Tag 1 Dresden -> Prag -> Brno
Grandioserweise darf ich heute die späteste Klausur meines Lebens schreiben – Begin 16:40 Uhr. Das macht sich natürlich sehr ungünstig, wenn man anschließend noch bis Brno fahren möchte. Der letzte EC verpasst den Anschluss nach Brno um rund eine Viertelstunde, aber mit dem Bus könnte es klappen. Ich buche eine Fahrkarte für Regiojet bis Prag und von dort einen IC.
Dresden Hbf...............Bus Regiojet.......ab 18:35
Praha ÙAN Florenc...............................an 20:30
.................................Metro C..............ab 20:46
Praha hl.n............................................an 20:47
.................................IC 573................ab 21:09
Brno hl.n..............................................an 23:54
.................................N99....................ab 0:00
Klusáckova..........................................an 0:06
Die Reise beginnt an einem schwülheißen Sommertag – und zwar mit Verspätung. Kurz vor der planmäßigen Abfahrtszeit trudelt eine Mail ein. Mein Bus hat +20. Nach einer Viertelstunde nähert sich ein gelber Bus. „Information for passengers: This ist the delayed 5:35 bus. The next bus is behind us!“ Eine ältere Frau fuchtelt mit einer Fahrkarte herum. „We are not Flixbus! We are Regiojet“, ruft der Busbegleiter und deutet irgendwohin.
Keine fünf Minuten später rollt dann der richtige Bus heran. Mein Koffer kriegt einen Aufkleber und ich steige ein. Der Komfort ist deutlich besser als im Flixbus und der Sitzabstand angenehm groß. Es gibt ein Entertainment-System und funktionierendes WLAN. Außerdem ist ein Heißgetränk pro Fahrt im Preis inbegriffen. Für Wasser muss man dagegen zahlen und während der Fahrt verkauft die freundliche Busbegleiterin einige Flaschen zu je 50 Cent.
Eine Besonderheit von Regiojet sind die über das Maß der gesetzlichen hinausgehenden Fahrgastrechte. Je nach Verantwortungsbereich und Länge der Fahrt gibt es unterschiedliche Erstattungsquoten. Im internationalen Eisenbahnverkehr gelten aber nur die gesetzlichen Fahrgastrechte. Dazu passt auch ein sehr großzügiges Umtauschrecht - meine Fahrkarte hätte ich bis 15 Min. vor Abfahrt zurückgeben und zu 100% erstatten lassen können.
Dass wir in Dresden mit +23 starten, ist schonmal ungünstig. Damit ist mein Puffer in Prag vollständig aufgezehrt. Völlig reibungsfrei verläuft die Fahrt in den Sommerabend. Glücklicherweise sinkt die Verspätung bis Prag auf +10, womit ich ganz entspannt zum Bahnhof fahren kann.
„Ukoncete prosím výstup a nástup, dvere zavírají!“
Dumdodedim. Važení cestujici! …

Mein IC füllt sich kurz vor der Abfahrt doch noch ziemlich und startet pünktlich nach Osten. Das letzte Licht des Tages verschwindet, während Prag zurückbleibt. Vor Kolín bleiben wir 10 Min. auf der Strecke stehen, weil wegen Baustelle nur ein Gleis zur Verfügung steht.
Auf dem Bahnsteig irren ein paar Halbstarke umher und wedeln mit einem Papier herum. Aber offensichtlich ist das nicht der richtige Zug und sie bleiben zurück, als sich der Zug wieder in Bewegung setzt. Zisch. Mit einem Ruck kommen wir keine 10 Meter weiter nach einer Zwangsbremsung zum Stehen.
Selbiges passiert am nächsten Halt, wo sich das Abteil erneut füllt. Abgesehen von einem mittelalten Mann, der bereits die ganze Fahrt am Laptop arbeitet, gesellen sich nun auffällige Zeitgenossen dazu. Ein junger Mann, Mitte 20. Er trägt ein weißes Hemd, eine weiße Hose mit roten Hosenträgern und hat sich eine große Brille in den Kragen gesteckt. Die Haare sind nach oben gegelt.
Neben ihm sitzt ein rund 40 Jahre alter Mann mit Sonnenbrille, rotem Poloshirt von Lacoste und ebenfalls einer weißen Hose. Es stopft lustlos ein abgepacktes Sandwich rein, was er angesichts seines deutlich sichtbaren Übergewichts eigentlich nicht tun sollte.
