Elektrifizierung des Busverkehrs in Prag
Bereits 2017 hatte ich die Gelegenheit, an einem Vortrag zu diesem Thema teilzunehmen. In den Jahren 2011 bis 2014 haben die Prager Verkehrsbetriebe mehrere Elektrobusse getestet, darunter Breda ZEUS, Siemens Rampini und SOR EBN 8. Die Auswertung der jeweils rund ein Jahr getesteten Fahrzeugen war ernüchternd. Entweder war die Leistung zu schwach und die Fahrzeuge konnten bei hohem Füllungsgrad nur mit 30 km/h die steilen Berge hinauffahren, oder die Heizung war zu schwach oder mit Diesel-Hilfsmotor betrieben, oder die Reichweichte war viel zu kurz für die langen Prager Buslinien mit hoher Laufleistung und bis zu 20h Betriebszeit.
Der Busverkehr weist in Prag eine erhebliche Bedeutung auf - die jährlichen 178 Mio. Wagen-km verteilen sich etwa zu je 1/3 auf Bus, Tram und U-Bahn. Die 1,3 Mrd. Fahrgäste dagegen wenig überraschend zu 1/2 Metro und zu jeweils 1/4 Bus und Tram. Die Anforderungen an elektrische Busse in Prag sind hoch - zu den langen Linien (oft 20 km) kommt nicht nur die schwierige Topografie, sondern auch zwingend erforderliche Gelenkfahrzeuge mit hoher Kapazität. Zusätzliche Dieselaggregate für die Heizung sind nicht gewünscht - die Klimatisierung im Sommer erhöht den Verbrauch von Elektrobussen übrigens um rund 50%, die Heizung im Winter sogar um 100%! Was also tun?
Die Linie 58 wurde nach Jahren erfolgloser Versuche mit Batteriebussen als Teststrecke für partielle Obusse errichtet.
Ein engagierter Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe setzte viel daran, um die Strecke umsetzen zu können. Um die Kosten möglichst niedrig zu halten, wurden für die Ladestation weitgehend Masten und Oberleitungsbauteile verwendet, die als Provisorien bei Baumaßnahmen an der Tram-Oberleitung genutzt wurden und in einem Lager aufgefunden wurden. Die Kosten dafür lagen nur im hohen fünfstelligen Bereich (in Euro gerechnet). Zur Energieversorgung wurde die Straßenbahnoberleitung angezapft und eine Ladestelle an der Endstation Palmovka geschaffen
Die galvanische Trennung der Stromkreise ist gesetzlich vorgeschrieben, denn im Gegensatz zur Tram hat der Obus keinen Rückleiter über das Gleis. Ein- und aussteigende Personen könnten die Isolierung durch die Reifen überbrücken und einen Stromschlag erhalten. Da das überwiegend genutzte Testfahrzeug von SOR nicht die entsprechenden Vorkehrungen hat, musste die fest installierte Technik verbaut werden, die sich in dem weißen Häuschen befindet.
Die Teststrecke umfasst eine lange Steigung, bergauf gibt es einen knapp 1000 m langen Oberleitungsabschnitt, bergab ist er etwas kürzer.
Auf der Talfahrt müssen die Stromabnehmer in der Regel nicht angelegt werden, da die Bremsenergie in den Akkus gespeichert werden kann.

Der einzige Grund für die Verlegung der Haltestellenposition weg von der Busbucht mit Wartehäuschen, zu sehen im Bild davor, ist übrigens der schlechte bauliche Zustand der Busbucht.
Der einzige Zweck der Oberleitung auch auf der Talfahrt ist eine Rückfallebene, wenn auf der Straße Stau herrscht und die Rekuperation nicht ausreichend Energie liefert.

Das Eindrahten passiert auf Knopfdruck an der Haltestelle Kundratka.
Ein großes Problem der reinen Elektrobusse war die unzureichende Akkukapazität für die anspruchsvolle Prager Topografie. Der steilste Abschnitt auf der Linie 58 ist hingegen nicht mit Oberleitung versehen. Der einzige Grund für die Wahl des Abschnitts lag darin, dass entlang dessen keine Häuser sind, deren Bewohner sich über die Oberleitungen beschweren hätten können. Dem Projektverantwortlichen war es wichtig, möglichst schnell eine Teststrecke zu bekommen und nicht jahrelange Genehmigungsprozesse durchlaufen zu müssen. Außerdem gab es den glücklichen Zufall, dass sich an der Talsohle des betreffenden Abschnitts ein Grundstück im Besitz der Verkehrsbetriebe befand, auf dem das Unterwerk errichtet werden konnte. Zufälligerweise fand sich dort sogar noch ein unterirdisches Hochspannungskabel, welches zur Speisung geeignet ist. Die Technik für das Unterwerk stammt aus Teilen der Hochwasserhilfe von 2002 und verursachte ebenfalls nur minimale Kosten.
