Tag 43 Dubai -> München
Das Prinzip der RFID-Karten habe ich nicht ganz durchblickt - meine heute benötigte Einzelfahrt kann ich nicht auf dieselbe Karte laden, die ich gestern und vorgestern mit einer Tageskarte aufgeladen habe. Gleichzeitig kostet aber die Ausstellung einer neuen Karte immer 50 Cent extra.
Die Gestaltung des Bahnhofs Union orientiert sich am Meer
Al Ras dagegen erinnert eher an eine Wüstenstadt
"Hello my friend!"
Oh, wie sehr ich das schon vermisst habe... Im Souk gehen mir die Händler sehr auf die Nerven, weil sie aufgrund der geringen Touristenzahlen äußerst unterbeschäftigt sind.
"Where are you from?"
Germany.
"Ah, alles klar. Komm schauen!"
Eigentlich will ich aber weder Süßigkeiten noch Gewürze kaufen, sondern weiter zur Fähre.
An der Anlegestelle sehe ich, dass die benötigte Linie nur alle 45 Minuten verkehrt. Da die nächste Abfahrt in 10 Minuten sein sollte, beschließe ich, zu warten.
Ich bin der einzige auf dem Boot, das zum kleinen historischen Stadtteil übersetzt.

Hier macht das Spazieren Spaß, weil die dicht beisammenstehenden Häuser und die Strohdächer Schatten spenden. Die Wolkenkratzer sind plötzlich weit weg, die aufdringlichen Händler leider nicht. Im Eiltempo bin ich in lokale Kleidung gehüllt, einem langen weißen Kittel, ein rot-weiß kariertes Tuch um den Kopf gebunden und ein schwarzer Ring obendrauf.
Wie mir das gefallen würde, erkundigt sich der Verkäufer.
Zu warm, meine ich, was aber natürlich auch daran liegen könnte, dass ich meine normale Kleidung noch zusätzlich drunter trage. Kaufen werde ich es jedenfalls nicht, wo sollte ich sowas denn in Deutschland tragen? Für eine Faschingsparty würde es vielleicht passen...
Der Verkäufer sieht das ein, aber auch ein Tuch als Geschenk möchte ich nicht und schaue, dass ich weiterkomme. Heute Nachmittag habe ich schließlich einen wichtigen Termin, den ich ungern verpassen möchte.
Das Boot an der nächsten Anlegestelle zurück fährt vor der Nase weg und so muss ich 1 km bis zur nächsten U-Bahnstation laufen. Glücklicherweise tauchen keine unerwarteten Hürden oder Autobahnkreuze auf.
Noch schnell ein letztes Mittagessen einnehmen, nachdem passenderweise meine Dirham auch fast aufgebraucht sind und ab in die Metro zum Flughafen. Dort herrscht gähnende Leere, es wirkt fast schon surreal. Inzwischen trägt mehr als die Hälfte der Menschen Masken.
Der Flug ist bis auf den letzten Platz gefüllt mit Deutschen auf dem Heimweg. Neben mir sitzt ein Seniorenpaar, beide über 80, beide haben keine Angst vor Corona. Ein Russe eine Reihe weiter hat seine FFP2-Maske über die Augen gezogen und schnarcht.
Überpünktlich und erleichtert lande ich in der Heimat. Die elektronische Passkontrolle öffnet ihr Tor, niemand fragt, woher ich komme.
Als ich in der S-Bahn sitze, ahne ich so langsam, was auf mich zukommt. Unfassbar, wie sehr sich Deutschland in den letzten 6 Wochen verändert hat.
Ich steige daheim aus, mit der Gewissheit, dass meine Reise so schnell nicht wiederholbar sein wird. Es wird meine letzte ÖV-Fahrt für mehr als 7 Wochen gewesen sein.
2 Tage danach
Die Lage in Indien hat sich rapide dramatisiert und Panik verbreitet sich. Inzwischen sind sämtliche Einreisen, auch von Einheimischen, untersagt. Paul wollte vorzeitig in einigen Tagen nach Deutschland zurückkehren. Nun hat sich herausgestellt, dass das nur noch durch eine Evakuierung vom Auswärtigen Amt möglich sein wird.
Nicht nur alle Flüge, sondern auch sämtliche Personenzüge sind eingestellt, Baustellen sowie Fabriken stillgelegt und Unis geschlossen worden. Millionen von Menschen haben dadurch ihr bescheidenes Einkommen verloren und sind weit entfernt von ihrer Heimat gestrandet, ohne Essen, ohne Einkommen, ohne Chance, nach Hause zurückzukehren. Wohl durchdacht war dieser Schritt definitiv nicht, denn in Indien sind viele Tagelöhner von einem regelmäßigen Einkommen abhängig und leben fernab der Heimat in Hütten oder Zelten in der Nähe ihres Arbeitsorts. So haben viele Menschen versucht, noch kurzfristig mit den letzten Zügen nach Hause zu fahren. Als dies nicht mehr möglich war, sind sie bei Temperaturen an die 40° losgelaufen oder haben sich in und auf das Dach hoffnungslos überfüllter Busse oder die Ladeflächen von LKW gequetscht. Ein klassischer Fall von nicht wohldurchdachter Maßnahme zur Eindämmung von Corona, durch welche die Ausbreitung zusätzlich angefeuert wurde.
https://www.newindianexpress.com/nation/202...th-2125876.html
In Bayern sind die Ausgangsbeschränkungen in Kraft getreten. Noch kommt mir alles wie ein böser Traum vor. Zu sehr bin ich noch gedanklich in Indien, zu krass sind die Kontraste, zu ungewohnt die Heimat.
