Sprachprobleme, Triebwagen und Umspurungsanlagen

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
Benutzeravatar
Lobedan
Kaiser
Beiträge: 1550
Registriert: 01 Jan 2016, 15:02

Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 23 Jan 2017, 17:39 hat geschrieben: Überblick über die beiden in kurzem Abstand folgenden Gleisverschlingungen
Bild
Ich schiebe mal noch eine Frage nach: Hatte mein kein Geld für die Verbreiterung der Brücken oder gibt es einen anderen Grund für diese ungewöhnliche Konstruktion?
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

146225 @ 23 Jan 2017, 19:03 hat geschrieben:Ich bin mir auch nicht zu 100% sicher, aber das was Du für einen Düsseldorfer GT8S beschriftet hast, könnte m.E. nach eher ein N-Wagen sein, dessen erster Arbeitgeber die VAG in Nürnberg war?  :unsure:
Du hast völlig recht - danke für die Korrektur. Siehe auch hier.
Eigentlich eine Schande, dass ich über 20 Jahre unweit der polnischen Grenze gelebt und trotz nie eine größere polnische Stadt besucht habe. Wobei ich die meisten Jahre dieser Zeit natürlich kaum Einfluss auf die Reiseziele hatte ...
Das erstaunt mich nicht. Ich finde es erschreckend, in wie vielen Menschen scheinbar noch immer der Eiserne Vorhang im Kopf existiert und für die Osteuropa ein komplett weißer Fleck auf der Landkarte ist. Dazu noch völlig zu unrecht, denn dort gibt es zwar kein Kolosseum und auch keinen Eiffelturm, aber trotzdem viele interessante Sehenswürdigkeiten, für die man weder 20€ bezahlen noch drei Stunden Schlange stehen muss.
Auch zu Beginn des Semesters hat es für große Verwunderung bei der Verwandschaft gesorgt, als ich angekündigt habe, weder das "sinnvolle" Französisch noch Spanisch zu lernen sondern stattdessen einen Tschechischkurs zu belegen. In der ersten Stunde sollte jeder kurz erzählen, warum er sich ausgerechnet für diese "nutzlose" und schwere Sprache entschieden hat. Besonders erschreckend fand ich einen Beitrag, dass es in der Schule keine Möglichkeit gab, Tschechisch zu lernen, obwohl der Ort nur wenige Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt liegt. Wenn man als Deutscher nach Tschechien fährt, setzt man als selbstverständlich voraus, dass man dort verstanden wird...
Ich finde es beeindruckend, wie man den Unterschied zwischen der Ukraine (Nicht-EU) und Polen (EU) sieht und spürt.
Das ging mir ganz genauso. Welch unglaubliche Entwicklung die EU in so kurzer Zeit möglich gemacht hat, merkt man erst, wenn man sie verlässt. Deshalb ist es mir auch völlig unverständlich, warum sie unter anderem in Polen so sehr verhasst ist.
Dann warst du in einem anderen Belarus als ich... Wareniki in Fleischlos gibts eigentlich immer, Zeppeline ebenso (wobei ich grad nicht weiß, ob die in Belarus auch so heißen), Kartoffelpuffer und natürlich viel Gemüse diverse Eintöpfe.
Dann haben wir in der Tat völlig unterschiedliche Auffassungen. Gemüseeintöpfe habe ich in der Ukraine oft gesehen, in Belarus dagegen nicht. Ich sage es mal so: Die Kartoffelpuffer und die belarussiche Küche im Allgemeinen fand ich die ersten drei Tage ganz lecker. Nach fünf Tagen habe ich mir gedacht, jetzt könnte es mal was anderes geben und nach einer Woche hat es mir wirklich gereicht und ich war froh, dass ich in Polen wieder was anderes bekommen konnte. Spontan würde ich auf jeden Fall sagen, dass Belarus für Vegetarier wesentlich schwerer ist als Polen.
Hatte mein kein Geld für die Verbreiterung der Brücken oder gibt es einen anderen Grund für diese ungewöhnliche Konstruktion?
Mir ist kein besonderer Grund für die Gleisverschlingung bekannt, aber ich kann mir das Vermeiden einer Brückenverbreiterung (was abhängig von der Konstruktion auch einen kompletten Neubau bedeuten kann) sehr gut vorstellen.



Tag 19 Krakau -> Berlin

Zügig laufen wir nach dem Frühstück Richtung Bahnhof, nicht ohne uns vorher beim Bäcker mit Proviant eingedeckt zu haben.
Ich hoffe auf klotzgebremste Abteilwägen und bekomme Flirt 3.
Bild
Der Innenraum wirkt recht eng und vollgestopft.

Die massive Rollstuhlrampe mit etwas ungewohnt angebrachtem Türöffner
Bild

Fahrradabteil
Bild

Der Zug ist ziemlich ungleichmäßig ausgelastet, durch die Reservierungspflicht stapeln sich die Fahrgäste in einzelnen Wagen, dafür herrscht einen Wagen weiter gähnende Leere. Zügig rauscht der Flirt mit 160 durch die flache Landschaft und hält erst wieder nach knapp zwei Stunden. Zwischenzeitlich stehen wir auf der Strecke und sammeln +9 ein, doch durch den Aufenthalt mit Richtungswechsel in Lodz sind wir wieder pünktlich.
Bild

Es geht zügig weiter, für die 530 km bis Krzyz benötigen wir nur sechs Stunden. In Polen hat sich beim Gleiszustand und am Rollmaterial wirklich einiges getan.

Einige Fahrgäste essen, etliche beschäftigen sich mit dem kostenlosen WLAN. Möchte man es länger als 15 Minuten nutzen, muss man sich anmelden und dem Versand von Werbung sowie dem Erfassen des Nutzungsverhaltens zustimmen. Eine Frau trommelt auf ihrem Tablet auf fallende Bauklötze, ab und zu klingelt ein Handy. Davon unbeeindruckt stehen Kühe auf der Weide und grasen.
Nach dem zweiten Personalwechsel haben wir schon fast so viele Stempel wie auf dem Europa-Spezial.
Etwas argwöhnisch werde ich von Bahnhofspersonal beobachtet, als ich den Aufenthalt in Strykow abermals fotografisch nutze.
Bild

Wir begeben uns in den Barwagen. Zwar ist hier die Auswahl längst nicht so groß wie im richtigen Speisewagen und es gibt nur Pappteller, doch die Kartoffelpuffer und der Salat werden frisch zubereitet. In Polen gehört ein Herd noch zur Ausstattung von Neufahrzeugen dazu.
Bild

Bild
Ob sich der kleine Speisewagen mit nur drei Tischen wirklich rechnet, ist fraglich. Auf jeden Fall macht er lange Reisen viel angenehmer.

Ein modernisierter EN57-Triebwagen in Poznan
Bild

Ein EN57 weitgehend im Originalzustand
Bild

Zugschluss
Bild
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

In Krzyz verlassen wir den Flirt. Ich hatte eher mit einem kleinen Kaffbahnhof gerechnet, doch es ist ein größerer Knotenbahnhof mit regem Verkehr.
Bild

Bild

Unser Favorit ist auf jeden Fall dieser Zug.
Bild

Schließlich wird unser Triebwagen zur Weiterfahrt bereitgestellt.
Bild

Nach Warten auf Anschluss setzen wir unsere Fahrt mit +3 fort.
Im Zug ist gar nicht wenig los. Mit mindestens 100 rauschen wir über eine zweigleisige, nicht elektrifizierte Strecke der Heimat entgegen. Es gibt unzählige technisch nicht gesicherte BÜ über die Strecke. Aus diesem Grund pfeift der Tf ziemlich oft und ziemlich lange - bei uns wäre das nicht zulässig.
Die Strecke ist mit deutschen Formsignalen ausgerüstet. Auffällig sind die an den Esig nachgerüsteten polnischen Vorsignale, die stets Halt erwarten zeigen und gar keine grüne Lampe besitzen. Höchstwahrscheinlich muss in den Bahnhöfen stets auf Halt eingefahren werden, weil eine Durchfahrt in der Stellwerkslogik ausgeschlossen ist. Als möglichen Grund könnte ich mir das Verhindern fehlerhaften Nachfahrens aufgrund eines nicht auf Halt gestellten Signals vorstellen, wenn das Stellwerk nicht mit einer Wiederholungssperre ausgerüstet ist.
Während es früher ins solchen Fällen (zumindest in Deutschland) zulässig war, dass das Esig Fahrt zeigt und das folgende Asig Halt, widerspricht es natürlich der heutigen Vorstellung eines sicheren Eisenbahnbetriebs, sodass die Vorsignale nachgerüstet wurden.

An den vielen kleinen Bahnhöfen mit mechanischen Stellwerken findet nur spärlicher Fahrgastwechsel statt. Dann klappt der Flügel hoch und der Triebwagen beschleunigt wieder in die Nacht.
Eine sehr sinnvolle Umlaufsperre sieht übrigens so aus:
Bild

Einige zu Haltepunkten degradierten Bahnhöfe bieten das aus Deutschland gewohnte, abgeranzte Bild.

In Gorzów Wielkopolski findet reger Fahrgastwechsel am von der EU finanzierten barrierefreien Bahnsteig statt, die restlichen Bahnhöfe bestehen nur aus ins Schotterbett gelegten Betonplatten. Pünktlich kommen wir in Kostrzyn an. Der Turmbahnhof ist ebenfalls barrierefrei ausgebaut.
Bild

Nur wo steht unsere NEB zur Weiterfahrt?
Bild
Seit März 2016 wird ein tägliches Zugpaar als Direktverbindung von Berlin nach Krzyz angeboten.

