China: Neue HGS Beijing - Shanghai eröffnet

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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Catracho @ 25 Jan 2018, 08:42 hat geschrieben:In Fortführung des Ausgangsbeitrages von 2011 mal ein Update zur momentanen Situation des HGV in China:
Danke Catracho für die übersichtliche und beeindruckende Zusammenfassung!
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Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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ralf.wiedenmann
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Beitrag von ralf.wiedenmann »

ralf.wiedenmann @ 15 Aug 2018, 14:43 hat geschrieben:Die Schattenseite der Hochgeschwindigkeitszüge in China: Hohe Verschuldung
Financial Times, 14.8.2018: "China's high-speed rail and fears of fast track to debt": https://www.ft.com/content/ca28f58a-955d-11...47-fb1e803ee64e
Hier noch Zusammenfassung und Übersetzung:
Financial Times, 14.8.2018: "China's high-speed rail and fears of fast track to debt

Zusammenfassung:

1. Im Dezember 2009 eröffnete China die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Guangzhou und Wuhan in Zentralchina. Für die 1100 km lange Strecke benötigt man gerade einmal 3 Stunden. Die Fahrt kostet 464 CNY, also 74 EUR. Die Investition war ein Paradebeispiel einer schuldenfinanzierten Antwort der chinesischen Kommunisten auf die globale Finanzkrise.
2. Solche Investitionen haben die Nachfrage nach Beton, Stahl und andere industrielle Rohstoffe in der 2.-grössten Volkswirtschaft in den Jahren nach der Krise befeuert. Aber diese haben auch China Railway und andere Staatsunternehmen mit riesigen Schuldenbergen befrachtet.
3. Die Verschuldung des Chinesischen Unternehmenssektor ist von 100% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2007 auf 190% 2016 gestiegen. Die Verschuldung von 5000 Mrd. CNY (650 Mrd. EUR) ist gemäss Schätzungen zu 80% auf den Bau von Hochgeschwindigkeitslinien verursacht.
4. Kritiker sehen eine Schuldenkrise von China Railways voraus, da einige Linie unfähig wären, die Zinsen zurückzuzahlen vom Kreditbetrag ganz zu schweigen.
5. Die Verschuldung von China Railway wird gemäss Schätzungen bis 2020 um 60% auf 8000 Mrd. CNY (1040 Mrd. EUR) steigen. China Railway antwortet nicht auf die Interviewanfrage der Financial Times.
6. Im ersten Quartal 2018 wies China Railway einen Verlust von 376 Mrd. CNY (49 Mrd. EUR) aus. Seit mindestens 2015 übertrafen die Zinszahlen den Betriebsgewinn.
7. Bis 2030 will China Railway sein Hochgeschwindigkeitsnetz auf 30 000km erhöhen.
8. Die Lanzhou-Xinjiang Linie ist die längste aber auch die fragwürdigste Linien. Baukosten 140 Mrd. CNY (18.2 Mrd. EUR). Sie geht durch 3 dünn besiedelte NW-Provinzen, die eine Fläche grösser als Argentinien ausmachen, aber nur eine Bevölkerung von 53 Mio aufweist. Sie wurde für 320 Verbindungen pro Tag konzipiert, tatsächlich verkehren jedoch nur 8 Züge. Die Einnahmen reichen nicht einmal, um die Stromkosten zu begleichen.
9. China Railway transportiert 1,7 Mrd. Passagiere pro Jahr
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Balduin
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Beitrag von Balduin »

Das Thema Überschuldung bzw. Kreditblase ist halt in der Form kein spezielles Problem nur der CR und im Hinblick auf ihr HGV-Netz. Es ist allenfalls nur die offensichtlichste Spitze des Eisbergs.

Aber in andere Firmen in China bzw. die Volkswirtschaft überhaupt (weil eben die Banken auf faulen Krediten sitzen) schwillt das Problem in ähnlicher Weise. Man hat es in den letzten Jahren bei mehreren der einst ach so hochgehypten BRICS-Staaten gesehen,wie dort diverse Blasen implodiert sind und sie in Krisen getaumelt sind. Aktuellstes Prachtexemplar ja die Türkei.

Man hat so eine Art Resonanzkreis, der sich aufschaukelt: Leichtfertige und billige Kredite ermöglichen zunächst einen Wirtschaftsboom, der wiederum die Kreditblase füttert. Und dieses gegenseitig hochpushen geht halt nur bis zu einem gewissen Punkt gut. Wobei China von dieses ganzen Schwellenländern ja noch am solidesten darsteht, rein wirtschaftlich betrachtet. Also plötzliche und tiefe Einbrüche wie in Brasilien oder Russland sind da eher nicht zu erwarten, dafür war die Wirtschaftsentwicklung "nachhaltig" genug im Gegensatz zu dort. Allerdings könnte es (sozial)politische Probleme geben: Denn die KPCH legitimiert sich ja durch die immer neuen Wirtschaftsrekorde und kann damit auch quasi die potentiell Unzufriedenen ruhig stellen - mit einem moderateren Wachstum ist dass in der Form dann nicht mehr möglich...
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Jojo423
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Beitrag von Jojo423 »

Wenn die Baubranche zusammenbricht, hat China aber schon ein Problem. Nicht nur etliche Bauarbeiter-obs würden dann wegfallen, auch hätte man dann eine massive Überproduktion von Stahl und Beton. Auch könnte dann die Immobilienblase platzen, die auch relative surreale Maße in China angenommen hat.
Viele Grüße
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Balduin
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Beitrag von Balduin »

Wobei doch eher erst die (Immobilien)Blase platzt und dann die Baubranche entsprechend einbricht.