5 Tage danach
Heute ist das letzte Flugzeug von Dubai nach München geflogen. Ich habe verdammt viel Glück gehabt, dass ich alles wie geplant durchziehen konnte
Leichter Husten plagt mich seit zwei Tagen, der sich etwas verschlimmert hat. Fieber habe ich nicht.
8 Tage danach
Mein Husten ist noch schlimmer geworden, Fieber habe ich immer noch keins. Der Hausarzt verordnet mir einen Corona-Test.
Er ist negativ.
Fazit
Indien ist ein sehr abwechslungsreiches und interessantes, aber entsetzlich ermüdendes Land. Was man auch tut, es ist oft furchtbar anstrengend, sei es wegen der Kälte in den unbeheizten Räumen im Winter, aufgrund der Hitze im Sommer, oder des Klimaanlagen-Schocks, sofern es eine gibt. Schon ein kurzer Fußweg kann so kräftezehrend wie ein Marathonlauf werden, da man mehrere Nahtoderfahrungen beim Queren der Straßen macht, diverse Rikscha- und Taxifahrer abwimmeln muss, die einem zum good price irgendwohin fahren wollen und Bettler, die ihr Kleinkind auf dem Arm vor die Nase halten und Geld verlangen. Dazu kommen die Menschenmassen, sodass man sich weder frei bewegen noch in Ruhe stehenbleiben kann und der furchtbare Smog sowie Gestank nach Fäkalien und Müll, der in den Metropolen allgegenwärtig ist. Ich persönlich empfinde den unfassbaren Lärmpegel am schlimmsten - das permanente Gehupe zehrt entsetzlich an den Nerven.
Indiens Großstädte sind eine ständige Reizüberflutung, der man sich nicht entziehen kann - denn wohin auch? Eine der wenigen ruhigen Orte sind Stadtparks oder die Innenhöfe von Sehenswürdigkeiten. Dort wird man dann aber ständig in Smalltalk verwickelt (nicht über etwas merkwürdige Fragen wundern) oder um Selfies gebeten. Die Inder seien einfach ein wahnsinnig redefreudiges Volk, habe ich gehört und tun sich anfangs in Deutschland sehr schwer, weil hier niemand reden würde. Dass die Inder redefreudig sind, merkt man nicht zuletzt daran, dass sie permanent telefonieren. Wo man auch ist, ständig klingelt ein Handy und das Geplapper geht los. Dass die Inder ständig am Handy hängen, verwundert auch nicht. Schließlich gibt es oftmals selbst in abgelegensten Regionen LTE-Empfang (etwas anderes wie LTE gibt es ohnehin nicht) und Handytarife sind unfassbar billig - man bezahlt nicht mal 3¤ monatlich für unlimitiertes Telefonieren und 1,5 GB Datenvolumen. Pro Tag - versteht sich von selbst!
Als vor einigen Jahren der neue Anbieter Jio auf den Markt kam, lockte er mit einem Tarif, der für ein halbes Jahr kostenlos (!) war und selbst danach nur einen Bruchteil aller anderen Anbieter gekostet hat. Infolgedessen haben quasi über Nacht Millionen von Menschen zu Jio gewechselt und alle anderen Anbieter waren gezwungen, ihre Preise ebenfalls massiv zu senken. Da gab es nur ein kleines Problem - die wenigsten Smartphones in Indien waren LTE-fähig. Aber dass der Markt riesig ist, hat Jio schnell erkannt und ein eigenes Smartphone entwickelt und für 25 ¤ (!) angeboten. Das erklärt natürlich die unglaubliche Verbreitung von Smartphones in Indien.
Eines meiner wichtigsten Mitbringsel aus der Heimat waren sicher die Ohrstöpsel, ohne die ich nachts wohl kein Auge zugedrückt hätte. Auch auf der Straße wären sie eine Wohltat gewesen, ich habe mich aber nicht getraut, denn hätte ich deswegen das warnende Hupen eines Mofas aus der falschen Richtung überhört, wäre das meiner Gesundheit abträglich gewesen.
Ich frage mich ohnehin, wie die Inder es schaffen, älter als 30 zu werden, ohne vorher am Smog erstickt, in die Tiefe gestürzt, vom Mofa gefallen, im Haus verbrannt oder an Tollwut von Affen- oder Hundebissen krepiert zu sein.
Zum anstrengenden Leben auf der Straße kommt noch, dass Indien ein Land ist, in dem man auf Schritt und Tritt Ärgernissen begegnet. Man muss immer voll konzentriert sein, um nicht irgendwas zu essen, das Durchfall verursachen könnte, abgezockt zu werden oder von falschen Guides irgendwohingebracht zu werden. Google zu befragen ist oftmals die beste Variante. Gerade in touristischen Orten landet man sonst ganz sicher nicht dort, wo man hinmöchte, sondern wo der aufdringlich-nette "Hello, my friend! Where are you from?"-Typ Provision bekommt. Auch auf den gewohnten Komfort muss man oft verzichten. Eine warme Dusche ist schon ein Luxus, der mir vielleicht an der Hälfte der Tage vergönnt war. Der Lebensstandard ist ein völlig anderer und das macht die Reise zusätzlich anstrengend.