Während wir in Polen durchgehend flott unterwegs waren, folgt nach dem Überqueren der Grenze erstmal eine Brücke mit 3er-La, dann eine 2er-La. Da kommt man aus Osteuropa und fährt so langsam wie nie zuvor. Der Zub kommt aus dem offenen Führerstand zu uns, wir tun unsere Absicht, Fahrkarten kaufen zu wollen, kund. Egal mit welcher BC gibt es 25% Rabatt und für 8,80€ inkl. Stadtverkehr in Berlin sind wir dabei. Zum ersten Mal in meinem Leben überprüft jemand, ob meine BC auf der Rückseite unterschrieben ist.
Wir stoppen an etlichen Haltepunkten ohne jeden Fahrgastwechsel. Während auf polnischer Seite durchgehend zwei Gleise vorhanden sind, ist auf deutscher Seite nur noch eins vorhanden. Stattdessen erleuchten rückstrahlende Hektometertafeln die Nacht auf der schnurgeraden Strecke. Die weißen Rechtecke verlieren sich erst nach einer mehreren Kilometer langen Reihe in der Nacht, während Rehe erschrocken aus dem Lichtkegel des Spitzenlichts springen.

Pünktlich in Lichtenberg angekommen, sehen wir uns ein wenig um.
218 831 hängt sich an eine MET-Garnitur dran.
Bild
Röhrend setzt sie sich in Bewegung und pustet dabei eine beträchtliche Abgaswolke in die Luft. Vermutlich würde sie keine grüne Plakette erhalten…

Ein abfahrtbereiter Link
Bild


Wir begeben uns zur S-Bahn und ich krame in meinem Rucksack herum. „Schenkst du mir dein Essen?“, erkundigt sich ein Punker mit einer Bierflasche in der Hand und einem Hund, der unruhig über den Bahnsteig streift. Der Mann setzt sich auf die Wartebank, kippt eine Dose Hundefutter auf den Bahnsteig und verfehlt beim Wurf der Dose den Abfalleimer. Der Hund lässt sich auch durch gutes Zureden nicht von einer Kostprobe überzeugen, sodass Dose und Futter auf dem Bahnsteig liegen bleiben, als die beiden in die nächste S-Bahn steigen. DÖÖDÄÄDÖÖ.

Bald erreichen wir Neukölln.
Das Glas an der Eingangstür zum Mehrfamilienhaus unseres Appartments ist gebrochen. Willkommen in Berlin.
Bild

Verglichen mit Belarus ist es fast schon ein Kulturschock, wenn auch in positiver Hinsicht. Ich finde es eine Bereicherung, in einer Gesellschaft zu leben, in der zwischen zwei Dönerbuden ein Bestattungsunternehmer ist und dann zwei Wettbüros folgen.
Und die Gemüseauswahl im bis Mitternacht geöffneten Kaisers ist wahrlich atemberaubend!
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Lobedan
Kaiser
Beiträge: 1550
Registriert: 01 Jan 2016, 15:02

Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 24 Jan 2017, 18:46 hat geschrieben:Das erstaunt mich nicht. Ich finde es erschreckend, in wie vielen Menschen scheinbar noch immer der Eiserne Vorhang im Kopf existiert und für die Osteuropa ein komplett weißer Fleck auf der Landkarte ist. Dazu noch völlig zu unrecht, denn dort gibt es zwar kein Kolosseum und auch keinen Eiffelturm, aber trotzdem viele interessante Sehenswürdigkeiten, für die man weder 20€ bezahlen noch drei Stunden Schlange stehen muss.
Auch zu Beginn des Semesters hat es für große Verwunderung bei der Verwandschaft gesorgt, als ich angekündigt habe, weder das "sinnvolle" Französisch noch Spanisch zu lernen sondern stattdessen einen Tschechischkurs zu belegen. In der ersten Stunde sollte jeder kurz erzählen, warum er sich ausgerechnet für diese "nutzlose" und schwere Sprache entschieden hat. Besonders erschreckend fand ich einen Beitrag, dass es in der Schule keine Möglichkeit gab, Tschechisch zu lernen, obwohl der Ort nur wenige Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt liegt. Wenn man als Deutscher nach Tschechien fährt, setzt man als selbstverständlich voraus, dass man dort verstanden wird...
Na ja, ich habe in meiner Kindheit generell nicht viel Ausland gesehen, Polen- und Tschechenmärkte mal außen vor. Dafür kenne ich das Ruhrgebiet fast auswendig. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das mit den Sprachen kommt mir bekannt vor. In meiner Grundschule konnte man freiwillig Sorbischkurse belegen, auf den meisten Cottbuser Gymnasien gab es zu meiner Zeit aber nur die Wahl zwischen Russisch und Französisch, ich hatte mit Latein schon Glück. Eines bot noch Japanisch an. Spanisch, worauf ich eigentlich Lust hatte, gab es nirgends. Polnisch bot eine Gesamtschule an, sonst war es das aber. In Zittau, wo ich studiert habe, konnte man Tschechisch (zusammen mit Englisch) als Übersetzungsstudiengang machen. Eine Freundin hat ihr Diplom darin mit Ach und Krach bestanden, weil sie die Sprache als unglaublich schwer empfand.
Aber das Problem mit der Nähe zum Wohnort ist wohl oft auch einfach, dass man meint, dort ja "immer" hinfahren zu können, weil es vor der Tür ist, es dann tatsächlich aber nie schafft. Wie viele der Museen in eurer Stadt kennt ihr? Wie viele Kirchen von innen? Ohne neugierige Freunde wäre ich in den zwei Jahren, die ich jetzt hier wohne, auch nie auf die Idee gekommen, mich die 750 Stufen des Ulmer Münsterturms hinauf zu quälen, obwohl die Aussicht grandios ist. Und ein Freund in München lernt durch meine Besuche auch ständig neue Ecken der Stadt kennen, die er von alleine nie besucht hätte. :lol:
Entenfang @ 24 Jan 2017, 18:47 hat geschrieben:Zum ersten Mal in meinem Leben überprüft jemand, ob meine BC auf der Rückseite unterschrieben ist.
Da hatte ich vor einigen Monaten im ICE mal einen Zugbegleiter, der offensichtlich sehr mit sich rang, jemandes ununterschriebene Bahncard durchgehen zu lassen.
146225
*Lebende Forenlegende*
Beiträge: 18023
Registriert: 01 Apr 2007, 17:45
Wohnort: TH/EDG

Beitrag von 146225 »

Sprachen. Ach ja, Sprachen. Wo kämen wir da aber auch hin, wenn die Mehrheit der Menschen in Europa auf einmal miteinander redet, statt übereinander? Vermutlich ein gutes Stück weiter. Und aus diesem Zweck befürworte ich breite Sprachbildung. Okay, selbst halte ich nicht übermäßig viel von Französisch, und als ich das in einem übermutigen Anfall von Wahnwitz mal 3 Jahre in der Schule probiert habe, war der Erfolg eher bescheiden. Dennoch ist es richtig, dass es in Baden-Württemberg entlang des Oberrheins bereits schon in der Grundschule gelehrt wird. Und genauso könnten eigentlich Niederländisch, Dänisch, Polnisch oder Tschechisch gelehrt werden, entlang der Bundesgrenzen.

Ich selber lerne übrigens gerade Italienisch. Wenn ich "danach" - ist eine Sprache lernen je wirklich vorbei? - noch Lust habe, könnte auch noch was Osteuropäisches dazukommen.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
harrymoos
Jungspund
Beiträge: 5
Registriert: 21 Nov 2013, 11:03

Beitrag von harrymoos »

Danke für den sehr lebendigen Reisebericht. Hat Spaß gemacht euch zu folgen.
Oliver-BergamLaim
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 6801
Registriert: 26 Nov 2004, 22:15
Wohnort: München

Beitrag von Oliver-BergamLaim »

Auch ich möchte mich nochmals herzlich fürs Mitnehmen auf Eure spannende und kontrastreiche Reise bedanken! Für mich eines der ganz persönlichen Highlights hier im Forum, seit ich Mitglied bin.

Mit Krakau bin ich im April 2012 bei meinem einwöchigen Besuch dort nicht richtig warm geworden. Die Stadt wirkte auf mich wie eine künstliche, sterile, mit internationalen Touristen völlig überfüllte und langweilige Version von Lemberg (von Größe, Geschichte, Struktur und grober Lage in Europa sind die beiden Städte ja an sich vergleichbar oder weisen zumindest Gemeinsamkeiten auf). Auch das riesengroße Tramnetz konnte mich nicht so recht begeistern. Mit manchen Städten kann man halt einfach, mit manchen nicht. Auch mein Tagesausflug nach Warschau vermochte keine Begeisterung zu wecken. Ich habe für mich dann entschieden, dass Polen einfach nicht mein Land ist (übrigens das einzige in Osteuropa bzw. Ostmitteleuropa, das mir überhaupt nicht gefallen hat). Das ganze Land wirkt zu modern, zu steril, zu westlich, es erfolgt keinerlei spürbarer Kulturschock im Vergleich zu Deutschland. Gut und relativ günstig fand ich dagegen das Essen in den Restaurants in Krakau.

Vielleicht ist es etwas vermessen, aufgrund eines einwöchigen Aufenthaltes mit Besuch von zwei Städten ein ganzes Land "abzuschreiben", aber ich merke auf meinen Reisen immer sehr schnell, ob ein Ziel für mich das Richtige ist oder nicht. Auch die Landschaft in Polen fand ich unglaublich öde, das sieht großteils aus wie ungarische Puszta, nur x-fach so groß, leer und weit. Auch mit der polnischen Sprache habe ich trotz meines prinzipiellen Sprachtalents wirklich große Schwierigkeiten, sie gefällt mir weder von Klang, Schreibweise noch von den schwierigen Ausspracheregeln her (wie zum Beispiel im Namen Lech Walesa).

