Tag 8 Lemberg
Heute sind nach einigen Tagen mal ein paar Wölkchen am Himmel zu sehen. Eigentlich möchte ich mit der 7 nach Nordwesten Richtung Tatarbunarska fahren. An der Endstation scheint es einen guten Blick auf die Eisenbahnstrecke zu geben, der in der Mittagszeit obendrein schön im Licht liegt. Welche Vorteile doch Google Streetview bringt…
Während ich auf die Tram warte, beobachte ich das Verhalten der durch Zäune geplagten Fußgänger. Bei Sperrung wegen Baustelle bleibt da nur ein beherzter Sprung…
Nach wenigen Minuten fährt eine 7 vor, doch schon an der nächsten Haltestelle werden alle Fahrgäste vor die Tür gesetzt und die Bahn vorzeitig gewendet.
Während ich auf den Folgekurs warte, beobachte ich eine Straßenbahnfahrerin, die am zwischen Ohr und Schulter geklemmten Handy telefoniert. Dabei verkauft sie Fahrkarten und fährt die Tram. Die Handynutzung ist hier noch exzessiver als bei uns. Angesichts dieser Verkehrsverhältnisse müssen die Fahrerinnen wahre Multitasking-Talente sein.
Allzu lange dauert es nicht, bis die nächste 7 eintrifft, doch wieder werden alle Fahrgäste rausgeschmissen. Da entdecke ich gerade die Niederflurbahn auf der 6 in Gegenrichtung, die von hinten eher an einen Bus erinnert.

Aufgrund der Gleisführung auf dem rechten Fahrstreifen besitzen alle Bahnen einen linken Außenspiegel.
Ich beschließe, ihr mit der nächsten 6 zu folgen und auf ihre Rückkehr zu warten. Mit etwas Glück könnte ich sogar den eigentlich in Tatarbunarska umzusetzenden Zug am Bahnhof Pidzamce erwischen.
Nach kurzer Zeit trifft die nächste 6 ein.
Seit 2013 werden im Lemberg 100% niederflurige Trambahnen vom Typ Electron T5L64 eingesetzt. Vermutlich ist die EU im Rahmen von Drittstaatenförderprogrammen an ihrer Beschaffung beteiligt.
Als ich am Bahnhof ankomme, fährt der Zug gerade ein. Grmpf.
Also widme ich mich wieder der Tram.
Der Geraer 1160 befährt die im Jahr 2015 erneuerten Gleise. Abgesehen von den Weichen befinden sich die Strecken im Nordosten in gutem Zustand.
Bei
Streetview kann man die Holperpiste vor der Modernisierung sehen.
Ein paar Hundert Meter weiter fährt mir 1170 vor die Linse
Keiner der Passanten motzt, keiner spricht mich an. Dabei muss ich hier auffallen wie die neongelbe Niederflurbahn im grauen Stadtbild.
Schließlich biegt das Objekt der Begierde um die Ecke.
Nach dem Bild sprinte ich über die Straße zur Haltestelle. Mit ohrenbetäubendem Warnton schließen die Türen. Er klingt nach einer Mischung aus Feueralarm, Sirene und Talent 2. Auch wenn das Fahrverhalten deutlich ruhiger als in den Tatras ist, gebe ich den Altwagen ganz klar den Vorzug. Die KT4SU haben wenigstens Schiebefenster. Im Neufahrzeug ist es mangels Klimaanlage dank Klappfenstern furchtbar stickig.
Nach ein paar Stationen steige ich in die Tramlinie 5 um, die direkt nachfolgt.

Ich passiere das Stadtzentrum auf der östlichen Umfahrung. Die Kreuzung am südöstlichen Rand der Innenstadt scheint ein neuralgischer Punkt zu sein, denn für eine Haltestelle brauchen wir über zehn Minuten. Ein Mann sitzt inmitten des Verkehrschaos auf seinem Mountainbike und wartet die Grünphase ab. Auf dem Gepäckträger hat er einen Kindersitz montiert, in dem ein kleines Mädchen sitzt. Wer in dieser Stadt mit den Löchern und hervorstehenden Schienen Fahrrad fahren will, ist mit einem Mountainbike sicher gut beraten.
Werfen wir einen kurzen Blick auf den Radverkehr.
Vor dem EM wurden einige Radwege angelegt, noch erfreuen sie sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht allzu großer Beliebtheit.
Seit März 2016 bietet Nextbike auf dem Marktplatz Bikesharing an. Dieses Angebot wurde durch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert. Ganz abgesehen von den chaotischen Verhältnissen des Straßenverkehrs bezweifle ich, dass dieses Projekt in naher Zukunft Erfolg haben wird.
Die Variante ohne Abo ist mit knapp 2€ pro Stunde viel zu teuer. Vermutlich sollen mit diesem Angebot Touristen erreicht werden, deren Zahl jedoch äußerst begrenzt ist und eine gewisse Lebensmüdigkeit muss auch vorhanden sein, um sich das anzutun. Bei einem abgeschlossenen Abo sind die Stundenpreise mit 2 bis 4 Grivna etwa auf dem Niveau einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, doch der sprunghafte Preis nach 90 Minuten dürfte recht abschreckend wirken, zumal es nur sieben Stationen im Stadtgebiet gibt.
Ich möchte eigentlich in den Obus 11 umsteigen, doch wie überall in der Stadt sind die Umsteigewege äußerst lange. Daher kann ich die Obushaltestelle nicht sehen und fahre eine Station zu weit. Da es sich natürlich um eine ziemlich lange Haltestelle handelt, habe ich keine Lust, zurückzulaufen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn eine Straße weiter verkehrt der Obus 25. Diese Linie fährt ein langes Stück parallel zur 11, sodass ich auch später noch umsteigen kann. Der 11er hat auf dem letzten Stück einen schönen Überlandabschnitt, den ich erfahren möchte. Leider fährt er nur im Takt 30.
Ich warte am Rande eines Marktes auf den 25er. Doch der lässt auf sich warten. Zuerst fährt mir ein moderner Niederflurbus vor die Linse.
Marschrutkas kommen und fahren. Autos hupen. Fußgänger schlängeln sich an der Ampelkreuzung durch den Verkehr. Hier gibt es keine Übergangszeit zwischen den Freigaben.
