Was passiert bei falschen Spannungen?

Rund um die Technik der Bahn
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Matse.P
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Beitrag von Matse.P »

Hallo Leute!
Eine technische Frage:
Was passiert bei einer modernen E-Drehstromlokomotive, z.B. einer DB BR 101 oder BR 146 usw. wenn die Fahrdrahtspannung nicht den Vorgaben entspricht?

Im Speziellen: Was passiert, wenn die Spannung deutlich zu hoch ist oder das System nicht passt (AC oder DC)?

Ich frage das aus folgendem Grund:
In Bad Bentheim wird auf der IC-Linie Amsterdam - Berlin die DB BR 101 gegen eine NS 1700 ausgetauscht. Dazu fährt zum Beispiel aus Holland kommend der IC mit der NS 1700 in den Bahnhof Bad Bentheim auf 1,5kV DC ein, fährt dann in ein Nebengleis, der Fahrdienstleiter schaltet auf 15kV 16,2/3 Hz AC um und dann fährt eine weiter hinten auf dem Hauptgleis wartende BR 101 vor den Zug und zieht ihn weiter nach Berlin.

Auf dem Weg nach Amsterdam geht das Spiel in die andere Richtung.

Ich frage mich nun, was passieren würde, wenn der Fahrdienstleiter aus Fehlbedienungen heraus nun der NS 1700 zum Beispiel 15kV AC auf den Bügel brät oder die BR 101 durch irgendeinen Fehler unter 1,5kV DC gerät ...

So aus der Intuition als Automobil-Ingenieur heraus würde ich jetzt vermuten, dass die BR 101 als Drehstromlok mit ihren Vierquadrantenstellern, Saugkreisdrosseln und Filtern als Gleichrichter für den Zwischenkreis mit 1,5kV DC kein wirklich gravierendes Problem haben sollte. Wahrscheinlich würde der Steuerteil des 4QS merken, dass die Versorgungsspannung so gar nicht passt, den Hauptschalter schmeißen, schlicht die Arbeit mit Fehlermeldung einstellen und dem Lokführer sagen, der Fahrdraht hat nicht die richtige Spannung ...

Aber was macht die NS 1700? Eine Lok für 1,5kV DC mit 15kV AC befeuert, da fliegt einem doch bestimmt in der Lok alles um die Ohren, oder nicht?

Mir ist schon klar, das darf alles nicht passieren. Ich weiß aber, wenn ich mir die Unfallberichte der Eisenbahnunfall-Untersuchungsstelle des Bundes EUB so durchlese dass mir das ein ums andere Mal Angst und Bange wird was dann doch alles falsch gemacht wird und passiert owohl es nicht dürfte ... Man müsste schon beinahe der DB selbst aber auch vielen anderen EVUs die Fähigkeit absprechen, einen sicheren Zugbetrieb durchzuführen wenn nach Zwangsbremsungen mehrfach gegen haltzeigende Signale unter bewusster Umgehung der PZB ohne Kontakt zum FDL angefahren wird (Mannheim HBF) oder Weichen unter fahrenden Zügen geschaltet werden weil die Fahrstraßen dann doch gegen jede Regeln der Technik mit Hilfstasten aufgelöst werden oder Weichen absichtlich befahren werden die sich nicht in Endlage befinden ... Somit ist also auch denkbar, dass die NS 1700 mal 15kV AC abbekommt ...

Kleine Frage nebenbei: Nach Aussage der Bahntechnik werden Mehrsystemdrehstromlokomotiven so gebaut, dass sie unter den beiden AC-Varianten (15 und 25kV) über den 4QS den Zwischenkreis versorgen und wenn sie unter DC fahren wird diese Versorgung direkt auf den Zwischenkreis gegeben unter Umgehung des 4QS. Deswegen haben die dann mehrere Pantographen auf dem Dach, zwei für AC und zwei für DC. Warum macht man sich diesen Aufwand? Es sollte für den 4QS auch kein Problem sein, die DC-Ströme durchzuleiten und dann könnte ich doch mit einem Pantografen für alle Stromsysteme fahren und hätte nicht den Aufwand auf dem Dach. Oder kann der 4QS die größeren Ströme bei DC nicht verknusen? Aber die Leistung ist ja sagen wir 6,4 MW, egal ob die Lok unter DC oder AC führe ...

Fragen über Fragen ...

Danke für die Antworten ...

LG,
Matthias
ropix
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Beitrag von ropix »

Vor die Leistungselektronik bei AC-Loks hat man aber immer einen Trafo gesetzt der mit DC durchaus ein unlösbares Problem hätte.