Russisch dagegen beherrsche ich mittlerweile in Wort und Schrift auf Niveau B2, auch für die Reise ausreichende Grundkenntnisse in Ukrainisch, Tschechisch und Slowakisch mitsamt Schrift und Aussprache beherrsche ich, insbesondere Tschechisch empfinde ich als gar nicht schwierig, sondern als lautmalerisch wunderschön und sehr angenehm, und die Sonderzeichen bzw. -töne sind hier auch für mich als Deutschen gut und relativ leicht auszusprechen. Bulgarisch geht auch noch ein bisschen, ist als slawische Sprache vor allem durch die vielen Lehnwörter aus dem Türkischen und Griechischen interessant. Zum Kroatischen bzw. Serbokroatischen kann ich nichts sagen, dazu habe ich wenig Bezug.
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

Oliver-BergamLaim @ 25 Jan 2017, 11:00 hat geschrieben:Auch ich möchte mich nochmals herzlich fürs Mitnehmen auf Eure spannende und kontrastreiche Reise bedanken! Für mich eines der ganz persönlichen Highlights hier im Forum, seit ich Mitglied bin.
Danke für die netten Worte. Das freut mich sehr.
Mit Krakau bin ich im April 2012 bei meinem einwöchigen Besuch dort nicht richtig warm geworden. Die Stadt wirkte auf mich wie eine künstliche, sterile, mit internationalen Touristen völlig überfüllte und langweilige Version von Lemberg
Dann werden wir uns darüber nicht einig werden. Ich war nun schon zum dritten Mal innerhalb von 5 Jahren in Krakau (wenn auch jedes Mal nur recht kurz) und mag die Stadt. Klar ist sie langweilig verglichen mit Lemberg, aber verglichen mit dem Chaos dort sind ziemlich viele Großstädte dieser Kategorie langweilig. ;)
Auch die Landschaft in Polen fand ich unglaublich öde, das sieht großteils aus wie ungarische Puszta, nur x-fach so groß, leer und weit.
Deine Meinung sei dir gegönnt, aber Polen hat immerhin noch Küste im Norden und Berge im Süden. In Belarus gibt es nur die flache Variante.
insbesondere Tschechisch empfinde ich als gar nicht schwierig, sondern als lautmalerisch wunderschön und sehr angenehm, und die Sonderzeichen bzw. -töne sind hier auch für mich als Deutschen gut und relativ leicht auszusprechen.
Ich finde es bis jetzt auch machbar. Von den sieben Fällen und den vier Geschlechtern haben wir aber auch noch längst nicht alle besprochen. Sehr praktisch finde ich, dass man alles so schreibt, wie man es spricht. Einzig mit den Carkas (Strichen) komme ich nicht so klar.
Aber das Problem mit der Nähe zum Wohnort ist wohl oft auch einfach, dass man meint, dort ja "immer" hinfahren zu können, weil es vor der Tür ist, es dann tatsächlich aber nie schafft.
Auch wenn ich mit den Museen und den Kirchen nicht so gut dabei bin, habe ich mir die ausgiebige Erkundung nicht nur des Stadtgebiets auf den Plan gesetzt. Mittlerweile gibt es nach gut 3 Jahren nur noch sehr wenige Ecken in Dresden, in denen ich noch nie war. Auch das Tramnetz habe ich schon seit über einem Jahr komplett befahren. In München habe ich zwar das Stadtgebiet nicht so detailliert erkundet, aber auch in der Heimat bin ich ganz gut dabei.


Tag 20 Berlin

Ein angenehm warmer Morgen empfängt uns und wir machen uns auf den Weg zum krönenden Abschluss der Osteuropatour.
Bild

Den Bericht zur Innotrans hatte ich bereits zeitnah gezeigt.

+++

Mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen zum Ende der Messe ist die S-Bahn leicht überfordert.
Bild

Am anderen Bahnsteigende können wir problemlos einsteigen und ergattern sogar Sitzplätze.
Nach so viel Eisenbahngucken sind wir total ausgehungert und stärken uns mit einer Berliner Currywurst. Wir beschließen, den nächsten Bus zu nehmen, der an der Haltestelle vorbeikommt. Es ist ein Doppeldecker auf dem M39, der ziemlich genau in die Richtung fährt, in die wir wollen, sodass wir für eine Stadtrundfahrt sitzen bleiben. Dann steigen wir in die U-Bahn um. Eine junge Frau telefoniert, ihr Handy hat sie zwischen Kopftuch und Ohr geklemmt.

Bild

Bild

Bild


Mit Nachtfotos lassen wir den Tag ausklingen.
Dadong. Gleisdreieck. Übergang zur U1.
Bild

Bild

Einsteigen bitte.
Bild

Zurückbleiben bitte.
Bild

Über den Landwehrkanal
Bild

„Hat jemand ein paar Cent oder etwas zu essen?“ Ein Fahrgast kramt drei Bananen aus seinem Rucksack.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

Abends sortieren wir unsere Fahrkarten und das übrige Geld.
Bild

Der Gegenwert der fast 40 Lemberger Fahrkarten…
Bild

…der alten belarussischen Rubel…
Bild

…und der Grivna.
Bild
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
146225
*Lebende Forenlegende*
Beiträge: 18023
Registriert: 01 Apr 2007, 17:45
Wohnort: TH/EDG

Beitrag von 146225 »

Jetzt ist also das Ende der Reise erreicht? Da möchte ich natürlich auch vielen Dank für den großartigen Bericht sagen! :)
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
Benutzeravatar
chris232
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 6049
Registriert: 30 Jul 2005, 20:04
Wohnort: Myunkhen

Beitrag von chris232 »

Zum Thema Vorsignale: Beim Ausbau der Rottalbahn auf Stundentakt hat man auch nur Vr0 zeigende "Vorsignale" installiert. Der Bahnhof ist zwar durchgeschaltet, aber ohne Vorsignalisierung sind nur 60 km/h zulässig - mit den neuen Tafeln sind dort 80 möglich.

Danke für den tollen Bericht - bisher hab ichs ja noch nicht so weit in den Osten geschafft, aber das steht definitiv auf der Wunschliste. Jetzt umso mehr ;)
Eisenbahnen sind in erster Linie nicht zur Gewinnerzielung bestimmt, sondern dem Gemeinwohl verpflichtete Verkehrsanstalten. Sie haben entgegen dem freien Spiel der Kräfte dem Verkehrsinteresse des Gesamtstaates und der Gesamtbevölkerung zu dienen.
Otto von Bismarck

Daher hat die Bahn dem Gemeinwohl und nicht privaten Profitinteressen zu dienen, begreifen Sie es doch endlich mal!
Luas
König
Beiträge: 924
Registriert: 11 Feb 2015, 19:04
Wohnort: Umweltzone

Beitrag von Luas »

Auch von mir ein Dankeschön für diese fesselde Reise!
No animals were harmed in the making of this Signature
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

146225 @ 26 Jan 2017, 06:04 hat geschrieben:Jetzt ist also das Ende der Reise erreicht?
Fast. Heute möchte ich noch den Preis für den längsten je auf dem EF verfassten Beitrag abstauben :P

Tag 21 Berlin -> München/Warendorf

Muffo benötigt noch Lesestoff für die Heimfahrt und die Weiten des Internets versprechen, das gewünschte Buch wäre am Alexanderplatz zu finden. Ich nutze die Zeit zum Knipsen.
Alltagsgewusel
Bild

An der Endstation – die hoffnungslos zugekleisterten Laternenmasten finde ich immer wieder ein Highlight.
Bild

Weil mich die BVG liebt, kann ich die Tram detailliert begutachten. Ist auch mal schön, wenn keiner schief schaut, weil da einer mit der Kamera um die Bahn herumschleicht ;)
Bild

Tramscooter
Bild

Schließlich kehrt Muffo mit leeren Händen zurück. Wir drehen noch eine kurze Runde durch die Stadt.
Halbzug in Tempelhof
Bild

In der U6 dauert es nicht lange, bis ein Mann mit einem Lautsprecher und einem Akkordeon einsteigt und musikalische Unterhaltung bietet. Er spielt ziemlich gut, ein Mann filmt mit seinem Handy. Zwei Stationen weiter ist er fertig, eine Frau sammelt Geld ein. Einige Münzen landen im Becher.

Wieder an der Hermannstraße warte ich die Gepäckaufnahme Muffos ab.
Blau, grün, gelb und rot – farbenfroh zeigt sich die S-Bahn Berlin.
Bild

Wendeanlage – mit Formsignalen habe ich auf der Ringbahn nicht unbedingt gerechnet.
Bild

Während Muffo die Heimfahrt antritt, kann ich noch ein bisschen Fuzzen.

Nach dem Abschied von Entenfang fahre ich mit der S-Bahn zum Südkreuz. Mein IC in die Heimat steht schon 20 Minuten vor der Planabfahrt mit offenen Türen am Bahnsteig. Ich steige ein und suche mir einen nicht reservierten Gangplatz. Anschließend brauche ich nochmal ein bisschen Bewegung vor der anstehenden Fahrt. Der Zug ist schnell von vorne bis hinten abgelaufen, und die Abfahrtszeit rückt näher.
Zum Zeigerschlag pfeift es und wir setzen uns in Bewegung. Am Hauptbahnhof füllt sich der Zug, und mein bis eben noch freier Fensterplatz wird besetzt. Da ich kein Buch ergattern konnte, habe ich mich auf die Süddeutsche verlegt.
Mit 200 km/h saust der IC durch Brandenburg. Ich döse immer wieder ein.
Nächster Halt: Gütersloh Hbf.
Bild
Halt!

Die Bimmelbahn bringt mich nach Hause.
Nach dem obligatorischen Bild
Bild
ist für mich die Reise zu Ende.


