Zuerst besuchen wir Bekannte in Ahmedabad. Die 5-Millionenmetropole auf halbem Wege zwischen Delhi und Mumbai ist hierzulande völlig unbekannt. Ausländer sind dort die absolute Ausnahme und ich wurde das Gefühl nicht los, dass wir immer wieder angestarrt wurden. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Szene, als wir in einer Rikscha im Stau stehen und ein Mopedfahrer neben uns verwundert seinen Helm abnimmt, um uns die Hand zu schütteln.
Eine typische Straße in einem weiter außerhalb liegenden Stadtteil

Die bauliche Trennung in der Mitte sieht man recht häufig. Auf diese Weise lässt sich die chaotische Fahrweise zumindest teilweise eindämmen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Mofas, Fahrräder und Rikschas nicht auch in die falsche Richtung fahren. Fußwege gibt es in der Regel nicht. Insbesondere zu Monsunzeiten sicher eine ziemlich matschige Angelegenheit…
Der Linksverkehr macht die Orientierung für uns nicht leichter.

Mit einem der rustikalen Busse bin ich leider nie gefahren, ich bereue es noch heute, stattdessen mit der Rikscha durch die halbe Stadt zu einem Museum gefahren zu sein, nur um festzustellen, dass es an diesem Tag geschlossen hatte.
Die zahlreichen Verkaufsstände am Straßenrand gehören dazu. Es werden Eier, frisch gepresste Säfte (es empfiehlt sich, einen eigenen Becher mitzunehmen, da die angebotenen definitiv nicht nach jedem Gast gereinigt werden), Früchte, die man hierzulande noch nie gesehen hat, Fleisch (natürlich bei 30° ungekühlt in der Sonne), diverser Krimskrams sowie alles was man sich vorstellen kann angeboten. Wir wurden eindringlich gewarnt, keine zubereiteten Speisen zu kaufen, weil die miserablen hygienischen Verhältnisse schnell zu einem Reisedurchfall führen können. Eier oder schälbare Früchte stellen jedoch keine Gefahr dar.
Außerdem sei noch angemerkt, dass die Randstreifen nachts zu Schlafstätten werden. Selbst unter den Obdachlosen gibt es deutliche Unterschiede. Manch einer platziert seine Matratze noch auf einem Gestell, andere müssen mit einem Schlafsack in der nächsten Bushaltestelle vorliebnehmen.
Beim Thema Armut ist Indien berühmt-berüchtigt. Wenn ich mich recht erinnere, mussten damals rund 2/3 der Bevölkerung mit weniger als 2$ pro Tag auskommen. Der Monatslohn einer Putzkraft lag bei etwa 100€, Lehrer einer staatlichen Schule verdienten rund 400€.
Bekannt ist Indien für seine Slums. Ich habe mir das immer als abgetrennte Stadtviertel in der Peripherie vorgestellt. Diese Vorstellung ist keineswegs zutreffend. Vielmehr sieht man immer wieder Zelte auf einem freien Grundstück oder eine kleine Ansammlung Hütten.

Das Außergewöhnliche sind sicher die extremen Kontraste. Während man bei uns von guten und schlechten Vierteln einer Stadt spricht, stehen in Indien Villen neben Hütten.
Indien und Kühe würde wohl Stoff für ein ganzes Buch bieten.

Derartige Bilder könnten in hundertfacher Ausführung entstanden sein. Es ist also keineswegs so, dass ich schnell die Kamera rausziehen musste, um das Klischeebild schlechthin zu machen. Und nicht vergessen, wir befinden uns in einer 5-Millionen-Stadt. Die Lage des Stadtviertels könnte man etwa wie Harthof zur Innenstadt vergleichen.
Meistens handelt es sich um alte Kühe, die keine Milch mehr geben und von den Besitzern freigelassen werden, um sich nicht mehr um sie kümmern zu müssen. Da sie heilig sind, dürfen sie nicht geschlachtet, wohl aber angehupt werden.
Wie man schon erkennen kann, entstand das vorherige Bild aus einer Rikscha. Dabei handelt es sich um ein äußerst beliebtes Verkehrsmittel. Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Erstens ist sie immer und überall verfügbar, in einem Land mit damals weniger als 1 PKW pro 100 Einwohner (heute sind es etwa 1,5) ein nicht zu unterschätzender Faktor. So sieht es an jeder größeren Kreuzung aus.

