 cm below SO."

??? Rückübersetzung liefert einen üblichen Techniker-Satz:

"Der Ortbeton wird in diesem Fall bis auf 16cm unter SO [Schienenoberkante] hergestellt."

!!! Eine halbwegs sinnvolle Übersetzung müsste sowas sein wie:

"The concrete base is poured to 16cm below the final height of the rail head."

Ich sage nicht, dass meine (aus dem Ärmel geschüttelte) Übersetzung der fachlichen Weisheit letzter Schluss ist - aber ich behaupte einmal, dass sie zumindest korrektes Englisch ist ... Wieso nur schafft es eine Firma wie Thyssen nicht, hier einen der Ingenieure dranzusetzen, die englisch können?

(Auch bei Siemens, Alcatel, der VÖEST und anderen habe ich solches "Not-Englisch" gesehen ... nur damit nicht Thyssen alleine am Pranger steht ;) )

// Edit: Seitennr nachgebracht.
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
Die Organe der Bahnerhaltung sind ermächtigt, den Arbeitern zur Aneiferung angemessene Quantitäten von Brot, Wein oder Branntwein unentgeltlich zu verabfolgen. Nr. XXVII - Vorschriften für das Verhalten bei Schneefällen, K. k. Österreichische Staatsbahnen, Gültig vom 1. Oktober 1906; Artikel 14(5)
bayerhascherl
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Beitrag von bayerhascherl »

Ohne auf ein konkretes Beispiel eingehen zu wollen, es gehört eben zur deutschen Mentalität so undeutsch wie möglich sein zu wollen (je deutscher je stärker ist dieser "Negativ-Patriotismus"). Und da werden dann willfährig Anglizismen oder noch viel häufiger Scheinanglizismen verwendet. Wenigstens heißt die Information an Bahnhöfen neuerdings wieder Information (was es nicht nur im Englischen heißt sondern in fast jeder anderen westeuropäischen Sprache auch; "internationaler" geht nicht mehr). Kein Nicht-Franzose hatte jemals Probleme TGV auszusprechen und wenn doch dann war es zumindest mal ein charmanter Anlass zum Schmunzeln. Aber wir würden unseren Schnellzug niemals ISE nennen (oder einfach "Schnellzug"/SZ, TGV heißt ja auch nur "Zug großer Geschwindigkeit").

Mir als Halbami geht diese verklemmte Identität ab, ich bin stolz Deutscher/Bayer und Ami zu sein und mag meine beiden "Heimaten", gerade auch für ihre Schwächen. Meistens. Aber das geht mir schon immer sehr auf die Nerven. Es scheint wohl auch der Irrtum vorzuliegen dass das Englische die "lässigere" Sprache sei.

Und ein für allemal: im Englischen DUzt man sich nicht sondern SIEzt sich ausschließlich. YOU mag phonetisch ähnlich wie "Du" klingen, heißt aber wortwörtlich "ihr" - "How are you?" - "Wie seid ihr?" (vergleich mit "Wie ergeht es euch?"). Das englische "Du" heißt "thou" und ist in der Alltagssprache ausgestorben, dass man sich mit Vornamen anredet ist auch kein Ausdruck besonderer Lässigkeit sondern einfach eine andere Konvention - wenn ein Ami oder Brite seinen Chef mit Vornamen anspricht gelten die selben Umgangsformen wie in Deutschland mit "Sie" und "Herr Chef". Passte irgendwie ins Thema, also wollte ich es mal loswerden. ;)
Cloakmaster
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Beitrag von Cloakmaster »

Der alte Schüttelspeer hat noch zwischen thou und you unterschieden. Wenn du das jetzt als Refernz nehmen willst, dann nenn dich einen Teutschen. und singe patrona bavariae.
Sprache entwickelt sich weiter, und im modernen Englisch wird thou nicht mehr verwendet. Oder sagt du deinem Kind auch "ich liebe euch, mein Süsser?" (i loye you, my sweetheart)
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Galaxy
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Beitrag von Galaxy »

Formalität wird im englischen durch "Sir" und "Madam" erzeugt.
DumbShitAward
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Beitrag von DumbShitAward »

Kommt davon wenn man einen Naturwissenschaftler oder Ingenieur ohne Beaufsichtigung einen Text schreiben lässt. Klappt schon in der Muttersprache meist nicht.
Lektion 73 in unserer Serie "Rechtsstaat für Anfänger", heute: §81 StGB

Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
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Beitrag von 146225 »

bayerhascherl @ 16 Feb 2013, 17:12 hat geschrieben: Aber wir würden unseren Schnellzug niemals ISE nennen (oder einfach "Schnellzug"/SZ, TGV heißt ja auch nur "Zug großer Geschwindigkeit").
Da bist du eigentlich widerlegt - offiziell bahnamtlich durch die HVB verfügt lief das ICE-Programm in den späten 1980ern als HGZ/V, was die wunderschöne bürokratische Abkürzung Hochgeschwindkeitszug/Versuch bedeutete.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
bayerhascherl
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Beitrag von bayerhascherl »

Schön, dennoch wurde und wird er mit einem englischen Akronym vermarktet.