Verglichen mit dem Rest verläuft die Eisenbahn noch verhältnismäßig geordnet. Ich betone ausdrücklich das verglichen mit dem Rest - das Chaos, das Gewusel und der Gestank können immer noch erschreckend sein. Die Erfahrung variiert aber stark von Bahnhof zu Bahnhof und die Verbesserung der Sauberkeit hat inzwischen sehr hohe Priorität. Aus diesem Grund hat sich Indian Railways das ambitionierte Ziel gesetzt, alle Wagen auf geschlossene WC-Systeme umzurüsten.
https://www.financialexpress.com/infrastruc...oilets/1836059/
Tatsächlich habe ich auf der Reise nur noch in einem Zug ein offenes WC gesehen - eine klare Verbesserung zu meinem ersten Besuch vor 7 Jahren.
Auch die Sauberkeit im Zug ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich ist sie besser, je höher die gewählte Zugklasse ist. Von sehr sauberen Wagen bis zur Kakerlakenarmee war auf der Reise alles dabei. Die Toiletten sind aber überall ziemlich unangenehm, selbst verglichen mit dem niedrigen deutschen Standard...
Auch der Fahrkartenkauf kann entsetzlich anstrengend sein. Daher würde ich auch dringend vom Kauf am Schalter abraten und Online-Tickets nehmen. Für indische Verhältnisse ist die Website für Online-Buchungen geradezu bedienerfreundlich und erfreulich funktionsfähig.
https://www.irctc.co.in/nget/train-search
Eine gute Übersicht zu FAQ bzgl. Tickets und Klassen in indischen Zügen findet sich hier:
https://www.seat61.com/India.htm
Angemerkt sei noch, dass man in der zuvor verlinkten Fahrplanauskunft keine Züge findet, die ausschließlich unreservierte Wagen mitführen. Fahrkarten ohne Reservierung (Second Class) erhält man nur am Schalter und allein schon das Auffinden des richtigen Schalters stellt eine Herausforderung dar. Und bloß niemanden fragen, schon gar nicht in Delhi, sonst landet man mit Sicherheit im Reisebüro des Cousins und nicht am richtigen Schalter. Und die Schlangen dort können entsetzlich lange sein.
Auch Umsteigeverbindungen muss man getrennt buchen und einige Tücken kennen, z.B. sucht man nach Kalkutta vergeblich, weil die wichtigsten Bahnhöfe dort Howrah und Sealdah heißen. Erfreulicherweise findet die Suche immer alle Bahnhöfe einer Stadt, egal welchen man auswählt. Will man von Agra abfahren, spielt es keine Rolle, ob der Zug von Cantt oder Fort abfährt - die Verbindung wird immer angezeigt. Doch auch hier gibt es eine Tücke. Angezeigt werden im Beispiel Agra auch Abfahrten von Tundla Jn - und der Bahnhof liegt fast 30 km außerhalb der Stadt! Eine Lageprüfung der Bahnhöfe ist unumgänglich, bevor man bucht.
Grundsätzlich gilt beim Fahrkartenkauf:
- So früh buchen wie möglich, meistens wird der Kauf 4 Monate vor Abfahrt freigegeben.
- Je teurer die Klasse, desto langsamer ist sie ausgebucht.
- Premiumzüge (Rajdhani, Shatabdi, Duronto, Tejas, Vande Bharat Express) sind teurer als andere Züge, haben dynamische Preise (je mehr Fahrkarten verkauft sind, desto teurer werden die nächsten) und sind meistens auch kurzfristig leichter zu bekommen
- Tagzüge über kürzere Distanzen (erkennt man daran, dass sie nur Chair car, AC chair car, Executive chair car haben) sind meistens langsamer ausgebucht als Züge mit längeren Laufwegen und Liegemöglichkeiten
Wer keine Fahrkarte mehr bekommt, kann eine andere (meistens höhere) Klasse probieren oder einen anderen Abfahrtszeitpunkt.
Man kann sein Glück aber auch mit der Waiting List versuchen. Im Gegensatz zu China finde ich das indische System in diesem Punkt viel besser. Sind im gewünschten Zug keine Plätze mehr verfügbar, kann man auf die Warteliste buchen. Bei der Buchung ist ersichtlich, auf welchem Platz man sich befindet und es wird sogar die Wahrscheinlichkeit angegeben, dass man doch noch einen Platz erhält (=confirmed). Man kann sich auch bei mehreren Zügen, die sich zeitlich überschneiden, auf die Waiting List setzen. Aber Vorsicht - bezahlen muss man zunächst den vollen Ticketpreis und pro Account sind maximal 6 Buchungen pro Monat möglich. Dieses Limit habe ich natürlich gleich mal gerissen...
Später kann man den aktuellen Status mit der Buchungsnummer überprüfen. Storniert man eine Fahrkarte, muss man ca. 2 bis 4¤ Gebühr bezahlen. Eine Stornierung ist nur bis spätestens 4h vor der planmäßigen Abfahrt möglich. Entgegen der Wahrscheinlichkeit wurde unsere Fahrkarte mit 98% Chance bis kurz vor der Stornierungsdeadline nicht confirmed, dafür zwei andere mit 66% und 80% Chance. Bleibt man bis zum Schluss auf der Waiting List, wird das Geld automatisch vollständig rückerstattet.
Man kann auch ein wenig tricksen, denn das ausgeklügelte Quotensystem verhindert beispielsweise, dass ein Zug durch eine größere Gruppe Kurzstreckenfahrgäste ausgebucht wird. (Zum Vergleich: Angenommen, im ICE würde Reservierungspflicht bestehen. Die Anzahl an Fahrkarten Ingolstadt - Nürnberg im Zuglauf München - Berlin ist deutlich geringer als die Gesamtplatzzahl, um auch Fahrgästen der Relation München - Berlin eine Chance zu geben.)