Kleinprofil
Bild
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

Als letztes Ziel steht die Möckernbrücke auf dem Plan.
Bild

571 vor dem Technikmuseum
Bild

670 vor der Heilig-Kreuz-Kirche
Bild

Anschließend nehme ich ein schnelles Mittagessen ein, sammle meinen Koffer ein und begebe mich schleunigst zum Südkreuz. Pünktlich rollt mein IC an den Bahnsteig und bringt mich nach Süden.
Bild

Bild

Die Reisezeit ist abgelaufen.
Bild

Mit +6 endet die Rundreise wieder da, wo sie begonnen hat: Unter dem Grundig-Schriftzug.


Fazit

Die Slowakei ist fortschrittlicher, als ich erwartet habe und weiterentwickelt als beispielsweise Rumänien. Straßen und Fußwege sind in weitgehend gutem Zustand, auch der Gleiszustand der Tram ist ziemlich gut. In Košice wurde das komplette Netz in den vergangenen Jahren saniert. Die Strecke zum Bahnhof in Bratislava musste wegen erheblichen Gleislagefehlern allerdings für einige Jahre gesperrt werden und ist erst seit 2014 wieder befahrbar. Immerhin machen sich die getätigten Investitionen bemerkbar. Und auf der Neubautrasse nach Petržalka gibt es größere Pläne für eine Regionalstadtbahn. Vielleicht wurden die Normalspurgleise aber auch einfach nur aufgrund irgendwelcher EU-Förderrichtlinien gelegt.
Bei der Bahn herrscht überwiegend Taktverkehr, die Reisegeschwindigkeit ist jedoch recht niedrig. Das gilt aber auch für die Straße. Aus diesem Grund wird auf der Route Bratislava – Košice gern die ungarische Autobahn genutzt. Das Wagenmaterial ist größtenteils in die Jahre gekommen, worüber wir aber nicht unglücklich waren. Bei der Modernisierung des ÖPNV hat die EU kräftig mitgeholfen, überall sind die Förderhinweise zu finden.
Košice scheint bei Touristen etwas bekannter zu sein, da die Stadt 2013 Kulturhauptstadt war. Dementsprechend ist die historische Altstadt sehr hübsch saniert. Verlässt man jedoch die Innenstadt, trifft man auf eine Mischung aus Plattenbauten und modernen Beton-Glas-Klötzen, die fast ausschließlich nach dem EU-Beitritt entstanden sind. Dieser Kontrast macht meiner Meinung nach den Reiz der beiden größten Städte der Slowakei aus. Die Preise wirken in Košice etwas höher, obwohl Bratislava geografisch viel näher am Westen liegt und problemlos von Wien als Tagesausflug erreichbar ist. Es gibt sogar ein passendes Angebot für Bahnfahrt und Stadtverkehr in Bratislava, das Bratislava-Ticket für 16€. https://www.oebb.at/file_source/reiseportal...BratisLover.pdf (S.3)

Die Ukraine war ein echter Kulturschock. Ich habe nicht erwartet, am Rande Europas auf ein Land mit für europäische Verhältnisse großer Ausdehnung zu treffen, dass sich in vielerlei Hinsicht kaum von einem Schwellenland unterscheidet. Mit einem HDI von 0,747 (Platz 81 von 190) liegt das Land etwa gleichauf mit anderen osteuropäischen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind. Immer wieder musste ich an meine Reise nach Indien vor vier Jahren zurückdenken. Erstens wirken die unzähligen Menschen auf der Straße für uns völlig ungewohnt. Alle Gehwege der zentrumsnahen Hauptstraßen sind so voll wie bei uns die Fußgängerzonen am Samstagnachmittag. Zum Zweiten ist es der chaotische Verkehr und der halsbrecherische Fahrstil, der uns direkt nach der Ankunft empfangen hat. Zynisch formuliert würde ich sagen, es war eine große Enttäuschung, wie langsam der Taxifahrer in Lemberg gefahren ist. Da unsere Ankunft in Indien mitten in der Nacht war und die Straßen ausgestorben waren, haben wir es dort auf fast 100 km/h in der Stadt geschafft. Drittens war es die schlechte Luft und der allgegenwärtige Brandgeruch. Obwohl ich keine offenen Feuer in der Stadt entdecken konnte, sind wir auf dem Land immer wieder durch dichte Rauchschwaden gefahren. Besonders schlimm war es auf der Fahrt von Lemberg Richtung Minsk. Vermutlich stammt der Smog nicht nur von den veralteten Fahrzeugen, sondern auch von Gebäudeheizungen.
Der Smog in Kombination mit der Hitze hat mir ein permanentes Durstgefühl beschert. Ich hatte ständig das Gefühl, einen rauen Hals zu haben und nicht richtig Luft zu bekommen. Bei der Schlüsselübergabe zur Abreise hat sich die Vermieterin noch über unseren riesigen Wasserverbrauch gewundert. Da ich täglich wohl um die vier Liter versoffen habe, kam über die Tage einiges an Wasserflaschen und -kanistern zusammen, denn das Leitungswasser ist weit von Trinkwasserqualität entfernt. Die bessere Luft in Belarus stellte für mich eine riesige Erleichterung dar.
Trotz der chaotischen Zustände und der immensen Korruptionsproblematik sind erste Anzeichen von Modernisierung erkennbar. In der Innenstadt wurde vermutlich bereits zur EM 2012, als auch die Visumspflicht für EU-Bürger abgeschafft wurde, einiges getan. Sehr schön finde ich die unzähligen Sitzgelegenheiten, die zum Ausruhen und Beobachten einladen. Die hübschen Fassaden stammen unverkennbar aus der k.k. österreichischen Zeit.
Der Gleiszustand der Tram hingegen ist abschnittsweise kaum in Worte zu fassen – auf den nicht modernisierten Strecken kann man wohl eher von verbeulten Altmetallstreifen, die irgendwie im löchrigen Kopfsteinpflaster befestigt sind, sprechen. Die Herzstücke sind oftmals nicht mehr als solche zu erkennen, die Schienen teilweise so stark abgefahren, dass die Bahnen nur noch auf dem Spurkranz durch die Rille poltern.
Das Thema Lärm steht in der Ukraine überhaupt nicht auf der Agenda – ganz im Gegenteil. Bei der Modernisierung werden die neuen Schienen in Verbundpflaster eingebaut, welches beim Befahren durch die Autos fast genauso laut ist wie das Kopfsteinpflaster.
Bild

Asphaltierte Straßen würden eine erhebliche Lärmreduktion bedeuten. Doch nicht nur als unerwünschter Effekt tritt Lärm auf, sondern man wird zusätzlich noch mit vermeidbarem Krach belastet. Überall läuft der Fernseher, gerne auf hoher Lautstärke, in der Tram wird regelmäßig etwas in einer Höllenlautstärke abgespielt, das sich nach Werbung anhört und in der Mall wird Musik unangenehm laut wiedergegeben. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich alle Beteiligten gegenseitig an Lautstärke überbieten wollen.
Insbesondere in der Ukraine scheinen die Menschen sehr ehrlich zu sein, sonst würde es wohl kaum funktionieren, das Geld durch die halbe Tram zu reichen, um nach einiger Zeit eine Fahrkarte zurückgereicht zu bekommen. Letztlich habe ich von allen Etappen in Berlin am besten auf meine Wertsachen aufgepasst.
Auch wenn es zahlreiche Verständigungsprobleme gab, sind wir in der Ukraine mit Englisch und wenigen Brocken Russisch ganz gut durchgekommen. Meistens hat sich dann doch jemand gefunden, der ein paar Worte Englisch konnte oder uns mit der Eingabe der Obstsorten an der Waage geholfen hat.



Während uns der Entwicklungsstand der Ukraine negativ überrascht hat, fiel der Eindruck in Belarus diesbezüglich recht positiv aus. In mancherlei Hinsicht kann sich das Land durchaus mit westeuropäischen Verhältnissen messen. Im Vergleich mit den Balkanstaaten würde ich das Land als fortschrittlicher, viel sauberer, aber deutlich autoritärer beschreiben. Die anderen politischen Verhältnisse sind nicht zu übersehen.
Nach einigen Tagen in Minsk würde ich das Stadtbild wie Dubai mit Sowjetarchitektur beschreiben. Insbesondere die aufwendige Beleuchtung am Wahlabend hat mich in großes Staunen versetzt – welch ein Unterschied zu den holprigen Straßen Lembergs.
Der ÖPNV ist trotz des recht dichten Taktes längst nicht auf unserem Standard. Das betrifft sowohl das teils hochflurige und stark in die Jahre gekommene Rollmaterial, als auch die nur sehr schwer zu bekommenden Informationen. Ohne Netzpläne oder zumindest Linienverläufen in den Haltestellen ist es für Auswärtige natürlich extrem schwierig, sich zurechtzufinden. Und was genau auf unsere Plastikkarten geladen wurde, wissen wir bis heute nicht. Solange der grüne Haken leuchtet, ist das aber auch nicht so wichtig…
Einfach fällt dagegen die Orientierung in den breiten Straßen, die recht übersichtlich verlaufen. Nur durch diesen Umstand war es überhaupt möglich, ohne Kenntnis der Linienverläufe dennoch recht erfolgreich die richtigen Buslinien zu finden. In einer Stadt wie München oder Berlin wäre das wohl ein weitgehend unmögliches Unterfangen.
Durch Zufall habe ich im Hotel auf einem öffentlichen Computer die Website für den Minsker ÖPNV entdeckt. Die englische Version ist wenig zielführend, da sie nur Fernbusse enthält. Wenn man Kyrillisch lesen kann und ein wenig herumprobiert, kann man der etwas unübersichtlichen Website ziemlich viele Infos entlocken.
http://www.minsktrans.by/city/#minsk/bus
Hinter dem i neben der jeweiligen Liniennummer verbirgt sich die Möglichkeit, den Linienverlauf auf Openstreetmap anzeigen zu lassen. Ein Klick auf eine Haltestelle zeigt den jeweiligen Aushangfahrplan. Leider gibt es keinen Netzplan oder eine Möglichkeit, alle Linien auf einmal anzeigen zu lassen (oder ich habe sie einfach noch nicht gefunden). Nur ein Trambahnnetzplan existiert, http://myminsk.com/maps/tram/tram.jpg welcher in allen Trambahnen aushängt. Der Ast zum Hbf ist zurzeit wegen Bauarbeiten für die neue U-Bahnlinie 3 außer Betrieb. Einen U-Bahnnetzplan gibt es auch. http://www.belarus.by/relimages/001321_739863.jpg
Die Ansagestimme ist und bleibt das Beste an der Minsker Metro.

