Entenfang @ 2 Aug 2018, 19:33 hat geschrieben: Ziel sollte doch sein, möglichst viele Menschen vom Bahn- /Öffentlichen Verkehr zu überzeugen.
Schön, dieses hehre Ziel kannst du aber nur anstreben, wenn das wirklich gewollt ist, wenn die Mittel das sachgerecht anzugehen, auch vorhanden sind. Nicht aber mit einem EVU (und EIU dahinter), welches dies der Not gehorchend mit minimalem Mitteleinsatz an allen Fronten halt "irgendwie" hinbekommen muss. Da ist das Scheitern doch schon von vorneherein eingebaut, statt eine Aufholjagd auf die Bahnnutzungsquoten anderer europäischer Staaten wird das für deutsche Fahrgäste doch höchstens Krampf und Krampf, mit 412 Ausnahmeregeln als Zucker obendrauf, versteht sich.
Du verkaufst also die 500 Tickets für 20,- € - warum nicht besser 625 Tickets für 16,- €? Wird schon auch noch irgendwie gehen, und wenn man deiner Argumentation folgt, sind das nochmals 125 Autos weniger.
Nur: mit jedem € schmilzt der Nutzen von hauchdünn zu nix noch weiter zusammen, aber gleichzeitig steigen für den Betrieb die Kosten an. Bei der Traktionsenergie weiß ich es nicht, kann ich nur mutmaßen, aber es wäre schon mal interessant, was der Unterschied vom 50% zum 75% zum 100% zum 125% ausgelasteten Zug in € ausmacht. Auf jeden Fall machen mehr Leute mehr Müll und Dreck, da die Putztruppe am Endbahnhof aber nicht proportional mitgewachsen ist
(bei den aus Kostengründen angesagten Mindestlohn-Gehältern gar nicht mitwachsen konnte), muss diese entweder länger putzen, was aber nicht geht, da im auf Kante genähten Fuhrpark der Zug ja sofort wieder raus auf Strecke muss, oder es bleibt halt schmuddelig. Abwässer entsorgen war zeitlich auch nicht drin, meldet sich auf der Rückleistung halt ein WC nach dem anderen als "Störung" ab. Der sonstige Verschleiss durch die hohe Belastung durch Auslastung zeigt sich dann darin, dass man die gleiche Türstörung am gleichen Fahrzeug 3 Wochen lang verfolgen kann und ähnliches. Auch hier wieder: Die Werkstatt hatte nicht die Personalstärke, das in der zur Verfügung stehenden Zeit neben dem "Routineprogramm" auch noch zu machen, und der Zug muss ja raus, "Geld verdienen" - wenn er aus sicherheitsrelevanten Gründen länger in der Werkstatt bleiben muss, gibt es mit viel Glück eine Kp-Reserve - war die schon anderweitig verplant, dann "fällt heute aus!".
Mehr Leute pro Zug verlängern zwangsläufig auch die Fahrgastwechselzeiten, erst recht wenn auch noch aus welchem Grunde auch immer abweichende Reihungen dazu kommen und/oder die baulichen Vorraussetzungen des Bahnsteiges einfach zu eng sind, Köln Hbf oder Hamburg Hbf lassen als Beispiele grüßen. Dann kommt der verspätete Zug in den im Grenz- bis Überlastbereich operierenden nächsten Knoten
(gibt es ja zwischenzeitlich auch schon fast flächendeckend in Deutschland) und löst die übliche Kettenreaktion aus, damit aus einem betroffenen Zug schließlich viele betroffene Züge werden. Das bedingt nicht nur erhöhte Rückstellungen für die fälligen Leistungen aus Fahrgastrechten, wenn es sich den Tag über aufschaukelt wird die Folgekette aus dispositiven Eingriffen und Korrekturen irgendwann so hoch, dass auch hier wieder Folgekosten entstehen bzw. in der real existierenden Mangelwirtschaft zu befürchten bleibt, dass irgendwann für die nächste Leistung das Personal, das Fahrzeug oder beides fehlen. Allfällige nächtliche zusätzliche Leerfahrten, um wenigstens den nächsten Tag dann wieder halbwegs geordnet zu beginnen, kosten wiederum weiteres Geld. Und das sind jetzt nur die Störungen, die aus dem EVU und seinem Betrieb selbst erwachsen. Da ist noch keine Signal-, Weichen-, OL-, Stellwerk- oder sonstwas-Störung dabei, noch keine Baustelle geplant und kein Polizeieinsatz warum auch immer durchgezogen.