Das kann man sich zu Nutze machen. Will man an einem kleineren Zwischenhalt zu- oder aussteigen, sind möglicherweise noch Fahrkarten ab/zu einem größeren Bahnhof erhältlich, während sie für den gewünschten Halt schon ausgebucht sind.
Es gibt auch spezielle Quoten für Touristen, Behinderte und Senioren. Erstere gibt es aber offenbar nicht in allen Zügen und als ich mal danach gesucht habe, war sie nicht vorhanden.
Will man spontan verreisen, hat man trotzdem gute Chancen, dass das funktioniert. Um 10 Uhr am Tag vor der Abfahrt vom Startbahnhof des Zuglaufs (!) werden Tatkal-Tickets freigeschaltet. Diese kosten einen happigen Aufschlag und sind nicht in 1st AC erhältlich.
Geld regiert also die Ticketbuchung - und das gilt auch bei den Trassen. Premiumzüge haben die höchste Priorität und deshalb die höchste Wahrscheinlichkeit, pünktlich ans Ziel zu kommen. Dann folgen sonstige Expresszüge, dann die langsamen Personenzüge. Güterzüge müssen Personenzüge immer vorlassen. Immer? Nein, Python hat immer Vorfahrt, selbst vor den Premiumzügen. Dieses Monster will niemand stoppen...
https://www.youtube.com/watch?v=sJJcKG6ix5M
Apropos Pünktlichkeit - die sollte man vor der Buchung einer Fahrkarte auch überprüfen. Das geht sehr einfach hier:
https://www.railyatri.in/insights/average-t...elay-at-station
Manche Züge sind fast immer pünktlich, andere immer um Stunden verspätet. Eine wirklich plausible Erklärung habe ich dafür nicht gefunden, aber einige denkbare Begründungen für Verspätungen habe ich doch parat.
Vor der Reise habe ich vermutet, dass die kurzen Haltezeiten im Gewusel Indiens völlig unrealistisch sind. Einen 600 m langen Zug in 2 Minuten abfertigen? Das hätte ich mir nie vorstellen können. Tatsächlich sind Haltezeitüberschreitungen aber sicher nicht der wesentliche Grund für Verspätungen. Ist die Abfahrtszeit erreicht, gibt die Lok einen Pfiff ab. Dann rennen und drängeln die Zusteigewilligen noch ein bisschen mehr, kurz darauf wird nochmal gepfiffen und abgefahren. Da die Türen ohnehin per Hand geschlossen werden (oder auch nicht), hat man durchaus noch Zeit, einzusteigen, wenn der Zug schon losrollt. Denn bis der mal in Fahrt kommt, dauert es ziemlich lange. Sehr Sportliche können einen Zug auch noch einholen, wenn er schon ein paar Hundert Meter Vorsprung hat, denn fast alle Weichenbereiche der Bahnhöfe haben vMax 15 km/h, sodass man schneller rennen kann als der Zug abfährt und dann in den letzten Wagen springen, ehe er den Bahnsteig verlassen hat. Das ist übrigens keine Theorie eines Immer-knapp-Kommenden, sondern ließ sich tatsächlich beobachten - würde ich in Indien ohne Koffer reisen, könnte ich also meine Ankunft am Bahnhof auch 1-2 min.
nach die planmäßige Abfahrtszeit legen.

Ein Auslöser zahlreicher Verspätungen ist sicher mangelnde Streckenkapazität. Da Expresszüge, Personenzüge und Güterzüge unterschiedliche Geschwindigkeitsprofile aufweisen, sinkt die Kapazität zweigleisiger Strecken weiter. Mangels GWB kann man auch keine fliegenden Überholungen machen. So bricht das geplante Fahrplankonstrukt zusammen, sobald ein Zug Verspätung hat, wie man es auch von uns kennt. Da höherwertige Züge Vorrang genießen, lässt sich dadurch zumindest erklären, warum Personenzüge oft deutlich höhere Verspätungen als Expresszüge aufweisen. Auch ein Zusammenhang mit der Länge des bereits zurückgelegten Laufwegs ist erkennbar.
Nach meinen Beobachtungen der größte Auslöser von Verspätungen liegt aber an einer unvermuteten Stelle - der unzureichenden Bahnsteigzahl. Bis auf wenige Ausnahmen haben die wichtigsten Bahnhöfe der indischen Millionenstädte 5 bis 8 Bahnsteiggleise. Vergleicht man das mit den üblichen Werten in Europa, ist das Problem wohl klar. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass es in Indien kaum SPNV gibt, ist die Anzahl deutlich zu niedrig, zumal auch in diesen Bahnhöfen oft längere Haltezeiten vorgesehen sind.
Es sind aber durchaus Maßnahmen erkennbar, um die beiden Probleme zu entschärfen. Die Streckenkapazität wird vielerorts durch den Ausbau auf 2, 3 oder 4 Gleise erhöht. Nachteilig ist dagegen, dass durch diese Maßnahme die bisherige Trassierung zementiert bleibt und damit auch die (niedrige) Geschwindigkeit, üblicherweise 110 km/h.