Ich würde wie gesagt davon ausgehen, dass es auf lange Sicht rein wirtschaftlich betrachtet keine wirklich einschneidende Krisen sein sollten. Eben weil China im Gegensatz zu den meisten anderen ehemaligen Hypeländern durchaus ein solides (industrielles) Fundament geschaffen hat. Aber ja, etwaige momentane Überkapazitäten abbauen("gesundschrumpfen") ist (kurzfristig) unpopulär. Deshalb eben politisch gefährlich.

Mir drängt sich die Parallele zu unserem Kaiserreich auf: Auch damals gab es "Krisen" im Sinne von kurzen Phasen wo das Wirtschaftswachstum weniger stark war und stehen geblieben ist. Eigentlich alles logisch, und über die Jahrzehnte betrachtet war alles super. Aber auch da haben schon leichte Konjunkturflauten aufgrund ähnlicher Mechanismen für politische Krisen gesorgt...
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Beitrag von Entenfang »

ralf.wiedenmann @ 22 Aug 2018, 10:08 hat geschrieben:Zusammenfassung:
Danke dir!
Die Investition war ein Paradebeispiel einer schuldenfinanzierten Antwort der chinesischen Kommunisten auf die globale Finanzkrise.
Ganz ehrlich - was haben wir denn gemacht? Ist die Abwrackprämie vielleicht besser?
6. Im ersten Quartal 2018 wies China Railway einen Verlust von 376 Mrd. CNY (49 Mrd. EUR) aus. Seit mindestens 2015 übertrafen die Zinszahlen den Betriebsgewinn.
Ich glaube, das interessiert in China niemanden. Ja, der ÖV ist in China viel höher subventioniert als bei uns. Aber das ist meiner Ansicht nach kein schlecht investiertes Geld und ein Mittel, um 1. die Luftverschmutzung zu reduzieren, aber 2. auch die gestiegene Nachfrage nach Reisen der chinesisches Mittelschicht zu bedienen.
8. Die Lanzhou-Xinjiang Linie ist die längste aber auch die fragwürdigste Linien. Baukosten 140 Mrd. CNY (18.2 Mrd. EUR). Sie geht durch 3 dünn besiedelte NW-Provinzen, die eine Fläche grösser als Argentinien ausmachen, aber nur eine Bevölkerung von 53 Mio aufweist. Sie wurde für 320 Verbindungen pro Tag konzipiert, tatsächlich verkehren jedoch nur 8 Züge. Die Einnahmen reichen nicht einmal, um die Stromkosten zu begleichen.
Dafür gibt es eine einfache Erklärung - die NBS Lanzhou - Urumqi ist momentan noch ein Inselbetrieb, weil die Strecke Lanzhou - Baoji noch nicht in Betrieb ist. Heute verkehren zwischen Lanzhou und Urumqi 4 Zugpaare des HGV. Die senken die Reisezeit immerhin von ca. 27h auf rund 12h. Da es sich um Züge der Kategorie D handelt (max 250 km/h), fahren diese die Streckenhöchstgeschwindigkeit (=350 km/h) nicht voll aus.

Abgesehen davon ist das so nicht mal korrekt, denn auch konventionelle Züge nutzen abschnittsweise die HGV-Strecke, z.B. der T197 im Abschnitt Shanshan - Urumqi. (erkennbar an den Zusätzen South bzw. North an den Bahnhöfen)

Ziel der 1776 km langen NBS ist auch eine Entmischung, um mehr Kapazität für den GV auf der Altstrecke zu haben, die vor einigen Jahren elektrifiziert wurde.

Und nicht vergessen - selbst wenn die Einwohnerdichte der Provinzen aus nachvollziehbaren Gründen sehr niedrig ist - auf dem Streckenverlauf liegen doch ein paar wichtige Orte. Sie startet in Lanzhou (Millionenstadt), 200 km weiter liegt Xining (Millionenstadt), genauso wie Zhangye und Jiuquan.

Was ich aber keinesfalls unerwähnt lassen würde (stand das eigentlich in dem Artikel drin?) ist der politische Aspekt dieses Projekts. Genauso wie die Tibetbahn dürfte nämlich der Hauptgrund weder die Förderung des Hinterlandes, noch die bessere touristische Anbindung noch ein ökologisches Verkehrsmittel sein - sondern ein Militärischer. Als in Europa Mitte des 19. Jh. das Eisenbahnfieber ausgebrochen ist, hat auch niemand über Schulden und geringe Auslastung sinniert, sondern eher mit dem Hintergedanken, Soldaten innerhalb eines Tages von Königsberg an die französische Grenze verlegen zu können.
9. China Railway transportiert 1,7 Mrd. Passagiere pro Jahr
Das stimmt ziemlich sicher nicht. Wikipedia nennt für das Jahr 2017 1,713 Mrd. Fahrgäste nur für CRH, also im HGV. Im gesamten SPFV waren es mehr als 3 Mrd.
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Beitrag von Entenfang »

Und nun dauert die Fahrt Shenzhen - Hongkong nur noch 14 min. statt über 1h:

https://www.tagesschau.de/ausland/schnellzu...-china-101.html


PS: Mag vielleicht mal ein Mod diesen Thread in Hochgeschwindigkeitsverkehr China o.ä. verallgemeinern? :unsure:
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