Ein Szenario in RAL 9005? Nein, nicht wirklich - vielleicht nicht immer und überall in dieser gleichzeitigen Konsequenz und absoluten Härte, aber letztlich ist es genau das, was sich 2018 als Alltag bei DB Fernverkehr mehr oder minder täglich abspielt. Die allen gegenteiligen Verheißungen und Aktionsprogrammen des Vorstandes zum Trotz ja weiterhin nur sehr mäßigen offiziellen Pünktlichkeitszahlen, in denen Ausfälle ja noch nicht einmal eingepreist sind, unterstreichen nur was man auf Reisen durch die Republik mit offenen Augen mehr oder weniger heftig jeden Tag wahrnehmen kann.
Man kann also aus all dem ableiten: wenn die Auslastung je Zug steigen soll, müssen auch die Mittel da sein, um diese abzuarbeiten. Dann muss logischerweise eigentlich der Nutzen aus den verkauften Fahrkarten mitwachsen, um die Kosten der erforderlichen Ressourcen an Personal, Material und Infrastruktur nachhaltig decken zu können. Wenn aber nur die Auslastung durch einen billigen Preis steigt, dieser Nutzen aber sinkt und somit die Ressourcen nicht mitwachsen können, sondern über die Streckgrenze hinaus bleibend überdehnt werden, entsteht ein erheblicher Schaden zulasten des ganzen Systems. Billig, das muss man sich halt auch erstmal leisten können, bevor man auf dicke Hose macht, sollte der Inhalt dazu auch vorhanden sein! Ich kann nicht die Kundschaft heiß machen mit Sirenengesängen "nur 19,- €! nur 19,-€!" und dann am Freitagnachmittag in Berlin mit einem 411 solo ankommen, dieses Bild ist so inkompatibel wie gegenwärtig ein 6. Wagen im IC2-Wendezug. Auch anderweitig ist gesteigerte Auslastung kein Selbstzweck und will mit Bedacht angewandt sein. Natürlich kann man feststellen, dass die in Dortmund gen Frankfurt-München startenden ICE noch freie Kapazitäten haben. Haben sie wahrscheinlich in Bochum auch noch. Also, her mit den Billigpreisen, damit ab Dortmund 90%, ab Bochum 110% Auslastung da sind und die Leute von den Autobahnen im Pott geholt werden. Alles gut? Naja fast, was machen wir denn mit den "paar" Leutchen, die vielleicht in Düsseldorf oder Köln noch gerne zugestiegen wären? Was machen wir etwas später mit der üblichen Schar, die von Frankflugfern bis Mannheim mitfahren möchte? Stehen lassen ist wohl nicht die Antwort der Wahl, dann grätscht man sich ja selber die Basis unter den Beinen weg. Also? Ah, man fährt ab Düsseldorf einen Verstärker, schön. Mit welchem Fahrzeug, welchem Personal und wie kommt der dann bitte durch den Knoten in Köln? Wenn er außer Takt fährt, hat er weniger attraktive Anschlüsse - warum soll der Kunde ihn also nutzen? Jetzt kann man natürlich in hilfloser Not die "Steuerung" mit Tarifen aus Absurdistan auspacken, die stark überlasteten Abschnitte künstlich verteuern, aber wie erklärst du dem Fahrgast von Köln nach Frankfurt Flughafen Fernbahnhof, dass er 49,- € zahlen soll, wenn es Bochum-Stuttgart für 19,- € gibt? Und nein, "alle Sitzplätze ausgebucht!" ins Internet schreiben, ist nur eine hilflose Geste der Armseligkeit, keine Lösung.