Die Bahnsteigproblematik dagegen zu lösen ist schon deutlich schwieriger, da sich die Hauptbahnhöfe in der Regel sehr innenstadtnah befinden und keinerlei Freiflächen zum Ausbau vorhanden sind. Daher sind schon heute die Bahnsteige teilweise weit verstreut mit langen Fußwegen vom Empfangsgebäude, sehr schön z.B. in Allahabad zu sehen.
https://goo.gl/maps/DfQ7Y7K2AbqZRFq16
Die Lösung lautet daher, die Zugfahrten auf verschiedene Bahnhöfe zu verteilen. Das wiederum erkennt man sehr gut in Delhi. Sehr innenstadtnah liegen Old Delhi und New Delhi, mit immerhin jeweils 16 Gleisen. Und weil das nicht ausreicht, gibt es ein paar Kilometer stadtauswärts noch Sarai Rohilla und Hazrat Nizamuddin, wo einige Züge enden. Um die beiden Yamuna-Brücken zu entlasten, wurde noch ein weiterer Bahnhof östlich des Flusses gebaut. Vom Bahnhof Anand Vihar starten einige Züge Richtung Osten.
Da in Indien Umsteigeverbindungen nur eine geringe Bedeutung aufweisen, erscheint mir das Vorgehen grundsätzlich sinnvoll. Nur allzu weit draußen sollten die Bahnhöfe auch nicht liegen, denn sonst steht man noch eine Stunde im Stau...
Um die Kapazitätsdefizite der Bahnhöfe abzufedern, gibt es, wie auch bei uns üblich, Knotenzuschläge im Fahrplan. Weil in Indien alles ein paar Nummer größer ist, bewegen sich diese aber eher im Bereich 30...60 (!) Minuten.
Meine persönlichen Verspätungen lagen trotzdem etwas über dem auf der Website angegebenen Durchschnitt, doch grundsätzlich sind die Infos äußerst hilfreich. Einen Gesamtüberblick kann man sich auch auf der Karte verschaffen.
https://www.railyatri.in/insights
Ein großer Vorteil der Premiumzüge ist das frisch zubereitete Essen, sodass man sich darüber keine Gedanken machen muss, auch wenn es in Indien sonst schwer ist, brauchbare Snacks für unterwegs zu bekommen. Auch in allen anderen Zügen werden in der Regel frische Snacks, Speisen und Getränke angeboten, allerdings nicht so zuverlässig und umfangreich wie in den Premiumzügen. Alternativ kann man sich natürlich beim (2-Min-)Halt am Bahnsteig versorgen oder über diverse Apps online Essen von Ketten und Restaurants an den Sitzplatz bestellen. Leider habe ich es nicht mehr geschafft, das auszuprobieren.
2 weitere interessante Webseiten, auf denen sich auch Züge, die ausschließlich unreservierte Wagen mitführen, finden lassen:
https://indiarailinfo.com/
https://erail.in/
Ein aktuelles Problem der Premiumzüge ist die sinkende Nachfrage, insbesondere in den höheren Klassen. Die Konkurrenz durch den Luftverkehr ist stark steigend und die Preise eines Flugtickets oft sogar günstiger als eine längere Zugfahrt. Gleichzeitig ist die Reisegeschwindigkeit immer noch sehr niedrig und überschreitet nur selten 70 km/h. Auf "echten" HGV wird Indien wohl noch mindestens bis 2023 warten müssen, wenn die erste NBS Ahmedabad - Mumbai fertiggestellt sein soll.
https://en.wikipedia.org/wiki/Mumbai%E2%80%...d_rail_corridor
Außerdem scheinen in den höheren Klassen nur wenig zahlende Fahrgäste mitzufahren, sondern hauptsächlich Eisenbahner und ihre Familien, da sie nicht nur Freifahrt, sondern auch Vorrang auf der Warteliste genießen.
Immerhin wird nun der Eisenbahn wieder höhere Priorität bei der Finanzierung eingeräumt, nachdem sie jahrelang hinter dem Straßen- und Flughafenausbau anstehen musste. Höchste Priorität haben dabei die Umspurung von Schmal- auf Breitspur, der Ausbau der wichtigsten Strecken auf 2 bzw. 4 Gleise sowie eine vollständige Elektrifizierung des Breitspurnetzes. Dieses ambitionierte Elektrifizierungsziel soll bereits 2023 abgeschlossen sein. Gut die Hälfte hat man schon geschafft.
https://www.livemint.com/news/india/governm...0657367536.html
Einen Haken hat sie Sache allerdings - was tun mit 1000 Dieselloks? Inzwischen werden zwar keine neuen Dieselloks mehr in Indien gebaut, doch auf absehbare Zeit wird wohl weiter unter Fahrdraht gedieselt werden.
https://theprint.in/india/modi-govt-wants-1...engines/349339/
Um den GV zuverlässiger zu machen und Trassen freizuschaufeln, werden derzeit zwei reine GV-Strecken gebaut, die Dedicated Freight corridors.
https://www.thehindubusinessline.com/econom...icle8245189.ece
Sie sollen die großen Häfen in Mumbai und bei Kalkutta mit Delhi verbinden, man kann also gut von Seehafenhinterlandverkehr sprechen. Die rund 3200 km lange Route soll bereits Ende 2021 komplett fertig sein.