Zur Truppe gehört noch ein sehr stark übergewichtiger Mann um die 50 mit weißem T-Shirt und Jeans sowie eine Frau um die 40, die ein kleines Kind in den Armen hält.
Um das Klischee zu vervollständigen, hört der junge Mann Rapmusik auf seinem Handy. Bald steckt er Kopfhörer in das Gerät und die Musik verstummt.
Der Tf fährt an den folgenden Bahnhöfen immer gaaaanz sachte an und es gibt keine weiteren Zwangsbremsungen. Allerdings holen wir auch keine Verspätung auf, sodass es um meinen Anschluss zum Nachtbus düster aussieht.
Die Fahrt schreitet voran, die Zub geht durch und erklärt etwas. Ich verstehe nur irgendwas von Lok. Der mittelalte Mann mit Laptop fragt mich, ob ich verstanden hätte. Dann erklärt er mir auf Englisch, dass wir eine Ziege überfahren haben und einen zusätzlichen Halt in Brno-Reckovice einlegen würden. Für Ziele im Norden der Stadt wäre es evtl. günstiger, dort auszusteigen. Lohnt sich für mich eigentlich nicht. Wir kommen ins Gespräch und als ich Dresden erwähne, stellt sich heraus, dass er in Tübingen studiert hat.
Wir quatschen über alles Mögliche. Er merkt an, dass die Zigeunerfamilie sehr amüsant war. Bald kommt eine weitere Durchsage. Der Mann übersetzt für mich. Der Zug würde doch nicht in Brno-Reckovice halten. Die können sich aber auch nicht entscheiden…
Er ist der Meinung, Bahnfahren wäre ein Vielfaches entspannter als mit dem Auto oder Bus zu fahren. Derzeit würde man wegen Bauarbeiten oft ewig im Stau stehen.
Tut man in der Bahn aber auch…
Bald folgt noch eine Durchsage. In Brno-Reckovice würde die Feuerwehr kommen, um die Reste der Ziege zu entfernen. Er schiebt noch hinterher, dass er überhaupt nicht nachvollziehen könne, warum wir das jetzt hier während eines außerplanmäßigen Haltes machen müssten. Man könne doch noch bis zum Endbahnhof Breclav fahren, wo es ohnehin ein Betriebswerk gibt. Mal wieder fällt auf, wo der Unterschied zwischen dem Wissen eines Durchschnittsfahrgastes auf deutscher und auf tschechischer Seite liegt…
Jedenfalls halten wir an. Jemand steigt aus, weil ja die Türen in Tschechien automatisch unter 3 km/h freigegeben werden. „Nicht aussteigen!“, ruft die Zub. Wir stehen irgendwo bahnsteiglos in der Gegend herum. Die ganze Aktion dauert rund 10 Minuten, dann wird die Fahrt fortgesetzt. Neben dem Zug steht ein Feuerwehrwagen mit eingeschaltetem Blaulicht.
Mit +28 endet meine heutige Fahrt. Der Mann meint, er wäre sehr glücklich darüber, nur 20 Minuten bis nach Hause laufen zu müssen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Tschechen auch bereit sind, deutlich längere Fußwege zu Haltestellen in Kauf zu nehmen. Ich verspüre jedenfalls überhaupt keine Lust, über 30 Minuten auf den nächsten Nachtbus zu warten. Daher schnappe ich das nächste Taxi. Die Fahrt über rund 3 km kostet mit 150 Kronen wesentlich mehr als der Fahrschein Prag – Brno (255 km; 109 CZK) für Studenten mit IN 25 (Anm.: Seit 1.9.18 gibt es mit ISIC 75% Rabatt). Ich stottere irgendwas auf Tschechisch zusammen und als mal wieder Dresden fällt, meint der Taxifahrer nur: „Wir können auch Deutsch sprechen. Ich habe Freunde in Weißwasser.“
Auch am Empfang im Wohnheim werde ich auf Englisch begrüßt, ganz anders als ein Jahr zuvor in Budweis. Ich habe den Eindruck, dass in Brno Fremdsprachen wesentlich häufiger gesprochen werden als in Südböhmen.