Fakt: dauerhaft deutlich mehr Kunden im Fernverkehr bedingen mehr von allem anderen: mehr Fahrzeuge, mehr Personale im Fahrdienst und in größeren Werkstätten, mehr Netzkapazität, längere Haltezeiten in ausgebauten Bahnhöfen (Stuttgart21 lässt grüßen), mehr Anschlüsse in alle Richtungen. Sind wir dafür in Deutschland wirklich bereit, oder gibt das ganze nicht ein grandioses Durcheinander? Können wir damit umgehen, dass die heute bereits überlasteten Strecken und Knoten die Marschrichtung vorgeben müssen, dass hier schnellste Abhilfe erforderlich ist, weil diese Schwachstellen das ganze System immer und immer wieder lahmlegen werden? Können wir als Volkswirtschaft wirklich damit umgehen, so massiv in ein Verkehrsmittel zu investieren, das immer noch für weite Teile der Bevölkerung ein Mittelding zwischen unnötig, Rätsel in sich und Belästigung darstellt? Allein der Lärm der vielen Züge, oh je!
Wenn es nur darum ginge, möglichst viele Leute sinnvoll und schnell dauerhaft von der Straße auf die Schiene zu bekommen, könnte man das einfacher haben: Tageskarte FV Deutschland für 19,- € unbegrenzt, fertig. BC 100 für 500,- € p.a., fertig. Ist von der Administration her billiger und für die Anwender brutalst einfach zu handhaben. Aber das schaffen "wir" dann doch nicht? Wir verbrennen unser Geld lieber doch weniger offensichtlich und mehr so hintenrum? Hm, also wollen wir eigentlich schon irgendwie mehr Verkehr auf der Schiene, ist ja auch voll Öko wegen dem Klimawandel und so. Aber doch bitte nicht um den Preis gestiegener Kosten? Mal wieder das Omelette backen, aber bloß nicht die Eier zerschlagen? Sorry, aber diese Art fauler Kompromiss beisst sich irgendwann brutalst selbst, und das wird kein angenehmer Schmerz sein.
Themengetreu wollen wir auch noch einen Blick drauf werfen, was Wettbewerb aus mehreren Anbietern aus diesem Szenario macht: das kann dann die Gesamtsituation tatsächlich ein Stück weit befrieden helfen, wenn sich jeder dabei auf seine Stärken besinnt. Sprich: der Billiganbieter muss konsequent billig anbieten und sein Handeln darauf ausrichten, ein Bahndiscounter werden: Strikte Einfachheit und Kostendisziplin sind dann entscheidend. Der Taktanbieter, der für breitere Schichten interessant sein will, darf dann aber erstens nicht in Verdacht geraten, den "Discounter" hintenrum zu sabotieren - Stichwort begrenzte Trassen - und darf auch selber nicht den Versuch einer Imitation starten wollen, sprich auch irgendwie ein bisschen billig sein wollen. Dann gibt es nämlich wieder den ungesunden Mischmasch, aus billig und ein bisschen billig wird im Wettkampf dann billig und sehr billig, und irgendwann sind die Preise für alle so schlecht, dass gar nix mehr verdient ist und die Grundlage für das ganze Spiel zerstört. Kann also auch keine Lösung auf Dauer sein - wie schon erwähnt: Billig, das muss man sich leisten können! - und wenn der eine spart, zahlt der andere die Rechnung. Das ist gut und schön, solange es funktioniert - wenn aber der schlecht entlohnte Tf nach der zighundersten Überstunde keine Lust mehr hat und dann auch die Gelegenheit anderswo zu arbeiten, funktioniert es halt nicht mehr. Klar kann man Züge eine Zeit lang stärker auf Verschleiss fahren, wenn der Markt das so verlangt - billiger wird das Gesamtpaket Reparaturkosten dadurch aber auch nur scheinbar für eine kurze Zeit. Und so weiter, und so weiter - ich könnte das noch seitenweise auswälzen, das Fazit bleibt immer dasselbe, und jeder vernünftig denkende Mensch, der über den Horizont seines eigenen Geldbeutels und die nächste Fahrkarte hinausdenken kann, sollte das auch nachvollziehen können, zumindest in Teilen. Die absolute Wahrheit will ich nicht für mich beanspruchen.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit - drei Takte Orgel - Amen!