Defakto legt man einen Bügel an, dann kommt das Spannungsmessgerät und wenn das nicht feststellt dass eine geeignete Spannung anliegt bekommst du den Hauptschalter nicht rein. Sollte das Spannungsmessgerät sofort abrauchen weil es statt 3 Kv 25 Kv abbekommen hat bekommt man den Hauptschalter ebenfalls nicht rein.

Zumindest für die Stadtbahn Kassel gibt es aber die Urban Legend dass sie früher mal ein paar mal Diesel-EBO-Bahnen (die nur für 750 Volt und Dieselbetrieb geeignet sind) stellenweise neu aufgebaut haben weil eben doch unter 15 Kv aufgebügelt bis man die Dachausführung komplett 15-Kv-kompatibel gebaut hat.

Fehlschaltungen passieren durchaus. Gehen aber meist glimpflich aus weil entweder der Lokführer noch merkt dass die falsche Spannung leuchtet wo man eine passende Anzeige dafür hat oder eben siehe vorher.

Die unterschiedlichen Bügel hat man auch wegen unterschiedlichen Oberleitungsprofilen und Bauarten.
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mapic
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Beitrag von mapic »

Zu den Stromabnehmern: Auch wenn rein elektrotechnisch gesehen weniger Stromabnehmer reichen würden, benötigt man aber für die unterschiedlichen Länder sowieso eigene, weil einfach die Fahrleitungsgeometrie unterschiedlich ist. Da sind also ohnehin eine andere Schleifleistenbreite oder Anpressdruck notwendig, ganz unabhängig von der Spannung.
Man kann z.B. auch nicht mit der Schleifleiste für Deutschland/Österreich in die Schweiz fahren, obwohl die Spannung sogar die gleiche ist. Dort müssen die Schleifleisten einfach schmaler sein. Man hat dann zwar zwei AC-Stromabnehmer auf dem Dach, kann aber immer nur einen davon verwenden.

Und DC-Stromabnehmer sind meistens schon deshalb ganz anders aufgebaut, weil sie höhere Ströme übertragen müssen. Die Schleifleisten sind dann oft deutlich dicker und breiter (in Längsrichtung), oder es gibt sogar drei statt zwei Schleifleisten.
ropix
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Beitrag von ropix »

Ganz abgesehen vom Material das für die Schleifleisten verwendet wird.

https://de.wikipedia.org/wiki/Stromabnehmer...2FSchleifleiste
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Matse.P
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Beitrag von Matse.P »

OK, danke!

Mein Frage ist vielleicht naiv, ich bin halt nicht vom Fach ...

Sobald die Spannung vom Fahrdraht abfällt, fällt dann automatisch der Hauptschalter?

Wäre es also so, dass wir sagen wir mal aufgebügelt und aufgerüstet mit der BR 101 unter 15kV AC stünden und dann der FDL auf 1,5 kV DC umschaltet würde, dass die Lok bemerkt dass die 15 kV AC abgeschaltet werden und dann sofort den Hauptschalter schmeißt noch bevor die Unterwerkstechnik die 1,5kV DC auf den Fahrdraht schaltet? Reicht dann für die Lok ein Nulldurchgang in der AC-Amplitude um den Hauptschalter zu schmeißen?

Es gibt ja auch Strecken, wo eine Nullspannungsstrecke in der Oberleitung ist, wo also gar nicht umgeschaltet wird sondern der Zug die Strecke einfach ohne Antrieb durchrollt ... Auch hier. Ginge das aufgebügelt? Aber dann fiele auch der Hauptschalter sobald die Spannung am Fahrdraht wegwäre, richtig?

Ab wann spricht der Unterspannungsschutz denn eigentlich an? Würde der Hauptschalter auch bei 12kV, 10kV oder 9kV fallen?

Was wäre für die 15kV-16,2/3Hz-AC-Lok eigentlich das Problem, unter 25kV-50Hz zu fahren? Klar muss die Isolation die höhere Spannung abkönnen, aber gibt es für den Trafo und die Leistungselektronik noch ein Problem mit den 50Hz statt 16,2/3Hz?