Dem Land eilt sein Ruf voraus – die letzte Diktatur Europas hört man genauso wie Nordkorea Europas. Dies dürfte vermutlich einer der Gründe sein, warum Belarus bei Touristen völlig unbekannt ist. Im ganzen Jahr sind es nur rund 100.000, davon die überwiegende Mehrheit aus Russland. http://belarusfacts.by/de/belarus/tourism/
Dazu kommen allerdings noch die zwei Tage gültigen (und im Gegensatz zu den 60€ teuren Touristenvisa) kostenlosen Transitvisa dazu.
An mangelnden Sehenswürdigkeiten liegt es jedenfalls nicht – Minsk hat durchaus einige interessante Orte für eine Stadtbesichtigung zu bieten. Eine Abschaffung der Visumspflicht wäre wohl ein erster Schritt – angesichts des klischeehaften Verhaltens an der Grenze aber kurzfristig eher unwahrscheinlich.
Ganz zweifellos wirkt Belarus patriotisch bis stark nationalistisch. Verglichen mit Deutschland ist aber wohl jedes Land der Welt patriotisch. Das Erbe der Sowjetunion ist noch allgegenwärtig, sei es die Fahne oder Hammer und Sichel. Das Aufmarschieren der Kinder in Brest hat dann doch sehr deutlich an eine Diktatur erinnert und jeden Zweifel ausgeräumt. Wenn es sich um einen Polizeistaat handelt, ist er uns zumindest oberflächlich verborgen geblieben. Uniformierte, die einem auf Schritt und Tritt verfolgen, Pässe kontrollieren oder wissen wollen, was man denn fotografiere, hatte ich von vorneherein für unwahrscheinlich gehalten und damit recht behalten.In der Ukraine waren Uniformierte mitten im Trubel der Stadt dagegen ein recht häufiges Bild, obwohl der Krieg von Lemberg genauso weit entfernt ist wie München.
Ebenso gehören Big Brother-Plakate vom großen Führer Lukaschenko in das Reich der Legenden. Im Souvenirshop am Mut-Monument in Brest habe ich sogar extra nach Propagandamaterial gesucht, aber keines gefunden.

In der Ukraine, besonders aber in Belarus, hatte ich das Gefühl, beim Fotografieren missbilligende Blicke auf mich zu ziehen. Direkt angesprochen wurde ich nur zweimal in Minsk und das habe ich ohnehin nicht verstanden. Eine Ausnahme waren die beiden ausgiebigen Nachtfototouren am Lemberger und Brester Bahnhof. Es hat zwar an beiden eine Weile gedauert, bis jemand gemeckert hat, obwohl ich gut sichtbar mit Stativ unterwegs war. In Lemberg war es ein nicht uniformierter Mann, der mich einem Wortschwall vermutlich nicht nur netter Wörter auf Ukrainisch überschwemmt hat und mit unmissverständlichen Gesten verdeutlicht hat, was er vom Knipsen hält. In Brest hat mir ein Uniformierter etwas über die Gleise zugerufen. Während Ersterer irgendwann schnaubend abgezogen ist, als ich nur mit „I don´t understand“ geantwortet habe, kam der Uniformierte nochmal auf mich zu, nachdem ich die Fußgängerbrücke zum Bahnhofsgebäude überquert hatte, um dort eine Fahrkarte zu kaufen. Sobald er dann gemerkt hat, dass ich Touri bin, hat er nur schmunzelnd genickt, als ich „No photo?“ gefragt habe.
Da ich mir nicht sicher bin, welche genaue Regeln bezüglich Fotografieren gelten, wer etwas zu sagen hat und keine Russischkenntnisse vorzuweisen habe, habe ich beide Male einfach kommentarlos das Stativ eingepackt und bin abgezogen. Abgesehen von der Minsker Metro und einigen Gebäuden wie Hotels oder Malls sind mir keine Fotoverbotsschilder aufgefallen und es hat sich sonst auch nie jemand beschwert. Dennoch ist mir nach der Weiterfahrt nach Polen der Verhaltensunterschied der Menschen deutlich aufgefallen. Fotografieren scheint in der Ukraine und in Belarus unerwünscht oder zumindest ungewöhnlich zu sein, in Polen haben die Menschen wieder mit der gewohnten Gleichgültigkeit reagiert.

Ich bin den Eindruck nicht losgeworden, dass die Sowjetzeiten in Belarus noch nicht vorüber sind. Die Arbeitsgeschwindigkeit und der Enthusiasmus der Menschen an Theken, Kassen und Schaltern hat sich in der überwiegenden Mehrheit unterirdisch gezeigt. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass man mir regelrecht widerwillig begegnet ist. Jemanden zu bedienen, der kein Russisch kann, bedeutet schließlich Aufwand und fordert Improvisationsgeschick. Irgendwie haben die Menschen auf mich bei ihrer Tätigkeit einfach lustlos und unmotiviert gewirkt. Das äußerst distanzierte Verhalten der Menschen deutet wohl auch auf die repressive Führung des Landes hin. In der Ukraine kam mir dieses Verhalten weniger ausgeprägt vor als in Belarus.

Wenn am Frühstücksbuffet etwas aufgegessen war, wurde nichts nachgefüllt. Von drei Aufzügen funktionierten nur zwei und das Aufzug-defekt-Schild sah nicht so aus, als würde es erst seit gestern dort hängen und während unseres zweitägigen Aufenthalts wurde nicht daran gearbeitet.
In der Ukraine hat man sich deutlich hilfsbereiter verhalten, wenn auch das Arbeitstempo ziemlich langsam war. Vielleicht ist das aber auch eine Fehleinschätzung, die auf der etwas besser funktionierenden Verständigung beruht.

Ich hatte mit massiven Verständigungsproblemen gerechnet und damit Recht behalten. In Belarus spricht man entweder Russisch oder benutzt Hände und Füße.
Die Menschen verhalten sich äußerst regelkonform. Während in der Ukraine häufig Menschen über die nervigen Absperrgitter geklettert sind, habe ich das in Belarus nie beobachtet. Der Verkehr fließt sehr geordnet und die Straßen sind blitzsauber. Es gibt genügend Menschen, die beschäftigt werden müssen und die Hinterlassenschaften wegputzen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist sicher auch der nicht existente Take-away-Wahn.
Besonders auffällig ist das Nichtvorhandensein von Graffiti. Nicht auf Zügen, nicht auf Mauern, nicht in Unterführungen, nicht einmal auf Bruchbuden gibt es Schmierereien. Das ist mir nach der entdröhnten Brücke als zweites aufgefallen, als wir die Grenze nach Polen überquert haben und vermutlich auf drakonische Strafen zurückzuführen.

Während das Essen in der Ukraine noch einigermaßen abwechslungsreich ist, habe ich noch nie so langweilige und einseitige Essgewohnheiten gesehen wie in Belarus. Nach einer Woche Fleisch und Kartoffeln, gern in viel Öl gebraten, haben wir uns sehr nach Gemüse gesehnt. Das Frühstück fiel eher dürftig aus und als es dann auch noch fettige Wurst geben sollte, habe ich das Müsli aus der Ukraine aufgebraucht. Außerdem sind vegetarische Speisen wohl völlig unbekannt – scheinbar gibt es nur ein einziges fleischloses Gericht in Belarus: Pizza Margherita. Selbst wenn man wollte, kommt man nicht so leicht an Gemüse. In für unsere Verhältnisse mittelgroßen Supermärkten ist das komplette Obst und Gemüse in einem zwei Meter langen Regal untergebracht, in etlichen Läden gibt es überhaupt kein frisches Grünzeug.


Auch verkehrlich könnten die besuchten Länder kaum unterschiedlicher sein. Die Slowakei hat sich mit einem recht guten ÖPNV und guten Informationen präsentiert. Auf der sehr informativen Website gibt es nicht nur eine EFA für das ganze Land, sondern auch Haltestellenfahrpläne, Netzpläne, diverse historische Karten und eine Bildergalerie.
http://imhd.sk/ba/public-transport#
In der Ukraine hingegen stellt sich die Situation deutlich komplizierter dar. Zwar existiert eine EFA http://www.eway.in.ua/en/cities/lviv und ein Übersichtsplan inkl. Livepositionen http://www.eway.in.ua/en/cities/lviv/routes für Lemberg, doch haben die öffentlichen Verkehrsmittel keine festen Abfahrtszeiten. Außerdem herrscht recht früh Betriebsschluss und Nachtbusse übernehmen den Verkehr. Leider gibt es für sie ebenso wenig einen Netzplan wie für die tagsüber verkehrenden Busse, Obusse und Marschrutkas. Lediglich für die Tram gibt es einen offiziellen Netzplan, http://lviv.travel/php_uploads/images/cont...ram-schema1.jpg der jedoch aufgrund der Umleitungen wegen Baustellen nicht dem realen Betrieb entspricht. Hier lässt sich noch ergänzen, dass im November 2016 eine 11,5 km lange Neubaustrecke (teilweise auch Rekonstruktion einer bereits bestehenden Strecke) in das südöstliche Stadtviertel Sychiv eröffnet wurde.
http://www.egis-group.com/action/news/open...th-lviv-ukraine
Auch für den Obus gibt es einen Übersichtsplan. http://lviv.travel/php_uploads/images/cont...00_today_ua.jpg Das Marschrutka-System kann man wohl nur durch häufige Benutzung und gute Ortskenntnis verstehen. Außerdem ist schnelle Auffassungsgabe der kyrillischen Straßenzüge von entscheidender Bedeutung bei der Nutzung. Unter den gegebenen Bedingungen kann ich jedoch gut verstehen, warum die Marschrutkas so beliebt sind und einen entscheidenden Teil des ÖPNV darstellen.