@Cloakmaster
Und das hat damit was zu tun...?
You heißt einfach nicht "Du", ich habe nie Linguistik studiert, das dürfte jedem Zweisprachigen mit Sprachgefühl rasch auffallen. Und natürlich sind sich die englischen Muttersprachler vielfach dessen auch bewusst. Natürlich reflektieren auch diese nicht, genauso wenig wie alle Deutsch-Muttersprachler, alle über ihre eigene Sprache. Aber es gibt da ziemlich komplitzierte Phänomene wie z.B. das grammatikalisch eigentlich falsche "their" weil man aus politisch-korrekten Gründen das "his" in bestimmten Konstruktionen vermeiden möchte ("every passenger should carry a valid ticket in their wallet" statt "every passenger should carry a valid ticket in his (or her) wallet"). Die Dinge werden nicht einfacher nur weil man meint seine Deutsche Muttersprache aufgeben zu müssen sondern man tauscht nur Probleme aus, im Deutschen hat man eben das ewige Spannungsfeld des DUzens und SIEzens.

Das sind ja immer die vorgebrachten inhaltlichen Argumente dafür, warum man sich dem Englischen so sehr anbiedert. Geh mal einen Tag bewusst durch deinen deutschen Alltag, vom Berufsleben über das Einkaufen bis zum Fernsehprogramm. Auch gibt es unter jungen Deutschen unzählige Fans der New York Yankees, den Kopfbedeckungen nach. Ich habe regelmäßig das Gefühl dass der durchschnittliche Deutsche am liebsten Ami wäre. Und mit der vielfach genannten Weltoffenheit etc. hat das sicherlich auch nichts zu tun, der Durchschnittsdeutsche gibt seinem Kind keine chinesischen, tschechischen oder kongolesischen Namen. Er schaut keine russischen TV-Serien. Er kauft keine Jeans von japanischen Designern oder hört Musik auf Griechisch. Kegeln gilt als Altherrensport, Bowling ist total "in" bei jungen Leuten - kommt ja auch aus Amerika. Und so weiter. Es ist eine Amerikanisierung die durch alle Lebensbereiche in Deutschland geht und das mal anzusprechen ist mit Sicherheit kein Grund für Spott a lá irgendwelche alten Bayernhymnen.

Achja und mit Madam würde ich tunlichst keine Dame anreden, so bezeichnet man u.a. eine Zuhälterin - außer man hat es mit der Queen oder so zu tun. Sir/Ma'am ist von wenigen Ausnahmen, ein immigration officer mag einen Reisenden vielleicht mit "Sir" ansprechen, abgesehen einfach nicht zeitgemäß (entweder klingt es geschwollen oder ist auch mal spöttisch gemeint). Die übliche Anrede ist, je nach Verhältnis, Vorname oder "Mister/Mizz" (nicht Mistress/Miss; das ist ähnlich altbacken wie Frau/Fräulein) bzw. bei unbekannten Leuten "Excuse me".
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Galaxy
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Beitrag von Galaxy »

bayerhascherl @ 16 Feb 2013, 20:39 hat geschrieben:
Achja und mit Madam würde ich tunlichst keine Dame anreden, so bezeichnet man u.a. eine Zuhälterin - außer man hat es mit der Queen oder so zu tun. Sir/Ma'am ist von wenigen Ausnahmen, ein immigration officer mag einen Reisenden vielleicht mit "Sir" ansprechen, abgesehen einfach nicht zeitgemäß (entweder klingt es geschwollen oder ist auch mal spöttisch gemeint)
Man wird sowohl beim Audi Händler als auch bei Wal Mart mit "Can I help you Sir/Madam" angeredet.
Rev
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Beitrag von Rev »

Wobei die englischen Übersetzungen im Alltag eigentlich schon in Ordnung gehen viel viel schlimmer finde ich Deutsche Übersetzungen im Ausland.
Electrification
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Beitrag von Electrification »

Eigentlich geht es ja hier um Übersetzungen, aber es wurde auch etwas über den deutschen Hang zum Anglizismus geredet. Dabei schafft man sogar englische Begriffe die im englischen Sprachraum kein Mensch kennt und viele lachen darüber wie sehr man hier mit Anglizismen um sich wirft und oftmals wirkt das nur peinlich.

Ganz schimm finde ich übrigens "Coffee to go" in jeder erdenklichen Schreibweise. Wer ist nur auf diesen Mist gekommen? Wieso heißt das nicht einfach "Kaffee zum mitnehmen" bzw. in der Form von "Mitnehmkaffee". Da hätte man sicher auch ein griffiges Wort gefunden.
Denn das ist sowas von lächerlich und einfach nur ein schlechter Witz. Wer denkt sich sowas aus? Meinen diese Leute wirklich das ist weltoffen? Nein, es ist das Gegenteil davon, es ist etwas worüber sich weltweit lustig gemacht wird!

