Jetzt muss ich diesen etwas älteren Beitrag aus
diesem Thread doch mal kommentieren...
Fichtenmoped @ 2 Jun 2014, 18:08 hat geschrieben:http://diepresse.com/home/panorama/oesterr...=/home/index.do
Studie: Tempo 30 spart keine Emissionen
Eine Temporeduktion im Ortsgebiet von 50 auf 30 km/h bringt nicht weniger, sondern in manchen Fällen sogar mehr Emissionen, berechnete ein Institut der TU-Wien.
Bevor man den Zeitungsartikel kommentiert, sollte man sich vielleicht die Studie erst mal
herunterladen und durchlesen.
Wenn man sich die Studie mal komplett anschaut, ist auf S.8 im pdf die Abb.2 sehr aufschlussreich. In der Tat entstehen Emissionen größtenteils bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen. Aber eine Reduktion dieser Vorgänge ist auch eines der Ziele von flächendeckendem Tempo 30. Bei Zielgeschwindigkeit 50 sind die Fahrkurven deutlich ungleichmäßiger als bei Tempo 30, es gibt einfach Verkehrssituationen, in denen man nicht 50 fahren kann, die aber bei Tempo 30 keinen Bremsvorgang erfordern. Und wenn man die grüne Tempo 50-Kurve mit der blauen Tempo 30-Kurve vergleicht, sieht man, dass bei geringerer Geschwindigkeit deutlich gleichmäßiger gefahren wird. Das gilt natürlich nicht, wenn man die Straßen dann an einigen Stellen mit Bodenwellen oder sonstigen Baumaßnahmen ausstattet, dann fahren die meisten schnell und bremsen nur kurz und stark an den Hindernissen ab.
Nun ist es aber unrealistisch, Tempo 30 hinzuschreiben, die Straße aber nicht umzugestalten, weil sich dann niemand an die Begrenzung hält, dazu gab es eine Untersuchung in Halle, die sich auch mit Emissionen bei Geschwindigkeitsbegrenzung beschäftigt hat. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten, Verkehr zu beruhigen, ohne sehr ungleichmäßige Fahrkurven zu verursachen:
-
Berliner Kissen oder
Aufpflasterungen, besonders im Bereich von Kreuzungen und Einmündungen oder an Querungshilfen für Fußgänger, die nicht so extrem sind wie die klassischen
Bodenwellen.
-Verengung der Fahrbahn, um beispielsweise Fahrradstreifen, Parkbuchten oder Grünstreifen einzurichten
-Kreisverkehre
-Optische Verengung des Straßenraums z.B. durch Pflanzen von Bäumen
-Regelmäßige Geschwindigkeitskontrollen
Tabelle 2 auf S.14 behauptet interessanterweise zunächst mal genau das Gegenteil der Kernaussage der Studie. Bei den heutigen Fahrzeugen würden bei Geschwindigkeitsreduktion auf dem Wiener Gürtel die Emissionen von NOx, NO2 und CO fallen, PM, CO2 und HC dagegen ansteigen. CO spielt heute kaum noch eine Rolle, kann also mehr oder weniger vernachlässigt werden. NOx, NO2 und PM sind heute die Hauptprobleme, zumal NOx und NO2 (und HC) auch noch starke Wechselwirkungen mit bodennahem Ozon haben und einen Abbau verhindern. PM-Emissionen sind extrem komplex, die auch durch Abrieb und Aufwirbelung entstehen, das ist sehr schwierig zu beurteilen und hängt auch von Messmethoden ab. CO2 würde statisch (also ohne Nutzerreaktionen) wohl ansteigen, aber keinesfalls dynamisch (mit Nutzerreaktionen). Denn wie die Tabellen 3 und 4 erläutern, wird die Durchschnittsgeschwindigkeit des (motorisierten) Verkehrs deutlich zurückgehen. Es besteht allgemeiner Konsens bei Verkehrsplanern darin, dass im Durchschnitt jeder Mensch in etwa dieselbe Reisezeit pro Tag zur Verfügung hat (im Durchschnitt 60-70 Min./Tag, hat sich im Wesentlichen seit Jahrhunderten nicht geändert und gilt weltweit), unabhängig davon, wie groß die zurückgelegte Entfernung in dieser Zeit ist. Wenn man nun mit dem Auto in derselben Zeit nicht mehr so weit kommt, fährt man auch nicht mehr so weit. Selbst wenn es dann zu einer geringfügigen Steigerung der Emissionen pro km kommt, wird die Summe der Emissionen deutlich geringer, weil die Wegelänge zurückgeht.
