„Hey, ich mache Auslandssemester in Shanghai. Willst du mich nicht besuchen kommen?“
Da kann es nur eine Antwort geben – und die lautet ja.
Mal Hand aufs Herz – wie viele chinesische Millionenstädte (es gibt über 100) könnt ihr nennen? Shanghai, Peking und Hongkong kennt wohl jeder, aber wer hat schon mal Dalian, Zhengzhou oder Ningbo gehört?
Mir ging es nicht anders, bevor ich mit den Planungen für diese Reise begonnen habe.
Bereits lange bevor ich den ersten Fuß in einen chinesischen Zug setze, sollte ich einiges über die Eisenbahn in China lernen.
30 Tage vorher
30 Tage vor einer geplanten Bahnfahrt in China sind ein enorm wichtiger Zeitpunkt, denn dann wird die Online-Buchung für Fahrkarten freigeschaltet. Das gilt insbesondere, wenn man während des chinesischen Neujahrsfests unterwegs ist. Von der Bedeutung des Festes ist es mit Weihnachten bei uns vergleichbar. Wer schon mal um Mitternacht zwei Monate vor Fahrplanwechsel versucht hat, einen Sparpreis für den Freitag vor Weihnachten zu bekommen, weiß, wovon ich spreche. Doch man stelle sich nun den deutschen Weihnachtsreiseverkehr hochgerechnet auf eine Bevölkerung von 1,3 Mrd. Menschen vor, welche ihre wenigen Urlaubstage dazu nutzen möchten, um ihre Familie zu besuchen oder zu verreisen. Und dann bedenke man, dass viele der konventionellen Langstreckenzüge nur einmal oder wenige Male pro Tag verkehren.
Nun, das Ergebnis dieses Gedankenspiels ist in unserem Fall unschön. Zwei Minuten nach Buchungsfreigabe sind sämtliche Züge zwischen Changsha und Zhangjiajie ausgebucht – als letzte Option wäre uns ein Stehplatz auf einer knapp sechsstündigen Fahrt mit Ankunft am Ziel mitten in der Nacht geblieben. Das wollen wir dann doch nicht und haben die Strecke erstmal fallen gelassen. Für die 400 km wird sich wohl irgendwie kurzfristig ein Bus vor Ort finden müssen.
26 Tage vorher
Zur Freigabe der nächsten Strecke sind wir besser vorbereitet, doch das Resultat fällt nicht viel besser aus. Der gewünschte Zug ist ebenfalls komplett ausgebucht. Also müssen wir notgedrungen eine frühere (vor allem für meinen Geschmack viel zu frühe) Abfahrt wählen.
Bei Hochgeschwindigkeitszügen sieht es meistens nicht ganz so übel aus, ich verfolge die Ausbuchungsgeschwindigkeit der weiteren Strecken im Laufe der Tage mit, um die besonders kritischen Abschnitte zu identifizieren. In der Tat fällt mir dabei eine Strecke ins Auge, welche ebenfalls innerhalb von Minuten komplett ausgebucht ist. Es handelt sich um einen Hochgeschwindigkeitszug, in welchen wir am relativ kleinen Zwischenhalt Yangshuo (sowas wie Montabaur) einsteigen wollen.
Ich nutze also die verbleibenden Tage bis zur Buchungsfreigabe, um ein wenig zu recherchieren.
Es gibt generell einige unterschiedliche Möglichkeiten, Zugfahrkarten für China zu erwerben.
Erste Option: Kauf am Bahnhof vor Ort. Angesichts des schnellen Ausverkaufs, der möglicherweise langen Schlangen und der Verständigungsprobleme nicht unbedingt zu empfehlen. Wir haben allerdings am Bahnhof nie länger als 10 Minuten anstehen müssen.
Zweite Option: Kauf in einem autorisierten Reisebüro vor Ort. Eher kürzere Schlangen, dafür schwer zu finden und ebenfalls Verständigungsschwierigkeiten sind zu erwarten.
Dritte Option: Online-Tickets auf der offiziellen Website: http://www.12306.cn/mormhweb/
Nur mit Chinesischkenntnissen und einer chinesischen Kreditkarte nutzbar.
Vierte Option: Über ein Vermittlungsportal.
Es gibt eine breite Auswahl und alle haben eins gemeinsam: Pro Fahrkarte wird eine Gebühr von etwa 5…10€ fällig.
http://english.ctrip.com/#from=click_en
https://www.chinahighlights.com/china-trains/
https://www.travelchinaguide.com/china-trains/
https://www.china-diy-travel.com/en/
Für eine Fahrplanauskunft mit Entfernungsangaben eignet sich auch folgende Seite:
http://www.chinatrainguide.com/
Ctrip hat sich als verlässlich erwiesen und die genaue Zeit der Buchungsfreigabe (chinesische Ortszeit!) ist ersichtlich. Aber die Buchung muss man selbst vornehmen. Die anderen Portale bieten auch die Möglichkeit, bereits vor Beginn der Vorverkaufsfrist die Buchung in Auftrag zu geben, welche dann von Mitarbeitern so bald wie möglich vorgenommen wird.