Als Alternative zur Eisenbahn kann man auch die Vielzahl an Fernbussen nutzen. Von unklimatisierten Klapperkisten über Schlafbusse bis zum klimatisierten Luxusfahrzeug mit üppiger Beinfreiheit steht die ganze Palette zur Verfügung. Da sich für alle Etappen eine Eisenbahnfahrt ergeben hat, habe ich aber keine entsprechenden Erfahrungen gesammelt.
https://www.flashpackingkerala.com/india-tr...r-bus-in-india/
Der indische Straßenverkehr bietet wohl einen der höchsten Chaos-Faktoren auf der Welt. Es gibt offenbar keine Regel außer fahren, wo Platz ist so schnell wie es geht und hupen, weil es Spaß macht. Der städtische ÖPNV ist oft sehr schlecht und wird daher von den Einheimischen auch eher verschmäht. Das eigene Mofa ist die deutlich beliebtere Variante, wobei ich die Busse insofern vorteilhaft finde, dass man dort am sichersten ist, befindet man sich doch im größten Fahrzeug auf der Straße. Für nicht Eingeweihte sind die Busse allerdings sehr schwer zu benutzen, weil Informationen über Verbindungen nur schwer zu bekommen sind. Google Maps kann zwar helfen, kann mich aber in puncto ÖPNV-Planung grundsätzlich wenig überzeugen. Die genannten Abfahrtszeiten scheinen rein fiktiv zu sein und haben nichts mit der Realität zu tun. Die größte Hürde ist schon mal, dass Bushaltestellen vielerorts überhaupt nicht ausgeschildert sind. Wenn man nicht weiß, welche Linie man braucht, hat man oft ein Problem. Die Busse halten entweder nur sehr kurz oder gar nicht und der Ein- und Ausstieg verläuft während der Fahrt. Nach dem Ziel fragen ist also quasi unmöglich. Für eine Stadtbesichtigung sind die Busse absolut nicht geeignet (außer wenn man für eine Fahrt einen halben Tag einplant) - sie fahren zu selten, man weiß nicht, welche Linie man braucht und wenn zufällig mal der Richtige kommt, ist der Bus hoffnungslos überfüllt und man muss auf der Treppe in der - selbstverständlich offenen - Tür stehen, was mir persönlich angesichts des Gedränges und des Straßenzustands viel zu gefährlich ist. Fahrkarten werden beim Schaffner gekauft. In der Regel wird hinten eingestiegen und vorne ausgestiegen. Wenn es zu voll ist, wird ein- und ausgestiegen, wo Platz ist. Man kommt mit Bussen zwar (fast) überall hin, man muss aber sehr viel Zeit und Geduld mitbringen oder wirklich sehr knapp bei Kasse sein und darf keinerlei Ansprüche an Komfort haben. Daher erscheint es mir nur allzu verständlich, als die Bekannte in Jaipur zum Abschluss meinte: "Now you see why I love my car so much."
Die sich langsam entwickelnden Metrosysteme stellen das einzig schnelle und zuverlässige Transportmittel in den Metropolen dar. Bisher hat nur Delhi den Aufbau eines stattlichen Netzes von 253 km Länge geschafft und ist ein Musterbeispiel dafür, wie man ein U-Bahnnetz über 3 Bundesstaaten und über diverse Stadtgrenzen hinweg aufbauen kann, wenn man die Zuständigkeit unter einem Dach vereinigt.
https://en.wikipedia.org/wiki/Delhi_Metro#/...ap_of_Delhi.jpg
In anderen Städten dümpelt der Ausbau mehr oder weniger schnell dahin. Da die Finanzmittel in Indien äußerst knapp sind, wird über den Ausbau der Metrosysteme durchaus kontrovers diskutiert. Fehlt das Geld dann an anderer Stelle wie Bildungs- oder Gesundheitswesen?
Auto-Rikschas oder Uber sind die bessere Variante, wenn nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht und die Metro nicht die gewünschte Relation abdeckt. Verglichen mit Deutschland sind die Preise sehr niedrig, Rickschafahrer verlangen aber oft erstmal den dreifachen Preis, wenn sie Ausländer sehen. Ich habe immer erst in der Uber-App nachgeschaut, wie viel eine Autofahrt kostet und auf der Basis versucht, mit den Rikschafahrern einen günstigeren Preis auszuhandeln. Problematisch ist auch, dass Rickschafahrer oft kein oder nur rudimentär Englisch beherrschen und es sehr schwierig wird, das Ziel zu erklären, wenn es sich nicht um die bekanntesten Sehenswürdigkeiten handelt. Die Konkurrenz durch Uber trifft die Rikschafahrer hart, da Uber auch von vielen Einheimischen bevorzugt wird, welche die Abzocke leid sind und den höheren Komfort eines (klimatisierten und geschlossenen) Autos zum oftmals ähnlichen Preis zu schätzen wissen.
Wenn man auf diese Weise auch deutlich schneller als mit dem Bus unterwegs ist, muss man trotzdem angesichts des Staus mit langen Fahrzeiten rechnen. Mir ist aufgefallen, dass sich die Verkehrslage sehr schwer prognostizieren lässt. Manchmal fährt man eine halbe Stunde ohne größere Verzögerungen durch die Stadt, um dann für den letzten halben Kilometer nochmal eine Viertelstunde zu brauchen. Ein großzügiger Puffer vor wichtigen Terminen wie Zugabfahrt sind in Indien absolut essenziell, da man nie genau weiß, wie lange man braucht. Und ein schönes Zitat, dass ich während meines Aufenthalts aufgeschnappt habe, passt auch sehr gut dazu: "As long as people don't undestand the value of time, nothing will change."
Und es stimmt - Zeit hat quasi keine Bedeutung. Arbeiten werden in Indien generell in Zeitlupe erledigt. Bis ein Kunde im Supermarkt abkassiert ist, schafft ein deutscher Kassierer locker 5. Und wehe, man zahlt im Restaurant nicht passend. Dann kann es schon mal 10 Minuten dauern, bis man endlich sein Wechselgeld erhält...
