Mühldorfer @ 16 May 2018, 10:15 hat geschrieben:Von Neuötting nach Lahde-Petershagen, max. Umsteigezeit in Mühldorf, München, Hannover und Minden/Nienburg je 30min, real im Schnitt dann 15min, insgesamt 1h, Zeit für den Zeitungskauf oder einen Imbiss.
Nein.
Falls das jemandem bekannt vorkommt – mit der gleich begründeten, ähm, Imbiss-Symmetrie-These
hab ich mich hierzuforum mal befasst, daher in aller Kürze:
Es ist statistische Grütze wie auch ein rhetorischer Taschenspielertrick, aus einem komplexen, interdepenenten Netz einen x-beliebigen Einzelfall rauszupicken, einen falsch berechneten Durchschnitt darauf anzuwenden und dieses Ergebnis dann noch zu verallgemeinern. Wenn anno dazumal deine Versetzung gefährdet gewesen wäre, weil du in beiden Latein-Arbeiten eine glatte 5 geschrieben hättest, ist ein Verweis auf den „realen“ Notendurschnitt der Arbeiten von 2,8 und 3,2 kein Argument, das in deinem individuellen Fall stäche. Deine konkreten, individuellen Leistungen blieben real, weil entscheidungsrelevant.
Erstens, die durchschnittliche Umsteigezeit bei einem 30-Minutenflächentakt beträgt nicht genau 15 Minuten, sondern sie liegt leicht darüber. Auch die Aufenthaltszeit der Züge fließt mit ein und diese beträgt im FV typischerweise zwei Minuten.
Zweitens, du unterschlägst die bereits angedeutete (und dir wohl bekannte, s.u.) Streuung um den Durchschnittswert. Da nicht jeder Umstieg genau ~17 Minuten dauert, werden manche Transfers zehn oder gar nur fünf Minuten betragen, andere dagegen 20 oder gar 25 Minuten. Das heißt mit Blick auf die erwartbare, weil weitgehend zufällige Verteilung der Fallzahlen wird etwa die Hälfte aller möglichem Umstiege überdurchschnittlich lange dauern, die andere Hälfte entsprechend unterdurchschnittlich lange.
Wie bei der Latein-Analogie, was bringt dir ein Verweis auf einen angeblich positiven Durchschnitt, wenn deine konkrete, reale Fahrt dich real überdurchschnittlich lange in Mühldorf, Minden oder sonstigen Weltstädten warten lässt, wo der angepriesene Imbiss womöglich noch auch aus einem Snack-Automaten kommt? Was, wenn das nicht auf einer Reise von Süd- nach Norddeutschland ist, sondern von Peißenberg nach Penzberg, wo sich überdurchschnittliche Wartezeiten um so deutlicher in einer verlängerten Reisezeit niederschlagen?
Etwas losgelöst von der Simplex-Wahrscheinlichkeitsrechnung drittens, du gehst bei deiner „These“ davon aus, dass auf jeder Strecke ein durchgehender 30-Minutentakt gefahren wird. Das ist mindestens wagemutig, zum einen ist eine halbstündliche Anbindung der NATO-Bahn Minden-Nienburg, stellvertretend für ähnliche Strecken, nicht erkennbar; zum anderen wird spätestens zum Tagesrand hin und an Sonntagen auf einen Stundentakt ausgedünnt - und in manchen Landstrichen wäre selbst ein Stundentakt an Wochenenden eine Verdopplung des bestehenden Angebots.
Mühldorfer @ 16 May 2018, 10:15 hat geschrieben:Dafür besere Betriebsabwicklung und stabilere Fahrpläne weill dann auch Anschlüsse grundsätzlich nicht abzuwarten nötig wäre.
Nein. Du setzt implizit eine gleichmäßige Verteilung aller Linien auf allen befahrenen Abschnitten voraus. Ohne koordinierte Fahrplanung sowie damit zusammenhängend infrastrukturellem Ausbau ist das so gut wie unmöglich. Eine „bessere Betriebsabwicklung“ ist bei deutlich ausgeweitetem Verkehrsangebot auf der vorhandenen Infrastruktur nicht zu erwarten.
Außerdem müssen bei einem ITF Anschlüsse nicht „grundsätzlich“ abgewartet werden. Wie auch bei Taktsymmetrie Anschlüsse nicht nicht abgewartet werden müssen.
Diese beiden Punkte, „Betriebsabwicklung“ und Anschlusssicherheit, hängen maßgeblich von der Infrastrukturanlage und der sich damit wechselseitig beeinflussenden Fahrplanausgestaltung ab. Nicht vom hinterlegten Modell.
