Dank Nicht-Vertaktung habe ich hier erstmal 60 Min. Aufenthalt. Weil der IC nach Swinoujscie +15 hat…
…und derzeit wegen Bauarbeiten nur ein Gleis im elektrifizierten Bahnhofsteil und auf der zweigleisigen Strecke Richtung Breslau nutzbar ist, verlängert sich mein Aufenthalt.
Wie viel Verspätung haben wir denn?
Endlich darf der modernisierte Wagenzug von Polregio rein, nachdem er 10 Min. am Esig gewartet hat.
Und nachdem der raus ist, nähert sich dann auch mein IC.
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Wir stehen nochmal 5 Minuten, ehe endlich der Regionalzug den Blockabschnitt vor uns geräumt hat und wir Richtung Breslau starten können. Es handelt sich um einen Bauabschnitt der Strecke Poznan – Leszno – Breslau, die auf 160 km/h ertüchtigt und leider mit 10 m hohen Lärmschutzwänden eingezäunt wird. Parallel wird auch eine Autobahn gebaut.
Mit +8 erreiche ich Breslau, wo ich mir einen Kaffee gönne und ein Tram-Abschiedsbild aufnehme, ehe ich mich wieder in den Bahnhof begebe.
![Bild](https://farm1.staticflickr.com/962/41928584171_8d401518b0_c.jpg)
Die Škoda 19T-Bahnen sollen vorwiegend auf den Tram PLUS-Linien (Nr. 30-39) eingesetzt werden, die durch LSA-Bevorrechtigung und eigene Bahnkörper eine höhere Reisegeschwindigkeit erreichen sollen.
Erwartungsgemäß ist der Dresden – Wroclaw - Express gut gefüllt, als ich den Bahnsteig erreiche. Der hintere Zugteil wird in Görlitz abgehängt, ist aber auch nicht wesentlich leerer. Ich steige in den vorderen Triebwagen ein und suche einen freien Sitzplatz. Ein Vierer wird durch ein junges Pärchen blockiert, das sich schräg gegenübersitzt und die Beine weit ausgestreckt hat. Um sich andere Fahrgäste vom Leib zu halten, haben sie einen Sitzplatz mit einem Pizzakarton (Pizza Salami von Pizza Hut) blockiert und auf dem anderen freien Sitz zwei Stoffbeutel platziert.
Excuse me, can I sit here?
„No, sorry“, meint der junge Mann und seine Freundin plappert irgendwas auf Deutsch.
Wie schön, Deutsche. Sie verstehen doch sicher, dass jeder Fahrgast nur einen Sitzplatz belegen darf?
„Ja, aber können Sie sich nicht woanders hinsetzen?“
Ich sehe nicht mehr allzu viele freie Sitzplätze.
„Dann versuchen Sie es halt im anderen Wagen.“
Der fährt aber nur bis Görlitz und ich werde ganz sicher nicht umsteigen.
„Ja aber meine Freundin braucht gerade bisschen Platz. Außerdem wollen wir nicht so gequetscht sitzen.“
Ja, aber ich werde deswegen nicht bis Dresden stehen. Und was spricht jetzt dagegen, die beiden Stoffbeutel auf der Ablage zu verstauen?
„Da sind aber Flaschen drin und wenn die runterfallen, zerbrechen sie“, schaltet sich nun die beschützenswerte Freundin in die Diskussion ein.
Warum sollten die denn runterfallen?
Ihr Freund sieht schließlich ein, dass ich von der hartnäckigen Kategorie bin, dass er nicht damit durchkommen wird und verschwindet schließlich, wohl um einen freien Sitzplatz für mich zu suchen.
Eine ältere Frau bietet mir daraufhin einen Platz im dahinterliegenden Vierer an. „Wollen Sie sich hierhin setzen? Dann müssen Sie nicht rumstreiten.“ Ich nehme dankend an.
„Ist ja wohl typisch Deutsch“, meint die rüstige Seniorin, „sowas hartnäckiges und Unverschämtes habe ich ja noch nie erlebt. Sie können sich doch wohl hinsetzen, wo Sie wollen!“ Ich stimme ihr zu, dass dieses egoistische Verhalten wohl typisch deutsch ist, dass ich sowas aber des Öfteren erleben würde. Bisher habe ich allerdings noch immer meinen Sitzplatz bekommen.