Nachdem das Projekt zunächst aus politischen Gründen "Elektrobus mit dynamischer Ladung" genannt wurde und deshalb im Gegensatz zum Obus auf breite Unterstützung stieß, ist inzwischen der Begriff Obus wieder akzeptiert und wird auch offiziell verwendet. Die Eröffnung des Abschnittes wurde am 15. Oktober 2017 mit einem ¦koda 8Tr gefeiert, auf den Tag genau 45 Jahre nach der Einstellung des ursprünglichen Obusbetriebs und am Steuer saß der Fahrer der damaligen Abschiedsfahrt. Die Obuslinie 58 fuhr übrigens früher auf just diesem Streckenabschnitt.
https://www.youtube.com/watch?v=e8QoSNyZ1wk
Die weitere Entwicklung sieht vor, einige stark nachgefragte Gelenkbuslinien elektrisch zu betreiben. Da der Markt kaum Elektro-Gelenkbusse hergibt, betritt Prag damit weitgehend Neuland. Dieselbusse sind in Prag nicht zuletzt wegen des sehr hohen Verbrauchs (durchschnittlich fast 50l/100km) weder ökologisch noch sehr wirtschaftlich. Es soll etwa die Hälfte der Strecke mit Fahrleitung versehen werden. Damit werden die Investitionskosten in die Infrastruktur reduziert, um beispielsweise zu niedrige Brücken ohne Oberleitung unterfahren zu können und keine komplizierten Kreuzungen bauen zu müssen. Wie reine Elektrobusse sind die benötigten partiellen Obusse etwa doppelt so teuer wie ein vergleichbares Dieselfahrzeug. Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge werden ebenfalls evaluiert, sind aber aufgrund der extrem hohen Anschaffungskosten (4x so teuer wie Diesel) wenig attraktiv. Als problematisch erweist sich die historisch bedingte Definition des Obusses als Bahn, denn ein Förderprojekt der EU unterstützt ausdrücklich die Beschaffung von Straßenfahrzeugen. Obusse fallen in Tschechien aber nicht in diese Kategorie, sodass aus diesem Programm keine Mittel abgerufen werden können.
Bis 2022 sollen die Linien 140 und 119 vollständig elektrisch betrieben werden. Die Linie 140 wird den bereits vorhandenen Oberleitungsabschnitt nutzen, der in beide Richtungen verlängert wird, um die gesamte Steigung abzudecken. Mit dieser Erweiterung erhält auch der bestehende, offiziell nur befristet auf 2 Jahre genehmigte Abschnitt, seine dauerhafte Legalisierung. Außerdem wird in Letnany die Tupolevova-Straße mit Fahrleitung versehen und ein noch vorhandenes Unterwerkbauwerk der dort bis in die 60er Jahre verkehrenden Obuslinie mit neuer Elektrotechnik ausgestattet. Diesen Abschnitt können perspektivisch weitere Linien nutzen. Um auch historische Fahrten ohne Hilfsakkus durchführen zu können, wird dieser Abschnitt an beiden Enden Wendeschleifen erhalten - offiziell zu "operativen Zwecken".
Bei der endlosen Geschichte um die Flughafenanbindung hat derzeit der Obus die Nase vor Tram, U-Bahn und Eisenbahn. Die Linie 119 soll ebenfalls rein elektrisch betrieben werden und zu diesem Zweck etwa 2/3 der Route zwischen Nádra¸í Veleslavín und Flughafen Oberleitungen erhalten. Dort ist der Einsatz von Doppelgelenkfahrzeugen vorgesehen.
Als zusätzliche Nutzung der Oberleitung für die Linie 140 wird auch über die Elektrifizierung der Regionalbuslinie 375 nachgedacht. Auf meine Nachfrage hin wurde mir bestätigt, dass es für die Hersteller kein Problem darstellt, Fahrzeuge mit ausreichender Höchstgeschwindigkeit zu bauen, um sie im Überlandverkehr nutzen zu können.
Und wer weiß, vielleicht wird dereinst sogar der E-Highway für den Regionalbusverkehr auf der Schnellstraße 4 vom Bf Smíchov nach Süden genutzt? Während der HVZ fährt dort immerhin alle 2 bis 3 Minuten ein Regionalbus...