Sowohl in der Ukraine als auch in Belarus gibt es fast nur Bus- und Straßenbahnfahrerinnen. Dies lässt sich einerseits auf ein traditionelles Rollenbild zurückführen, aber vor allem auch auf das unter Männern weit verbreitete Alkoholproblem. http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/...b-a-950222.html
Der Unterschied der Lebenserwartung von Männern und Frauen ist in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion erheblich. So ist das Leben der Männer in der Ukraine, in Russland und in Belarus im Durchschnitt über elf Jahre kürzer verglichen mit Frauen (in den mitteleuropäischen Ländern beträgt der Unterschied etwa fünf Jahre). http://www.laenderdaten.de/bevoelkerung/le...serwartung.aspx
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Länder sind die riesigen Haltestellenabstände im Stadtverkehr. Insbesondere im Belarus sollte man besser gut zu Fuß sein (oder das Auto nutzen). Durch die breiten Straßen und riesigen Plätze werden die Fußwege schnell ziemlich lange. Für Radfahrer, alte Menschen und Kinderwagen sind die zahlreichen Unterführungen eine absolute Zumutung. Überall werden Fußgänger vom Überqueren der Straße abgehalten und die Anordnung der Fußgängerampeln bedeutet häufig Umwege, weil beispielsweise nur drei von vier Querungsmöglichkeiten einer Kreuzung für Fußgänger ausgerüstet sind. Die Rotphasen sind nicht überdurchschnittlich lange und liegen bei Hauptstraßen meistens im Bereich 60 bis 70 Sekunden. Die Countdowns gibt es fast an jeder Ampel. Für Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, stellen sie eine große Hilfe dar, da die Räumzeiten (durch grünes Blinken angezeigt) recht knapp bemessen sind. Die flachen Ampeln ohne Sonnenschutz lassen sich selbst bei direkter Sonneneinstrahlung erstaunlich gut erkennen, nur aus einem schrägen Winkel (z.B. beim Warten direkt an der Haltelinie) ist dann überhaupt nichts mehr erkennbar. Die meisten Ampeln sind im Gegensatz zu Deutschland auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung wiederholt.
Nicht nur aus kulinarischen Gründen, sondern auch aus verkehrlichen, gesellschaftlichen und politischen Gründen ist Minsk keine Stadt, in der ich länger wohnen oder gar alt werden wollen würde.
Erstaunlicherweise äußerst sich das Phänomen des induzierten Verkehrs in Minsk nicht in vielen Staus. Die Straßen sind sehr gut ausgebaut, weisen nur wenig Behinderungen auf, da Fußgänger unter die Erde verbannt werden und sind selbst in der HVZ nicht zugestaut. Durch die geringe Anzahl Ampeln lassen sich im MIV sehr hohe Reisegeschwindigkeiten erreichen. Wegen des großen Haltestellenabstands weist aber auch der ÖPNV eine hohe Durchschnittsgeschwindigkeit auf und ist sehr stark nachgefragt. Fast alle Busse sind nicht nur gut ausgelastet sondern oftmals überfüllt. Höchstwahrscheinlich ist dieser Umstand darauf zurückzuführen, dass ein Auto für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich bleibt.
Die Vorteile einer Tageskarte haben sich leider noch nicht durchgesetzt. In Minsk kann man Einzelfahrten getrennt nach Metro und Bus/Tram/Obus auf eine Plastikkarte aufladen lassen. Alternativ können in allen Metrostationen an den während der kompletten Betriebszeiten von 5 bis 1 Uhr besetzten Fahrkartenschalter Jetons erworben werden. Auch beim Busfahrer gibt es Fahrkarten. Man erhält sie, nachdem man den passenden Betrag in eine Schale am Führerstand gelegt hat. Alle Fahrerkabinen und Fahrkartenschalter sind sowohl in der Ukraine als auch in Belarus komplett verschlossen.
Infolge des geringen Raumwiderstandes gibt es kaum kleine Länden zur Nahversorgung, sondern nur große Einkaufszentren mit großen Parkhäusern im Stadtgebiet verteilt. Die zahlreichen Kioske, welche es an beinahe allen Bushaltestellen in der Innenstadt gibt, übernehmen zu einem Teil die Nahversorgung und verkaufen Getränke, Zeitschriften, Tabakwaren und kleine Snacks.

Fernzüge verkehren in der Regel nur ein bis wenige Male täglich, sind dafür aber umso länger. Die Website der UZ http://uz.gov.ua/en/ wirkt deutlich weniger professionell als die der BTsch. http://www.rw.by/en/ Beide gibt es löblicherweise auch auf Englisch, erstere noch nicht seit Langem und nicht vollständig. Die Fahrpläne der Elektrischkas sind etwas versteckt und nur auf Ukrainisch zu finden. http://uz.gov.ua/passengers/suburban_train_schedule/ Leider wird auch im NV kein Taktverkehr angeboten. In Belarus ist die Modernisierung des Rollmaterials weiter fortgeschritten als in der Ukraine.

Im Beschaffungsverhalten von Neufahrzeugen unterscheiden sich EU- und Nicht-EU-Länder ganz erheblich. Während es in Krakau topmoderne Fahrzeuge mit allerlei Schnickschnack gibt, werden in der Ukraine und in Belarus schlichte, funktionale Neufahrzeuge mit eher geringem Komfort (z.B. keine Klimaanlage) angeschafft. Vielleicht sollte Dresden bei der nächsten Fahrzeugbeschaffung auch EU-Mittel beantragen, um sich Klimaanlagen leisten zu können.
Nach der Ankunft in Polen, besonders aber in Berlin ist mir aufgefallen, wie eintönig und langweilig die belarussische Gesellschaft gewirkt hat. Während bei uns selbstverständlich Einflüsse verschiedenster Kulturen zu sehen sind, fehlen meiner Meinung nach in Belarus derartige Impulse vollständig. Dies schlägt sich nicht nur in den Essgewohnheiten nieder. Wir können uns doch glücklich schätzen, in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben, in der jeder die Wahl zwischen verschiedensten Lebensformen hat. Ich möchte die Wahlmöglichkeiten keinesfalls missen.

Die drei Wochen sind im Handumdrehen verflogen. Die günstigen Preise Osteuropas haben den Geldbeutel erfreulich geschont. Insbesondere die Ukraine ist wirklich spottbillig.
Wir haben beide zum ersten Mal Appartements über airbnb gebucht und blickten dieser Art der Unterkunft mit gespannter Erwartung entgegen. Letztlich haben wir uns davon überzeugen lassen, dass es diverse Vorteile bietet. Die schnelle und unkomplizierte Hilfe der Gastgeber bei der Suche nach einem Geldautomaten oder Supermarkt ist einfach unbezahlbar. Außerdem finde ich eine individuell verhandelbare Check-Out-Zeit sowie einen Kühlschrank sehr nützlich.
Die Zeiteinteilung auf die verschiedenen Orte war nahezu perfekt. In Minsk hätte zumindest ein halber Tag mehr nicht geschadet und in Krakau hätte ich auch nach meinem dritten Besuch in fünf Jahren noch eine ganze Woche Straßenbahn fahren können.

Es waren drei Wochen, die sich wirklich gelohnt haben, mit zahlreichen Überraschungen verschiedener Art gefüllt und mit vielen Vorurteilen aufgeräumt haben. Ein Besuch der Gedenkstätte Auschwitz ist sehr zu empfehlen, auch wenn es definitiv keine schönen Bilder sind, die anschließend durch den Kopf geistern.
Ohne Kyrillisch lesen zu können wären wir wohl verloren gewesen und mit Russischkenntnissen wäre es ein Vielfaches einfach gewesen. Alle vier Länder würde ich ohne zu Zögern noch ein weiteres Mal besuchen.
Und wenn mich jemand fragt, warum zur Hölle ich denn ausgerechnet nach Belarus fahren würde, antworte ich mich dem schönen Zitat der ÖPNV-Überdachung am Bahnhof Gotha.
„Denn man reist doch wahrlich nicht, um auf jeder Station einerlei zu sehen und zu hören.“ (Goethe)

Mein Fazit ist durchaus positiv. Ich muss einfach sagen, dass ich ohne Entenfang niemals in den Osten aufgebrochen wäre. (An dieser Stelle nochmal vielen Dank dafür!)
Fangen wir also vorne an. Die Slowakei ist ein sehr westliches und landschaftlich ebenfalls reizvolles Land.
Die Ukraine hat für mich den Untertitel: „Mein erster Besuch in einem Entwicklungsland“. Im Prinzip war es gelebter Geschichtsunterricht. Wer sich nicht vorstellen kann, wie es in Deutschland zur Zeit der Industrialisierung ausgesehen hat, dem sei ein Besuch in Lemberg empfohlen. Smog und Lärm haben in der Stadt ein für mich ungekanntes Ausmaß angenommen. Mein studentischer Geldbeutel hat sich natürlich über dieses Land gefreut (auf jeden Fall mehr, als er das in der Schweiz getan hätte). Das Preisniveau ist mit dem Deutschen nicht mal ansatzweise zu vergleichen. Unvergessen geblieben ist mir der Restaurantbesuch, bei dem Entenfang und ich für ein sättigendes Essen mit Getränk zusammen rund 5 € bezahlt haben.
In Lemberg merkt man jedoch, dass sich das Land im Krieg befindet. Überall in der Stadt trifft man auf Uniformierte in Militärstiefeln und mindestens der Makarov am Gürtel.

