Lobedan @ 15 Nov 2020, 20:57 hat geschrieben:Hattest du für die Halligbahn nicht mehr Zeit oder gab es keine gute Gelegenheit für ein Foto der Trasse durchs Watt?
Ich habe einfach nicht daran gedacht. Bin einfach dem Radweg hinter dem Deich gefolgt... Eigentlich hätte ich mal nach oben schauen sollen.
Tag 5
Für den letzten Tag war die Wettervorhersage am vielversprechendsten, also ab auf die Insel. 218 466 mit einem Autozug rauscht durch Klanxbüll.

Kennt eigentlich jemand den Hintergrund, warum manche Lf7-Tafeln breiter sind als andere? Hier ist das besonders schön zu sehen, da sie nebeneinanderstehen.
Und dann kommt auch schon mein Zug und das sogar pünktlich!
Er ist gut gefüllt und da ein Mann offenbar der Meinung ist, sich unbedingt auf einen Klappsitz vor das WC setzen und sein Fahrrad vor sich halten zu müssen, kommt man fast nicht mehr durch. Er ist mir vom ersten Moment an unsympathisch und brummt, dass er in Keitum rausmüsse. Wir sausen auf den Hindenburgdamm, werden langsamer. Kommen an der Blockstelle zum Stehen. "Sehr geehrte Fahrgäste, derzeit stauen sich noch die Züge auf der Insel. Daher sind wir hier zum Stehen gekommen. Genießen Sie den Ausblick."
Fahrgäste quetschen sich am Fahrrad des Mannes neben mir vorbei, um das WC aufzusuchen. Ein 8-jähriger behinderter Junge sitzt im Rollstuhl und zieht seine drei Jahre jüngere Schwester an den Haaren, die daraufhin zu weinen beginnt. Offenbar hat aber auch sie ihren Spaß daran, denn schon kurz nachdem die Mama sie befreit hat, streckt sie wieder ihre Arme zum Bruder aus und das Spiel geht von vorne los. Wieder muss die Mama sie befreien, was der Junge aber offenbar nicht so gut findet und ihr deshalb die Maske vom Gesicht reißt.
Weitere Fahrgäste quetschen sich am Fahrrad vorbei. Ein Kleinkind geht auf Erkundungstour, dicht gefolgt von der Mama. "So, hier können wir nicht weiter," meint sie, als sie vor dem Fahrrad des Mannes stehen bleibt. Doch die Kleine sieht darin offenbar kein Hindernis, schlüpft unter dem Lenker hindurch und oh - die WC-Tür ist offen, das sieht ja interessant aus! "Nein, auf die Toilette gehen wir jetzt nicht", meint die Mama, natürlich ohne Erfolg. "Neinnein, bäh, pfui!", ruft sie, springt hinterher und stoppt die Kleine, bevor sie allzu ausgiebige Erkundungstouren absolvieren kann. Dafür darf sie dann den Knopf drücken, um den Wasserhahn zu aktivieren.
Inzwischen haben wir es bis Morsum geschafft. 2 Minuten vergehen. Dahinter beginnt der eingleisige Abschnitt und da der Gegenzug planmäßig in 4 Minuten abfahren soll und pünktlich angekündigt ist, werden wir ihn wohl abwarten müssen. "Verehrte Fahrgäste, es gibt mal wieder das Zugfolgeproblem. Wir müssen noch etwas warten." Weitere Minuten vergehen. "Verehrte Fahrgäste, ich habe nun eine Information erhalten. Die gute Nachricht: Wir fahren weiter." Kurze Pause. "Aber erst in 7 Minuten." Ja, man muss es wohl mit Humor nehmen, denn anders ist das tagtägliche Chaos auf der Marschbahn nicht zu ertragen. Ich nutze die Standzeit zum Googlen. Der zweigleisige Ausbau steht im vordringlichen Bedarf des BVWP. Er wird kommen. Aber erst 2030. Vielleicht.