Um unsere Wahrscheinlichkeit auf eine Fahrkarte zu erhöhen, habe ich dann vorgeschlagen, die gewünschte kritische Strecke von Yangshuo nach Guangzhou sowohl in Auftrag zu geben, als auch sofort nach Freischaltung selbst über Ctrip zu versuchen. Fahrkarten können problemlos storniert werden; lediglich die Vermittlungsgebühr ist futsch. Die Fahrkarten sind namensgebunden und es ist nicht möglich, eine weitere Fahrkarte für einen in zeitlichem Konflikt liegenden Zug zu buchen.
In einem umfangreichen E-Mail-Austausch mit China-DIY-Travel habe ich dann die Möglichkeiten, die Fahrkarten für die gewünschte Strecke zur gewünschten Zeit zu bekommen, erörtert. Mir wurde erläutert, dass es deswegen so außerordentlich schwierig ist, an die gewünschten Fahrkarten zu kommen, weil wir an einem kleinen Zwischenhalt zusteigen wollen. Jedem Zwischenhalt des Zuges würde ein gewisses Ticketkontingent zugewiesen; für größere Städte ist es natürlich größer als für kleinere. (Ich vermute, dass sich die Umsetzung der Reservierungspflicht in China deutlich von der in Europa angewendeten unterscheidet. Vermutlich ist es problemlos möglich, einen kompletten TGV nur mit Fahrten Karlsruhe – Strasbourg auszubuchen. In China ist das hingegen nicht möglich.)
Also schlage ich vor, eine Fahrkarte für eine längere Strecke mit Start an einem größeren Ort zu buchen. Prallelen zum Alibi-Sparpreis drängen sich auf, mit dem Unterschied, dass es nicht darum geht, den Preis zu drücken, sondern überhaupt eine Fahrkarte (dafür aber zu einem höheren Preis) zu bekommen.
Aber funktioniert diese Variante in China überhaupt? Im Gegensatz zu Deutschland sind die Bahnsteige nicht frei zugänglich und die Fahrkarte wird bereits vor dem Einstieg kontrolliert. Ich bekomme grünes Licht sowohl von China-DIY-Travel als auch aus China.
20 Tage vorher
Wir bekommen eine Fahrkarte für den kompletten Zuglauf Liuzhou – Shenzhen ausgestellt und zahlen mehr als das Doppelte – aber immerhin haben wir die gewünschten Fahrkarten.
10 Tage vorher
Die letzten Tage und Wochen ist mir die fehlgeschlagene Zugverbindung Changsha – Zhangjiajie mit Aussicht auf Busersatz nicht aus dem Kopf gegangen. Ausgerechnet auf eine Bummelzugverbindung soll ich verzichten? Darüber bin ich gar nicht glücklich. Jeden Tag starte ich bei Ctrip eine neue Suche, stets mit demselben Ergebnis. Nur die Stehplätze mit Ankunft mitten in der Nacht bleiben verfügbar. Bei anderen Zügen stelle ich dagegen fest, dass wieder Fahrkarten verfügbar werden – möglicherweise, weil jemand seine Fahrkarten storniert hat oder nicht alle Fahrkarten bereits 30 Tage vor Abfahrt freigeschaltet werden.
Schließlich dann große Freude bei mir – 4 Sitzplätze frei! Schnell klicke ich auf Buchung, gebe die Kreditkartendaten ein uuuuuund… Booking cancelled. Keine Plätze verfügbar.
Zwei Stunden später sind es immer noch 4 freie Plätze und ich starte einen neuen Anlauf. Booking cancelled. Gnapf.
Einige Stunden später sind es immer noch 4 freie Plätze. Ich versuche es ein drittes Mal. Uuuuuuuund…
Booking confirmed!
YAAAAAAAAY! Ich habe meine Bummelzugfahrkarten bekommen! 3€ pro Person für sechs Stunden Fahrt auf 400 km – wenn das mal kein Erlebnis wird…
Und es wurde ein Erlebnis – ein kurzer Überblick über das riesige Land:
Als Vertreter des modernen Chinas bietet sich der Blick über den Bund auf das Stadtviertel Pudong in Shanghai an.

Ein Tag, der bleibt. Spaziergang auf der Chinesischen Mauer.

Das nachts unglaublich stimmungsvolle muslimische Viertel in Xi’an hat es mir nicht leichtgemacht, die Kamera irgendwann einzupacken und weiterzugehen.

Personalwechsel beim ICE äh CRH3A.

Nicht zu vernachlässigen ist die Natur mit einem Tick zu frechen Affen…

…und (fast) perfekten Spiegelbildern.

Und wenn der Platz nicht mehr reicht, baut man einfach nach oben – Aufgeständerte Straßen, Wolkenkratzer und Doppeldeckerstraßenbahnen in Hongkong.

Also dann, alle einsteigen und Abfahrt!

In Kürze gebe ich den Abfahrauftrag für diese Reise:
