Bahnhofsgebäude mit Fackel – im Dunklen leuchtet sie.
Derzeit besteht das U-Bahnnetz aus zwei Durchmesserlinien, drei weitere Linien sind in Bau.
Wir suchen eine Gelegenheit für ein spätes Mittagessen und zu diesem Zweck die nahegelegene Mall auf. Wir irren ewig herum, finden aber nur Fastfood-Läden und eine Bimmelbahn, die innerhalb (!) der Mall verkehrt – mal wieder ein Beispiel für die Lauffaulheit der Chinesen.
Nach der Überquerung einer rostigen Fußgängerbrücke, unter der sich eine unendliche Blechlawine staut, entdecken wir einen chinesischen Imbiss.
Ein sehr typisches Gericht ist die Nudelsuppe.
Gleichzeitig handelt es sich um eines der am schwersten mit Stäbchen essbaren Gerichte, denn die öligen Nudeln rutschen gerne ab und verteilen die Suppe auf dem Tisch und meiner Jacke. Bei den spaghettilangen Nudeln hilft auch der dazu gereichte Löffel wenig. Selbstverständlich werden die Suppennudeln hinter der Theke frisch hergestellt. Leider macht eine Portion nicht wirklich satt.
Anschließend folgt ein kurzer Spaziergang durch den nahen Stadtpark.
Kommunistenpropaganda
Es gibt einige Sportgeräte und ein älterer Mann führt erstaunliche Turnübungen vor.
Blick auf die Rückseite einer Mall, die wie ein abgestürzter Zeppelin aussieht
Ebendiese suchen wir nun auf, um uns einen Nachtisch bei Shín-bakkö-káféi (Starbucks) zu gönnen. Ein Muffin, ein Stück Kuchen und ein Kaffee kosten mehr als das Dreifache der zwei Nudelsuppen unseres Mittagessens. Dafür kann man doch mehr erwarten als Pappbecher und Plastikgabel…
Schließlich kehren wir zum Bahnhof zurück, um unsere Koffer einzusammeln. Wieder neugierig beäugt, erkundigt sich die Mitarbeiterin, woher wir kommen. Ausländer würden hier nur sehr selten vorbeikommen.
Selbstverständlich sind wir auch immer wieder Fotomotiv.
Nach der Sicherheitskontrolle betreten wir den Bahnhof, welcher nicht allzu riesig und in sowjetischem Stil gehalten ist.
Man beachte das große Bild über der Treppe – unser nächstes Etappenziel.
Wir suchen den richtigen von vier Warteräumen auf.
Noch ist der Zugang zu unserem Zug geschlossen. Eine Frau geht durch die Sitzreihen. Sie hält einen Zettel in der Hand, auf dem ein Herz neben einem chinesischen Text abgebildet ist, möglicherweise eine Prostituierte. Ein Mann fängt daraufhin an, laut herumzuschreien und einige Wartende blicken von ihren Handys auf. Die Frau zieht eilig durch die Reihen, während der Mann weiter herumplärrt.
Der Zugang zu einem anderen Zug wird geöffnet und eine Horde Menschen kommt angestürmt, Gepäck und Kinder hinter sich herzerrend. Wenige Minuten später ist auch unser Zug dran und das Gedränge geht erneut los. Wir bleiben erstmal entspannt sitzen, da unsere Sitzplätze ohnehin reserviert sind.
Während die HGV-Züge ziemlich teuer sind, nutzen wir jetzt einen Zug der billigsten Kategorie, erkennbar an der Zugnummer ohne Buchstaben. Man merkt den Unterschied deutlich am Aussehen und Verhalten der durch die Unterführung eilenden Menschen. Viele Familien sind dabei, ein Mann schlägt seine Kinder.
Auf dem Bahnsteig trennen wir uns, weil ich nur getrennte Plätze ergattert habe, Alex im Wagen 5, ich im Wagen 15. Nach dem Betreten des Waggons schlägt mir eine Mauer aus Menschen und Qualm entgegen. Alle drängeln irgendwohin, riesige Gepäckmengen mit sich schleppend. In den Wagenübergängen und im Gang stehen Fahrgäste. Die Luft im Wageninneren könnte man schneiden, denn im Bereich der Wagenübergänge ist das Rauchen hier erlaubt. Irgendwie kämpfe ich mich bis zu meinem Sitzplatz durch, der natürlich belegt ist. Für maximalen Fahrkomfort habe ich auch noch einen Mittelplatz auf der Dreierbank erwischt. Ich halte meine Fahrkarte unter die Nase und nach einiger Diskussion und langem Anstarren setzen sich ein paar Leute um und ich kann meinen Platz einnehmen.