Zweitens ist es ein günstiges Verkehrsmittel. Eine Fahrt durch die ganze Stadt über etwa 20 km kostet rund 2€. Drittens ist es einfach viel entspannter, als selbst am Steuer zu sitzen. Aus diesem Grund nutzen auch Einheimische, die sich ein Auto leisten können, gerne Rikschas. Viertens ist der ÖPNV oft von bescheidener Qualität. Damals gab es in Ahmedabad eine BRT-Linie und eine zweite in Bau. Der Bau von Metros schreitet aber im ganzen Land stark voran und sorgt für wirksame Verkehrsentlastung.
Fünftens kommt man mit den kleinen Fahrzeugen viel besser durch den Stau als mit dem Auto oder Taxi. Dies dürfte wohl auch der Grund sein, warum ich keinen einzigen Gelenkbus gesehen habe. Das liegt sicher nicht daran, dass man sie vom Fahrgastaufkommen her nicht brauchen würde.
Noch besser geht es natürlich mit dem Mofa voran. In der Rikscha ist man doch etwas besser geschützt, obgleich es selbstverständlich keine Sicherheitsgurte gibt, fünf oder mehr Personen in einer Rikscha völlig normal sind (Wir waren auch einmal testweise mit 3 Erwachsenen und 2 Kindern zusätzlich zum Fahrer unterwegs) und die Blinker nie, die Scheinwerfer abends eher selten funktionieren. Wenn man wirklich einen Fahrtrichtungswechsel ankündigen möchte, streckt man die Hand aus.
Weiter zum Thema Ampeln.

Damals waren in Ahmedabad viele Ampeln noch recht neu und erst kürzlich errichtet. Ja, aber warum sind sie dann aus? Sind sie etwa schon wieder kaputt? Nein, sie werden nur in der HVZ eingeschaltet. Sonst würde sich eh keiner dran halten. Recht häufig ist auch die Regelung durch Verkehrspolizisten.
Vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen oder -regeln im klassischen Sinne existieren nicht. Im Zweifel fährt zuerst, wer a) lauter gehupt hat oder b) das größere Fahrzeug besitzt. Es sei noch anzumerken, dass der VW im Bild eine absolute Ausnahme im Fahrzeugpark darstellt. Die überwiegende Mehrheit stammt vom indischen Hersteller Tata.
Nach meiner Beobachtung sind Ampeln jedoch unverzichtbar auf dem Weg zu besseren Verkehrsverhältnissen. An Kreuzungen mit eingeschalteter (und beachteter Ampel) läuft der Verkehr um ein Vielfaches flüssiger als an Kreisverkehren oder ungeregelten Kreuzungen.
Wie viele Kilometer dieser Bus wohl schon auf dem Tacho hat?


Zugang zur BRT-Haltestelle. An jeder Haltestelle kann am Schalter ein Ticket erworben werden. Je nach Entfernung kostet das 5 bis 10 Cent. Es werden Busse mit Hochflureinstieg und ohne Klimaanlage eingesetzt.
Der Vorteil des BRT ist die eigene abgetrennte Trasse in Straßenmitte. Niemand hat sich getraut, dort unerlaubterweise zu fahren. Nur an den Kreuzungen wird der Bus ausgebremst.

Eine Nebenstrecke am Stadtrand von Ahmedabad. Angesichts der zahlreichen Lebewesen auf den Gleisen ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Züge quasi mit Dauerpfeifen unterwegs sind.
In gut 13 Stunden legt der schnellste Nachtzug die knapp 1000 km zwischen Ahmedabad und Delhi zurück. Die Fahrkarte hatten wir zwei Monate vorher online gebucht, denn indische Züge sind sehr stark nachgefragt. Angesichts der Fahrgastzahlen ist das nicht weiter verwunderlich. Während in Deutschland jährlich etwa 2 Milliarden Fahrgäste mit der Bahn fahren, sind es in Indien 5 Milliarden. Angeblich ist die indische Bahn der größte Arbeitgeber der Welt und, worauf man damals sehr stolz war, der Bahnbetrieb ist kein Zuschussgeschäft. Eine Fahrkarte im 4er-Liegewagen mit Klimaanlage kostet 20€. Wenn man keinen Platz mehr im gewünschten Zug bekommt, gibt es eine Waiting List. Sobald dann jemand seine Fahrkarte storniert, wird die Waiting List nach und nach bestätigt. Je später man storniert, desto mehr muss man bezahlen. Inlandsflüge kosten aber dennoch ein Mehrfaches der Bahnfahrt.
Wenn man wirklich dringend und kurzfristig fahren muss, kann man immer eine Fahrkarte der General Class lösen. Der günstigste Preis für die Strecke Ahmedabad – Delhi lag bei weniger als 2€. Dann sollte man aber gut auf sein Gepäck aufpassen und kein Problem damit haben, die komplette Strecke stehen zu müssen.
Nach der Ankunft am Bahnhof kam dann bald die Durchsage, dass unser Zug anderthalb Stunden Verspätung hat. Aus Deutschland ist man ja bezüglich siffiger Bahnhöfe abgehärtet, doch der Bahnhof Ahmedabad war der erste richtige Schock nach 5 Tagen.

Der Geruch, die Überfüllung und das Ambiente lassen sich auf dem Bild nicht einmal erahnen. Man muss es einfach selbst erlebt haben. Zwischen den Fäkalien und Essenresten im Gleisbett wuseln hunderte Ratten umher. Allein schon deswegen würde ich darauf verzichten, quer über die Gleise zu rennen.