Über Belarus könnte ich wohl dutzende Seiten füllen. Hier also nur die Kurzform.
Gesellschaftlich ist Belarus eine einzige Katastrophe. Mir fehlen nicht nur die anregenden Einflüsse fremder Kulturen, sondern auch eine gehörige Portion Toleranz.
Dazu ein paar Gedanken: Gesellschaftlich ist Belarus sicherlich auch historisch nie von vielen Kulturen besiedelt worden. Auch zu Zeiten der UdSSR wurden eventuelle Gastarbeiter, wie in der DDR auch, in separaten Heimen untergebracht und ein Kontakt der normalen Menschen mit diesen Arbeitern nach Möglichkeit unterbunden.
Was mich jedoch noch mehr stört, ist die fehlende Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen, insbesondere gegenüber Menschen mit einer anderen als der in Belarus als „normal“ angesehenen sexuellen Orientierung.
Lukaschenko betont bei nahezu jeder sich bietenden Gelegenheit die Unnatürlichkeit von schwulen und lesbischen Beziehungen. Während sich heterosexuelle Paare unbehelligt auf offener Straße küssen können, habe ich das Gefühl, das ein ähnliches Verhalten eines schwulen Pärchens zu einer Verhaftung durch einen der vielen Polizisten führen würde.
Ich finde es schade, dass ich meine Orientierung voll ausleben darf, während ein guter Freund von mir sich verstellen muss, wenn er dieses Land besucht.
Belarus öffnet die Augen und hat mich über die Dinge nachdenken lassen, die wir als selbstverständlich ansehen, die aber gar nicht so selbstverständlich sind.
Vor diesem Hintergrund würde ich niemals länger in Belarus leben wollen, da ich tatsächlich Angst hätte, meine Meinung und meine Ideale frei zu äußern.




Statistik

3900 Fotos, davon 1600 beim Sichten gelöscht
1500 Fotos, davon 600 beim Sichten gelöscht

Gefahrene Bahnkm: 4230
Planmäßige Gesamtfahrzeit: 71h 9 min.
Davon Umsteigezeit: 4h 56 min.
Gesamtverspätung (analog FGR): 28 min.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 59,5 km/h
Langsamste Etappe: Košice – Lemberg (32 km/h); Standzeit in Cierna und Cop: 4h 54 min.


Fahrtkosten (p.P.):
Bahn inkl. Reservierung.......205,50€
Bus + ÖPNV........................38,70€
__________________________
..........................................244,20€


Quellen

http://public-transport.net/a/Lemberg/
http://www.lemberg-lviv.com/
http://www.lvivtoday.com.ua/lviv-history/3788
http://brest-fortress.by/en/memorialnyj-ko...n-monument.html
http://public-transport.net/bim/Krakau.htm

André Böhm, Maryna Rakhlei: Weißrussland. Trescher Verlag
Irene Hanappi: Bratislava. Falters City walks
Frieder Monzer: Slowakei. Trescher Verlag
Ada Anders: Ukraine. DuMont
Ania Klijanienko: Lemberg. Trescher Verlag


Glückwunsch, wer bis hierhin durchgehalten hat. In den letzten drei Wochen habt ihr laut Word exakt 37308 Wörter gelesen. ;)

Abschließend möchte ich mich bei allen Lesen für die vielen positiven Rückmeldungen, Ergänzungen und Korrekturen bedanken.
Zu danken habe ich JeDi, der mich nicht nur einmal und nicht nur in tariflicher Hinsicht beraten hat.
Außerdem geht mein Dank an Simon, der mich vorneweg über Belarus aufgeklärt hat, durch sein umfangreiches Fachwissen den Reisebericht um viele interessante Informationen bereichert hat und beim Übersetzen geholfen hat.
Den größten Dank schulde ich wohl Muffo. Danke, dass du dich auf das Abenteuer eingelassen hast!
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Oliver-BergamLaim
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 6801
Registriert: 26 Nov 2004, 22:15
Wohnort: München

Beitrag von Oliver-BergamLaim »

So, auch hier wollte ich mich nochmal zu Wort melden, was aus Zeitgründen leider erst heute klappt :)
Entenfang @ 27 Jan 2017, 00:04 hat geschrieben:Die Slowakei ist fortschrittlicher, als ich erwartet habe und weiterentwickelt als beispielsweise Rumänien.
Die Slowakei ist, wenn man es auf Euro pro Einwohner herunterrechnet, auch der größte Netto-Transferempfänger der gesamten Europäischen Union (2015: 571 Euro pro Kopf, Rumänien 2015: "nur" 259 Euro pro Kopf, Quelle bpb). Wenn man das berücksichtigt, hat mich persönlich ehrlich gesagt eher verwundert, warum beispielsweise der Zustand der slowakischen Eisenbahn so katastrophal ist, insbesondere im direkten Vergleich zum historisch und von der Ausgangslage nach 1989 her stark verwandten Nachbarn Tschechien. Was ich in der Slowakei binnen einer Woche an Zugausfällen, Lokdefekten und Graffiti gesehen habe, ist unbeschreiblich und mehr als das, was ich sonst in meinem ganzen Leben an derartigen Erlebnissen hatte. In Rumänien dagegen war jeder meiner Züge relativ pünktlich, Zugausfälle oder Fahrzeugdefekte habe ich dort nie erlebt.
Entenfang @ 27 Jan 2017, 00:04 hat geschrieben:Košice scheint bei Touristen etwas bekannter zu sein, da die Stadt 2013 Kulturhauptstadt war.
Dem kann ich auch nicht ganz zustimmen. Mein Eindruck bei meinen zwei Besuchen dort - der erste war im Spätsommer 2015 - war, dass eigentlich überhaupt keinerlei Touristen in Kosice unterwegs sind außer Slowaken und ein paar Tschechen. Englisch oder gar Deutsch habe ich auf der Straße oder in Restaurants nie gehört, mehrsprachige Speisekarten sind fast unbekannt. Kosice ist innerhalb der Europäischen Union definitiv die einzige Großstadt, die ich in diesem völlig touristenfreien, von Einheimischen dominierten Eindruck erlebt habe. Abgesehen davon ist das Zentrum wirklich top saniert, sehr fußgängerfreundlich und architektonisch herausragend - eine Stadt, wie man sie "da hinten" definitiv nicht erwartet. Ich denke, die Lage abseits jeglicher Haupt-Touristenströme in Europa und die schlicht sehr weite Entfernung von Wien/Bratislava/Budapest wird die Stadt die nächsten Jahre erstmal relativ touristenfrei halten. Essen für 4 Euro im Restaurant (großes Hauptgericht mit Beilage, mittags sogar mit Suppe) ist in EU-Großstädten auch eher die Ausnahme geworden. Kosice: von meiner Seite aus alle Daumen nach ganz oben!
Entenfang @ 27 Jan 2017, 00:04 hat geschrieben:Erstens wirken die unzähligen Menschen auf der Straße für uns völlig ungewohnt.
Naja, das finde ich jetzt auch etwas übertrieben. In ukrainischen Städten ist vom Fußgänger-Volumen her meiner Meinung nach auf der Straße nicht mehr oder weniger los als in anderen europäischen Städten vergleichbarer Größe. Lviv, Sevilla oder Krakau: voll. Kiew, Berlin oder Madrid: voll. Tscherniwzi, Chemnitz oder Augsburg: voll. Großstädte eben ;)
Entenfang @ 27 Jan 2017, 00:04 hat geschrieben:In der Innenstadt wurde vermutlich bereits zur EM 2012, als auch die Visumspflicht für EU-Bürger abgeschafft wurde, einiges getan.
Zumindest für Deutsche wurde die Visumspflicht für touristische Reisen in die Ukraine, soweit ich weiß, schon 2005 (also relativ kurz nach der "Orangenen Revolution") abgeschafft. Ich war jedenfalls 2010 das erste Mal drüben und habe definitiv kein Visum gebraucht.
Benutzeravatar
DSG Speisewagen
Lebende Forenlegende
Beiträge: 3482
Registriert: 17 Mär 2014, 00:04

Beitrag von DSG Speisewagen »

146225 @ 24 Jan 2017, 23:38 hat geschrieben: Sprachen. Ach ja, Sprachen. Wo kämen wir da aber auch hin, wenn die Mehrheit der Menschen in Europa auf einmal miteinander redet, statt übereinander? Vermutlich ein gutes Stück weiter. Und aus diesem Zweck befürworte ich breite Sprachbildung. Okay, selbst halte ich nicht übermäßig viel von Französisch, und als ich das in einem übermutigen Anfall von Wahnwitz mal 3 Jahre in der Schule probiert habe, war der Erfolg eher bescheiden. Dennoch ist es richtig, dass es in Baden-Württemberg entlang des Oberrheins bereits schon in der Grundschule gelehrt wird. Und genauso könnten eigentlich Niederländisch, Dänisch, Polnisch oder Tschechisch gelehrt werden, entlang der Bundesgrenzen.

Ich selber lerne übrigens gerade Italienisch. Wenn ich "danach" - ist eine Sprache lernen je wirklich vorbei? - noch Lust habe, könnte auch noch was Osteuropäisches dazukommen.
Es gibt auch Leute die nicht gerne Sprachen lernen. Mir ist das zu aufwändig meine Freizeit damit zu verschwenden, auch weil mir das keinen Spaß macht und Französisch hat mir auch nie Freude bereitet, zu viel Aufwand das vernünftig hin zu bekommen wenn einem das Sprachenlernen keinen Spaß bereitet. ;)
Wobei ich natürlich schon immer die wichtigstens Wörter der jeweiligen Landessprachen aus Höflichkeit lerne, aber alles andere muss auf Englisch sein.