LG,
Matse
mapic
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Beitrag von mapic »

Matse.P @ 20 Dec 2015, 12:24 hat geschrieben:Sobald die Spannung vom Fahrdraht abfällt, fällt dann automatisch der Hauptschalter?
(...)
Ab wann spricht der Unterspannungsschutz denn eigentlich an? Würde der Hauptschalter auch bei 12kV, 10kV oder 9kV fallen?
Ja, aber wie schnell das geht und wie weit sie abfallen muss bis es zur Auslösung kommt, das hängt ganz vom Fahrzeug ab. Ältere Loks sind da wohl noch deutlich unempfindlicher. Ich habe jedenfalls mal gehört, dass man z.B. mit älteren SBB Loks unter 11kV noch fahren konnte (Dreischienengleis im RhB-Netz). Mit den neueren geht das nicht mehr.
Matse.P @ 20 Dec 2015, 12:24 hat geschrieben:Es gibt ja auch Strecken, wo eine Nullspannungsstrecke in der Oberleitung ist, wo also gar nicht umgeschaltet wird sondern der Zug die Strecke einfach ohne Antrieb durchrollt ... Auch hier. Ginge das aufgebügelt? Aber dann fiele auch der Hauptschalter sobald die Spannung am Fahrdraht wegwäre, richtig?
Das nennt sich Schutzstrecke, und dort muss sowieso zumindest der Hauptschalter ausgeschaltet werden. Es gibt auch Fälle in denen sogar abgebügelt werden muss.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzstrecke
rabauz
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Beitrag von rabauz »

Ich hab von einem Tiroler gehört dass die Italiener sich wohl einen Spass gemacht haben und früher wenn die Österreicher Korridor fuhren hin und wieder die Spannung soweit vermindert haben dass es dem Österreicher den Hauptschalter rausgehauen hat. Den Spass habe man den Italienern mit der Taurus verdorben, die da toleranter sei. ICE1 jedensfalls dürfte auch recht tolerant sein, der kurvt(e) doch auch hin und wieder da bei Interlaken auf einer 11kV Strecke rum, ebenso gabs ja das USA Abenteuer, freilich mit Softwareänderungen.
ropix
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Beitrag von ropix »

Matse.P @ 20 Dec 2015, 12:24 hat geschrieben: Was wäre für die 15kV-16,2/3Hz-AC-Lok eigentlich das Problem, unter 25kV-50Hz zu fahren? Klar muss die Isolation die höhere Spannung abkönnen, aber gibt es für den Trafo und die Leistungselektronik noch ein Problem mit den 50Hz statt 16,2/3Hz?
Ja.

also ersten sind die meisten die von der Isolierung her drauf ausgelegt sind tatsächlich auch zweisystemfähig. 15 Kv-Bahnen steigen bei ich glaub spätestens 21, normalerweise aber irgendwo zwischen 18 und 20 Kv? aus, wärend die 25 Kv-Bahnen sich ja durchaus mal bis zu 28 Kv genehmigen können. Du hast bei Bahnen keine Chance neben der Frequenz auch noch die Spannung stabil zu halten. Da müsste das System ja wissen wann ein Lokführer gedenkt aufzuschalten. Oder noch schlimmer wann er von Fahrenergie beziehen gedenkt auf Bremsenegerie einspeisen umzuschalten. Ansonsten tut der das einfach und kein Regelsystem der Welt käme dann noch hinterher mit nachregeln. Bremsenergie zurückspeisen funktioniert ja indem man die Spannung ein bisserl anhebt und dann hofft der Gewinner im Energieabgabeprozess zu werden :)

Grad bei Gleichstromstadtbahnen mit nominell 750 Volt braucht man dann schonmal die vierte Stelle :D

Dann: Gibt es irgendwelche Nebenbetriebe auf der Lok, Kompressor z.B. die direkt am Trafo hängen und dabei Frequenz und Spannungsmäßig völlig überfordert wären?

Hat die Loks die für die Signaltechnik nötigen Filter für das Fremde Land dabei? Deutsche Eisenbahn mag es z.B. gar nicht wenn man auf 100Hz irgendwelche Frequenzen verbreitet, die Franzosen haben ein Problem mit 40Hz.

(Anmerkung am Rande: Dieselstrecken in Westdeutschland haben auch ein Problem mit 50 Hz, kaum war das Unternehmen Zukunft gebohren und fuhren bei uns auch Dieselloks aus Ostdeutschland die für die Zugsammelschiene 50Hz produzieren schon gab es teils erhebliche Probleme mit der Gleisfreimeldung. Noch heute ist in manchen Bahnhöfen ein Heizverbot für ostdeutsche Loks ausgesprochen)
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Matse.P
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Beitrag von Matse.P »

Danke für Eure ausführlichen Antworten!

Da sehe ich jetzt schon klarer bzw. bin weiter technisch sensibilisiert ...

LG,
Matthias
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