Kurz vor Abfahrt geht der Schaffner durch den Zug und schaut, wo noch freie Plätze sind. Inzwischen ist der Freund zurückgekehrt und hat wieder platzgenommen. Ich höre noch irgendwas von „Erst macht der so ein Theater und setzt sich dann doch woanders hin“. Sie erhalten eine persönliche Einladung, die beiden Sitze freizugeben und die Freundin erzählt wieder die lahme Geschichte von den zerbrechlichen Flaschen. Schließlich räumt sie mit äußerstem Widerwillen im Zeitlupentempo die beiden Stoffbeutel vom Sitz und stellt sie vor der Tür des Führerstands ab. Kaum ist der Schaffner verschwunden, stehen sie wieder auf dem Sitz. Der Schaffner schickt zwei stehende polnische Fahrgäste zu den Sitzen, die wieder blockiert sind. Nach kurzer Diskussion geben sie schließlich auf und stellen sich wieder in den Einstiegsbereich.
Kurz darauf kehrt der Schaffner zurück und ist wenig begeistert vom Verhalten der beiden. „Wie viele Fahrkarten haben Sie? Zwei Fahrkarten, zwei Plätze.“ Dann positioniert er höchstpersönlich zwei Fahrgäste auf den dann doch freigeräumten Sitzplätzen. „Bravo, ich könnte Beifall klatschen!“, kommentiert die Frau neben mir und ich bin derselben Meinung. Wenn das mal kein würdevolles Abhaken von „Gepäck statt Fahrgast auf dem Sitz“ im Bullshit-Bingo ist…
„Wieso fährt der eigentlich mit Diesel? Da hängt doch eine Stromleitung“, murmelt ein älterer Mann im Vierer gegenüber vor sich hin und gibt sich sogleich selbst die Antwort: „Naja, vielleicht schaltet der halt automatisch irgendwie…“
Zwei Rehe nehmen ihr Abendessen direkt am Bahndamm ein und lassen sich vom vorbeirauschenden Zug nicht stören. Die Nacht senkt sich über die niederschlesischen Felder und erst allmählich wird der Desiro etwas leerer. Pünktlich bringt uns der polnische Tf mit sehr zackiger Fahrweise bis nach Görlitz. Die
böse Brücke von Klotzsche wird erfolgreich passiert, doch bald kommen wir in der Finsternis zum Stehen. „Verehrte Fahrgäste, aufgrund einer Signalstörung verzögert sich die Ankunft um 10 Minuten.“ Dann geht es im Schritttempo auf Sicht weiter.
Und der Entenfangsche Preis für unnötigen Sichtanschluss geht an die MRB – die RB 30 setzt sich just in dem Moment in Bewegung, als der rennende Umsteiger den Querbahnsteig erreicht hat. Herzlichen Glückwunsch!
Fazit
Die Stadt Poznan bietet keine außergewöhnlichen Höhepunkte, zumindest nicht, wenn man schon 2x in Breslau und 3x in Krakau war. Der Straßenbahnbetrieb ist auf einem relativ modernen Niveau. Zahlreiche Haltestellen sind bereits barrierefrei ausgebaut, wenn auch der Zugang gelegentlich etwas umständlich über mehrere Ampeln oder durch eine Unterführung erfolgt. Abends und am Wochenende kommen planmäßig ausschließlich Niederflurfahrzeuge zum Einsatz. Unter der Woche ist der eingesetzte Wagenpark dagegen sehr abwechslungsreich.
Leider bremsen der MIV und die Ampeln die Tram stark aus. Aus Sicht der Wartezeitminimierung wäre daher das Anlegen der Haltestellen bevorzugt vor den Knotenpunkten anzulegen – in Realität überwiegt gefühlsmäßig die Lage nach den Knoten, womit es den Fahrgästen im Verästelungsnetz leichter gemacht wird, die nächstmögliche Bahn in ihre Richtung zu erreichen. Ein weiterer wesentlicher Nachteil angesichts des dichten Straßenbahnverkehrs sind die nicht existenten Doppelhaltestellen, sodass einerseits das Umsteigen in die vorausfahrende Bahn nicht möglich ist und sich andererseits die Standzeit noch länger hinzieht. Wirklich nachvollziehbar ist das zudem nicht, weil der Platz oftmals problemlos vorhanden wäre.
Der Gleiszustand schwankt je nach Lage sehr stark und ist tendenziell bei eigenem Bahnkörper gut und bei straßenbündiger Führung schlecht (was auch daran liegt, dass bei Modernisierung ein besonderer Bahnkörper angestrebt wird, sofern möglich). Unabhängig vom Gleiszustand sind die Posener Straßenbahnfahrer unglaubliche Raser. Die stark motorisierten Moderus-Wagen, die geringe Sitzplatzzahl in vielen Fahrzeugen sowie der chaotische Straßenverkehr tragen maßgeblich dazu bei, dass in Poznan sehr erfolgreich Fahrgastbowling gespielt wird.