Ich finde diese Begriffe die hier geschaffen wurden wie Coffee to go einfach nur bescheuert und ich bin überhaupt kein Patriot, sehe mich als Europäer, aber ein bisschen Identität braucht man auch und da finde ich den französischen Weg besser.

Dies hier ist schon ein komisches Land, einerseits durch und durch bis tief hinein ins Bürgertum rechtsoffen oder rechtspopulistisch denkend (locker 30% der Bevölkerung), andererseits immer versuchen sich selbst klein zu machen. Schizophrenes Land.
bayerhascherl
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Beitrag von bayerhascherl »

Galaxy @ 16 Feb 2013, 23:36 hat geschrieben: Man wird sowohl beim Audi Händler als auch bei Wal Mart mit "Can I help you Sir/Madam" angeredet.
Du darfst es einem Muttersprachler schon glauben wenn ich dir im Alltag den Rat gebe sowas nicht zu machen. Es gibt Situationen/Kodes im Umgang in denen das angebracht ist (aber nicht MADAM sondern MA'AM, das D ist stumm), aber Nicht-Muttersprachler können das nicht zuverlässig einschätzen also würde ich jedem raten das einfach nicht im Munde zu führen. Zumal es auch starke regionale Unterschiede gibt. So wie in großen Teilen Deutschlands ein "Grüß Gott" zu spöttischen bis amüsierten Reaktionen führt, mitten in Bayern aber der normalste und üblichste höfliche Gruß von allen Grußformen ist. So sind z.B. auch die Unterschieden zwischen "south" und dem Rest der USA bzw. Kanada enorm. All das kann man umschiffen wenn man sich einfach an die Standardformeln hält.
Electrification
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Beitrag von Electrification »

Galaxy @ 16 Feb 2013, 23:36 hat geschrieben: Man wird sowohl beim Audi Händler als auch bei Wal Mart mit "Can I help you Sir/Madam" angeredet.
Wieso eigentlich "Can I help you"?
Ich habe das noch so gelernt dass man da "May I help you" sagt.
Aber Bayerhascherl wird das als Muttersprachler sicher aufklären. ;)
bayerhascherl
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Beitrag von bayerhascherl »

Verabschiede dich von der Illusion dass Muttersprachler eine verlässliche Referenz sind. Das war schon früher im Englischunterricht an der Schule, der ja verpflichtend ist, immer ein problem. "Ich habe das aber in einem Liedtext so gehört" oder "im Urlaub in London hat das aber jemand so gesagt" etc. entgegneten Mitschüler häufig, wenn der Lehrer einen Fehler korrigiert hat. Man darf sich da nicht auf Sprachpraxis verlassen sondern sollte gerade als Nichtmuttersprachler tunlichst auf korrekte Grammatik und Vokabeln achten und dabei sukzessive einen eigenen Sprachstil entwickeln. Die "Freiheit" sich Grammatik und Vokabeln intuitiv zurechtzubiegen, ohne sich dabei zu blamieren oder gar unverständlich zu werden, hat eben nur ein Muttersprachler. Das ist das letzte was ich zu dem Thema sage. ;)
Stückgut-Schnellverkehr
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Beitrag von Stückgut-Schnellverkehr »

@Threadersteller:

Aufhänger für deinen Shitstorm passt nicht... denn mit "site concrete" ist Baustellenbeton gemeint. Ist halt der Unterschied zwischen Oxford-Englisch und techn. englisch...

Darfst aber noch einmal...
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

Stückgut-Schnellverkehr @ 20 Feb 2013, 13:51 hat geschrieben:Aufhänger für deinen Shitstorm passt nicht... denn mit "site concrete" ist Baustellenbeton gemeint.
Also zieh ich 1/3 meiner Kritik an diesem Satz zurück: "site concrete" ist tatsächlich "Ortbeton". Aber "is produced to", "SO" (Schienenoberkante!) und Satzstellung sind noch immer falsch.
(Dafür ist mein "rail head"=Schienenkopf auch nicht ok: Es müsste schon "rail surface" oder so irgendwas heißen).

Was mich wundert, ist auch eigentlich nicht dieser oder jener Satz (die sind in englischen Originalveröffentlichungen von Technikern oft auch ziemlich daneben). Was ich nicht verstehe, ist diese "Selbstverständlichkeit, dass das falsch sein kann" - oder ist es noch mehr?: Der Glaube/die Einbildung, dass es tatsächlich richtig ist?? Denn die Alternative könnte ja nur sein, dass es dem Autor egal ist - d.h., die Außenwirkung der eigenen Firma kann ruhig mies sein.

Interessanterweise wird auf dieses Thyssen-Handbuch sogar aus der englischen Wikipedia unter den "External links" des Stichwortes Track (rail transport) - vielleicht bin ich ja doch päpstlicher als der Papst ...
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
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