Wir überqueren die die Troitskij Most, die mit sehr hübschen Oberleitungsmasten ausgestattet ist, auf der die Tram aber auch leider ewig im Stau steht.
Der kräftige Wind wühlt die Newa auf – Blick zur Festung
Mit der Metro fahren wir zurück.
Unser heutiger Termin ist an der juristischen Fakultät. Die M3, auf der neue Züge verkehren, bringt uns hin. Die Haltestellenabstände sind riesig.
Dass die Rolltreppen im Linksverkehr laufen, ist übrigens wohl durchdacht. An der Haltestelle Vasileostrovskaja befinden wir uns außerhalb des Zentrums, sodass der mit Abstand größte Anteil an Fahrgästen hier aus den (im Bild rechts haltenden) stadtauswärtigen Bahnen aussteigt bzw. in die (im Bild links haltenden) stadteinwärtigen Bahnen einsteigt. So müssen sich die Fahrgastströme auf dem Bahnsteig nicht kreuzen.
Nachdem wir zunächst die falsche Adresse aufgesucht haben, finden wir schließlich doch den richtigen Ort. Während die Uni sehr hübsch gestaltet ist, sitzt der Wachmann in einem winzigen Loch unter der Treppe und sieht auf einer flimmernden Glotze fern. Wir werden direkt zum Tee und Süßgebäck eingeladen. Nach so viel Stadterkundung schadet ein bisschen Stärkung auch nicht.
Wir erfahren, dass das Jurastudium in Russland völlig anders abläuft als in Deutschland. Es ist wesentlich praxisorientierter, z.B. werden die Studenten in die Ermittlung echter Kriminalfälle eingebunden. Dazu gehört auch die Teilnahme an Obduktionen. Es gibt einen nachgebauten Gerichtssaal und jeder Student muss einige Zeit kostenlose Rechtsberatung für Bedürftige an der Uni anbieten.
Ich frage, wieso in Russland fast alle Autos mit Dashcams unterwegs sind. Die Bestechlichkeit der Polizei ist inzwischen wohl weniger verbreitet, weil sie sehr offensiv bekämpft wird. Alle Polizisten müssen während ihres Einsatzes eine Bodycam tragen und auch alle Polizeiwagen sind entsprechend überwacht. Es geht eher um Beweismaterial, das die Versicherungen zur Schadensregulierung vorgelegt bekommen möchten, da Zeugenaussagen wenig belastbar sind.
Während wir den nachgebauten Gerichtssaal begutachten und diskutieren, heißt es plötzlich, der Arbeitstag wäre zu Ende und wir müssten leider Schluss machen. Aber ohne eine zweite Runde Tee und Süßes würden sie uns nicht gehen lassen.
Fußgängermassen schieben sich über den viel zu schmalen Fußweg zur Metro. Während in Belarus alles sehr geordnet verlief, herrscht hier das totale Chaos. Alle laufen bei Rot rüber und zwischen den im Stau stehenden Autos schlängeln sich Fußgänger, Radfahrer und Cityroller durch.
Mit der Tram geht es zurück, bis 2013 stellten diese Altfahrzeuge des Petersburger Straßenbahn-mechanischen Werkes den kompletten Fuhrpark.
Die klapprige Bahn scheppert und rumpelt durch den chaotischen Verkehr, an den Trennern geht immer kurz das Licht aus. Die Folge des Verkehrs sind sehr ungleichmäßige Zugfolgeabstände und damit sehr unterschiedliche Füllungsgrade. Manche Wagen sind formschlüssig gefüllt, andere dagegen komplett leer.
Die Schaffnerin winkt ab, als wir unsere Smartcards hinhalten. Eine Mitreisende, die keine 3-Tageskarte hat, fährt komplett ohne Fahrkarte.
Es dämmert allmählich, als wir die Umsteigehaltestelle zur 3 erreichen.

Das blinkende Fußgängersymbol soll die Autofahrer davon abhalten, in die Fahrgäste reinzurauschen.
Wir warten also im kalten Wind und ein Gegenkurs der 6 kommt. Dann noch einer.
Dann eine 3 in Gegenrichtung, das heißt zumindest, die Linie fährt theoretisch.
Wir müssen noch zwei 6er abwarten und sind schon kurz davor, den Plan zu ändern, als dann doch eine 3 kommt.
Bald kommt die Schaffnerin vorbei und kontrolliert die 3-Tageskarten, verkauft aber der Mitreisenden ohne 3-Tageskarte wieder keine Fahrkarte. „You need station… what?“ Hä? „You need station…?“ Erst beim dritten Mal checken wir, dass sie offensichtlich wissen möchte, wo wir aussteigen wollen, um uns den richtigen Zeitpunkt zu nennen. In den modernen Bahnen sind die automatischen Ansagen einigermaßen verständlich, was bei den Altwagen nicht zutrifft.
„Ahhhh, Germany?“, fragt die Schaffnerin nach einer Weile. Wir bejahen und sie ist begeistert. Als ich noch „inženyr tramvaj i železnice“ sage, eskaliert sie vollends (um es mit den sehr zutreffenden Worten eines Mitreisenden auszudrücken). „Ahhhh, kolegy!!!!“, ruft sie glücklich.
Die Bahn gibt ein Geräusch von sich, das im Entfernten nach Fräsen klingt. Die Schaffnerin erklärt uns gestenreich, dass es sich um Sanden handelt.
Als wir aussteigen, winkt sie uns begeistert hinterher und die Bahn verschwindet im Abendverkehr. Auch vielen anderen Fahrgästen hat das Spektakel ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Für Ex-Sowjetstaaten ist das schon sehr ungewöhnlich, denn normalerweise lassen alle Fahrgäste den Beförderungsvorgang stoisch und mit grimmiger Miene über sich ergehen.
Der Obus bringt uns zum Hostel, ich schnappe mir eilig mein Stativ und wir fahren mit dem Obus zum Abendessen.
Welch ein Kontrast zu Riga mit den entspannten Parks. Hier in St. Petersburg herrscht der reinste Trubel, 24h-Restaurants sind genauso normal wie 24h-Supermärkte. Menschenmassen schieben sich über den Gehweg, der stets zu eng dimensioniert ist. Das Gehupe ist ein permanentes Hintergrundrauschen.
Die Trennung der querenden Fußgängerströme soll für Ordnung sorgen – freilich völlig ohne jeden Effekt, weil sich während der langen Rotphasen so viele Fußgänger anstauen, dass sie sich stets über die gesamte Breite verteilen.
Leider fällt die Nachtfototour aufgrund des einsetzenden Regens bei gleichzeitig kräftigem Wind im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser.