Ich bin die Attraktion im Umkreis. Ein Mann hilft mir, meinen Koffer auf die Ablage zu hieven, damit er nicht den Gang blockiert. Der 11-jährige Junge links neben mir drückt stoisch auf seinem Handy herum, die Frau rechts neben mir schläft. Obwohl die Abfahrtszeit schon längst überschritten ist, passiert nichts. Einige Fahrgäste stöhnen, überall wird gehustet.
Mit +27 geht ein Ruck durch den Zug und ganz langsam setzen sich die Wagen in Bewegung. Untermalt von auf voller Lautstärke aufgedrehter klassischer Musik, die irgendwo aus einem Handy erklingt, fliegen die Lichter von Changsha schneller und schneller vorbei und bleiben schließlich zurück.
Eine Stunde später erreichen wir mit +21 den nächsten halt in Yiyang. Überall plärren Handys – Musik, Filme, Spiele. Später wird ein Betriebshalt im Dunklen eingelegt, zwei Züge in gleicher Richtung überholen uns, ehe es weitergeht. Ein Ballerfilm läuft auf voller Lautstärke. Davon unbeeindruckt sind einige Fahrgäste eingenickt. Einige der Fahrgäste haben auf Klappstühlen im Gang platzgenommen, der Mann neben meiner Sitzgruppe wird unsanft geweckt, als sich der Mitarbeiter mit Snacktrolley seinen Weg freiräumt.
Ich suche das WC auf und nachdem sich ein Chinese vorgedrängelt hat, begreife ich, warum es Alex‘ chinesischer Kommilitone vorzieht, auf der 40-stündigen Fahrt von Shanghai nach Urumqi so wenig zu essen und zu trinken wie möglich. „I don´t like the toilets.“
Jetzt habt ihr sicher ein Bild im Kopf gemalt, so sieht es im Hard Seat-Wagen aus:
Die Essensreste und den ganzen Müll auf dem Boden sieht man darauf freilich ebensowenig wie die unzähligen Zigarettenstummel im Waschbecken und die angesammelte Kacke im Plumpsklo. Alex kommentiert den Zustand seines Wagens mit den Worten „Wie im Schweinestall“. Kurz nachdem ich das Bild gemacht habe, revanchiert sich eine Chinesin dafür und fotografiert mich ebenfalls. Mit meiner Kamera habe ich angesichts der bescheidenen Lichtverhältnisse schon genug zu kämpfen. Offensichtlich ist sie mit dem (sicherlich total verwackelten) Ergebnis ihres Handys nicht zufrieden und startet noch einen zweiten und einen dritten Anlauf.
Welch ein Kontrast zu den prestigeträchtigen HGV-Zügen, in Kontrolle der Toiletten halbstündlich durch Unterschrift des zuständigen Mitarbeiters bestätigt wird, permanent jemand den Boden wischt und regelmäßig Müll einsammelt. Niemand interessiert sich hier für herunterhängende Rucksackbändchen.
Ein paar Minuten zu früh erreichen wir Changde, mit -2 geht es auch schon wieder weiter. Ich erhasche einen Blick auf ein BRT-System.
Mein Nebensitzer beobachtet mich sehr neugierig, während ich den Reisebericht inzwischen rund um die ausgedruckte Wegbeschreibung zum Hostel schreibe, weil ich meine geplante Berichtslänge auf dieser Fahrt weit überschritten habe.
Als die Zeit voranschreitet, nimmt die Zahl der Schlafenden zu. Um bei dieser Geräuschkulisse schlafen zu können, muss man wirklich sehr unempfindlich sein. Wir passieren einige bunt beleuchtete Städte ohne Halt, aber nicht schneller als 40 km/h. Ein heller Vollmond wacht über die Szenerie. Im Wagen wird es immer kälter, weil die Fenster nicht richtig schließen. Etwas frische Luft schadet aber auch nicht.
Der Zug rollt durch die Schwärze und als abermals ein Lichtermeer auftaucht, zerren die ersten Fahrgäste ihr Gepäck von der Ablage. Wenig später schreit ein Mitarbeiter „Zhangjiajie!“ durch den Wagen. In Schrittgeschwindigkeit rollt der Zug den Bahnsteig entlang und um Punkt 00:20 Uhr legt der Tf die Bremse an und bringt ihn zum Halten.
Hier leert sich der Zug deutlich und ich bin heilfroh, aus dem verrauchten Wagen aussteigen zu können und nicht noch vier weitere Stunden bis zum Endbahnhof in Huaihua ausharren zu müssen.