Es reicht doch vollkommen wenn alle in Europa Englisch lernen und dann quasi neben der Landessprache Englisch die zweite Sprache ist. Dann kann man sich darauf konzentrieren und lieber jeder kann richtig gut Englisch als mehrere Sprachen halbwegs.

Es ist schön wenn man die jeweilige Sprache der Nachbarn lernt. In Oberbayern tut man sich da leicht, da die Österreicher abseits des Burgenlandes und von Vorarlberg ja auch bairisch sprechen.
Schwieriger wird es mit Tschechisch, das ist die schwierigste aller osteuropäischen Sprachen und eine der schwierigsten nach Finnisch oder Ungarisch. Wer Zeit und Lust hat gerne. Aber nicht jeder hat Freude an so etwas, dafür gibt es eben Englisch und heute können das die meisten.

Das ist übrigens im Sinne eines gemeinsamen Europas verbindender.
Trassengebühren halbieren! Schwerverkehrsabgabe ab 3,5t für Lkw und Busse einführen! Infrastrukturausbau, Knotenausbau, Kapazitätsausbau! Verminderter Mehrwertsteuersatz für alle Zugfahrkarten! Fahrgastrechte für alle Verkehrsträger gleich!
Benutzeravatar
DSG Speisewagen
Lebende Forenlegende
Beiträge: 3482
Registriert: 17 Mär 2014, 00:04

Beitrag von DSG Speisewagen »

Oliver-BergamLaim @ 20 Feb 2017, 00:17 hat geschrieben: Die Slowakei ist, wenn man es auf Euro pro Einwohner herunterrechnet, auch der größte Netto-Transferempfänger der gesamten Europäischen Union (2015: 571 Euro pro Kopf, Rumänien 2015: "nur" 259 Euro pro Kopf, Quelle bpb). Wenn man das berücksichtigt, hat mich persönlich ehrlich gesagt eher verwundert, warum beispielsweise der Zustand der slowakischen Eisenbahn so katastrophal ist, insbesondere im direkten Vergleich zum historisch und von der Ausgangslage nach 1989 her stark verwandten Nachbarn Tschechien. Was ich in der Slowakei binnen einer Woche an Zugausfällen, Lokdefekten und Graffiti gesehen habe, ist unbeschreiblich und mehr als das, was ich sonst in meinem ganzen Leben an derartigen Erlebnissen hatte. In Rumänien dagegen war jeder meiner Züge relativ pünktlich, Zugausfälle oder Fahrzeugdefekte habe ich dort nie erlebt.
Ist die Slowakei nicht eines der neoliberalsten Länder Europas? Die Armut dort ist trotzdem sehr hoch, auch weil halt nur bestimmte profitieren.
Ob die Korruption niedriger ist als in Bulgarien, Rumänien oder vor allem am Balkan?

Warum die Eisenbahn heruntergewirtschaftet wird? Vielleicht besteht an ihr kein Interesse. Das hat oft verschiedene Gründe.
Warum sind denn am Balkan in den Staaten die Züge vollgeschmiert und die Schmierereien werden nie entfernt? Sogar im hoch entwickelten und reichsten Balkanstaat Slowenien.

In Rumänien gehen die Leute auf die Straße gegen die Korruption, das war schon beeindruckend und man kann nur hoffen dass dies langfristig was bringt.
Vielleicht sollten sich die Bürger einer bayerischen Großstadt ein Beispiel nehmen. ;)
Trassengebühren halbieren! Schwerverkehrsabgabe ab 3,5t für Lkw und Busse einführen! Infrastrukturausbau, Knotenausbau, Kapazitätsausbau! Verminderter Mehrwertsteuersatz für alle Zugfahrkarten! Fahrgastrechte für alle Verkehrsträger gleich!
NJ Transit
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 5192
Registriert: 07 Sep 2009, 15:55
Wohnort: Wabe 320
Kontaktdaten:

Beitrag von NJ Transit »

DSG Speisewagen @ 20 Feb 2017, 13:43 hat geschrieben: Ob die Korruption niedriger ist als in Bulgarien, Rumänien oder vor allem am Balkan?
Zumindest ist es mir bislang an keinem slovakischen Grenzübergang passiert, dass zuerst der Zub geschmiert wird fürs behilflich sein beim Schmuggelgut in der Deckenverkleidung verstecken, dann der Grenzer auf der einen Seite überfreudig den Schmuggelnden begrüßt und dann der der anderen Seite.
My hovercraft is full of eels.

SWMdrölf. Jetzt noch nächer, noch hältiger, noch fitter. Bist auch du Glasfaser und P-Wagen?
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8128
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Beitrag von Entenfang »

Oliver-BergamLaim @ 19 Feb 2017, 23:17 hat geschrieben: So, auch hier wollte ich mich nochmal zu Wort melden, was aus Zeitgründen leider erst heute klappt :)
Freut mich, dass doch noch einige Kommentare kommen. :)
Dem kann ich auch nicht ganz zustimmen. Mein Eindruck bei meinen zwei Besuchen dort - der erste war im Spätsommer 2015 - war, dass eigentlich überhaupt keinerlei Touristen in Kosice unterwegs sind außer Slowaken und ein paar Tschechen.
Im Nachhinein muss ich angesichts deiner Anmerkung feststellen, dass meine Aussage diesbezüglich wohl nicht richtig war. In der Tat gibt es in Bratislava im Gegensatz zu Kosice deutlich mehr westliche Touristen - eigentlich wollte ich auch schreiben, dass Kosice bei Einheimischen wohl eher als Reiseziel dient denn Bratislava. Zumindest hat das auch unsere Führerin in Bratislava erzählt.
Ich finde beide Städte ganz nett, kann man mal gesehen haben, aber die jeweils 2 Tage Aufenthalt fand ich ausreichend.
Zumindest für Deutsche wurde die Visumspflicht für touristische Reisen in die Ukraine, soweit ich weiß, schon 2005 (also relativ kurz nach der "Orangenen Revolution") abgeschafft.
Damit hast du völlig recht, auch hier lag ich daneben.
Es reicht doch vollkommen wenn alle in Europa Englisch lernen und dann quasi neben der Landessprache Englisch die zweite Sprache ist. Dann kann man sich darauf konzentrieren und lieber jeder kann richtig gut Englisch als mehrere Sprachen halbwegs.
Letztlich wird doch in allen Ländern Europas wohl Englisch in der Schule gelehrt. Aber ich widerspreche dir, dass es nicht nötig ist, weitere Sprachen zu lernen. Denn insbesondere ältere Menschen können eben oftmals kein Englisch - und gerade in Tschechien habe ich festgestellt, dass man abseits von Prag und der grenznahen Region ohne Tschechisch große Probleme hat. Ganz abgesehen davon, dass ein paar Worte egal welcher Landessprache eigentlich immer gut ankommen und einem manche Tür öffnen.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
146225
*Lebende Forenlegende*
Beiträge: 18023
Registriert: 01 Apr 2007, 17:45
Wohnort: TH/EDG

Beitrag von 146225 »

Das möchte ich doch glatt auch unterstreichen, Europa ist für alle Beteiligten einfacher, wenn man nicht nur übereinander, sondern auch miteinander spricht.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
Benutzeravatar
DSG Speisewagen
Lebende Forenlegende
Beiträge: 3482
Registriert: 17 Mär 2014, 00:04

Beitrag von DSG Speisewagen »

146225 @ 25 Feb 2017, 08:48 hat geschrieben: Das möchte ich doch glatt auch unterstreichen, Europa ist für alle Beteiligten einfacher, wenn man nicht nur übereinander, sondern auch miteinander spricht.
Aber es ist unrealistisch dass jeder jede Sprache lernt, zumal z. B. finnisch oder tschechisch total schwere Sprachen sind. Ich kann mich durchaus verständigen (also sowohl in tschechisch als auch italienisch), aber Konversationen kann ich damit nicht führen.
Ich stimme zu dass man die Grundbegriffe und Höflichkeitsformen kennen sollte, aber ansonsten ist eben Englisch das Mittel und wo es ältere Menschen nicht sprechen reicht Hand und Fuß.
Im östlichen Mitteleuropa sprechen viele ja auch deutsch, vor allem in den Grenzgebieten. Ich finde es auch gut dass z. B. die Einzelhändler in bayerischen Grenzstädten ihrem Personal Tschechischkurse geben (in Sachsen wahrscheinlich eher nicht), weil dies ein wichtiger Standortvorteil ist.

Als Privatperson hätte ich davon aber keinen Nutzen, da reicht mir das nötigste, denn meine Freizeit ist eh knapp und da mache ich gerne was mir Spaß macht. ;)
Nicht jeder hat Freude daran Sprachen zu lernen. Blöd dass die Menschheit nicht eine Einheitssprache hat, dann könnte man sich das sparen. :)

Wichtig ist doch dass wir uns verständigen und kapieren dass wir nur gemeinsam, in einem gemeinsamen Europa erfolgreich sein werden.
Trassengebühren halbieren! Schwerverkehrsabgabe ab 3,5t für Lkw und Busse einführen! Infrastrukturausbau, Knotenausbau, Kapazitätsausbau! Verminderter Mehrwertsteuersatz für alle Zugfahrkarten! Fahrgastrechte für alle Verkehrsträger gleich!
146225
*Lebende Forenlegende*
Beiträge: 18023
Registriert: 01 Apr 2007, 17:45
Wohnort: TH/EDG

Beitrag von 146225 »

Es muss nicht jeder alle Sprachen können, das ist natürlich unrealistisch. Aber es kann durchaus Freude machen, sprachlich noch dazuzulernen.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
Antworten