Entscheidend ist die Frage, wie und wo Infrastruktur und Fahrzeiten zwischen zwei ausgewählten Punkten es erlauben Abweichungen in welcher Dimension abzupuffern und so Verspätungen abzubauen. Wenn die Infrastruktur am Anschlag operiert (plakativ die Stammstrecken der S-Bahnen München; zutreffenderes der Knoten Frankfurt, der einen 30-Minuten-Takt auf allen zulaufenden FV- und RV-Linien gar nicht aufnehmen könnte, operiert er doch bereits heute am Anschlag) ist es egal, ob darauf ein Integraler Taktfahrplan oder ein symmetrischer Taktfahrplan gefahren wird. Wenn die Infrastruktur nicht genügend Reserven aufweist, um Abweichungen des voraus schleichenden Güterzuges aufzufangen oder weil sie unnötige Fahrstraßenausschlüsse produziert; wenn der Fahrplan nicht genügend Fahrzeitenüberschüsse einberechnet hat und so die Verzögerungen beim Ein- und Ausstieg nicht ausgleichen werden können; wenn Bauarbeiten die vorhanden Pufferzeiten auffressen; wenn der Zug bereits mit 25 Prozent ausgefallener Traktionsleistung auf die Reise geschickt wird; das alles schlägt auf die Betriebsqualität durch. Nicht die theoretischen Annahmen hinter dem Modell des durchgeführten Fahrplans.
Außerdem unterschlägst du bei deiner Gleichverteilung die Problematik des Trassenfraßes: Schnelle Züge zerschneiden die Trassen der langsameren und senken die verfügbare Kapazität der Strecke. Abgemildert wird dies durch Trassenbündelungen, wie am Oberrhein zwischen Freiburg und Basel, in Hessen zwischen Frankfurt und Fulda oder in Bayern zwischen Ingolstadt und München gut zu sehen. Deine propagierte Gleichverteilung schneller Züge ginge ohne Neubau entlang solcher Strecken zu Lasten des Regional- und Güterverkehrs, die in noch mehr Überholungen an die Seite genommen oder auf andere Strecken umgelegt werden müssten oder gar nicht eingerichtet werden könnten. Beispiel RMV für letztgenanntes: Der würde liebend gerne noch mehr Expresszüge zwischen Frankfurt und Fulda einrichten, für sie gibt es schlicht keine Trassen mehr.
Mühldorfer @ 16 May 2018, 10:15 hat geschrieben:Ebenso besteht dann auch die Chance nichtplanmäßige Anschlüsse zu erreichen weil der Anschlußzug Verspätung hat. "Zug hatte Verspätung, deshalb kome ich früher"!
Eine Antithese und ein Oxymoron in einem. So muss Technik.
Dieser, ähm, Vorteil ergibt sich nur bei der Annahme, dass die Alternative zum mehr oder weniger zufallsbasierten 30er-Flächtentakt ein prototypischer ITF ebenso flächendeckend aufgebaut ist. Beides ist unrealistisch.
Im Konkreten würde sich dieser Vorteil nur dort ergeben, wo die reguläre Umsteigezeit größer ist als die tatsächliche Umsteigezeit – verkürzt gesagt, dort wo der Anschluss gerade dann abfährt, wenn der Zubringer ankommt. Da beißt man sich also neunmal in den Hintern, weil der Fahrplan so gestaltet, dass man dem Zug hinterwinken darf, aber beim zehnten Mal kommt man endlich früher an. Yeah...
N.b., das legt nahe, du weißt um die Streuung, erwähnst sie aber nicht, vermutlich weil du damit dein Argument des verkraftbaren Imbiss-Aufenthaltes beschädigen würdest. Noch dazu versuchst du diesen Mangel positiv umzukehren.
Aber eine Abweichung kann doch schlecht als genereller Vorteil verkauft werden. Ich hab's auch schon mit Gepäck geschafft, in Stuttgart Hbf mit der XXL-Baustelle von Gleis 15 ganz draußen zur S-Bahn im Untergeschoss umzusteigen in viereinhalb Minuten und war so 20 Minuten früher am Ziel. Als positives Postulat, die regulären 13 Minuten Umsteigezeit zu negieren, eignet sich das trotzdem nicht. Dafür muss zu viel bahnseitig zusammenkommen, und dass es außerdem nach 23 Uhr war, wo doch eher wenig los ist, und dass von den wenigen dann noch weniger Lust haben werden, sich derart körperlich zu verausgaben, kommt auch noch hinzu.
Und mit dieser Anekdote ist sogar einigermaßen der Bogen zum Threadtitel geschlagen
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