Eine Frau drängt sich aus dem WC und stößt dabei leicht an das Fahrrad des Mannes neben mir. "Kannst dich ruhig mal entschuldigen", knurrt er und, fügt noch hinzu, als die Frau ihn ignoriert und einfach weitergeht: "Trampeltier." Sie geht weiter und zeigt ihm den Stinkefinger. Ich erinnere ihn daran, dass es ja sein Fahrrad wäre, das nicht ordnungsgemäß verstaut ist und daher den gesamten Gang blockiert. "Was willst du denn, du Heini?"
Nanana, wer wird denn gleich so ausfällig werden. "Du bist ausfällig. Wo bist du überhaupt eingestiegen???"
Klanxbüll. "Na eben, du hast hier keinen Platz mehr. DU bist das Problem!", schnauzt er mich, untermalt mit wilden Gesten, an.
Wir sind immer noch per Sie. Und ich hätte sehr viel mehr Platz gehabt, wenn Sie Ihr Fahrrad ordnungsgemäß verstaut hätten. Er brummt irgendetwas wenig Nettes, dann fahren wir weiter. Der behinderte Junge zieht seine Schwester wieder an den Haaren und sie muss wieder von der Mama befreit werden. "Jetzt bleib doch einfach normal hier sitzen", brummt der Papa, "dann kommt er nicht hin." Aber Mamas Maske wird dafür wieder vom Gesicht gerissen, was diese gar nicht lustig findet. "Nächster Halt: Keitum", verkündet Ingo Ruff und eine Frauenstimme fügt noch das friesische Kairem hinzu. "Steigst du denn jetzt hier aus?", schnauzt mich der Mann an.
Nein, in Westerland. "Dann mach mal Platz!"
Wenn Sie mich nett darum bitten, dann gerne. "Ja steigst du jetzt aus, oder nicht?!"
Ich hab doch schon gesagt - nein. "Ich will durch!"
Ich will auch Vieles. Der Zug hält. "So, dann wollen wir mal aussteigen." Ich bewege mich nicht. "Ja, was ist denn jetzt? Wollen wir mal aussteigen?"
Das müssen Sie schon selbst wissen, ob Sie aussteigen wollen oder nicht... Die Türen sind schon eine Weile offen, ich ziehe meine Beine ein und mache etwas Platz, ohne aufzustehen. "Ich pass nicht durch", grummelt er, obwohl ich genau sehe, dass er durchpasst.
Dann müssen Sie sich halt ein bisschen anstrengen. Er schiebt sein Fahrrad also an mir vorbei, die Türen laufen wieder zu, doch die Türfreigabe ist noch da. Er drückt drauf und ruft mir äußerst abfällig nach: "Du deutsches Arschloch! Gleich gibt's was auf die Fresse, du Arsch!" Dann verschwindet er im Gewusel auf dem Bahnsteig, die Türen gehen wieder zu, die gespannte Atmosphäre verfliegt. "Gut, dass Sie dem nicht so leicht nachgegeben haben", meint eine Frau zu mir. Durch die ganzen Masken fällt es mir viel schwerer, andere Menschen einzuschätzen. Ich verleihe jedenfalls den Entenfangschen Preis für die übelste Beleidigung, die ich mir bisher von anderen Fahrgästen anhören musste - herzlichen Glückwunsch!
Mit +19 endet die Fahrt in Westerland und hat für mich fast doppelt so lange gedauert wie im Plan.

Ein Mann, der mit seiner Familie ausgestiegen ist, knipst ebenfalls die Lok. "Komm jetzt endlich", ruft die Frau ungeduldig. "Nur noch 1 Foto!"
Die muss einen ganzen Schrank voller Zugbeeinflussungssysteme haben, so viele Länder...
Von einer Brücke kann man das Treiben im Bahnhof vor der wunderschönen *hust* Kulisse von Westerland bestaunen.
218 344 rollt mit einem IC über die Zielgerade
Irgendwie verstehe ich nicht, warum man nicht wenigstens das Ausziehgleis als temporäre Maßnahme in ein Streckengleis umwandelt. Damit könnte man schon mal vor 2030 unkompliziert einen Verspätungspuffer schaffen.
245 027 verlässt Westerland
Es folgt 2700-02
Wow, da sind ja tatsächlich zwei Züge hintereinander pünktlich gefahren!
Nach etwa einer Stunde breche ich in den einsamen Norden auf. Der Radweg führt hinter den rosenbewachsenen Dünen entlang.