Nachdem ein Kollege zu mir gesagt hat, in 5 Minuten wäre er zurück und wir könnten dann Mittagessen gehen, habe ich mich nach über einer halben Stunde gewundert, wo er denn bleibt. Ihm war dieser Umstand aber gar nicht aufgefallen... Kommt man mal zu spät, ist das in der Regel kein Problem. Ist ja auch schwer zu prognostizieren, wann man irgendwo ankommt. Prognosen über irgendwas sind in Indien generell sehr schwer. Man kann sich auf nichts verlassen - was einem jetzt hoch und heilig versprochen wird, kann in einer Stunde schon wieder ganz anders sein. Alles ist flexibel und nichts ist sicher. Das macht sicher wenig Freude, wenn man in Indien nicht nur zum Spaß unterwegs ist, sondern irgendetwas Wichtiges klären muss. Die ständige Planlosigkeit kann ziemlich nervig sein.
Die Arbeitsbedingungen sind in Indien - wenig überraschend - i.A. deutlich härter als bei uns. Jeder zweite Samstag ist ein normaler Werktag, in Bürojobs und bei Staatsangestellten ist 9 to 5 üblich. Demgegenüber stehen jedoch zahlreiche Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, wie Saisonarbeiter, die für 100 bis 200 ¤ monatlich unter extremen klimatischen Bedingungen und äußerst fragwürdiger Arbeitssicherheit schuften müssen. Aber auch bspw. als Wächter oder in der Hotelbranche sind 12h-Schichten üblich.
Indien ist kein Land, dass seine Probleme und Extreme in irgendeiner Weise verschleiert oder versteckt (außer wenn Trump kommt:
https://www.youtube.com/watch?v=Fpzdht5zgaI). Kinder, die um Essen betteln, gehören genauso zum Straßenbild wie Leprakranke oder Beinlose, die irgendwie durch den Dreck kriechen. Müll kokelt in den Gassen vor sich hin, Hunde fressen an Tierkadavern und Leichen werden in den Ganges geworfen. Über den Städten wabert ein unerträglicher Smog.
Auch wenn Armut in Indien allgegenwärtig ist, wurde ein erstaunlicher Rückgang der extremen Armut in den letzten Jahren verzeichnet. Von 2011 bis 2018 ist die Anzahl der Menschen, denen weniger als 1,90 $ pro Tag zur Verfügung stehen, deutlich auf 70 Millionen zurückgegangen.
https://www.welt-sichten.org/artikel/34733/...eberholt-indien
Mich persönlich hat in dieser Hinsicht überrascht, wie viele Slum-Bewohner Smartphones besitzen.
Beeindruckt hat mich die Offenheit und Hilfsbereitschaft der Menschen, die nicht nur auf Geld ausgelegt ist. Selbst wenn der Rikschafahrer kein Englisch spricht, findet man dann doch irgendjemanden, der Englisch versteht und erklären kann, wohin man fahren möchte. Die Neugierde der Menschen kann sich auf Dauer aber auch ins Gegenteil verkehren, denn es ist ziemlich anstrengend, immer im Mittelpunkt und unter Beobachtung zu stehen, ständig Smalltalk und Selfies machen zu müssen.
Auffallend finde ich allerdings, dass Smalltalk und Selfiewünsche immer von Männern ausgehen. Auf die unzähligen Bitten war nur eine einzige von einer Frau. Generell dominieren Männer das Bild auf den Straßen mindestens im Verhältnis 80:20. Das traditionelle Frauenbild mit Verantwortung für den Haushalt und die Kinder ist in Indien noch sehr stark verankert, aber in der Mittelschicht stark rückläufig. In den höheren sozialen Schichten arbeiten in der Regel beide Elternteile (und beschäftigen eine Haushaltshilfe, die das Kochen übernimmt). Zwar ist die überwiegende Mehrheit der Inder sehr schlank (was die engen Sitze bei 3+3-Bestuhlung und die überbelegten Rikschas etwas relativiert), doch war ich sehr überrascht vom erstaunlich hohen Anteil stark übergewichtiger Personen, vorwiegend Frauen. Vielleicht liegts ja am guten (und sehr kohlenhydratreichen) Essen?
Nicht nur die tollen Sehenswürdigkeiten und die Eisenbahn reizen mich an Indien als Reiseziel, sondern auch das köstliche Essen. Mit der Schärfe bin ich fast immer gut zurechtgekommen und bei Nachfrage habe ich um mittlere Schärfe gebeten. Auf Dauer kann das Essen aber auch etwas eintönig werden. Ein bisschen Abwechslung bringen unterschiedliche regionale Küchen (v.a. nordindisch - südindisch). Dort spiegeln sich auch die unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse wider. Je weiter nach Nordwesten man kommt, desto weniger Reis gibt es, dafür mehr Brot. Im Osten und Süden gibt es dagegen mehr Reis und er wird dort üblicherweise mit den Fingern gegessen. In den Großstädten hat man aber auch eine ausreichende Auswahl an europäischen Ketten von Subway über Domino's Pizza zu KFC. Fleisch wird in Indien wenig bis sehr wenig gegessen, denn fast die Hälfte der Bevölkerung ist Vegetarier. Einige Bundesstaaten (z.B. Gujarat) sind dry states, d.h. auf "normalem" Weg ist kein Alkohol erhältlich. Rauchen und Saufen scheinen ohnehin vergleichsweise wenig verbreitet zu sein, dafür aber Kautabak umso mehr und der ist äußerst unhygienisch, weil ihn jeder einfach auf die Straße spuckt, gerne auch aus dem Fenster des Autos oder Busses. Vermutlich ist er außerdem verantwortlich dafür, dass in Indien so viele Menschen entsetzlich schlechte Zähne haben.
