Naja, ich denke nicht, dass Abellio einfach morgen Insolvenz anmeldet und "Städtebahn" spielt. Abellio NRW dementiert eine Einstellung des Zugverkehrs.146225 @ 11 Oct 2020, 08:20 hat geschrieben:Wenn Abellio tatsächlich den Rückzug antritt - und zwar nicht auf die Weise wie die SNCF über die Tochter Keolis Eurobahn, die sich einfach auf keine neuen Ausschreibungen mehr bewirbt - dann bin ich mal gespannt, wer deren Leistungsvolumen "mal eben" übernehmen möchte.
Das Grundproblem dahinter ist der viel interessantere Aspekt: Vor Corona hatten vergleichsweise gut laufende SPNV-Netze Renditen von 1% und weniger. In einem verdammt kapitalintensiven Geschäft ist das schon kritisch. Jetzt haben wir mit Corona eine besondere Lage: Die Ticketerlöse sinken, die Aufgabenträger zahlen nicht mehr, wollen aber die Zugleistungen auch nicht kürzen bzw. wenn ja, dann zahlen sie auch weniger. Das heißt, die Auftragnehmer haben wenig Einfluss und sind auf Gedeih und Verderb dem Aufgabenträger ausgeliefert. Wenn der nicht mehr zahlt, der Eigentümer aber auch nicht kann oder möchte, bleibt eigentlich nur noch eine Bank, die ihr Geld nicht wiedersehen will, damit sich das ausgeht. Abellio ist ja kein Einzelfall, vor einigen Jahren meldete agilis öffentlich, dass sie "mit der Gesamtsituation unzufrieden" seien. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, wo u.a. der Staat ausschreibt, ist der SPNV schon nah an der Grenze zu dem, was man im kleinen Maßstab Scheinselbstständigkeit nennt. Wenn der Dachdecker mit dem Rathausdach ein schlechtes Geschäft macht, hat der im gleichen Ort noch zig Dächer in der Privatwirtschaft, wo er sich bewerben könnte. Im SPNV ist der Aufgabenträger gegenüber Fahrgast und EVU aber Monopolist, weiß das und verhält sich entsprechend.
Die viel wichtigere Frage ist daher, was passiert eigentlich, wenn sich keiner mehr findet, der bei dem für den Steuerzahler lustigerweise absurd teuren Preisdumping mitmachen möchte? Oder anders: Was passiert eigentlich, wenn die DB AG kein Geld direkt vom Bund bekäme?
Sorry, aber das erinnert alles an die Zeitungsberichte aus den 70ern. Wegen sinkender Fahrgeldeinnahmen und steigender Personalkosten liefen damals nach der Ölpreiskrise dem Staat die Kosten aus dem Ruder und konnten durch u.a. Rationalisierungen (bildlich: 141 statt alte 038) kaum mehr kaschiert werden. Daraufhin hat der Bundestag die Notbremse gezogen und die DB mehrfach zu Kürzungen beim Angebot verdonnert. Vor allem 1974 (der Zusammenhang mit dem Wirtschaftseinbruch ist erkennbar?) hat damals auf zwei Jahrzahnte massiv Spuren hinterlassen und in der Umsetzung eine zweite Stilllegungswelle, Angebotsumstellungen, so irre Ideen wie das betriebswirtschaftlich optimale Rumpfnetz und vor allem einen Investitionsstopp mit sich gebracht hat. 2020 wird das Jahr sein, in dem den EVU die Kosten aus dem Ruder laufen werden. Fast alle E-Netze sind auf moderne Drehstromfahrzeuge umgestellt, bei den Gehältern und dem Personalbestand ist die Untergrenze längst unterschritten und im Gegensatz zu den 2000ern, wo man aus technischem Fortschritt (bildlich: Drehstrom-425 statt alte 141) noch massive Einsparungen generieren könnte, die man als Erfolg des Wettbewerbs verkaufen konnte, sind längst vorbei. Im Gegensatz zur Staatsbahn damals werden private Unternehmen heute jedenfalls nicht 20 Jahren lang ihre Betriebsdefizite (!) durch Kredite finanzieren.
Am Ende wird das so oder so dem Staat um die Ohren fliegen. Ob es dauerhaft mehr Geld geben wird, ist nach 2020 fraglich, trotz Verkehrswende. Im Gegenteil. Und was ich, wenn man es zu Ende denkt, für verzichtbarer halte als Zugfahrten, ist der Aufwand für Ausschreibungen und die Gewinnausschüttungen an die EVU, Leasingfirmen, Personal- und Wartungsdienstleistern etc. Selbst wenn z.B. Abellio Miese macht, heißt das ja nicht, dass Geld von Fahrgästen und Staat nicht trotzdem in private Kassen abfließt statt den Betrieb von ein paar Zugfahrten mehr zu finanzieren.