Beispiel: Vor der Geschwindigkeitsreduzierung verbraucht ein Auto 7l/100km und erzeugt auf 1km 160g CO2. Nach der Geschwindigkeitsreduzierung sinkt die PKW-Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Wiener Gürtel von 42,5 auf 31,5 km/h, also um 26%. Gleichzeitig steigen die CO2-Emissionen pro 100km um 10% an. Wegen der Reisezeitverlängerung wird die Wegelänge des Autoverkehrs um etwa 26% fallen, statt 1km werden dann nur noch 0,74 km gefahren. Auf 1km würden 176g CO2 ausgestoßen werden, aber wegen der geringeren Fahrleistung des Fahrzeugs würde auf den 0,74km nur noch 130g CO2 ausgestoßen.
Der nichtmotorisierte Verkehr würde gestärkt und jede so ersetzte PKW-Fahrt würde die Emissionen um 100% reduzieren, auch der ÖPNV würde profitieren. Selbst wenn die Durchschnittsgeschwindigkeit der Busse um 3km/h sinken wird, die der U-Bahn und Tram auf eigenem Gleiskörper würde nicht sinken und damit einen Vorteil gegenüber dem MIV bekommen.
Im Übrigen gibt es ja nicht nur Schadstoffemissionen, auch Lärm würde reduziert werden und die Sicherheit erhöht. Insbesondere diesbezüglich bin ich doch etwas vom Fazit der Studie enttäuscht. Dass es in Wien extrem wenig Verkehrstote pro 100000 Einwohnern im Vergleich zu den anderen Bundesländern gibt, dürfte nicht wirklich überraschen. Schließlich gibt es in Wien ja fast ausschließlich Stadtstraßen und mit Abstand die meisten Verkehrstoten gibt es sowohl in
Deutschland als auch in
Österreich auf Landstraßen. Zur Verdeutlichung der Verbesserung der Sicherheit in der Stadt ist es vielleicht ganz sinnvoll zu wissen, dass ein Kind, das in einer Entfernung auf die Straße rennt, bei der das Auto bei Tempo 30 gerade noch zum Stehen kommt, bei Tempo 50 ungebremst angefahren wird und eine etwa 30%-Chance hat, nicht zu überleben.
Der ausgebremste Wirtschaftsverkehr ist in der Tat ein Problem und auch eines der Sorgenkinder bei der Verkehrsplanung, zumal sich eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel recht schwierig gestaltet. Aber es gibt nie eine Lösung, die für alle nur Vorteile bringt, Kompromisse sind unumgänglich.
Dass der Pendlerverkehr ausgebremst wird, ist dagegen kein ernstzunehmendes Problem, da gibt es schließlich genug Alternativen, sei es, näher an den Arbeitsplatz zu ziehen, mehr zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren oder öffentlich zu fahren. Die passende Jahreskarte für 365€ gibt es ja dafür in Wien.
An den Ergebnissen dürfte sich auch bei Betrachtung der Fahrzeugflotte 2025 nichts wesentlich ändern. Selbst wenn die Emissionen pro km noch weiter ansteigen, wird das durch die geringere Fahrleistung immer noch kompensiert und die externen Kosten reduziert.
Glückwunsch, wer sich das alles durchgelesen hat. Ich hoffe, dass das alles einigermaßen verständlich ist