Indien ist immer noch dasselbe Land, das ich von meinem ersten Besuch 2012 in Erinnerung habe. Laut, dreckig, überfüllt, das totale Chaos. Auch wenn der Wohlstand in den letzten Jahren gestiegen ist, die Motorisierung zugenommen hat und die Digitalisierung Einzug erhalten hat. Laut meiner Bekannten ist Letzteres ein wesentlicher Punkt, der sich für sie persönlich merklich positiv auswirkt. Statt stundenlang auf irgendwelche Dokumente zu warten, lässt sich heute vieles Online erledigen, wie z.B. auch der Fahrkartenkauf. Die Eliminierung von Bestechungsgeldern und unversteuertem Einkommen hat sich die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Modi als großes Ziel gesetzt. Angeblich wird in Indien nur 3% des Einkommens versteuert, sodass Steuererhöhungen quasi effektlos sind, weil sie niemand bezahlt. Dem soll durch die Bonpflicht gegengesteuert werden. Zahlreiche Stände, vor allem am Bahnhof, schmücken Schilder mit dem Schriftzug "If you don't get the bill, your order is for free". Eine Quittung habe ich dort aber nie bekommen, habe aber auch nie versucht, das Wasser für 20 Cent umsonst zu bekommen.
Eine äußerst heftig umstrittene und offensichtlich völlig erfolglose Maßnahme war das spontane Ungültigmachen der größten Scheine im Jahr 2016, obwohl die Ankündigung tatsächlich bis zum Schluss geheim geblieben ist.
https://qz.com/india/1373030/modis-demoneti...ows-rbi-report/
Ziel sollte unter anderem sein, dass illegal verdientes und als Bargeld in irgendwelchen Tresoren daheim gelagertes Geld zur Bank gebracht werden muss und bei allzu großen Beträgen, die sich nicht mit dem offiziellen Einkommen erklären lassen, Fragen auftauchen könnten. Doch letztlich gab es ausreichend kreative Ideen, das Geld zur Bank zu bringen. Die Inder vom Bargeld abzubringen, war ebenfalls wenig erfolgreich, wenn auch das Bezahlen mit dem Handy nach der Demonetisierung einen kleinen Boom erlebt hat. Auf einige Zahlungen gibt es offenbar niedrigere Steuern, wenn man mit Karte statt bar bezahlt. Nach 2 Erfahrungen mit dem Kreditkartenumgang in Indien habe ich mich gehütet, sie irgendwo weiter einzusetzen, außer um Geld abzuheben. Indien ist berühmt-berüchtigt für Betrug aller Art und nach gut der Hälfte der Zeit wurden von meiner Kreditkarte über 200 ¤ fehlgebucht (die ich allerdings glücklicherweise erstattet bekommen habe). Interessanterweise handelte es sich nicht um die Karte, die ich regelmäßig zum Geldabheben und für die beiden Zahlungen vor Ort eingesetzt habe, sondern um meine Zweitkarte, die ich ausschließlich für Onlinebuchungen von Hotels und Fahrkarten eingesetzt habe.
Nein, eine Indienreise ist absolut nicht entspannend, dafür aber sehr spannend. Trotz aller Unwägbarkeiten waren es tolle 6 Wochen, die sich gelohnt haben. Und eines ist klar - mein zweiter wird nicht mein letzter Besuch in Indien gewesen sein.
Die wesentlichen Erkenntnisse:
1. Suche nicht den Sinn. Für viele Dinge gibt es keine objektive Erklärung.
2. Worte sind Schall und Rauch. Taten zählen.
3. Alles ist auf maximale Unbequemlichkeit ausgelegt.
4. Dreistigkeit siegt. Die Inder drängeln sich vor, lügen dir ins Gesicht und schämen sich nicht mal dafür.
Wer nach Indien reisen will, sollte...
...eine extrem hohe Frustrationstoleranz mitbringen.
...kein Problem mit scharfem Essen haben.
...sich nicht vor Menschenmassen fürchten.
...Preise verhandeln können.
...den Einsatz des Ellbogens lernen.
...es verkraften, täglich von hungernden Kindern die eigene Privilegiertheit vorgeführt zu bekommen.
...sich nicht allzu schnell ekeln.
...auf das Schlimmste gefasst sein, denn die Wirklichkeit ist noch schlimmer.
Statistik
Gefahrene Bahn-km:................5580 km
Planmäßige Gesamtreisezeit:....89h 00 min
Reisegeschwindigkeit:...............63 km/h
Gesamtverspätung:..................252 min.
Fahrtkosten:
Flug:............... .........707¤
CO2-Kompensation:...57¤
Bahn:....................... 221¤
Uber und Rikschas:.... 60¤
ÖPNV:...................... 13¤ (Indien)
.................................36¤ (Dubai)
_____________________
..................................1094¤
Kilometerpreis Bahn:..4,0 ct/km
Nach meiner Rückkehr habe ich mir Slumdog Millionaire nach so vielen Jahren nochmal angeschaut. Die zahlreichen Bahnszenen sind äußerst authentisch mit einer Ausnahme - Fahrgäste auf dem Zugdach gibt es in Indien nicht (mehr). Nach der Schlussszene mit der Gute-Laune-Musik wäre ich am liebsten gleich in einen der abfahrenden Züge gesprungen...
https://www.youtube.com/watch?v=dGBOd3cgNdM
Money is nothing - railfanning is everything.
- von der Fanseite indianrailinfo.com
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